Brasilien: Landkämpfe, Landmorde

Sonntag, 10. April 2016



(zas, 10.4.16) Tausende von Haushalten von landlosen. Organisiert im MST (Movimento de Trabalhadores Rurais Sem Terra) haben den Monat April mit neuen Landbesetzungen eingeläutet. Die Regierung von Dilma Rousseff, vom MST gegen den kalten Putsch von Medien, Justiz und Parlamentsseilschaften unterstützt, soll so gezwungen werden, endlich die Agrarreform wieder umzusetzen. Mit einem gewissen Erfolg: Am 1. April dekretierte die Präsidentin die Enteignung von rund 33‘5000 Ha in 14 Bundesstaaten zwecks Weitergabe an Landlose und regularisierte gleichzeitig weitere 21‘000 Ha zugunsten von 799 Familien von Quilombola-, also afrobrasilianischen Familien. Aber die MST-Mitglieder bezahlen für ihre langjährige Praxis der Landbesetzungen auch einen hohen Preis. Einen Preis, der das Wesen des laufenden kalten Kapitalputschs demaskiert und der durch ihn noch in die Höhe getrieben werden soll.

Polizei und Sicherheitsagenturen morden
Am 7. April wurden im MST-Camp in der Gemeinde Quedas do Iguazu im Gliedstaat Paraná die beiden MST-Aktivisten Leomar Bhorbak (25) und Vilmar Bordim (44) erschossen und sieben weitere verletzt. Die Täter: die Polícia Militar (PM) und der private Sicherheitsdienst des Holzunternehmens Araupel. Offizielle Version: Die PM wurde vom MST in einem Hinterhalt angegriffen. Die Polizei berichtet von keinen Toten oder Verletzten auf ihrer Seite…
 Joaquín Piñero von der nationalen MST-Leitung erklärte Brasil de Fato am letzten Freitag, dass das MST letztes Jahr ein brachliegendes Gelände besetzte, das angeblich dem Unternehmen Araupel gehörte.

„Ich sage ‚angeblich‘, weil die Regierung über INCRA, das für die Agrarreform zuständige Institut, gegen dieses Unternehmen Anklage wegen illegaler Aneignung erhob. Dieses Land ist juristisch noch umstritten. Deswegen machten wir vom MST letztes Jahr eine Landbesetzung.“

Letzte Woche gab es ein Treffen zwischen dem für Sicherheit zuständigen Sekretär der Regierung von Paraná, dem Kommandanten der Policía Militar und anderen Behörden mit Vertretern von Araupel, um angeblich Sicherheitsprobleme in der Region zu erörtern. Piñero führt weiter aus:

„Es ist wichtig zu betonen, dass die Gouverneure der Gliedstaaten die Befehlsgewalt über die Polizei ausüben [Anm. zas: Die PM ist trotz ihres Namens keine Armeepolizei, sondern das Korps für den Ordnungsdienst]. Der Gouverneur von Paraná gehört dem Partido da Social Democracia Brasileira (PSDB) an, dem historischen Feind des MST und der Linken. An dieser Sitzung ging es real um die Vorbereitung des Angriffs auf unser Lager. Es wurde in der Region ein Klima der Angst geschaffen.“
„Diesen Monat beginnen wir einen landesweiten Kampfzyklus für Gerechtigkeit [in einer Reihe von im Zusammenhang mit Landkämpfen begangenen] Verbrechen, für ein Ende der Straflosigkeit. Diese Verbrechen in Paraná, in Paraíba, in Bahía etc. stehen im Zusammenhang mit einem Klima der Verfolgung durch rechte, rassistische, putschistische Sektoren. Dies bewirkt eine grosse Verunsicherung unter den sozialen AktivistInnen in unserem Land. Aber das MST setzt den Kampf fort. Morgen (Samstag, 9. April) werden wir in Quedas do Iguaçu eine Grosskundgebung bei der Beerdigung unserer Genossen machen. Wir stehen in Kontakt mit der Bundesregierung, damit die Polícia Federal einen Trupp zur Untersuchung dieses Verbrechens schickt.“


An der Beerdigung. Das MST versprach dabei, Araupel zu bekämpfen.

Natürlich darf das Nachhaltigkeitszertifikat der Rainforest Alliance für Araupel, Unternehmen mit "Sozialer Verantwortung", nicht fehlen. Quelle: Homepage Araupel.

Am 8. April veröffentlichte Brasil de Fato ein Zitat des Kommandanten der PM in der Gegend, Oberstleutnant Lee Abe, bezüglich des Angriffs auf das MST:

„Wir bitten die Unschuldigen, dass sie sich von dieser Bewegung, die sich soziale Bewegungen nennt, fern halten (…). Wir bitten die Unschuldigen, die Desinformierten, sich von diesen Bewegungen fern zu halten. Sie sehen, dass sie sich nicht an das Gesetz halten, die Polícia Militar wird das nicht tolerieren.“


PT-Bürgermeister ermordet
Ivanildo Francisco da Silva (46) war Präsident der lokalen PT-Sektion in der Gemeinde Mogeiro in Paraíba, die im Rahmen der Agrarreform entstand. Am 6. April wurde er um 10 h nachts in seinem Haus niedergeschossen. Der PT-Abgeordnete für Paraíba, Frei Anastácio, sagte:

„Er wurde in Anwesenheit seiner einjährigen Tochter ermordet (…). Heute früh, als die Mutter zurückkehrte, fand sie ihren toten Mann und ihre Tochter, die, blutüberströmt, neben der Leiche ihres Vaters weinte. Wir haben keinen Zweifel, dass es sich um einen Auftragsmord handelt (…). Letzten Oktober wurden er und fünf weitere Bauern des Hofes Salgadinho von Leibwächtern im Sold von Grossgrundbesitzern mit Pistolen—und Gewehrschüssen verletzt, als sie eine kollektive Feldarbeit verrichteten. Ivanildo war im Kampf der Landlosen engagiert und unterstützte stets die Aktionen der Landpastorale (CPT).“

Die Schützen kamen auf Kaution frei. Den Mord jetzt steht nach dem Parlamentarier damit im Zusammenhang:

„Während des Angriffs der Sicherheitsleute wurde Ivanildo mit zwei Schüssen aus nächster Nähe verletzt, er konnte aber entkommen“.


Ivanildo Francisco da Silva

Cacique verhaftet, Flüsse am Austrocknen
Die Polícia Militar verhaftete am 7. April den Cacique Babau und einen seiner Brüder, José Aelson. Sie wurden der Polícia Federal in Ilheus, Bahía, übergeben. Angegebener Grund: illegaler Waffenbesitz. Realer Grund: Kampf um Land. Aufgrund zahlreicher Morddrohungen wurde Babau 2010 in ein Schutzprogramm für gefährdete MenschenrechtskämpferInnen aufgenommen. Maria Glória de Jesus, Mutter des Cacique, sagt in Brasil de Fato vom 7. April:  

„Die Leute leben bedroht, es ist nicht einfach. Wir haben Angst. Wir erleiden viele Gewalt von Grossgrundbesitzern, Pistoleiros und auch der Polizei.“

Die Anthropologin Daniela Alarcon, die in unweit gelegenen Gemeinde arbeitet, sagt:

„Auch wenn er theoretisch unter Schutz steht, gibt es praktisch keinen. Ich wundere mich nicht, dass diese Führungsleute an der Front Waffen tragen, nicht um anzugreifen, sondern um sich zu verteidigen.“
Bedroht: Der Cacique Babau. Foto: Daniela Alarcon

 
Im Gebiet Rabo da Gata, 47‘000 Ha, in dem schätzungsweise 4‘600 Indigene leben, wird Sand für die Bauindustrie abgetragen. Die Gegend ist von der brasilianischen Behörde zum Schutz der Indigenen (FUNAI) schon abgegrenzt worden, braucht aber, um als indigenes Land zu gelten, noch die Unterschrift des Justizministers. Ein in der Meinung der Anthropologin ohne Begründung verzögerter Akt. (Es geht um den Ende Februar zurückgetreten José Eduardo Cardoso, den PT-Mann, den hiesige Medien wegen seiner Rolle im sog. Petrobras-Skandal über den grünen Klee lobten.) Die Frau erwähnt schwere Umweltprobleme in der Gegen, unter anderem, wie Fato de Brasil schreibt:

„In der Gegend von Jairi hatten indigene Familien wegen der Ablagerungen in den Flüssen kein Wasser mehr. Deshalb beschlossen sie, das Gebiet zurückzuholen, um weiteren Kahlschlag der beiden Quellen infolge des Abbaus zu verhindern.“

 Daniela Alarcon sagt:

„Der Küstenstreifen wird touristisch stark genutzt, er hat sehr schöne Strände, aber es werden zum Beispiel viele Ferienhäuser gebaut.“

Maria Glória de Jesus, die Mutter des Cacique erläutert, dass der Abbau sich schon täglich auf die AnwohnerInnen nahe der Strände auswirkt:

„Sie wollen die Gegend auf jeden Fall für den Abbau haben. Täglich werden mehr als 200 Lastwagen mit Sand oder Holz gefüllt. Die Indios in dieser Gegend verlangen Hilfe, denn dies macht dem Fluss den Garaus. Ich bin besorgt um das Leben. Werden meine Enkel und Urenkelinnen kein Wasser zum Trinken mehr haben, weil das Personal nur ans Abholzen denkt? Oder was wird dann noch bleiben? Du seihst da einen schönen Baum … Wann werden wir wieder so einen sehen? Sie werden mit allem Reichtum des Landes Schluss machen. Das Land ist kein Kommerzartikel, sondern es ist da zum Leben.“