Notizen eines deutschen Anwalts in Guatemala (11)

Donnerstag, 7. April 2016


http://www.guatemalanetz.ch/index.php/aktuelles-aus-guatemala/kolumne-miguel-moerth
Guatemala Stadt, Ende März 2015



 Wir schreiben den 16.3.2016, fast auf den Tag genau sind es drei Jahre her (19.3.), dass der Prozess gegen Ríos Montt und seinen Geheimdienstchef Rodríguez Sánchez eröffnet wurde. Damals waren wir uns des historischen Tages sehr bewusst: zum ersten Mal weltweit gab es einen Prozess wegen Völkermord und Kriegsverbrechen gegen einen ehemaligen Staatschef, der dann zwei Monate später, am 10.5., auch noch mit einem historischen Urteil endete: 8o Jahre Gefängnis für Ríos Montt und Freispruch für seinen Geheimdienstchef Rodríguez Sánchez. Zehn Tage später – nach Intervention der im CACIF organisierten UnternehmerInnen – wurde dieses Urteil dann durch einen ebenso historischen Prozessbetrug durch 3 von 5 VerfassungsrichterInnen annulliert. Diese erfanden dazu Prozesshandlungen in der Hauptverhandlung, die es ausweislich der Gerichts--‐Audios nie gegeben hatte. Die Opfer haben deswegen eine Anzeige vor der interamerikanischen Menschenrechtskom--‐ mission erstattet, mit der sie bezwecken, diesen Betrug und damit das Verfassungsgerichtsurteil für nichtig erklären zu lassen.
 Wir versuchen nun zum fünften Mal den Gerichtsprozess erneut zu beginnen. Zwischenzeitlich wurde Ríos Montt für verhandlungsunfähig erklärt und entmündigt. Er ist senil und wird von seinen Anwälten vertreten. Sein Prozess gehorcht deshalb jetzt anderen Regeln: Es können ‚Massregeln der Sicherung und Besserung’ angeordnet werden, wie z.B. die Unterbringung in einem Heim. Die Voraussetzung ist aber auch hier ein Schuldspruch des Gerichts. Da es um sehr persönliche Dinge geht, verlangt das Gesetz, den Prozess ohne Öffentlichkeit zu führen.
 Ganz anders ist das im Fall von Rodríguez Sánchez. Er ist gesund und müsste eine ganz normale mündliche und vor allem öffentliche Hauptverhandlung über sich ergehen lassen. Das würde zwei Prozesse bedeuten, einen öffentlichen und einen hinter geschlossenen Türen, was eine zusätzliche Beastung für die Opfer und Zeugen darstellen würde. Ausserdem lehnen diese den neuen Prozess ohnehin ab, da er nur auf Grund des erwähnten Prozessbetruges möglich wurde und ihnen ein rechtmässiges Urteil – zumindest vorübergehend – geraubt wurde.
 Über dieses Dilemma hat das Gericht noch ein zweites gestülpt. Mit der Begründung, eine Re--‐Viktimisierung der Opfer verhindern zu wollen, hat es die beiden Prozesse nicht getrennt sondern eine gemeinsame Haupt--‐ verhandlung angeordnet und dafür die Öffentlichkeit ausgeschlossen, „um die Rechte von Ríos Montt zu wahren“ und „den Opfern Aussagen in zwei Prozessen zu ersparen“. Nur verletzt diese Anordnung automatisch die Rechte von Rodríguez Sánchez und vor allem die der Opfer, denen eine öffentliche Verhandlung vom Gesetz garantiert wird, zumal sie darum betrogen 2 werden, ihrer jahrelang unterdrückten Stimme Gehör zu verschaffen. Sie sollen nun in einem Geheimprozess aussagen!
 Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben darauf ein ums andere Mal hingewiesen und Rechtsmittel eingelegt. Über diese sowie 4 weitere Beschwerden (1 der Nebenklage, drei der Verteidigung) wurde noch nicht entschieden, was jederzeit zur erneuten Annullierung des jetzt anlaufenden Verfahrens führen kann. Das ist auch der Grund dafür, dass Staatsanwaltschaft und Nebenklage die ZeugInnen erst nach der Abarbeitung der anderen Beweismittel präsentieren wollen, um ihnen im Falle einer Annullierung zumindest eine Aussage zu ersparen.
 Am 16.3. hat die Nebenklage dem Gericht das sehr deutlich gesagt: „Was Sie vorhaben ist illegal und schützt die Opfer nicht; es verletzt ihre Rechte!“ Und sie fragte: „Wo kommt auf einmal Ihre Hast her? Warum können wir nicht noch 2--‐3 Monate warten, bis über die Beschwerden entschieden ist und Rechtssicherheit besteht?“ Die Staatsan--‐ wältin Hilda Pineda bringt gleiches vor und sogar die Verteidigung von Ríos Montt. Auch sie besteht auf getrennten Prozessen, da das Recht auf Öffentlichkeit nicht verzichtbar und das Gesetz eindeutig ist.
 Nur Rodríguez Sánchez ist zufrieden und stimmt mit dem Gericht überein. Er will einen Geheimprozess und den zusammen mit Ríos Montt, damit die Anklage sich nicht auf ihn und damit auf die Rolle des Geheimdienstes konzentrieren kann. Er war freigesprochen worden, weil der Geheim--‐ dienst nach Auffassung des ersten Gerichts nicht an den militärischen Operationen beteiligt war. Das ist auch richtig, nur waren seine „Informationen und Analysen“ ent--‐ scheidend für die Kriegsführung, weil er es war, der die gesamte Ixil--‐Bevölkerung zum „internen Feind“ erklärte und damit zum Kriegsziel machte. Dieser Punkt ist auch von strategischer Bedeutung für kommende Verfahren wie CREOMPAZ, Diario Militar und Molina Theissen1, weil es auch hier um die Rolle des Geheimdienstes geht – und die Verteidigung weiss das.
 Und so finden wir uns heute in einem kleinen Gerichtssaal wieder, ohne Publikum. Nur die Opfer sind zugelassen, was leider auch fraglich ist, weil ein wirklicher Ausschluss der Öffentlichkeit auch sie meint. Zusammen mit den Friedensbrigaden und drei anderen InternationalistInnen darf ich auch bleiben, da ich die Opfer begleite. Rodríguez hat noch versucht, wenigstens meinen Ausschluss zu erreichen, aber das Gericht lehnte ab. Und so bewegen wir uns in den nächsten Wochen auf äusserst dünnem Eis, das jeder--‐ zeit brechen kann; die Opfer könnten erneut um ein Urteil betrogen werden. Deswegen fühlen wir uns auch sehr anders als noch vor drei Jahren. Das Bewusstsein, dass heute ein historischer Tag sein könnte, will nicht recht aufkommen.
Miguel Mörth
1 Siehe Notizen 10