Bolivien: Putschrechnen mit der OAS

Freitag, 25. Oktober 2019


(zas, 24.10.19) Die Unruhen in Bolivien gehen weiter, wenn gleich scheinbar für den Moment mit etwas geringerer Intensität. Interessant ist folgende Begebenheit, wie sie La Razón gestern schilderte: Luis Fernando Camacho ist Chef des Comité Cívico von Santa Cruz, also der bestimmenden rechten Struktur im regionalen Zentrum der Reaktion. Das Komitee hatte beschlossen, ab Mittwochmittag einen «Streik» auszurufen, sofern das Wahlgericht TSE bis zu diesem Zeitpunkt nicht «Resultate mit einer Stichwahl» vorlegen würde. «Die Leitung» des Comité Cívico, so die Zeitung,  «warnte, dass im Fall einer Missachtung ihre Forderung ein Rat einberufen werde, um einen neuen Präsidenten zu ernennen». Der Rat, cabildo, wird als höchste Instanz der ultrareaktionären Kräfte in der reichen Region von Santa Cruz ausgegeben. Doch gestern Abend «sagte Camacho, dass die Ratseinberufung auf Vorschlag der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) suspendiert werde. ‘Dieser Organismus bittet uns, dass wir diesen cabildo, den wir realisieren wollten, suspendieren, bis sie diesen Bericht vorlegen.’»
Nett, nicht? Weil die OAS suggeriert, es für den Moment etwas easy zu nehmen, bis sie ihren (definitiven) Bericht zur «Wahlbeobachtung» vorlege, machen das die Faschos. Der «Streik» aber geht weiter, wie uns La Razón in einem anderen Artikel mitteilt: «Die heftigsten Zusammenstösse gab es in der Stadt Santa Cruz, im Gebiet Plan 3000, wo der Streik in einer Zone mit vielen MigrantInnen aus dem Westen durchgesetzt werden sollte, die aber nicht daran dachten, das Druckmittel für die Forderung nach einer Stichwahl zwischen Evo Morales und Carlos Mesa  mitzutragen.» Mit Westen ist das indigene Hochland gemeint. Hier in der media luna, im Halbmond von Santa Cruz, Beni und Pando, war der Hort der Sezessionsbewegung 2008, in Santa kam es zu fürchterlichen Treibjagden des bewaffneten Mobs auf Indigene aus dem Hochland.
Gestern präsentierte die OAS am Treffen ihrer Permanenten Rats den Bericht ihrer Wahldelegation in Bolivien, die von einem ehemaligen costa-ricanischen Aussenminister geleitet wird. Brav repetierte die Mission die Beanstandungen der Rechten, natürlich sie ebenso wenig diese begründend. Um die folgende Kernaussage der OAS zu ticken, ist wichtig zu wissen, dass das bolivianische Wahlgesetz den Sieg jener Kandidatur zuerkennt, die entweder die Hälfte plus eine aller Stimmen macht oder mindestens 40 % der Stimmen bei einem Vorsprung von mindestens 10 % auf die Nr. 2. Wahlgesetze sind nach herkömmlicher Auffassung dazu da, dass sie befolgt werden. Nicht so für die Gesandten Washingtons. Die vom Ex-Aussenminister aus Costa Rica geleitete OAS-Mission verkündete gestern an der OAS-Tagung in Washington (und parallel in Bolivien) nämlich:

«Zurzeit, beim Stand von 96.78 % ausgezählte Akten, ergibt die Auszählung eine Differenz von 9.48 % zwischen den beiden Kandidaturen, die am meisten Stimmen erhalten haben. Wenn das so bleibt, würde das eine Stichwahl bedeuten. Falls nach Abschluss der Auszählung die Differenz über 10 % zu liegen käme, wäre es statistisch vernünftig zu postulieren, dass dies nur zu einem minimen Prozentsatz so wäre. angesichts des Kontexts und der 5 bei diesem Wahlprozess zu Tage getretenen Problematiken wäre die Einberufung zu einer Stichwahl weiter die bessere Lösung.»

Klare Sache, wenn die Rechte reklamiert, brechen wir schnell das Gesetz.
Und um zu unterstreichen, was Demokratie ist, schreibt die OAS:

«Nach einer Bitte des Aussenministers Diego Pary hat der Generalsekretär (der OAS) akzeptiert, eine Analyse der Integrität des Wahlprozesses zu realisieren, die unter anderen Aspekten die Verifizierung der Auszählung, statistische Aspekte, Verifizierung des Prozesses und der [Sicherheit bei Transport, Lagerung etc. der Wahlunterlagen] zu realisieren. Im Interesse höchster Seriosität und Rigorosität müssen die Schlussfolgerungen der Analyse für die am Prozess beteiligten Parteien bindend sein.»

Man lese das richtig: Die Mission zur Wahl-«Beobachtung» entscheidet, wer das Rennen macht. Dass die OAS so nonchalant solchen Scheiss wie Wahlgesetze ignoriert, wenn der «Kontext» das gebietet, deutet darauf hin, dass die OAS-Mission, im Besitz von Aktenkopien der Wahltische, wusste, was heute, praktisch am Schluss der definitiven, News wurde: Beim definitiven Auszählungsstand «von 99.16 % der Stimmen gewann Präsident Evo Morales mit 46.96 %, mit einem Vorsprung von 10.3 % auf die 36.59 % von Carlos Mesa.» Nur, in der Logik der OAS etc. verhält sich das so, dass mathematisch 46.96 minus 36.59 weniger als 10 ergibt. 
Cochabamba, 24. Oktober 2019: Siegesfeier