(zas, 14.10.19) Vom Bürostuhl aus zu entscheiden, ob die
Übereinkunft der Conaie und des Präsidenten Lenín Moreno einen Sieg gegen den
IWF (Conaie-Version) oder eher einen erfolgreichen Schritt gegen die rebellische
Bewegung bedeute, ist natürlich unmöglich. Angesichts der massiven Repression (möglicher
Einsatz von Scharfschützen, hunderte von Verletzten, mehrere Tote u. a.), aber
auch der mit den landesweiten Strassenblockaden verbundenen Versorgungskrise
wäre ein realer Kompromiss keineswegs abzulehnen. (Für eine kurze Darstellung
der Ereignisse s. «Indigene
verzeichnen Erfolg in Ecuador, Regierung will auf Forderungen eingehen» auf
amerika21.de.)
Einige Elemente der Übereinkunft wecken aber Fragen:
1.
Zwar wurde der Teil des bisherigen Dekrets 883, der
die im Zentrum stehende Streichung der Subventionen für Benzin und Diesel beinhaltete,
als abgeschafft bezeichnet, doch kommen erste Zweifel auf. Der indigene Präfekt (gewählter Gouverneur)
der Provinz Azuay, Yaku Pérez Guartambel, warnte
schon, dass das Dekret immer noch nicht abgeschafft sei und sagte: «Wenn sie uns hereingelegt haben, kehren wir
auf die
Strasse zurück». Von Regierungsseite wird erklärt, die Abschaffung erfolge automatisch, sobald die Kommission Regierung/Conaie ein neues Dekret ausgearbeitet habe.
Strasse zurück». Von Regierungsseite wird erklärt, die Abschaffung erfolge automatisch, sobald die Kommission Regierung/Conaie ein neues Dekret ausgearbeitet habe.
2.
Dies aber ist ein weiteres Problem. Bisher ist
nichts Konkretes über einen möglichen Inhalt eines neuen Treibstoff-Dekrets
bekannt. Kauft die Conaie eine Katze im Sack? Wird sie wie lange nach dem
Amtsantritt der Regierung Moreno wieder zur Erkenntnis durchstossen, dass sie
getäuscht worden sei? Überdies: Kann die Conaie überhaupt im Namen der breiten
Protestbewegung sprechen? Das ist eigentlich auszuschliessen.
3.
Auch wenn das Treibstoffdekret tatsächlich so
verändert würde, dass es nicht mehr offen antisozial daherkäme – über die vom
IWF oft propagierte Schiene: Subventionen nur für die Allerbedürftigsten - bleiben
andere IWF-Diktate in Kraft, insbesondere die Lohnkürzung um 20 % für die
Staatsangestellten (es sollen weitere Budgetkürzungen aufgegleist sein). Wird dies
z. B. der Gewerkschaftsverband FUT schlucken? Werden die Angestellten selber
klein beigeben müssen?
4.
Conaie-Chef Jaime Vargas und Lenín Moreno waren sich
bei ihrem gestrigen Treffen im verbissenen Anti-Corrreismus einig. Moreno: Das Abkommen sei «eine Lösung für den Frieden und das Land. Der Frieden wird wieder
hergestellt und der correistische Putsch
und die Straflosigkeit sind gestoppt.» Vargas:
"Gabriela Rivadeneira, Virgilio
Hernández, José Serrano haben uns als Terroristen tituliert, weil wir in
Verteidigung unserer Rechte die Strassen blockiert haben. Sie sind die wahren
Terroristen, die von der Polizei verfolgt werden müssen.» Die drei
Genannten sind bekannte Correistas. Vargas lügt schamlos, aber er weiss, woher
der Wind weht. Gabriela Rivadeneira, die ehemalige Chefin von Parlament und
linker Fraktion, flüchtete vorgestern mit ihren zwei 9- und 12-jährigen Kindern,
die an diesem Tag der militärischen Ausganssperre auch Drohungen erhalten
hatten, ins Asyl der mexikanischen Botschaft. Ihre Verhaftung wegen «Drahtzieherschaft»
im «Putsch», also dem Widerstand gegen die IWF-Diktate, drohte offenbar in
kürzester Zeit (s. ihr Communiqué
zur Flucht in die Botschaft). Wenige Tage vorher hatte Ricardo Patiño, ehemaliger
Aussenminister unter Correa und später, als dieser nicht mehr ins Land konnte,
Chef der linken Partei, in Mexiko Asyl erhalten. Er hatte sich noch vor Beginn
der Unruhen abgesetzt, nachdem seine Verhaftung unmittelbar drohte. Anklage: Er
hatte schon vor einiger Zeit in einer Rede zum Widerstand gegen das neoliberale
Regime Morenos aufgerufen, was dieses als Anstachelung zum Terrorismus wertete.
5.
Heute ist die Präfektin der Provinz Pichincha
(mit der Hauptstadt Quito), Paola Pabón, verhaftet worden. Sie hatte letzten
Februar die Präfektur gegen den Kandidaten Morenos deutlich gewonnen. Der
Compañera wird vorgeworfen, eine Drahtzieherin von «Vandalenakten« gewesen zu
sein. Die Justiz ermittelt folgsam, nachdem Moreno Pabón am 7. Oktober zusammen
mit Correa, Patiño, Virgilio Hernández und natürlich – wie Washington - Maduro der
Urheberschaft am «Putsch» bezichtigt
hatte.
Gestern ist die ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Durán, einer grossen Vorstadt der Wirtschaftsmetropole Guayaquil, verhaftet worden. Alexandra Arce hatte die Wahlen gegen den früheren konservativen Bürgermeister gewonnen. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, bei der Hausdurchsuchung seien «auf der Suche nach mutmasslichen Botschaften» im Zusammenhang mit den Protesten Computer und Handys beschlagnahmt worden.
Gestern ist die ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Durán, einer grossen Vorstadt der Wirtschaftsmetropole Guayaquil, verhaftet worden. Alexandra Arce hatte die Wahlen gegen den früheren konservativen Bürgermeister gewonnen. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, bei der Hausdurchsuchung seien «auf der Suche nach mutmasslichen Botschaften» im Zusammenhang mit den Protesten Computer und Handys beschlagnahmt worden.
6.
Wohin geht die Conaie-Führung? Welche Linie verfolgt
sie? Wie repräsentativ ist sie für die indigenen Comunidades generell? Betreibt
sie ein Powerplay und/oder kämpft sie real für die Rechte ihrer Basis? Ihre «antiterroristische»
Übereinstimmung mit Washingtons Hampel in Quito wirft schwere Fragen auf.
Für den Moment dürfte das äusserst
unpopuläre Regime des US-Statthalters gestärkt sein. Die Massenforderung «IWF
raus» geht in der Conaie-Führung derzeit ohnehin vergessen. Aber wohl nicht in
den unweigerlich kommenden neuen Sozialkämpfen. Wie weit wird das Regime in der
Verfolgung der Linken gehen, um diese möglichst zu verhindern? Kommt es zu vertieften
Allianzen unten?