Bericht über unsere Gespräche in Nicaragua Mai 2019

Sonntag, 30. Juni 2019

(zas, 30.6.19) In Jena gibt es eine offizielle Städtepartnerschaft mit der nicaraguanischen Stadt San Marcos. Der folgende Text stammt aus ihrem Umfeld. Wir erhielten ihn von der Städtepartnerschaft Biel-San Marcos
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Das erste, was vielen Sandinisten zu Beginn der Krise auffiel, war eine große Verunsicherung, es gab und gibt viel Desinformation, Manipulation, vor allem über die sog. Sozialen Netzwerke.
Der entscheidende Punkt scheint mir die Desinformation, Verwirrung, Manipulation zu sein. Vor allem über die „sozialen Medien“ wurde viele Desinformationen verbreitet, die vor allem die Jugend erreicht haben. Zum Beispiel gab es auf beiden Seiten schwarze Listen und die Namen einiger Leute tauchten auf beiden auf. Eine Studentin war in Europa, soll aber antisandinistische Aktivitäten angeführt haben.
Im April 2019 hat das Internationale Rote Kreuz seinen Bericht korrigiert (Quelle: Nicanotes): statt über 1.000 gab es „nur“ 290 politische Gefangene, von denen 200 bereits wieder aus dem Gefäng­nis (im Hausarrest) sind. Es gibt auf oppositionsnahen Blogs (Confidential, Trinchera de la noticia) nachweislich falsche Daten und Behauptungen; regierungsnahe Blogs (Informe Pastrán) blenden bestehende Probleme weitestgehend aus.


Viele Leute sind bis heute sehr unzufrieden, und das war eine der Ursachen der Unruhen. Der Hauptgrund ist die Korruption. Beispiel: ein Betrieb wird seit Jahren von einem alten Kader gut geführt. Plötzlich wird der entlassen und durch einen Menschen aus dem engeren Kreis des Präsidenten ersetzt, der verdient jetzt 2.000 $ statt 800. Rafael Solis (Richter am Verfassungs­gericht, der sich der Opposition angeschlossen hat) war einer der korruptesten Funktionäre.


Gespräche:
Ein Kassierer in einem Mikrobus: Wir werden alle aufpassen, dass so etwas nicht wieder passiert. Früher sind wir 4-5 Mal am Tag nach Managua gefahren, heute manchmal nur zwei Mal. Als es die Straßensperren gab, mussten wir riesige Umwege fahren, um die Arbeiter in die Hauptstadt zu bringen, obwohl viele Gringos und Japaner ihre Firmen geschlossen haben und viele Menschen arbeitslos wurden. In La Concha mussten wir 300 C$ zahlen, um durchgelassen zu werden. Wir haben uns nicht bewaffnet, aber viele Frauen und Jugendliche waren sehr wütend wegen der Situation. Es ist gut, dass die Armee nicht eingegriffen hat, nur die Polizei und die Paramilitärs. Azul y Blanco ist eine Erfindung der CIA.


Eine Studentin: Ich war während der heißen Phase nicht in Nicaragua, habe mich währenddessen über soziale Netze informiert, und als ich zurückgekommen bin, hat sich meine Meinung über die Unruhen total gewandelt. Das war keine Revolution und kein Aufstand. Jetzt glaube ich, dass diese Bewegung keine wirkliche Opposition ist, es ist eine Mischung aus Kriminellen, Söldnern und sehr wenigen Leuten, die politisch etwas ändern wollen.
Die tranques waren anfangs ein Ausdruck der Unzufriedenheit der Leute, sie wollten den Transport und die Wirtschaft stören, um die Regierung auf sich aufmerksam zu machen. Zu Beginn waren Studenten an den Straßensperren, später kamen NROs und haben Führer eingesetzt, diese bezahlt und auch Waffen verteilt.


Ein Liberaler: das, was ihn während der Einnahme von Masaya am meisten beeindruckt hat: es waren unglaublich viele Drogen und viel Geld im Umlauf. In einigen Städten wurden die Stadtver­wal­tungen abgefackelt; das hat nur diejenigen erfreut, deren Heiratsunterlagen jetzt weg sind.


Ein katholischer Pfarrer: Die meisten Gruppen der Opposition sind so weit von der Realität ent­fernt, dass sie nicht an einer Einigung interessiert sind. Es gibt viel Angst und Repression, im Moment herrscht ein Zustand der gespannten Ruhe. Der Bischof hat angewiesen, dass die sozialen Projekte der Kirche nicht gestoppt werden sollen; sie sollen das wenige Geld, das sie haben, für das Volk einsetzen (RH: zumindest in San Marcos gibt es keine sozialen Projekte der Kirche, sondern von Bibelkreisen etc.=Zivilgesellschaft). Nicht die Kirche hat die Regierung ange­griffen, sondern die Regierung die Kirche. Die Regierung hat am 19. 07. 2018 ihren Angestellten verboten, in die Kirche zu gehen (zwei Katholiken sagen mir, dass das eine Lüge ist). Der Pfarrer spricht von friedlichen Protesten, ohne zu erklären, wer Polizeistationen angegriffen und Stadtver­waltungen niedergebrannt hat.
In einer katholischen Gemeinde in Corinto: Sie haben einen eigenen Fernsehkanal, dessen Sen­dungen lokal ausgestrahlt werden. Sie haben auch Programme, die live gesendet werden und bei denen jeder sprechen kann, der will. Es gibt keine Beschränkungen, lediglich redaktionelle Kom­men­tierungen.


Ein ehemaliger Bürgermeister (FSLN): Die Leute waren unzufrieden, weil Posten (Lehrer, Ärzte) mehr nach Parteibuch als nach Fähigkeit besetzt wurden. An der Atlantikküste wurde viel gemacht (Straßen, Hospitäler, Schulen), aber das hat auch Glücksritter, Holzhändler usw. angelockt. Die Regierung hat beim Waldbrand im Naturschutzgebiet Indio Maíz zu spät und falsch reagiert. Im Moment gibt es keine Bewegung, weil sich beide Seiten in ihren Positionen eingegraben haben. Die Zusammensetzung von Azul y Blanco ändert sich ständig. Wenn es vorgezogene Wahlen gäbe, schätzt er das Ergebnis 50:50, wenn die Opposition wie 1990 eine Union bildet.


Ein aktiver Politiker (FSLN): Solange Daniel an der Macht ist, gibt es ein einigermaßen konstruk­tives Verhältnis mit den USA: der Handel floriert, es gibt Frieden und Sicherheit, die Eigentumsver­hältnisse im Land werden nicht angetastet.
Die Alianza Civil wird vom Volk auch deshalb nicht respektiert, weil sie keine der ursprünglichen Forderungen der Demonstrationen (Änderungen im Sozialsystem, Umweltschutz) in den Dialog mit der Regierung eingebracht hat.


Ein Sandinist: Nicaragua wird in den kommenden 3-5 Jahren ein sehr instabiles Land sein.
Die FSLN ist heute totalitärer als sie jemals war, es wird nichts mehr gemacht, was nicht von oben kommt. Die Jugend bekommt keine politische Bildung.
Daniel garantiert, dass es ein ruhiges Verhältnis mit den USA gibt. Für die FSLN-Mitgliedschaft ist der Erhalt der Errungenschaften der Revolution wichtiger als die Regierung.
In der zweiten Runde des Dialogs sind die Wortführer die Wirtschaft und die Banken; die ersten, die gesprochen haben, waren Vertreter der fünf reichsten Familien des Landes.
Daniel hat clever reagiert: er wusste, dass Studenten keine tranques machen und dass die Rechte nicht genug Leute dafür zusammenbekommt. Und wirklich erzählen die meisten Menschen, dass an den Straßensperren hauptsächlich Alkoholiker, Drogenabhängige, gewöhnliche Kriminelle usw. waren; Studenten hat man dort nicht gesehen. Bei einigen heißen die Oppositionellen nur „los vandálicos“. Auch bei einfachen Leuten gab es viel Ärger über die tranques und die Unruhen, weil sie nicht zum Studium kamen, ihre Geschäfte behindert wurden etc.


Eine Krankenschwester: natürlich geht es vielen Menschen hier besser als noch vor Jahren. Aber vieles von dem, was gemacht worden ist, würde von oben angeordnet und nicht mit den Leuten besprochen.


Ein Sandinist, der bei den Paramilitärs war: Alles kam so sehr überraschend, dass wir es uns nicht anders erklären können, als dass es vorbereitet war. Unzufrieden war nur die Mittelschicht, die Kin­der reicher Familien. Anfangs sind einfache Leute zu den Barrikaden gegangen, später waren es fast nur noch Kriminelle. Die ärmeren Menschen haben schnell gemerkt, dass sie unter den Straßensperren nur leiden und durch die Demonstrationen nichts gewinnen.
Die Polizei war weder in der Lage noch dafür ausgerüstet, die tranques zu beseitigen. Deswegen hat die Regierung nicht gleich mit den Räumung begonnen, damit es nicht so viele Opfer gibt.
Für die FSLN war die Krise ein Schock, von dem sie sich nur langsam erholt. Vor uns steht jetzt die Aufgabe, mit der politischen Bildung der Mitglieder, vor allem der Jugendlichen, zu beginnen. Wir müssen entscheiden, ob wir eine Kader- oder eine Massenpartei sein wollen.


Eine Deutsche, die seit Jahren in Nicaragua lebt: Die meisten Menschen haben unter der Krise gelitten, zeitweise gab es nicht genug Essen. Als die Straßensperren geräumt wurden, haben die Polizei und die Paramilitärs vorher in die Luft geschossen, damit jeder weiß, was passiert. So haben sie Opfer vermieden, nur an wenigen Orten gab es dabei Verletzte. Als die Sperren geräumt wurden, hat man gesehen, dass die Jugendlichen nicht in die benachbarten Stadtviertel geflüchtet, sondern weit weg gerannt sind; sie waren nicht in der Bevölkerung verankert.


Eine Verkäuferin auf dem Kunstgewerbemarkt Masaya: Im Juni ist hier fast der ganze Markt abgebrannt, weil es auf der benachbarten Straße eine Auseinandersetzung zwischen der Polizei und Azul y Blanco gab. Wer das Feuer ausgelöst hat, wissen wir nicht. Wir haben von der Regie­rung inzwischen einen Kredit bekommen, damit wir unsere Geschäfte wieder eröffnen können.
Ein paar Tage später wollte die Opposition den populären Markt in Masaya überfallen und anzün­den. Da haben die Verkäufer auf dem Markt sich mit Macheten und Knüppeln bewaffnet und ihre Stände rund um die Uhr verteidigt. Es gab viele Plünderungen von Geschäften und Supermärkten.


persönliche Zusammenfassung:
Es ist alles komplett anders, als es in der BRD in der Presse, auch der linken, berichtet wurde.
Aus eigentlich nichtigen Anlässen (eine Demonstration von Menschen, die von IWF-Maß­nahmen betroffen waren, wurde von der Polizei auseinandergetrieben; Demonstrationen gegen die zöger­liche Reaktion der Regierung auf einen Waldbrand im Naturschutzgebiet wurden verboten) hat sich in kurzer Zeit eine praktisch landesweite Krise entwickelt. Diese war sehr vielschichtig und hat viele unterschiedliche Akteure; es gibt dabei kein „Gut“ und kein „Böse“. Es war für alle über­raschend, wie schnell sich die Demonstrationen ausgeweitet haben und in Gewalt umgeschlagen sind. Zweifellos hat die Regierung unangemessen auf die Demonstrationen reagiert, was ein Symp­tom dafür ist, dass sie sich vom Volk entfernt hat. Der darauffolgende Gewaltausbruch wurde von den Rechten, von Reichen, teilweise von der Kirche gefördert - und es würde mich doch sehr wundern, wenn nicht auch die CIA über internationale NROs dahinterstecken würde.
Als eine Ursache für die Unzufriedenheit sehe ich die großen sozialen und wirtschaftlichen Unter­schiede, die es in Nicaragua noch immer gibt: vielen Leuten geht es besser als vor Jahren und es wurde viel für die Verbesserung der Infrastruktur und der Lebensbedingungen getan. Aber Wenige konnten ihren Reichtum extrem steigern, für Viele hat sich der Standard nur wenig verbessert. Da es dabei keine politische Bildung gibt, ist es für viele Leute nicht ersichtlich, wohin die Entwicklung geht. Die Gerechtigkeit, von der so viel gesprochen wird, bezieht sich m. E. weniger auf die von uns Europäern so hoch gehaltenen Menschenrechte (Presse- und Meinungsfreiheit usw.) als auf gleiche Entwicklungschancen für alle.


Man kann nicht sagen, dass es sich bei den Demonstrationen, Straßensperren und Angriffen auf staatliche Einrichtungen um eine Oppositionsbewegung gehandelt hat. Aus einem Wutausbruch hat sich erstaunlich schnell organisierte Kriminalität entwickelt. Ebensowenig hat die Regierung adäquat reagiert. Die Niederschlagung von Demonstrationen, die Entlassung von Angestellten, die auf irgendeine Weise mit Azul y Blanco in Verbindung gebracht wurden, das Arbeitsverbot für Ärzte, die Verwundete auf beiden Seiten versorgt haben, das alles zeugt nicht von Souveränität. Was man der Regierung zugute halten kann, ist das lange Gewährenlassen der vandálicos an den Straßensperren und dass sie nicht - wie von einigen gefordert - sofort die Armee zur Säuberung eingesetzt hat. Heute muss man leider sagen, dass die Regierung das nicht beherzigt, was Che uns gelehrt hat: implacable en el combate, generoso en la victoria“.
Azul y Blanco ist keine Opposition, sondern eine Ansammlung Unzufriedener, vor allem aus der Mittelschicht. Sie sind nicht auf vorgezogene Wahlen vorbereitet, weil sie weder ein Programm noch Politiker und erst recht keinen Plan zur Lösung der Probleme des Landes haben. Die Forde­rung nach Daniels Rücktritt ist politisch genauso unreif wie die PEGIDA-Losung: Merkel muss weg! Vorgezogene Neuwahlen und ein Rücktritt des Präsidenten würden der Verfassung widersprechen und das Land ins Chaos stürzen. Ich frage mich, wieso das aus linker Sicht wünschenswert sein sollte. Bei allem, was an der Politik der FSLN zu kritisieren ist: es gibt keine progressive Alternative für das Land!
Bezeichnend ist, dass die Alianza Civil am 17. 04. 2019 zum Jahrestag der Unruhen in Managua eine Demonstration machen wollte, dafür aber nicht genügend Leute zusammengekriegt hat. Ähn­lich wie in der BRD wird hier den alten Politikern und Funktionären, den Parteien wie auch den Mas­senmedien weniger geglaubt als dem, was man in den sozialen Medien liest. Das ist vor allem bei den Jugendlichen so.

Venezuela/Schweiz: Kleine Nachricht des Terrors

Freitag, 28. Juni 2019


Die Schweizer Hyposwiss Private Bank schloss die Konten des Nahrungsanbieters Kabuco und fror die Zahlung von € 15.9 Mio. ein, die die für ein Schiff mit mehr als 90000 Tonnen Soya mit Ziel Venezuela bestimmt waren.
Twittermeldung des venezolanischen Aussenministeriums vom 29. Mai 2019.

Paraquat, El Salvador: Ein tödliches Rätsel ist gelöst

Freitag, 21. Juni 2019

Wie ein Wissenschaftler aus El Salvador mit der Hilfe von KollegInnen in Sri Lanka, Kuba und Belgien bewiesen hat, dass zwei Pflanzenvernichtungsmittel für den Tod von über 10 000 Menschen verantwortlich sind.
Von Toni Keppeler, San Salvador (Text und Fotos)
Warum sterben in El Salvador so viele junge Leute an Nierenversagen? Nach langen Feldstudien war dem Mediziner Carlos Orantes die Ursache klar.
Man weiss schon lange, dass das Pflanzenvernichtungsmittel Paraquat ein tödliches Gift ist. Wer auch nur einen Teelöffel dieses Herbizids schluckt, stirbt einen langen und qualvollen Tod. Erst krampfen sich die Gedärme, dann versagt die Niere, dann alle anderen Organe. Zwei oder drei Tage kann das dauern. Ein Gegengift gibt es nicht. In der Schweiz, der Europäischen Union, aber auch in armen Ländern wie Sri Lanka ist der Einsatz von Paraquat schon lange verboten. In Ländern, wo Paraquat noch erlaubt ist, bewirbt der Schweizer Chemie- und Saatgutkonzern Syngenta, einer der hauptsächlichen Produzenten, sein unter dem Markennamen Gramoxone vertriebenes Produkt als «effektiv und umweltfreundlich», geradezu «perfekt für nachhaltige Landwirtschaft».
Jetzt hat ein internationales Forschungsteam nachgewiesen, dass auch der in der Landwirtschaft übliche Einsatz von Paraquat tödliche Folgen hat. Das Ergebnis seiner zehnjährigen Arbeit war der WOZ vorab bekannt und wurde vom belgischen Nierenheilkundler und Toxikologen Marc De Broe am Freitag beim Jahreskongress der European Renal Association / European Dialysis and Transplant Association in Budapest vorgestellt. Danach dringt das Gift über die Haut und die Atemwege in den Körper ein, gelangt in die Niere, führt mit der Zeit zu einer unheilbaren chronischen Erkrankung und letztlich zu einem schmerzhaften Tod. Allein in Zentralamerika sind schon über 10 000 Menschen daran gestorben (siehe WOZ Nr. 49/2012).
Auch in Sri Lanka wurden Tausende von derselben Krankheit dahingerafft, obwohl dort kein Paraquat eingesetzt werden darf. Diese lange rätselhafte Epidemie kann die Studie auch erklären: Das in Sri Lanka wie in Europa und anderen Weltgegenden noch immer verwendete Glyphosat kann in der Niere dieselben krankhaften Veränderungen auslösen. Ähnliches gilt für Insektenvernichtungsmittel auf der Basis sogenannter Pyrethroide.

weiterlesen:  https://www.woz.ch/1925/paraquat-und-glyphosat/ein-toedliches-raetsel-ist-geloest

Unterbruch

Donnerstag, 20. Juni 2019

Mutmasslich wird diese Seite die nächsten Tage nicht mehr bedient werden können.

Bericht aus Honduras



19.6.19, 22h45

Seit mehr als anderthalb Monaten erlebt Honduras intensive und tägliche Proteste der Plataforma en Defensa de la Salud y la Educación. Die Regierung setzte auf massive Repression, Spaltung und Manipulation der öffentlichen Meinung. Aber sie zog dabei weder die strukturelle Krise im Land noch den Kampfgeist der Bevölkerung in Betracht. Nach 45 Tagen hat sich der Eindruck selbst bei konservativen Medien verallgemeinert, dass sich die Krise verschärft hat und die Schwäche der Regierung offensichtlicher denn je ist und dass die Regierungshandlungen weder legitim noch legal sind. Täglich unterstützen weniger Organisationen und Leute [den Präsidenten] Juan Orlando Hernández.
Die Plataforma en Defensa de la Salud y la Educación ruft nach einem alternativen Dialog, damit die gesellschaftlichen Sektoren Übereinkünfte erzielen können, aber ruft auch dazu auf, die Strassenbesetzungen, Departementsversammlungen etc. nicht aufzugeben.
Seit zwei Wochen haben sich die Strassenbesetzungen intensiviert, täglich gibt es Berichte von neuen Besetzungen zentraler Verkehrswege, Protesten in fast allen Städten und willkürlicher Repression.
In dieser sich verschärfenden Krise haben Unternehmersektoren scharf Stellung gegen die Regierung bezogen. Die Krise erreicht jetzt den [Unternehmerverband] COHEP, der im Gegensatz zur bisherigen Praxis keine gemeinsamen Stellungsnahmen für die Regierung mehr zustande bringt.
Die sozialen Sektoren haben keine Einheit über die Forderungen der streikenden Berufsgremien hinaus erzielt. Sie haben aber in den Städten und Dörfern systematisch und koordiniert auf die Aufrufe der Lehrerinnen und Ärzte geantwortet. Der Transportsektor streikt für eigene Forderungen und hat sich den Strassenblockaden angeschlossen.
Tegucigalpa erlebt eine schwere Unterversorgung mit mit Benzin und in einigen Stadtteilen macht sich Nahrungsknappheit bemerkbar.
Heute haben die Spezialeinheiten der Polizei (die Cobras), die Policía Nacional Civil und und die Kripo einen nationalen Streik für mehr Lohn ausgerufen. Das hat nun über den Strassenkampf im ganzen Land hinaus zu Plünderungen und Verkehrszusammenbrüchen auf den grossen Strassen des Landes geführt. Die Zufahrten zu San Pedro Sula, Ceiba, Tocoa, Choloma, Cortes, Choluteca, Villanueva, La Esperanza etc. sind besetzt.
Um 22h30 suchte die Regierung in verzweifeltem Kampf um Zeitgewinn ein Abkommen mit dem Transportsektor. Sie verkündet, alles sei gelöst, während der «zivile Ungehorsam» die Strassen landesweit überflutet. Es gibt auch Berichte von Zusammenstössen bei den Besetzungen mit mehreren Schussverletzten in der Hauptstadt.
Die Gerüchte von Ausgangssperre und einem Staatsstreich machen wild die Runde.
Gesicherte Erkenntnisse gibt es keine. Eindeutig ist aber eine Truppenmobilisierung zur Verteidigung von Institutionen, Häusern von FunktionärInnen der Regierung und einigen Unternehmen. Eben so klar ist aber der Einbruch der Regierungsunterstützung seitens traditioneller Verbündeter wie der katholischen Kirche, die sogar das Volk zu Einheit gegen Ungerechtigkeit und Korruption aufgerufen hat, und sogar in der Regierungspartei, wo Kräfte um Ex-Präsident Lobo zum Sturz von Juan Orlando Hernández aufgerufen haben.
Das Szenario ist für die Regierung extrem kritisch; aber sie zählt aber weiterhin mit der Unterstützung der Streitkräfte und der USA. Vielleicht aber nur noch für kurze Zeit … Wir werden sehen, was morgen läuft.

* Coalición Contra la Impunidad Honduras, https://m.facebook.com/HnCCI: «De un Amigo desde Honduras»
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(zas, 20.6.19) Die Lage ist heute (Vormittag in Honduras) sehr wirr, es zirkulieren unbestätigte Gerüchte von Zusammenstössen zwischen der Polizei und der Armee. Einschätzungen aus der Bewegung gehen von erhöhter Repression in den kommenden Tagen aus. Laut einem Kommuniqué des Universitätsspitals von Tegucigalpa von heute früh sind gestern Nacht 12 Verletzte hospitalisiert worden, darunter drei Menschen mit Schussverletzungen. Der 29-jährige Luis Antonio Maldonado starb gestern Nacht im Spital an den Folgen eines Kopfschusses.
Als der Generaldirektor das Quartier der seit Dienstag Nacht streikenden Spezialeinheiten der Polizei (Cobras) besuchen wollte, antworteten ihm die Revoltierenden mit Tränengas und Schüssen.
Mel Zelaya, der Chef der Linkspartei Libre, antwortete auf ein Frage in einem Radiointerview, ob er seine beträchtliche Mobilisierungskapazität für eine Oppositionsallianz aller Parteien gegen JOH einsetzen würde, für Libre sei im jetzigen Moment eindeutig die Plataforma en Defensa de la Salud y la Educación massgeblich. Jeder andere Zusammenschluss könnte vom Regime als Mittel zur Spaltung des Volkes verwendet werden. Alle Militanten von Libre seien verpflichtet, sich den Mobilisierungen der Plataforma anzuschliessen. Heute wurde auch bekannt, dass gegen einen führenden Exponenten eines linken Flügels in Libre, Gilberto Ríos von der Organisation der Necios, Haftbefehl ergangen ist, da er als intellektuelle Figur hinter der Finanzierung von Mara-Aktivitäten stehe. 


http://www.resumenlatinoamericano.org/wp-content/uploads/2019/06/WhatsApp-Video-2019-06-20-at-00.29.52.mp4?_=7

Honduras: Chaotische Lage


(zas, 20.6.19) In Honduras wird die Lage chaotisch, wie unsere Kontaktleute aus der Bewegung mitteilen. Die Proteste gegen die Konterreformen in den Bereichen Gesundheit und Erziehung haben sich trotz taktischer Rückzieher der Regierung von Juan Orlando Hernández (JOH) ausgeweitet. Gleichzeitig haben sich die Kämpfe um die Universität UNAH verstärkt, wo die Sicherheitskräfte bisher mit brutaler Gewalt agiert haben. Doch gestern zogen sie sich zurück.


Das wird fast sicher mit einer Spaltung im Polizeikorps zu tun haben, von dem Teile nun ihre Mitmache an der Repression verweigern. ein ähnliches Phänomen gab es schon anlässlich der Proteste gegen den Wahlbetrug von JOH.


Die Kämpfe beschränken sich keineswegs auf die Hauptstadt Tegucigalpa. Hier ein Video aus der Pazifikstadt Choluteca.

Intercept-Leaks in Brasilien: Morddrohungen und neue Enthüllungen

https://amerika21.de/2019/06/227909/intercept-leaks-brasilien-morddrohungen
Brasilien / Politik

Weiteres "explosives Material" angekündigt. Moro nennt Interesse an illegalen Absprachen "Sensationalismus". Deutsche Haltung gegenüber Brasilien "unverändert"

Die Luft für den amtierenden Justizminister, Sérgio Moro, wird infolge der Intercept-Leaks dünner
Die Luft für den amtierenden Justizminister, Sérgio Moro, wird infolge der Intercept-Leaks dünner
Brasília. Das Investigativ-Portal The Intercept hat weitere illegitime Absprachen zwischen dem früheren Lava Jato-Richter, Sérgio Moro, und der Staatsanwaltschaft enthüllt. Diese weisen auf eine Befangenheit und massive Parteilichkeit von Richter Moro sowie der Korruptionsbehörde Lava Jato zugunsten eines Regierungswechsels hin.
Demnach haben Staatsanwälte belastendes Material gegen den Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso von der neoliberalen Partei PSDB zurückgehalten, um ihm politisch nicht zu schaden. Erst als die betreffenden Bestechungsfälle verjährt waren, nahmen sie im April 2017 Ermittlungen auf, um der Öffentlichkeit ein Bild der Unparteilichkeit vorzutäuschen. Zur selben Zeit klagten sie den linken Ex-Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT) in einem umstrittenen Prozess wegen Korruption an.
Die nun veröffentlichten Nachrichten-Chats geben Aufschluss darüber, wie Lulas Chefankläger, Deltan Dallagnol, und der damalige Richter Moro den namhaftesten Politiker der PSDB, Ex-Präsident Cardoso, vor einer Anklage und die PSDB vor einem negativen Bild in der Öffentlichkeit schützten.
Aus Sicht der beiden spielten Cardoso und seine PSDB eine wichtige politische Rolle. Schließlich hatte die PSDB ab 2015 maßgeblich die Proteste gegen die Regierung der linksgerichteten Präsidentin Dilma Rousseff (PT) unterstützt und das Verfahren, das zu ihrer Amtsenthebung im Jahr 2016 führte, initiiert. Damit wurde der Weg für eine rechte Übergangsregierung unter Beteiligung der PSDB frei. Auch unter dem nun amtierenden ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro trägt die PSDB zahlreiche Gesetzesvorhaben mit.
Wie bereits 2017 bekannt geworden war, hatte der angeklagte Chef des Bauunternehmens Odebrecht, Emílio Odebrecht, als Beschuldigter in einem Lava Jato-Verfahren den Ex-Präsidenten Cardoso 2016 in mehreren Fällen der Bestechlichkeit und Annahme illegaler Finanzierung bezichtigt und auch Beweise vorgelegt. "Wahlkampfhilfe habe ich allen gegeben. Auch ihm [Cardoso]. Und mit Sicherheit bekam er Geld aus offiziellen und inoffiziellen Wahlkampfkassen. Er bat mich [um Geld]. Sie alle taten das", bestätigte der Bauunternehmer damals in einer Vernehmung.
Die Ermittler der Lava Jato unter Dallagnol behielten die Aussage gegen Cardoso jedoch bis Anfang April 2017 unter Verschluss. Erst dann machten sie die Anschuldigungen öffentlich und übergaben den Fall an die Generalstaatsanwaltschaft in São Paulo.
Hieraufhin kam es unter anderem am 13. April 2017 zu folgendem Nachrichtenaustausch zwischen Moro und Dallagnol. Moro: "Ist da was dran an der Sache mit FHC [Fernando Henrique Cardoso]?", Dallagnol: "An sich ja, aber die Beweislage ist schwach.", Moro: "Aber ist das nicht mehr als verjährt?", Dallagnol: "Es wurde [von uns] nach São Paulo geschickt, ohne die Verjährung zu prüfen. Ich denke aus Absicht. Vielleicht, um [der Öffentlichkeit] ein Zeichen der Unparteilichkeit zu senden.", Moro: "Ich halte es für fragwürdig, jemanden [FHC] zu verärgern, dessen Hilfe wichtig ist."
Tatsächlich stellte die Generalstaatsanwaltschaft im April 2017 nur noch die Verjährung der ihr vorgelegten Verbrechen fest. Das Ermittlungserfahren wurde ohne Anklageerhebung ad acta gelegt. Die Lava Jato-Behörde hatte durch das Zurückhalten der Aussage den neoliberalen PSDB-Politiker vor einer Anklageerhebung bewahrt und der Öffentlichkeit das Bild einer unparteiischen Behörde vorgetäuscht, bilanziert The Intercept. Zur selben Zeit trieben sie den Prozess gegen Lula da Silva, den größten Widersacher Bolsonaros vor der Wahl im vergangenen Jahr, voran.

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Im Jahr 2015 lagen den Ermittlern der Lava Jato Belege über Schmiergeldzahlungen des Baukonzerns Odebrecht an den Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso vor
Im Jahr 2015 lagen den Ermittlern der Lava Jato Belege über Schmiergeldzahlungen des Baukonzerns Odebrecht an den Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso vor
Ferner lagen den Ermittlern bereits 2015 Belege vor, die Schmiergeldzahlungen aus den Jahren 2011 und 2012 an die Stiftung von Cardoso, das Instituto Fernando Henrique Cardoso, nachwiesen und die lange nicht verjährt waren. Nach anfänglicher Euphorie über diesen Fund begannen die Staatsanwälte jedoch Abstand von einer Anklage zu nehmen. Den geleakten Chats zufolge fürchteten sie, die Verteidigung Cardosos könnte den Vorwurf der Korruption zu einem Steuerdelikt erklären und die Verteidigung Lulas könnte sich dieselben Argumente zu Nutze machen. In der Folge verzichteten die Ankläger auf die Anklage gegen Cardoso.
Weder Moro noch Dallgnol leugnen den Inhalt der enthüllten Kommunikation. Der Intercept-Herausgeber, Glen Greenwald, zeigte sich aus diesem Grund verwundert darüber, dass Moro bis auf eine Aussprache im Senat noch keine Konsequenzen gewärtigen musste. "In den USA herrscht Einvernehmen darüber, dass, egal welcher Richter, der dabei erwischt wird, was Moro im Fall Lula gemacht hat – heimlich mit den Staatsanwälten zusammenzuarbeiten –, mit Sicherheit und umgehend seinen Posten verliert. Aber in Brasilien ist das bisher nicht passiert", so der Journalist im Interview mit dem Kanal Rede TVT.
Stattdessen versucht Moro derzeit, von den Vorwürfen abzulenken oder diese kleinzureden. In einer Anhörung im Justizausschuss des Senats bezeichnete er das Interesse an den illegalen Absprachen als "Sensationalismus". Im Interview spielte er seine Befangenheit herunter: "Ich sehe keine politische Färbung in den Nachrichten, die mir zugeschrieben werden." Ferner beteuerte er, den betreffenden Messenger-Dienst Telegram von seinem Handy gelöscht zu haben, weswegen er die Authentizität seiner veröffentlichten Nachrichten weder dementieren noch bestätigen könne. Bolsonaro teilte am Dienstag mit, es sei "eine Ehre, Freude und Stolz für jeden guten Brasilianer, Sérgio Moro in der Funktion zu haben, in der er sich befindet".
Die Ermittlungsbehörde Lava Jato erklärte indes, die Leaks stellten ein "unmoralisches und illegales Eindringen" in das private und berufliche Leben der Ermittler dar. Der Richter des Obersten Bundesgerichtes, Alexandre de Moraes, forderte die Festnahme der "Hacker".
Währenddessen haben die Intercept-Journalisten sowie deren Familienangehörige seit Beginn der Veröffentlichungen mit zahlreichen, ernstzunehmenden Morddrohungen zu kämpfen. Als Konsequenz beauftragte der Präsident des Abgeordnetenhauses, Rodrigo Maia, beim zuständigen Justizminister, Moro, "alle notwendigen Maßnahmen" zu unternehmen, um das Leben des Journalisten Greenwald und dessen Ehemann, den Abgeordneten David Miranda von der sozialistischen Partei (PSOL), zu schützen. Miranda war im Februar für den wegen Morddrohungen ins Exil gegangenen, linken Abgeordneten Jean Wyllis (PSOL) ins Parlament nachgerückt.
Greenwald kündigte indes weitere "brisante Veröffentlichungen" an. "Das wichtigste und explosivste Material [über Moro und Dallagnol] wurde noch gar nicht veröffentlicht. Es dauert wahrscheinlich Monate, bis wir die ganze Reportage herausgebracht haben, weil es ein riesiges Archiv ist".
Die jüngsten Enthüllungen blieben auch der deutschen Bundesregierung nicht verborgen. Doch auch nach Kenntnisnahme der Berichterstattung bleibe "die Position Deutschlands gegenüber Brasilien unverändert", teilte das Auswärtige Amt auf Anfrage von amerika21 mit. Die Bundesregierung argumentiert, dass es "der brasilianischen Justiz obliegt, über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu befinden."

Kuba: Die USA hätten es gerne smart

Dienstag, 18. Juni 2019


13.06.2019 / Medien / Seite 15
Holzhammer hat ausgedient
Neue Taktik im medialen Anti-Kuba-Kampf gefordert: Washington unzufrieden mit Wirkung von Radio und TV Martí
Volker Hermsdorf
Washington fällt gegenüber Kuba zunehmend in die hilflosen Drohgebärden des Kalten Krieges zurück. Parallel zur Ausweitung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade verschärft die Regierung Donald Trumps auch den propagandistischen Feldzug gegen den sozialistischen Inselstaat. Neben der Rekrutierung und Schulung »unabhängiger Journalisten« in Kuba und der Förderung antikommunistischer Onlineplattformen in aller Welt setzt das Weiße Haus dabei vor allem auf den staatlichen US-Sender Radio und TV Martí. Der kostet die US-Steuerzahler jährlich rund 30 Millionen Dollar (ca. 26 Millionen Euro). Doch dieses Geld wird einem Bericht der »United States Agency for Global Media« (USAGM) zufolge zum Fenster hinausgeworfen. Die Bundesbehörde bescheinigte dem Sender »schlechten Journalismus« und »ineffektive Propaganda« ohne jeden Einfluss in Kuba. Als Abhilfe fordert die USAGM eine »neue, alternative Strategie der redaktionellen Ausrichtung«.
Anlass für die Untersuchung war ein Beitrag von Radio und TV Martí über den Finanzspekulanten George Soros, der angeblich antisemitische Kommentare enthielt. Die Behörde hatte daraufhin fünf Kommunikationsexperten beauftragt, die Programme unter die Lupe zu nehmen. Diese kamen zu dem Schluss, dass die Beiträge über Kuba häufig nur einen Teil der dargestellten Ereignisse beleuchten und einseitig sowie in unangemessen scharfer Form die Angriffe des »harten Teils« der Systemgegner wiedergäben. Die Berichterstattung erfolge zudem in einem »altmodischen, überholten Propagandastil des permanenten Einhämmerns«, bemängelte Edward Schumacher-Matos, Professor an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University Medford/Massachusetts und Vorsitzender der Kommission. Jede Kritik an der kubanischen Regierung sei erlaubt und werde unabhängig von deren Wahrheitsgehalt verbreitet. »Die etablierten journalistischen Normen werden routinemäßig zugunsten von propagandistischen Kommunikationstaktiken ignoriert«, lautete das Fazit des Berichts.
Die am 21. Mai veröffentlichten Ergebnisse sind angesichts der Geschichte des Senders nicht überraschend. Nach dem Vorbild von Radio Free Europe und Radio Liberty hatte US-Präsident Ronald Reagan 1985 zunächst nur Radio Martí ins Leben gerufen, der später um TV Martí und das Nachrichtenportal Martínoticias erweitert wurde. Als Aufsichtsbehörde fungiert das Office of Cuba Broadcasting (OCB) in Miami, das wiederum der Bundesbehörde USAGM untersteht (bis August 2018 Broadcasting Board of Governors, BBG). Deren offizieller Auftrag besteht in der »Förderung von Freiheit und Demokratie auf der Welt«. Das soll nach Ansicht von Hardlinern notfalls mit dem Holzhammer geschehen.
Nach Amtsantritt von Trump forderten rechte Politiker in Miami die Ablösung der als »liberal« geltenden OCB-Direktorin Maria González. Die aus Puerto Rico stammende Journalistin, die bei Radio und TV Martí einen seriöseren Journalismus etablieren wollte, wurde aus dem Amt gemobbt und im Juni 2018 durch Tomás Regalado, den Wunschkandidaten reaktionärer Exilkubaner ersetzt. Unter ihm würden die Programme »mutiger und aggressiver« werden, kündigte der frühere Bürgermeister von Miami an. Mario Díaz-Balart, ultrarechter Vertreter Floridas im Kongress, feierte die Wahl seines alten Kampfgefährten mit dem Satz: »Ich freue mich darauf, mit ihm (…) dem kubanischen Volk die Wahrheit zu bringen.«
Regalados Rhetorik verfehlt indes die erhoffte Wirkung. Da 40 Prozent der kubanischen Bevölkerung nach dem Untergang der Sowjetunion geboren wurden, sollten die Themen aus der Zeit des Kalten Krieges durch aktuellere Bezüge ersetzt werden, heißt es in dem am 21. Mai auf der Homepage von Voice of America veröffentlichten USAGM-Bericht (https://kurzlink.de/Anti-Kuba-Propaganda). Die Verfasser empfehlen dem OCB deshalb, die »offene Form der Opposition und der Feindseligkeit gegenüber der gesamten Kubanischen Revolution in all ihren sozialen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekten« zu überdenken. Sie fordern einen »neuen redaktionellen Ansatz«, der sich an »modernen Methoden zur Vermittlung politischer Botschaften« orientiert. Um die Bevölkerung zu beeinflussen, müssten die Berichte den Menschen in Kuba vor allem Empathie vermitteln, erklären die Experten. »Du musst zeigen, dass du ihre Situation verstehst, dass du mit ihnen sympathisierst, dass du sowohl das Gute als auch das Schlechte in ihrem Leben und die Probleme, denen sie gegenüberstehen, schätzt«, raten sie. Der kubanische Journalist Manuel Henríquez Lagarde hält diese Art Strategie der subversiven politischen Beeinflussung indes weder für neu noch originell. Sie entspräche exakt dem Konzept »unabhängiger« Webseiten über Kuba, die reichlich im Internet vorhanden seien, schreibt er in seinem Blog Cambios en Cuba. Einen eventuellen Relaunch des US-Propagandasenders kommentiert er mit Ironie: »Müssen wir jetzt damit rechnen, dass der Sender, der seit 34 Jahren den Namen José Martís beschmutzt, uns künftig als ›revolutionär und sozialistisch‹ verkauft werden soll?«
(c) Junge Welt 2019