(8.3.24) Die Wahlen vom 4. Februar (Präsidentschaft,
Parlament) resp. 3. März (Gemeinde und zentralamerikanisches Parlament,
Parlacen) haben die Diktatur in El Salvador gefestigt, aber gleichzeitig auch
Schwächen des Regimes aufgezeigt.
Auch heute noch bleibt ungewiss, wie viele Menschen am 4.
Februar überhaupt an den Wahlen teilgenommen haben. Zwar gibt es offizielle
Angaben dazu. Danach haben sich 52.7 % der im Wahlregister Eingetragenen, also rund
3.2 Millionen, an der Präsidentschaftswahl beteiligt; 2.7 Millionen wählten Bukele,
also rund 43.5 % der Wahlberechtigten. Bukele und die OAS-Beobachtungsmission
präferieren eine andere Zahl: 84.6 % der gültigen Stimmen gingen demnach an
Bukele; der Frentekandidat erhielt 6.25 % der Stimmen, jener der traditionellen
Rechtspartei ARENA 5.44 %, der Rest ging an diverse Kleinparteien. Das Problem mit
diesen Zahlen: Sie sind nicht überprüfbar.
Betrug nach Betrug
Warum das Regime trotz bester Erfolgsaussichten auf eine
Kette von Betrugsmanövern gesetzt hat, ist nach wie vor ungeklärt.
Hauptausschlaggebend dürfte der Zwang sein, den Nimbus der Unbesiegbarkeit des Strahlemanns
in der Casa Presidencial zu verfestigen. Dieser Schuss dürfte nach hinten
gegangen sein. Und vieles deutet daraufhin, dass die Umfragen mit ihren Superresultaten
für Bukele die Angst der Leute, offen ihre Meinung zu sagen, nicht fassen
konnten.
Die Wahlen waren und sind durch ein verblüffendes Ausmass an
Betrug charakterisiert. Das begann schon mit der Sentenz der von Bukele
putschmässig eingesetzten Verfassungskammer des Obersten Gerichts 2022, wonach
die zahlreichen Verfassungsartikel, die eine Wiederwahl des Präsidenten
kategorisch verbieten, eigentlich das Gegenteil dessen meinen, was in ihnen
steht. Der Betrug zeigte sich in den Tagen vor der Wahl in der Militarisierung
praktisch der ganzen Hauptstadt zum «Schutz der internationalen
Wahlbeobachter». Oder in der Verweigerung der obligatorischen staatlichen
Zahlungen an die Wahlkampagnen der einzelnen Parteien entsprechend ihrer zuletzt
erreichten Stimmenzahl, währen Bukeles Partei Nuevas Ideas beliebig viele
Millionen aus dem Staatsbudget ausgeben konnte. Am 4. Februar dann spielte die
Übermittlungssoftware für die Resultate der Urnen an den Zentralrechner des Wahlgerichts
TSE «verrückt» - sie hatte die dummerweise für alle erkennbare Eigenschaft, die
eingegebenen Zahlen im Fall der Nuevas Ideas zu verdoppeln oder zu
verdreifachen (nicht, wie wir fälschlich geschrieben hatten, auch bei anderen
Parteien). Nach Eingabe von 70 % der Präsidentschaftswahlakten musste das
Bukele-hörige TSE in den frühen Morgenstunden des folgenden Tags die Übung
abbrechen und ankündigen, die verbleibenden 30 % der Präsidentschaftsakten und
sämtliche Parlamentsakten einer transparenten zentralen Auszählung zu
unterziehen. Zu den letzteren würden auch zahlreiche Urnenunterlagen der
Hauptstadt gehören, die an einem geheim gehaltenen Ort aufgetaucht waren,
fernab jeglicher Kontrolle (s. zu diesen Vorgängen El
Salvador: Chaos).
Als die Auszählung drei Tage später anfing, hatte die
Bukele-Partei Nuevas Ideas (NI), ähnlich wie am Wahltag, eine veritable
Übermacht von Delegierten an den Auszähltischen und an den Terminals, wo sie die
Zahlen zuhanden des zentralen TSE-Rechners eingaben. Die dominierenden
NI-AktivistInnen konnten auch auf die bedingungslose Unterstützung der
Staatsgewalt zählen. Am 16. Februar zirkulierte in Medien und Social Media, wie
ein Mitglied der Staatsanwaltschaft einem gegen eine Verletzung des
Wahlgesetzes protestierenden Tischdelegierten der kleinen rechten
Oppositionspartei Un Nuevo Tiempo beschied: «Vergessen
Sie nicht, dass wir immer noch im Ausnahmezustand sind!» Dass also die
Sicherheitskräfte nach Belieben schalten und walten können.
An der grossen Mehrheit der Auszähltische wurde strikt auf
den Abgleich der Zahl der zu beurteilenden Wahlzetteln mit jener der
WählerInnen, die sich nach ihrer Stimmabgabe in eine entsprechende Liste
eintragen mussten, «verzichtet». Dies, so die NI-AktivistInnen, in Befolgung
eines nie vorgelegten Memos des TSE. Einzig der ursprünglich vom FMLN
vorgeschlagene TSE-Magistrat Julio Olivo unterstützte den Abgleich, der seit
den Friedensabkommen von 1992 zum Standardprozedere gehörte, um mit
zusätzlichen Wahlzetteln gefüllte Urnen und dergleichen zu unterbinden. Das
Rätsel löste sich später mit Schreiben
von vier der fünf Ersatzmagistraten des TSE, die darin ihren Rücktritt
bekanntgaben, da sie in permanenter Verletzung des Wahlgesetzes nie zu einer
Entscheidungssitzung des TSE eingeladen wurden. Eine «Wahlkommission» des TSE,
bestehend aus vier Magistraten unter Ausschluss von Olivo, traf «abgeschirmt» alle
relevanten Entscheide. Offenbar liess diese willfährige Gruppe ein Memo
zirkulieren, wonach der Abgleich unnötig sei. Zur OAS-Wahlbeobachtungsmission: Am
21. September bemängelte
auch sie den fehlenden Abgleich und meinte, das TSE habe keinen einheitlichen
Umgang in der Sache – ohne ein Wort dazu zu verlieren, worum es geht. Die
Mission hatte auch andere «Unzulänglichkeiten» des TSE erwähnt und brav
Verbesserungsvorschläge genannt; aber natürlich bekundete sie, «keine Zweifel an den von der Wahlbehörde
bekanntgegebenen Resultaten» zu haben.
Von der vom TSE angekündigten Öffnung der Urnen mit den
Präsidentschaftszetteln blieb wenig übrig: Von den 30 % oder 2547 Urnen wurden
ganze 30 geöffnet. Beim Rest legte NI ja eine Resultatzusammenfassung auf
irgendeinem Spickzettel vor (das dafür vorgesehene offizielle Formular wurde am
4. Februar vom TSE oft unbrauchbar geliefert), möglichst ohne Unterschriften
der Tischdelegierten, dafür mit durchgestrichenen oder verbesserten Zahlen...).
Ein Gaudi war der Umgang mit fraktionierten Stimmen (du markierst deine
bevorzugte Partei, aber teilst deine Stimme auch auf eine oder mehrere Personen
anderer Parteien auf). Das gibt ein feines Bruchrechnen, fanden aber die von NI
öde. Eine Bruchstimme galt ihnen regelmässig als eine ganze Stimme für ihre
Partei, die Markierung für «Fremde» dafür als ungültig. Auch die oben erwähnten
zeitweise «verschwundenen» Wahlzettel kamen in der Auszählung zu Ehren. Und
zwar in «gebügelter» Form. Der Ausdruck bezieht sich darauf, dass Wahlzettel,
um den Urnenschlitz zu passieren, mehrfach zusammengefaltet werden müssen. Nicht
so diese Wahlzettel. Der einzige dissidente TSE-Magistrat, Julio Olivo, verlangte
eine Untersuchung «dieser Wahlzettel, die
aufgetaucht sind, die nicht einmal gefaltet und mit einem Filzstift markiert
worden sind». Zum Thema Filzstift: Seit den Friedensabkommen erhalten alle
WählerInnen zur Markierung einen besonderen Stift, den sie nach Einwurf ihrer
Wahlzettel wieder am Wahltisch abgeben müssen. Die TSE-Mehrheit fand es jetzt
aber völlig normal, dass freie BürgerInnen ihre Wahlzettel mit einem beliebigen
Schreibutensil markieren dürfen.
Gegen Schluss der tagelangen Auszählung kamen die beiden
bevölkerungsreichsten Departemente San Salvador und La Libertad, wo die
Opposition am meisten Chancen auf Parlamentsgewinne hatte, an die Reihe. Die
NI-AktivistInnen dekretierten ein von der anwesenden Staatsanwaltschaft
unterstütztes Verbot von Handys und Fotoapparaten an den Auszähltischen. Weder
die physische Bedrohung von unliebsamen Parteidelegierten durch den NI-Mob noch
etwa die Weigerung von NI-AktivistInnen an den Terminals, auf Beanstandungen
wegen der Eingabe gefakter Zahlen einzugehen, sollten in Sozialen oder
traditionelleren Medien dokumentiert werden können. Zur Unterstreichung der
Ernsthaftigkeit solcher Transparenzbemühungen marschierten auch gleich Sondereinheiten
der Polizei auf. Die OAS-Mission erwähnte in ihrem Bericht vom 21. Februar,
dass «hunderte von Medienleuten während
des ganzen Wahlprozesses Opfer von Angriffen» wurden, schleimte aber
resümierend weiter, dass «obwohl einige
Akteure berichteten, sie fühlten sich von der Polizeipräsenz eingeschüchtert,
die Mission feststellte, dass die Sicherheitskräfte nicht in den Prozess
eingriffen». Die Bullenbotschaft war verstanden worden – ausser scheinbar
von der OAS.
Wer kontrolliert die
Software?
Praktisch jeder Auszähltag (bis und mit 18. Februar) brachte
neue Betrugshighlights. Ein strukturierendes Moment sei hervorgehoben. Das TSE hatte
den jahrzehntelangen Chef seiner Informatikabteilung (USI) abgesetzt, nachdem er
einen Monat zuvor die Vergabe des TSE-Auftrags für die Software der
Resultateübermittlung an das spanische Unternehmen Indra wegen höherer Kosten
und schlechterer Qualität als Mitbewerber zur Ablehnung empfohlen hatte. Das
TSE nahm Indra, deren Software am 4. Februar wie gesagt «versagt» hatte, unter
Vertrag. Das von Geldgebern wie den Open Society Foundations oder der
Hanns-Seidel-Stiftung finanzierte Portal Focos veröffentlichte
am 17. Februar eine Recherche über die neuen Bosse der USI – sie stammen aus
der Informatikabteilung der Casa Presidencial. Sie sind es, die den
EintipperInnen an den Terminals die «richtigen» Zahlen vorgeben. Sie haben
direkten Zugang zum zentralen TSE-Rechenzentrum, im Gegensatz zu den vom
Wahlgesetz, aber nicht von Bukele dazu auch bevollmächtigten
Informatikkontrolleuren der Opposition oder sogar, wie die Prensa Gráfica am
23. Februar veröffentlichte,
den Auditoren des TSE selber. Dafür agierte
der NI-Vertreter in der Junta de Vigilancia Electoral, dem faktisch
funktionsunfähigen Kontrollausschuss der an den Wahlen beteiligten Parteien, im
Rechenzentrum als Alleinherrscher. Der gesamt Parteienrest durfte dagegen nicht
einen Fuss ins Rechenzentrum in der vom TSE angemieteten Cooperativa Militär,
dem Offiziersclub, setzen.
Nun, die offiziellen Parlamentsresultate widerspiegeln
weitgehend, was Bukele noch am Abend des 4. Februars angekündigt hatte: 54 (nicht
58, Bukele) der 60 Abgeordneten für NI, 3 weitere für die Satellitenparteien
PCN und PDC, 2 für die ehemalige Oligarchiepartei ARENA und 1 für die neue
Rechtspartei Vamos. Der FMLN ging trotz deutlich grösserer Stimmenzahl als PCN,
Vamos oder PDC dank des diskriminierenden Zählsystems D’Hondt (s. Wahlen,
Irrlichter und üble Games) leer aus. Selbst auf der Basis der deutlich
aufgeblasenen Regimezahlen wäre bei Anwendung des eben deshalb ersetzten
Stimmenzählssystems Hare mit seinem weitaus genaueren Abbild der
Proportionalität der NI-Vorsprung von 54 auf 44 Abgeordnete (immer noch eine
klare 2/3-Mehrheit) geschmolzen, mit einer eindrücklicheren
Oppositionsvertretung inklusive FMLN. Dies ohne Berücksichtigung der angeblich
320'000 Stimmen aus den USA, die, grösstenteils absolut unkontrolliert online
abgegeben, zu fast 100 % für Bukele und seine Partei zu Buche schlugen. Auf
Parlamentsebene wurden diese Stimmen ausschliesslich dem Departement San
Salvador zugerechnet. Gerade wurde bekannt, dass das TSE alle Audits der
Auslandwahlen vorerst zur Verschlusssache erklärt hat.
Egal, so oder so ist es angesichts des undurchblickbaren
Nebels um reale Wahlbeteiligung etc. geschenkt, in den offiziellen Resultaten
mehr als eine Absegnung der diktatorischen Verhältnisse und einer unbehinderten
Straffreiheit zu sehen.
Wenn die Nacht am
Dunkelsten ist …
Für die Gemeindewahlen (auch für das Parlacen) vom 3. März
schien zunächst alles seinen Trott zu gehen. ARENA etwa beklagte zwei Tage vor
diesen Wahlen, dreihundert Beglaubigungen zu wenig für ihre
Wahltischdelegierten erhalten zu haben. Im Rechenzentrum würde weiterhin NI
sagen, was Sache sei. Doch am Wahltag selber kam es zu seltsamen Verhältnissen.
Aber von morgens bis abends Bilder von verlassen auf Besuch wartenden
Wahlzentren.
Am 4. März veröffentlichte das TSE seine bisher letzten
Angaben zu Resultaten auf Gemeinde- und Parlacenebene. Danach ergibt sich bei
78.2 % der verarbeitenden Gemeindeakten eine Wahlbeteiligung von 23. 4 %. Diese
würde sich demnach bei 100 % der Akten auf knapp 30 % belaufen. Das bedeutete
im Vergleich zur angeblichen Beteiligung an den Präsidentschaftswahlen einen
Rückgang von rund 22 %. Neben der offenkundigen Abstinenz könnte ein zweiter
Faktor massgeblich sein. Einem Bericht
der OAS-Mission vom 5. März zufolge wurden dieses Mal nämlich die
Urnenresultate nicht über Internet an den Zentralrechner gesendet, sondern im
Wahllokal selbst offline verarbeitet. Das heisst, die Möglichkeit von
Vergrösserung der NI-Ergebnisse in der Übermittlungssoftware oder per
«Spickzettel» war wesentlich geringer.
Seit längerer Zeit sank die Wahlbeteiligung bei
Gemeindewahlen im Vergleich zu jener bei Präsidentschaftswahlen um 6 bis 7 %,
nie um 22 %. Zwei Motive drängen sich für den Beteiligungseinbruch auf.
Einerseits die an reinen Gerrymandering-Kalkülen orientierte Reduktion von 262
auf 44 Grossgemeinden, die Bukele letztes Jahr befohlen hatte. Wer im Dorf
brennt darauf, eine/n unbekannte/n BürgermeisterIn weit weg in der Stadt zu
wählen? Zum andern ein offenbar
verbreiteter Verdruss über die evidente Wahlmanipulation vom Februar. Hinzu kommt
allenfalls das Minus an Manipulationsmöglichkeiten bei der Wahllokal-internen
Resultateverarbeitung offline.
Eine subversive
Intepretation
Insbesondere in der Wahlabstinenz liegt politischer
Sprengstoff. Der ins Ausland geflüchtete frühere FMLN-Chef Medardo González
betont das in einem Kommenar «Ganó
el ausentismo». Er schrieb darin letzten Montag: «Ich pflege nicht jene zu beglückwünschen, die sich politisch
enthalten. Aber die Abstinenz von diesem Sonntag ist mehr als (simples)
politisches Desinteresse, dass sich normalerweise im Fernbleiben von der Urne
manifestiert. Die Abstinenz wurde zur grossen politischen Siegerin und sagte:
’Wir sind die 70 %, die sagen, wir wollen weder NI von Bukele noch andere
wählen, die angesichts der strukturellen Systemfallen eh keine Chance haben.’
Diese 70 %, also 22 % mehr als noch vor einem Monat, glauben nicht mehr an das
von dieser Regierung aufgezwungene Wahlsystem. Gemeindewahlen pflegen den Geist
und das lokale Interesse der Bevölkerung zu wecken, denn der Bürgermeister war
bisher der nächste Regierende, den man in schwierigen Zeiten auch für etwas
Geld für einen Sarg angehen konnte.»
Der Compañero schliesst nach Hinweisen auf die Zerstörung
von Gemeindestrukturen und der Frage nach der realen Beteiligung am 4. Februar
mit diesen Sätzen: «Die extrem tiefe
Beteiligung von letztem Sonntag lässt Zweifel daran offen, wie enthusiastisch
die angebliche Unterstützung von Bukele für seine verfassungswidrige und
aufgezwungene Wiederwahl war. Hoffentlich versteht es die Opposition, die der
Parteien und die soziale, sich mit der grossen Mehrheit der BürgerInnen, die
sich am 3. März mit Absentismus oder leer oder ungültig Einlegen geäussert
haben, zu treffen. Lassen wir nicht zu, dass diese historische Manifestation
verdeckt, banalisiert oder verborgen werde.»
Kritik am FMLN
Diese Aussage enthält auch eine Kritik an den politischen
Parteien, die zwar am Wahltag ihr Fest feierten, da ja nur sie antreten
durften, sich aber generell in einem eklatanten Formtief befinden – in gewissem
Sinn auch NI, die vom Hype um die Figur des Präsidenten zehrt. Die Krise des
Parteiensystems vertieften sie mit ihrer blinden Beteiligung am grossen
Betrugsmanöver des Bukelismus, auch der FMLN. Der blieb jetzt besonders
abgestraft, da er bis dato nur zwei Parlacen-Abgeordnete und vielleicht eine
Grossgemeinde in einer historischen Zone im Departement Morazán gewinnen
konnte. Es war diese Partei, die dem Aufruf der kämpferischen Sozialbewegung,
für die Wahlen eine gemeinsame progressive Front gegen die Diktatur
anzustreben, mit ihrem Beharren auf der eigenen «revolutionären» Präsidentschaftskandidatur
im Auftrag des Volkes eine definitive Absage erteilte.
Nach verlorener Schlacht taten sich Parteigrössen mit der
Aussage hervor, nun, frei von institutionellen Zwängen, könne der Frente wieder
zur alten Grösse des proletarischen Hoffnungsträgers zurückfinden. Kein Wort,
warum man sich gerade noch unbedingt um eine institutionelle Repräsentanz
balgte. Mittlerweile scheint ihnen ihr Guru Ramiro Vázquez gesagt zu haben, zu
viel Sektierertum schwäche die Partei zu sehr, als dass Bukele noch ein
Interesse an ihrer Weiterexistenz haben könnte. Der Mann, der eigentliche
Spiritus Rector hinter der seit bald fünf Jahren amtierenden Parteileitung,
hatte mitgrosszügigem venezolanischem Ölgeld, das in produktive und soziale
Projekte im Land fliessen sollte, ein Firmen- und Finanzimperium aufgebaut und
dabei seit vielen Jahren enge Business- und Freundschaftsbeziehungen mit Bukele
& Co. unterhalten.
Er weiss, was ihm blühen kann, sollte Bukele sein Interesse
an einem für die Desorganisation des Widerstands zu schwachen FMLN verlieren.
Alejandro Muyshondt war Sicherheitsberater Bukeles, bis ihm einfiel, einen
NI-Abgeordneten des Drogenhandels zu beschuldigen. Muyshondt war danach
monatelang im Gefängnis, wurde dort laut Aussage der Mutter lobotomiert und war
wenige Tage nach den Wahlen vom 4. Februar tot. Die Anwältin seiner Familie
versichert, seine Leiche habe zahlreiche bei Lebzeiten zugefügte Verletzungen
wie von einem Eispickel aufgewiesen. In den letzten Tagen spricht die
Parteileitung, die sich während Jahren als Avantgarde des
marxistisch-leninistischen Klassenkampfs wähnte, von der Partei als einer der
pluralen Linken. Ebenso glaubwürdig wie die Formel vorher. Es geht vor allem
darum, jene Kräfte, die von ausserhalb der Parteileitung den Grossteil der
Kampagnenarbeit geleistet hatten, bei der Stange zu halten, um genügend
Verhandlungsmasse bei Bukele vorzuweisen. Es schmerzte, wie diese Kräfte noch
am letzten Sonntag in Verkennung der Dynamik gegen die Diktatur per
Wahlabstinenz zu einem massenhaften Anti-Bukele-Votum aufgerufen hatten.
Laut den bisher bekannten Resultaten hat die
Pro-Bukele-Rechte – NI und Satellitenparteien – gemeindemässig abgesahnt. ARENA
konnte einzig eine Grossgemeinde im Department San Salvador gewinnen.
Institutionell ist dem pro-oligarchischen und mafiösen Wüten des Bukele-Clans
damit der Weg frei gemacht. In den neuen Gemeinden dürften sehr bald chaotische
Zustände herrschen. Wie bisherige Gemeindebudgets,
Gemeindeentwicklungsstrukturen wie die zivilgesellschaftlichen Adescos und
viele andere Bereiche homogenisiert werden, scheint niemand zu wissen. Mit
Bestimmtheit lässt sich sagen, dass die Tendenz zur Abschaffung jeglicher
Gemeindeautonomie zugunsten einer von der Casa Presidencial aus geleiteten
Zentralisierung im Zuge der eh schon laufenden Finanzaustrocknung der Kommunen
die soziale Kluft in den Territorien noch schlimm verschärfen wird.
Der 8. März und die Selbstorganisation
Gestern
präzisierte Delia Cornejo als Vertreterin schon lange existierender
feministischer Organisation wie die Mélidas, das MSM oder das IMU an einer
Pressekonferenz des Zusammenschlusses Resistencia Feminista die Agenda der für heute
vorgesehenen Demo. Diese zieht vor das Arbeitsministerium und fordert die
überfällige Anpassung der Mindestlöhne an die massiv steigenden Lebensunterhaltkosten,
die insbesondere den Frauen das Leben erschweren. Mit Bezug auf die
Nachwahlsituation meinte sie, aufgrund des Betrugs hätten die Frauen nun keine
institutionelle Andockstelle mehr. Sie müssten fortan allein auf die Kraft
ihrer eigenen Organisierung
|
Delia Cornejo, dritte von links.
|