El Salvador/Zentralamerika: Schritte hin zum US-Krieg

Dienstag, 22. November 2011

(zas, 22.11.11) Mehrere Ereignisse zeigen derzeit an, wohin die Reise in Zentralamerika nach Vorstellung der “Eliten” gehen soll. Für Guatemala kündigte  der frisch gewählte Präsident Pérez Molina in einem Interview mit der mexikanischen Tageszeitung El Universal vom 9.11.11 an, den “Drogenkrieg” mit dem Einsatz von Spezialeinheiten der Kaibiles und der Fallschirmspringer voranzutreiben, wofür er auf massive Unterstützung durch die USA “hoffe”. Der Schlächter aus den Jahren des Bürgerkriegs und nachmalige Exponent der militärisch-mafiösen Todesschwadron El Sindicato sprach sich zudem für eine “Weiterführung” der gerade begonnenen Aufarbeitung der genozidalen Kriegsverbrechen des 1996 beendeten Krieges aus, dergestalt nämlich, dass beide Seiten zur Verantwortung gezogen würden – die Masskrierer der indigenen Comunidades und jene, die sich bewaffnet zur Wehr setzten. Mit andern Worten, für Molina ist der “Spass” der justiziellen Vergangenheitsbewältigung vorbei.

In Nicaragua dürften die verlogenen Erklärungen der Wahlbeobachtungsmissionen der OAS und der EU betreffend angeblichem Wahlbetrug den internationalen Auftakt zu einer neuen Phase der Destabilisierung der sandinistischen Regierung darstellen. Beide Gruppen repetieren zentral offensichtliche Lügen der Rechten, während sie deren besorgniserregende Gewaltbereitschaft beim Versuch, die Wahlen zu sabotieren, schlicht verschweigen. Dass eine Reihe von US- und EU-finanzierten “Nichtregierungsorganisationen” ins gleiche Horn blasen, ist logisch.

In El Salvador schliesslich assistieren wir gerade einer entscheidenden Weichenstellung, die den Regierungsapparat des Landes verstärkt unter US- und Unternehmerkontrolle zurückführen soll. Heute Nachmittag soll einer offiziellen Ankündigung zufolge ein General neuer “ziviler” Sicherheitsminister werden.  Vor rund zwei  Wochen erklärte Sicherheits- und Justizminister Manuel  Melgar seinen Rücktritt, worauf Staatspräsident Mauricio Funes umgehend seinen Ersatz durch den bisherigen Verteidigungsminister und erst kürzlich weiter beförderten, mittlerweile offiziell sich im “Ruhestand” befindlichen Munguía Payés ankündigte. 

Er kam damit einer alten Forderung des Unternehmerverbandes ANEP und insbesondere der US-Botschaft zurück, die nicht gewillt ist, FMLN-Angehörige im Regierungsapparat und schon gar nicht im Sicherheitsbereich zu tolerieren. Bisher hatte sich Funes nicht getraut, den FMLN in diesem Bereich frontal anzugreifen. Er begnügte sich damit, in vielen Teilen des Regierungsapparates inkl. staatlichen Unternehmen zunehmend mehr Kader einzusetzen, die früher bei der damaligen Regierungspartei ARENA eine herausragende Rolle gespielt haben. Den  Sozial- und den Sicherheitsbereich (minus die Streitkräfte) überliess der Präsident bisher dem FMLN. Es ist absehbar, dass es nicht lange gehen wird, bis untergeordnete Stellen im Sicherheitsapparat entweder von FMLN-Kadern “gesäubert” oder ihrer Kompetenzen beraubt werden. Der Depurationsprozess in der Polizei wird bald versanden – nicht zuletzt, weil er an den Tag förderte, wie gerade eng mit den US-Kräften liierte hohe Polizeikader mit verschiedenen Formen der organisierten Kriminalität vernetzt waren.

Funes, dessen Servilität gegenüber den USA (kürzlich beorderte er sogar salvadorianische Militärs nach Afghanistan!) kaum mehr Grenzen kennt, hatte kaum beachtet, dass dieses Mal auch Kräfte, die ihm sonst gerne gegen den Rücken den FMLN stärken, mit der Ernennung eines Militärs zum Sicherheitsminister nicht einverstanden waren. So wandte sich die Jesuitenuniversität UCA gegen die mit Munguía Payés wieder offen einsetzende Militarisierung der seit den Friedensabkommen von 1992 explizit zivilen Sicherheitsarchitektur des Landes. Dies und der Umstand, dass Melgar seinem intern angekündigten Rausschmiss mit seinem Rücktritt zuvor kam, als der Mann in der Casa Presidencial seine Planungen für den Kurswechsel im Sicherheitsapparat noch nicht  abgeschlossen hatte, führten zum zweiwöchigen Vakuum in der obersten Führung des seit dem Antritt der Regierung Funes /FMLN im Juni 2009 beträchtlich re-zivilisierten Sicherheitsapparates.

Dennoch bestanden kaum Zweifel an der Ernennung von Munguía Payés. FMLN-Sprecher Roberto Lorenzana erklärte am 14. November: “Ich denke, die Entscheidung ist getroffen worden … Sie konnte einfach noch nicht mitgeteilt warden … Der neue Sicherheitsminister wird General Munguía Payés sein.  Ein Entscheid, den nicht der Staatspräsident gefällt hat. Er ist bloss ein Sprachrohr, es geht um einen Entscheid, der an einem Ort in der Hauptstadt der USA getroffen worden ist. Ein Entscheid, mit dem wir an nationaler Souveränität verlieren”.

Die verblüffend klaren Worte von Lorenzana zeigen, wie sehr Funes den Geduldsfaden des FMLN strapaziert. Für die Partei, zu deren Wahlsieg 2009 Funes vielleicht 5-8 Prozent der Stimmen beitrug, ohne die es allerdings, auch wegen eines beachtlichen Wahlbetruges, bei einer
ARENA-Regierung geblieben wäre, ist klar, dass sie beschleunigt aus allen Bereichen realer Regierungsmacht geschmissen werden soll.

Munguía Payés leitete den Einsatz der Armee im Kampf gegen die Strassenbanden und die Drogenkartelle. Der ehemalige Kommandant  des Elitebataillons Atonal in den letzten Kriegsmonaten 1991 befleissigte sich dabei offen alter Gorilla-Rhetorik: Als Menschenrechtsverletzungen seiner Truppen in den Armutsquartieren bekannt wurden, denunzierte er wiederholt eine angebliche Diffamierungskampagne gegen die Armee, das alte Argument aus den Kriegstagen. Umso mehr setzte er sich, im Einklang mit der rechtsradikalen ARENA-Partei, für “regionale Zonen des Belagerungszustandes” ein, also Aushebelung der Grundrechte und komplette Unterordnung der zivilen Instanzen unter die militärischen. Den Widerstand genau dieser zivilen Instanzen soll er nun mutmasslich als deren oberster Chef brechen.

El Salvador ist für die USA genau für die “zivilen”, real dem US-Südkommando der US-Streitkräfte untergeordneten Bereiche von herausragender Wichtigkeit. Nicht zufällig haben wir hier die regionale Interpolzentrale, die regionale Datenbank in Sachen “Strassenbanden und Kartelle” oder die kontinentale, von den USA und kolumbianischen Spezialeinheiten geleitete Schule für Polizeiangehörige. Ergänztvon der US-Militärspionagebasis in Compalapa, die laut Vertrag das Recht hat, im undefinierten Bedarfsfall soviel staatliche salvadorianische Institutionen und Angestellte für ihre Zwecke zu requierieren, wie sie als notwendig erachtet. Augen und Ohren aus der früheren Guerilla in diesen Bereichen – für die US-Strategen nicht tolerierbar! Mit Munguía Payés soll dieser “Missstand” behoben und generell die Einordnung auch dieses Landes in die US-Strategie des “Drogenkrieges” von Houston bis in die Anden vorangetreiben warden.

Dafür wird allerdings eine reine Wiederausrichtung des Sicherheitsapparates auf US-Interessen nicht ausreichen. Auch nicht, dass Funes immer mehr dazu getrieben warden wird, den FMLN, den realen Sieger der letzten Präsidentschaftswahlen, aus der Regierung zu “entfernen”. Vermutlich wird es parallel dazu zu einem bisher noch nicht näher fassbaren Angriff auf den Frente und die sozialen Bewegungen kommen, die das Gegengift zur Militarisierung darstellen.

Heute frohlockt erst mal die Rechte, das Kapital. Der Unternehmerverband ANEP erklärte vor einigen Stunden, er hoffe, Payés werde die “Sicherheitsvorschläge” der ANEP unter deren aktiven Einbezug   umsetzen. Worin diese bestehen, hat letzten Samstag der Grossunternehmer Eduardo Poma im Blatt El Diario de Hoy klar gemacht: in einem “Drogenkrieg” wie in Mexiko und in staatlicher Dienstbarkeit für die Investoren. 

Nicaragua: Rechter Terror in Matagalpa

Freitag, 18. November 2011




Gérald Fioretta

(15.11.11) Kein Tag vergeht, ohne dass die Compañeras und Compañeros aus der Stadt oder vom Land mir gravierende „Anekdoten“ erzählen, die den Plan beleuchten, mit dem die Rechtspartei PLI (Partido Liberal Independiente, die grosse Wahlverliererin) versucht hat, die Wahlen vom 6. November zu trüben.

Gestern war ich in La Trinidad um die Compas des Movimiento Comunal (Quartierorganisation), das mit Delémont eine Partnerschaft hat,  zu besuchen. Sie erzählten mir, wie die „Aktivsten“ des PLI versucht haben, am Samstag die Anlieferung der Wahlunterlagen an die Wahltische zu verhindern und wie sie am Sonntag Steine auf die Wahllokale schmissen. Das Gleiche geschah bei vielen Wahlzentren meiner Stadt, Matagalpa, auch in meinem Wahllokal im Quartier Pancasán, wo ich Zeuge davon war, wie ein gewichtiger Produzent von Matiguás (Ortschaft im Department) arme (bezahlte?) Bauern auf seinem Pickup in die Nähe der Schule Arturito Mendoza transportierte, um zu versuchen, sie zu erstürmen. Aber sie mussten dank der aus dem Quartier rasch dazu stossenden Unterstützung für die einen Schutzkreis um das Lokal bildenden Compas des Frente Sandinista flüchten, sogar ohne dass wir anschliessend mit einem Steinhagel eingedeckt wurden.

Viel schlimmer, was man mir in ländlichen Gemeinden erzählt hat, etwa in La Dalia, vorallem in San Joachim und speziell in San Benito, wo sie Urnen verbrannt und Frauen beleidigt und auf eine Weise sexuell angegriffen haben, die ich nicht schildern will. Ich hatte die Gelegenheit, mit einer Lehrerin zu sprechen, die in San Benito Opfer solcher sexueller Gewalt wurde und die uns die Wunden an ihren Beinen zeigte. In San Joachim kehrten die den Wahltransport begleitenden Compas der Kooperative um, als sie die Vandalen auf der Strasse nach El Tuma sahen, die ihnen abpassten, um die Wahlunterlagen zu verbrennen, und überquerten den Tuma-Fluss zu Fuss auf der Hängebrücke, um (nach vier Stunden Fussmarsch) nach La Dalia zu gelangen. In Wasaka Uno erzählte mir eine Hebamme, dass ihr Mann und ihr Sohn Schussverletzungen erlitten, als sie samstags nachts nach Yale aufbrachen, um die Urnen zu bewachen. In Muy Muy berichteten mir die Mitglieder des Basis-NGO Odesar, wie die Leute des PLI am Samstag das Büro des Obersten Wahlrates stürmten; am Sonntag hätte es ohne Polizeipräsent Tote in den sandinistischen Reihen gegeben, die die Stimme des Volkes schützten.

In Matiguás kenne ich Yasser, einen jungen FSLN-Aktivisten, persönlich – mit acht Jahren hatte er Gelegenheit, in den Schweizer Bergen Ski zu fahren, als er seine Grossmutter Antonieta, unsere Seelenschwester, begleitete, die wir nach Italien und in die Schweiz eingeladen hatten, da sie, bevor sie an ihrer Krankheit stürbe, noch gerne Europa kennen lernen wollte. Seit einigen Monaten arbeitete Yasser für die Departmentsleitung des FSLN in der Gemeinde Matiguás in der Wahlkampagne. Zwei Tage vor der Wahl wollten sie ihn töten und seinen Wagen verbrennen, als er von La Patriota abfuhr. Es gelang ihm, zu Fuss zu entkommen und sich einen Tag im Gestrüpp zu verstecken, bis ihn der sandinistische Bürgermeister von Muy Muy retten konnte.

In San Dionisio berichteten mir die Compas des Lokalbüros von Odesar vom Abfackeln eines Motorrades und eines Pickups durch den PLI. In El Zapote war es der Lehrer selbst, PLI-Mitglied, der zusammen mit einem vandalischen Haufen die Schule stürmte und das Wahlmaterial verbrannte. Am Dienstag, dem 8. November, teilen ihm die Eltern, ohne auf sein Klagen einzugehen, entschieden und mutig mit, dass er nie wieder nach El Zapote zurückkehren solle.

Soweit dieses einfache Zeugnis von Taten, die ausser den direkten Opfern kaum jemand kennt. Wovon reden die rechten TV-Sender und die ebenfalls rechten Zeitungen von Managua, wenn sie von Wahlgewalt im Norden reden? Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass die Realität derart verzerrt würde.

 Aber schön ist, dass das für das Volk schon Geschichte ist, passé. Die gleichen Leute, die mir diese „Anekdoten“ erzählten, leben wieder ihr normales Leben, an ihren Arbeitsplätzen, auf ihrem Land, in ihren Ausbildungsstätten. Mit oder ohne Bericht der Organisation der Amerikanischen Staaten wissen die Leute, dass der Sieg überwältigend, sauber und legitim war, trotz der schlechten Verlierer. Mehr noch, sie sind stolz darauf, an diesem BürgerInnenfest teilgenommen zu haben, indem sie nicht nur die Stimmen des FSLN, sondern des ganzen Volkes bewachten.

Nicaragua: ein ruhiges Land

Samstag, 12. November 2011

 

Die Rechten, ihre Medien und ihre EU-Mission echauffieren sich über einem nicht erfolgten Wahlbetrug. Das gemeine Volk hat mehrheitlich seinen Sieg gefeiert und geht jetzt wieder seinen Alltagbelangen nach.

Gérald Fioretta

(Matagalpa, 10.11.11) Heute früh hat der Oberste Wahlrat CSE auf seiner Homepage die Resultate der Auszählung von 98.7 Prozent der insgesamt 12'960 Wahltische im Land veröffentlicht. Die Resultate werden bis auf das Niveau der rund 4000 Wahlzentren in den 153 Gemeinden der 17 Departemente herunter gebrochen. Für die Gemeinde Matagalpa etwa haben wir die Resultate der 71 urbanen und ländlichen Wahlzentren. Allerdings sind die Resultate (noch?) nicht für die 12'960 Wahltische (JRV, Juntas Receptoras de Votos) einzeln ausgewiesen.

Als alter Fan von Wahlstatistiken bin ich im Element; ich kann in aller Ruhe detaillierte Resultate mit solchen von früheren Wahlen vergleichen und den sandinistischen Sieg in Departementen, Gemeinden und Wahlzentren auskundschaften. In einem Land wie Nicaragua ist es nicht wenig, knappe vier Tage nach den Wahlen auf fast hundert Prozent der Resultate im Internet Zugriff zu haben. Dies bedeutet eine beachtliche institutionelle Kapazität und vor allem einen unglaublichen Effort der Wahlbehörden und der fiscales (ParteivertreterInnen in JRV und Gemeinde- und Departmentswahlräten), die Tag und Nacht im Einsatz sind, um die Wahlbulletins aus den entlegensten, manchmal nur zu Pferd oder unter Schutz der Armee erreichbaren Zonen zu transportieren, um die Stimmen erst auf Gemeinde-, danach auf Departements- und schliesslich auf nationaler Ebene auszuzählen und zu validieren.

Ich erwähne dies, weil es vermittelt, dass die Situation in Matagalpa und generell in Nicaragua ruhig ist.  Das Volk, das zu 62 Prozent für Daniel Ortega und den FSLN, der problemlos eine parlamentarische Mehrheit erlangt, gestimmt hat, hat sich am Montag einen Tag der freudigen Siegesfeier gegönnt. Die Karawanen von Velos, Motos, PKWs und Camions aller Sorten sind während Stunden durch die Quartiere der Städte gefahren, zum Sound der von den besten Gruppen junger Nicas kreierten Lieder für die Wahlkampagne.  Natürlich war die Freude immens, wenn auch nicht unverhofft. Dies aus zwei Gründen. Zum einen waren da die Umfragen. Sie haben alle, selbst die von den rechten Parteien und den gossen Zeitungen in Auftrag gegebenen, seit Monaten mehr als 50 Prozent für den FSLN ergeben. Zudem war der Gegner nicht in Form; mein Freund Orlando sagt, wir haben gegen ein schlechtes Team 6:0 gewonnen.

Schon am Dienstag ging alle Welt wieder zur Arbeit; die SchülerInnen und StudentInnen besuchten wieder die Schule oder die Universität, denn Anfang Dezember sind Ferien und vorher stehen die Jahresendprüfungen an. In Matagalpa hat gerade die Kaffeeernte angefangen und die BewohnerInnen aus den Armutsquartieren ohne feste Stelle ziehen auf die Kaffeehaciendas, um ihr Jahreseinkommen sicher zu stellen.

All dies kontrastiert stark mit dem Bild eines Wahlskandals, das die Oppositionsparteien, insbesondere der PLI-MRS, zeichnen wollen, unterstützt von den grossen Tageszeitungen „La Prensa“ und „El Nuevo Diario“, den bis aufs Blut gegen die Sandinistas eingestellten TV-Kanäle und einigen Wahlbeobachtungsmissionen wie jener der EU, die boshafte oder ambivalente Berichte zu den Wahlen vom 6. November publizieren. Um ihrer These eines wegen eines „grossen Wahlbetrugs“ in Unruhe versetzten Landes willen rufen sie zur Strassenmobilisierung auf. Sie anerkennen die Resultate nicht an und fordern Neuwahlen. Aber abgesehen von einigen hundert AktivistInnen des PLI, die in Managua auf die Strasse gegangen sind, kann ihnen das Volk, das in seiner grossen Mehrheit für Präsident Ortega gestimmt hat, ihre absurde These nicht glauben. Es zeugt von grosser Reife und BürgerInnensinn, dass es nicht, was legitim gewesen wäre, energischer auf die vom VerliererInnencamp ausgehenden Gewaltakte in drei oder vier ländlichen Zonen wie Siuna oder Cusmapa reagiert hat. Dabei kamen vier Menschen um, 40 ZivilistInnen wurden verletzt und zehn PolizistInnen sind schwer verletzt. Zu diesen vereinzelten Gewaltakten kam es, als ParteigängerInnen des PLI versucht hatten, Wahlurnen zu verbrennen oder als sie auf Fahrzeuge, die Wahlunterlagen transportierten, Angriffe verübten.

Diese Reife konnte ich in Matagalpa auch am Wahlsonntag konstatieren. Beim Wahllokal Pancasán in meinem Quartier wie auch bei anderen Wahlzentren haben kleine, offenbar mit dem PLI verbundene Gruppen versucht, die Stimmenden mit Steinwürfen auf die Wahllokale einzuschüchtern. Aber rasch kamen organisierten QuartiersbewohnerInnen zur Verteidigung der Abstimmungslokale, aber ohne zu versuchen, ihre Überlegenheit für die Verfolgung der Angreifer auszunutzen.

Was die vielen Unregelmässigkeiten betrifft, die angeblich das Wahlresultat befleckt haben, war ich Zeuge, dass im Pancasán alles ruhig verlaufen ist, und zwar von 7h früh bis 6h Abend, bis und mit Auszählung. Der Zentrumsleiter, ein Sandinist, wurde sogar von FSLN-Mitgliedern zu Recht gewiesen, als er vorschlug, das Wahllokal eine halbe Stunde früher als vorgesehen zu schliessen, weil schon seit einiger Zeit niemand mehr zum Wählen kam. Ein familiärer BürgerInnensinn, den übrigens auch eine Mehrheit der oppositionellen WählerInnen teilte: Ich sah etwa einen Pandillero (Bandenmitglied) und einen Sprössling der lokalen Bourgeoisie am Arm ihrer behinderten Grossmütter, die sie sanft begleiteten, damit diese ihr Wahlrecht wahrnehmen konnten.

Ich bin nicht der Einzige, der einen ruhigen und normalen Wahlprozess bezeugen kann. Die 20'000 studentischen WahlbeobachterInnen der nationalen Universitäten, jene der sozialen Organisationen der Via Campesina, jene aus den Milieus der katholischen und evangelischen Kirchen, jene aus den lateinamerikanischen Ländern – sie alle haben die gleiche Atmosphäre konstatiert und ihre Berichte veröffentlicht, durchaus mit Hinweisen auf zu behebende Mängel im Wahlsystem, die aber alle das Volksvotum validiert haben.

Was also wollen die rechten Parteien, einige Organisationen der „Zivilgesellschaft“, die von der Wahlbeobachtung leben, die Delegierten der EU?

Das Spiel ist vorbei. Das Land ist ruhig und an der Arbeit. Die Regierung hat am Mittwoch ihre Sozialprogramme wieder aufgenommen. Es gab auch, wie schon in der Wahlkampagne und anders als ich es erwartet habe, kein immenses nationales Siegesfest, nur eine symbolische Feier am 8. November, dem Tag, als FSLN-Gründer Carlos Fonseca im Kampf gefallen ist, an welcher der wiedergewählte Präsident ankündigte, dass er weiter soziale Reformen vorantreiben werde, stets mit dem Versuch, einen nationalen Konsens zu erzielen, und dass er die Beziehungen mit (dem bolivarischen Staatenbund) Alba für eine gerechtere und nachhaltige Entwicklung vertiefen wolle.

In einem Jahr wird es Gemeindewalen geben. Es ist sehr zu vermuten, dass einer der ersten Schritte des neuen Parlaments darin bestehen wird, den zu komplizierten Wahlprozess zu reformieren, die Verteilung der Personalausweise zu verbessern und eine verstärkte Autonomie der Wahlbehörden zu erzielen. Und dies nicht nur, um der Opposition jeden Wind aus den Segeln zu nehmen, sondern weil das Volk stolz sein wird auf einen tadellosen Wahlprozess, der seinen Sieg nicht verdunkeln wird. Es bleibt abzuwarten, ob wir demnächst im Internet die Resultate der 12960 Wahltische zu sehen bekommen. Ein gewagtes Unterfangen - Wird nur da und dort eine Zahl falsch eingegeben – etwa 231 statt 213 – werden die Rechten den Teufel an die Wand malen. Es erfordert eine Präzision, die von den anderen AkteurInnen Ehrlichkeit und Transparenz verlangt, von der nichts zu sehen ist.

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(zas) Der Bericht der BeobachterInnenmission der EU vom 8. November, der auch Schweizer Delegierte angehörten, insinuiert einen Wahlbetrug. Reizend ist, dass die demokratische Belehrung just in dem Moment erfolgt, wo im alten Kontinent nicht mehr genehme „periphere“ Regierungen durch „technische“ Kader von EZB und EU-Kommission zwecks Forcierung des Sozialangriffs ersetzt werden. Nun, in Nicaragua stützt sich der Vorwurf der EU-Mission primär auf die angebliche Aushebelung des Rechts der rechten Oppositionsparteien, ihre fiscales an die Wahltische und in die kommunalen und departementalen Wahlbehörden zu entsenden. Das Euro-Team  übernimmt damit willentlich die These der Rechten. Hier einige Richtigstellungen zum Thema vom Leiter der Radio La Primerísima.


Kein Wahlbetrug

William Grigsby

Nach Wahlgesetz und Wahlreglement (im Jahr 2000, also unter einer rechten Regierung ausgearbeitet) legt jede Partei dem Obersten Wahlrat CSE eine Liste ihrer fiscales vor, damit der Wahlrat ihre Beglaubigungen ausstellt. Jede Partei hat das Recht auf eine/n fiscal an jedem der 12960 Wahltische (JRV), bei jedem Transport der Wahlmaterialien zum Rechenzentrum, in jedem der 153 kommunalen und 17 departementalen Rechenzentren sowie im Nationalen Rechenzentrum. Der PLI (Partido Liberal Independiente, der bei den Wahlen wie in Umfragen den abgeschlagenen zweiten Platz erhielt), verlangte drei Mal die Auswechslung aller seiner fiscales. Das letzte Mal am Freitagmittag, zwei Tage vor den Wahlen, für seine gesamten 19'000 fiscales.  Am Samstag, einen Tag vor den Wahlen, erhielt er um 10 Uhr früh die Beglaubigungen für seine gesamte neue Liste.

Nach dem Wahlgesetz von 2000 haben die beiden Parteien, die bei den letzten allgemeinen Wahlen (in diesem Fall 2006) den ersten und den zweiten Platz belegt haben, das Recht auf je ein Mitglied in jeder JRV und in jedem kommunalen oder departementalen Wahlrat, die alle je 3 Mitglieder haben. Das dritte Mitglied wählt der CSE aus einer KandidatInnenliste der an der Wahl teilnehmenden anderen Parteien aus. 2006 belegte der FSLN den ersten und die ALN (Alianza Liberal Nicaragüense) den zweiten Rang. Der PLI war damals im Bündnis mit dem drittplazierten PLC (Partido Liberal Constitucionalista).

Der PLI hatte in 85 Prozent der Wahltische fiscales; er hatte nicht die Personalkapazität, den Rest auch abzudecken. Der PLC hatte seine VertreterInnen in 100 Prozent der Wahltische. Ebenso der FSLN. Alle fiscales des PLI bis auf jene von zehn JRV haben Auszählresultate an ihren Tischen unterschrieben. Alle fiscales des PLI in den 153 kommunalen und 17 departementalen Wahlräten haben die Auszählresultate unterschrieben.

[Zu einem anderen Punkt der Rechten und der EU, wonach die Aushändigung der für die Wahlbeteiligung nötigen Personalausweise vom FSLN manipuliert worden sei:]
95.3 Prozent der BürgerInnen haben ihren Personalausweis. Die anderen haben ihn aus einem von beiden Gründen nicht: weil sie ihn nicht beantragt haben (meist, weil sie über keine Geburtsurkunde verfügen), oder weil sie ihn verloren und keinen Ersatz beantragt haben. Wenn jemand einen Ersatz des Ausweises beantragt, muss sie oder er ihn nach Erledigung der Formalitäten im kommunalen Büro des CSE abholen. Aber oft kommen die Leute nicht oder sie kommen vier oder sechs Monate später. 100 Prozent aller Jungen, die 16 Jahre alt (und damit mündig) geworden sind, haben ihren Ausweis.

Die Demokratie der Aufgeklärten

Dienstag, 8. November 2011

Rebelión, 8.11.11: Ich darf das griechische Volk nicht befragen

Nicaragua: Kategorischer sandinistischer Wahlsieg

Montag, 7. November 2011

Matagalpa, Wahllokal am frühen Sonntagmorgen



Sergio Ferrari, Gérald Fioretta

(Manauga, Matagalpa, 7.11.11) Keine Meinungsumfrage, nicht einmal die optimistische, sah die Resultate voraus, die der Oberste Wahlrat CSE gegen Mitternacht Ortszeit veröffentlichte. Es handelt sich um einen überwältigenden Sieg der vom Frente Sandinista de Liberación Nacional angeführten Allianz in den Wahlen für die Präsidentschaft, das nationale und das zentralamerikanische Parlament. In der ersten Zählung sechs Stunden nach Schliessung der rund 12'000 Wahltische erhielt der amtierende Präsident Daniel Ortega zwei Drittel der Stimmen, doppelt soviel wie die vier konkurrierenden Rechtsparteien zusammen. Weit mehr als die 25 Prozent der von unabhängigen Liberalen und DissidentInnen des Movimiento de Renovación Sandinista gebildeten Allianz. Und noch weiter vor dem mit spärlichen 7 Prozent auf den dritten Platz verwiesenen Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán. Obwohl erst ein kleiner Teil ausgezählt ist, ist die Tendenz unumstösslich. Der 66-jährige Ortega ist der Architekt des höchsten, seit Beginn  der demokratischen Etappe nach der sandinstischen Revolution von Juli 1979 in diesem zentralamerikanischen Land erreichten Wahlresultats. Der FSLN verdoppelte beinahe seine 38 Prozent bei den Wahlen 2006, die ihn damals in einem extrem fragilen Kontext an die Regierungsmacht zurückbrachten. Der Sieg heute eröffnet sogar die Aussicht auf eine absolute Mehrheit im 90-köpfigen Parlament.

Und ist genügend klar, um den „institutionalistischen“ Anschuldigungen zu begegnen, welche die Opposition seit langem wegen eines Verfassungsbruchs bezüglich der Wiederwahl von Ortega vorträgt. Die derart grosse Differenz zwischen Ortega und seinen Konkurrenten dürfte auch die permanenten Anschuldigungen bezüglich Unregelmässigkeiten entkräften. Für Ortegas Gegner war der FSLN seit Monaten an der Vorbereitung eines Wahlbetrugs. Für lokale Beobachter ist ein Wahlbetrug angesichts der rund 25'000 fiscales (offizielle ParteivertreterInnen zur Beobachtung der Vorgänge am Wahltisch), hunderter internationaler BeobachterInnen und einem gut entwickelten Wahlreglement fast unmöglich. Zum Beispiel haben nur wenige lateinamerikanische Länder WählerInnenlisten (an den Wahltischen) mit Personalien und Bild der wahlberechtigten Person, das mit jenem im Personalausweis übereinstimmen muss.
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Der Wahlsieg ist der Lohn für Politik, die auf zahlreichen sozialen Projekten basiert, der Rückkehr zu einem kostenlosen Erziehungswesen, der wachsenden Anstrengung für eine Umverteilung des Reichtums bei einem anhaltenden Wachstum, dem Ende der zuvor fast permanenten schweren Energiekrise im Land und fortschrittlichen und autonomen lateinamerikanischen Integrationsschritten.

Jetzt, in der Stunde des Sieges, wo es im ganzen Land Volksfeste gibt, sind aber auch grosse Herausforderungen zu konstatieren. Erstens der Rückschritt, den die Abschaffung des historischen Rechts auf Abtreibung bei medizinischer Indikation bedeutet. Ein hoher Preis für eine schon vor einigen Jahren neu geschmiedete Allianz mit den Kirchen, insbesondere mit der katholischen Hierarchie. Zweitens der neue, fast charismatische, tief-religiöse Diskurs von Daniel Ortega und seiner Umgebung. Ortega will seinen früheren Marxismus überwinden, um ein „christliches, sozialistisches und solidarisches“ Nicaragua (Hauptwahlslogan des FSLN) zu entwerfen. Und drittens die Notwendigkeit einer Nachfolge. Daniel Ortega wird sein Mandat 2016 71-jährig beenden, in einem Land, in dem die Jungen unter 25 Jahren dominieren und in einer demokratischen Dynamik, die neu Gesichter braucht.

Diese offenen Fragen mindern die Bedeutung des überwältigenden sandinistischen Wahlsieges nicht. Sieg eines FSLN, der es 1979 verstand, bewaffnet an die macht zu gelangen. Der danach seine Transformation von einer Guerilla in eine Wahlpartei vor niemandem verheimlichte. Der fähig war, die Wahlniederlage 1990 anzuerkennen und zu verdauen. Der danach bis 2006 ruhig und würdig seine Oppositionsrolle wahrnahm. Und der es heute, mit einem wiederbelebten Sozialprogramm und plebisziert von einer grossen Mehrheit, verdient, weiter zu regieren.

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(zas) Nach Auszählung von rund 15 Prozent der Stimmen gab der Oberste Wahlrat ein Resultat von 63.95% für den FSLN und 29.09% für den zweitplazierten PLI bekannt. Mit  allen Resultaten (für die Präsidentschaft) wird man in einigen Stunden rechnen können.

Wie vorausgesehen, schreit die Rechte jetzt Wahlbetrug. Die BeobachterInnenmission der OAS beklagt, nicht überall beobachtet haben zu können. Es wird sich noch weisen, was an solchen Vorwürfen dran ist. Die OAS-Mission war in früheren Wahlgängen, ebenso wie einige der in hiesigen Medien als „unabhängig“ und „angesehen“ charakterisierte Organisationen wie „Ética y Transparencia“, im Stande, absolut wilde, turbulente Wahlbetrugs-Massenevents in transparente Demokratievorgänge umzuwandeln. Die OAS hatte in Haiti wiederholte Male die stärkste Partei von der Wahlteilnahme ausgeschlossen und zuletzt mit dafür gesorgt, dass inmitten eines allgemeinen Wahlbetrugs der genehme, nämlich rechtsradikale Diktaturanhänger Präsident wurde.

Nicaragua: Bericht vom Vorwahltag

Sonntag, 6. November 2011

Matagalpa am Tag vor den Wahlen

Eine sandinistische Wahlkampagne mit üblen Elementen. Und dennoch, einmal mehr, wissen die Sandinistas, dass sie einen wichtigen Kampf führen. Ein Bericht aus dem Zentrum des nördlichen Departements Matagalpa.

Gérald Fioretta

Matagalpa, Samstag, den 5. November 2011
Das Haus ist in einen „Befehlsstand“ verwandelt. Seit heute früh sind sechs Köchinnen um zwei Feuer herum damit beschäftigt, die Mahlzeiten für hundert sandinistische fiscales vorzubereiten (offiziellen ParteibeobachterInnen an den Wahltischen). Diese werden bis gegen Sonntag Mitternacht in der Quartierschule eingeschlossen bleiben, wo ein Dutzend Wahltische für die 4000 Wahlberechtigten des Sektors Pancasán Arriba und Pancasán Abajo (im Osten des Departements Matagalpa) stehen. Die fiscales  werden vom Obersten Wahlrat CSE eine symbolische Entschädigung erhalten, die sandinistischen Freiwilligen werden kein Auge mehr schliessen, um die Moral hoch zu halten, die Ernährung zu sichern und die Kommunikation mit dem Quartier und der Gemeindestruktur des FSLN nicht zu verlieren. Denn in Nicaragua geht es um die defensa del voto, die Verteidigung der Stimme, und das ist nie eine geringfügige Angelegenheit. Alle Welt erinnert sich hier an die Präsidentschaftswahlen 1996, wo ein naiver FSLN sich seinen kleinen Vorsprung von der Rechtspartei PLC hatte wegschnappen lassen. Die Liberalen hatten an jeden Wahltisch einen Anwalt, einen fetten Geschäftsmann oder einen erprobten Aktivisten plaziert,
imstande, die sandinistischen fiscales zu beeindrucken und zu manipulieren, denen man vergessen hatte, die zahlreichen Subtilitäten eines Wahlprozesses zu erklären, die es den Schlausten erlauben, ein knappes Resultat zu verändern.

Die Bereitschaft der Leute, die Ernsthaftigkeit der jungen Unileute, die mit Telefon und Notebooks die Koordination garantieren, beeindruckt mich. Die Situation ist ruhig, wir erwarten die Anlieferung des Wahlmaterials, das bis morgen früh um 7 Uhr in den Schulzimmer aufbewahrt werden wird, bewacht, von hunderten von Augen, denn jede Partei hat ihre fiscales.

Seit zwei Tagen herrscht die „Wahlstille“. Keine Werbespots mehr, keine Versammlungen und Demos mehr im Takt der lokalen Rapper, die in dem Mass, wie in dieser Kampagne der sandinistischen Front die Jungen die alte Generation in die Minderheit versetzen, die Volksmusik verdrängen. Diese Stille wird über das Reglement hinaus befolgt: Die sandinistischen AktivistInnen haben ihre Mützen, T-Shirts, sogar die Parteiabzeichen zuhause gelassen. Der Sandinismus soll nicht nur die Wahlen gewinnen, sondern auch das Beispiel für „die Liebe und den Frieden“ geben, so der Hauptslogan der sandinistischen Kampagne. Vorallem darf er nicht auf die Provokationen schlechter Verlierer hereinfallen.

Beim Schreiben dieser Zeilen höre ich, dass die Busse mit den Wahlmaterialien wegen Strassenblockaden aus Steinbrocken von Aktivisten des PLC oder des PLI (zwei liberale Rechtsparteien) gezwungen wurden, ihre Route zu ändern. Unsere Leute dürfen die Beherrschung nicht verlieren, das ist die Parole für die beiden kommenden Tage, um den angekündigten Sieg so legitim wie möglich zu machen.

Ich bin sofort hingegangen, aber die Ruhe war schon wieder eingekehrt.

Es muss gesagt werden, dass in den letzten Tagen Bauerngruppen unter der Leitung lokaler PLI-Chefs Büros des Wahlrates vorallem in den ländlichen Zonen von Matagalpa, in La Dalia, Matiguas, Rio Blanco oder Waslala gestürmt haben. Sie wollten so auf ihre Weise das brennende Problem der Aushändigung der Duplikate der für die Stimmabgabe notwendigen Personalausweise „lösen“, zuhanden jener, die sie verloren haben und bis zum letzten Tag zuwarten, bevor sie sich um ihren Ersatz kümmern. Ohne Zweifel ein reales Desorganisationsproblem, instrumentalisiert vom PLI, um im letzten Moment elektorale Gewalt zu provozieren.

In den zwei Wochen, die ich nun in Nicaragua bin, habe ich eine ruhige Wahlatmosphäre mitbekommen, die mir sogar fast ein wenig apathisch vorkam. Ich hatte mehr Agitation, Transparente, Demos erwartet. Tatsächlich hat der FSLN die Tonlage angegeben: eine andere Wahlkampagne, vom Typ ruhige Kraft, seit Monaten charakterisiert von einer Präsenz in den Quartieren, den Besuchen von Haus zu Haus, Diskussionen, aber ohne Propagandamaterial, eine Kampagne unter dem prägenden Einfluss vor allem eines jugendlichen Enthusiasmus, zum Metal- und Reggaeton-Sound. Präsident Ortega und die Regierung haben ihre Energien auf die Schadensbekämpfung in der Folge der letzten Unwetter konzentriert, die einen Teil von Zentralamerika unter Wasser gesetzt haben. So gab es dieses Mal beispielsweise keine der immensen Vorwahlkundgebungen.

Ansonsten schätze ich die „Wahlstille“, denn ich muss keine Wahlspot-Bombardierung mehr ertragen, welche, die sandinistischen eingeschlossen, sich gegenseitig an niederträchtiger Denunziation der (therapeutischen) Abtreibung überboten haben, um die Stimmen der katholischen und evangelischen Kirchen und damit generell der Bevölkerung anzuziehen. Ich stosse nur auf wenig Verständnis, wenn ich die Gewalt solcher Spots kritisiere und den Rückschritt, den sie für die Frauen in Nicaragua bedeuten, thematisiere.

Der Tag geht zu Ende, unser Befehlsstand hat den VerteidigerInnen der Stimmabgabe soeben die dritte Mahlzeit serviert, die Situation in Matagalpa scheint ruhig, aber das Fernsehen bringt Gewaltszenen zum Beispiel im nicht weit entfernten Sébaco, die zeigen, dass heute die Stimmung gespannter ist. Die Leute werden die Nacht durch wach und aufmerksam bleiben, sie wollen nicht in die Falle tappen, die ihnen gestellt wird, sie wollen, dass die Wahlen morgen ruhig verlaufen. Man soll ihnen den erwarteten Sieg weder stehlen noch beschmutzen.

Kolumbien: studentische Bewegung für soziale Bildung

Dienstag, 1. November 2011

Trau keinem mit der 30

Nicht nur in Chile gehen Studierende auf die Straße, auch in Kolumbien sieht sich die Regierung Protesten gegen die Privatisierung des Bildungswesens gegenüber. Nach Jahren der Kriminalisierung sozialer Bewegungen ist die Beteiligung an den Bildungsprotesten ungewöhnlich hoch.
von Knut Henkel

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http://jungle-world.com/artikel/2011/43/44220.html