Allianz gegen Destabilisierung in El Salvador

Sonntag, 30. August 2015

Zahlreiche Organisationen schließen sich gegen Kriminelle zusammen. Dubiose Verbindungen zwischen Banden und rechter Opposition

Brasilien: Zweifrontenkampf der Linken

Montag, 24. August 2015




(zas, 24. 8. 15) Diesen vergangenen Freitag, den 21. August, ging die brasilianische Linke in einem Zweifrontenkampf auf die Strasse: gegen die Regierungspolitik der fiskalischen „Strukturanpassung“ und gegen den massiven Versuch der rechten Ultras, die Regierung von Dilma Rousseff von der Partei PT (Partido dos Trabalhadores, Arbeiterpartei) zu stürzen und eine Phase der offenen Restauration einzuleiten. Es waren primär die Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra), die Bewegung der Obdachlosen MSTS (Movimento dos Trabalhadores Sem Teto; vom MST gegründet, heute eine starke städtische Organisation), der Gewerkschaftsverband CUT (Central Única dos Trabalhadores), relevante Teile des PT, die (offenbar in der Frage uneinige) trotzkistische Partei PSOL und die klassische KP PcdoB, die in mindestens 21 Staaten Brasiliens zu Demonstrationen mobilisierten. Es waren zwischen 175‘000 und mehreren Hunderttausend (je nach Quelle), die dem Aufruf folgten. Generalmotto: „Gegen das Spardiktat! Lasst die Reichen die Krise bezahlen“ und „Die Strassen nehmen für Rechte, Freiheit und Demokratie! Gegen die Rechte und das Spardiktat!“.
Eine Demo am 20. August. Quelle: MST.

Nach Angaben des MST waren es allein in São Paulo um die Hunderttausend, die „gegen das Spardiktat und für die Verteidigung der Demokratie“ auf die Strassen gingen. „Die Mobilisierungen richteten sich im Schwerpunkt gegen die aktuelle Sparpolitik der Bundesregierung und die vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha, geleitete konservative Wende und betonten:  ‚Die Lösung der Krise führt nach links‘“. Cunha ist Mitglied der rechten, opportunistischen Partei PMDB (Partido do Movimento Democrático Brasileiro), die bei den letzten Parlamentswahlen die meisten Stimmen machte. Bisher mit dem PT liiert, hat sich nun ein Teil klar auf die Seite jener Kräfte um Aécio Neves und Fernando Henrique Cardoso (allgemein FHC genannt) geschlagen, die unter dem Vorwand des Petrobras-Korruptionsskandals ein Impeachmentverfahren gegen Präsidentin Rousseff durchsetzen wollen. Beide sind vom rechten PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira). Neves verlor die 2. Runde der Parlamentswahlen ziemlich knapp und insistiert seither auf einer „3. Runde“, mit Unterstützung des für seine Privatisierungs- und Korruptionsorgie berüchtigten ehemaligen Staatspräsidenten FHC, der etwa mit den Clintons verbandelt ist.  Cunha hat sich mit einem Teil des PMDB auf die Seite dieser „sanften“ Putschisten gestellt. Am Tag der linken Mobilisierungen  hat die Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erhoben wegen massiver Beteiligung am Petrobras-Skandal. U. a. soll er etwa für die Vermittlung eines Auftrags zum Bau von zwei Schiffen des staatlichen Ölkonzerns Petrobras zugunsten des Multis Samsung $ 5 Mio. eingestrichen und diese zum Teil über seine Kirche, die Asambleia de Deus (God’s Assembly, eine fast weltweite evangelikale Sekte aus den USA), gewaschen haben. Etwas dumm für den Politiker, der eine führende Rolle beim Versuch einnimmt, Dilma Rousseff wegen ihrer angeblichen Beteiligung an Petrobras-Skandal zu stürzen.
Die Mobilisierungen waren klar auch eine Antwort auf die rechten Demos vom vorherigen Sonntag zugunsten des Sturzes der Regierung Rousseff, an denen mehrere Hunderttausend Menschen, weniger als bei früheren Anlässen, aber auf jeden fall beunruhigend viele, teilgenommen haben. Die Sozialbewegungen wissen, dass sie den PT wieder nach links drücken müssen; gelänge der Versuch von Teilen der Rechten, den PT aus der Regierung zu drängen, wäre ein enormes Rollback unausweichlich. Ein Blick auf die beiden Parlamentskammern mit ihren fundamentalistischen, Diktaturverherrlichenden, militant sexistischen und elitistischen Blöcken zeigt, wohin die Reise ginge. Gleichzeitig aber betreibt die Regierung Rousseff aktuell eine Politik der „Wirtschaftsankurbelung“ mit klar neoliberalen Charakteristika, für die nicht nur der Banker und Finanzminister Joaquim Levy sondern auch die Ausrichtung auf das Agrobusiness steht. Die starken Mobilisierungen vom letzten Freitag zeigen den Doppelcharakter der Situation auf: gegen die Politik der Regierung, für die Verteidigung der Regierung gegen die Rechten.
Diese Mobilisierungen stehen nicht alleine da. Am letzten 3. August etwa besetzten rund 2000 AktivistInnen des MST Niederlassungen des Finanzministeriums in verschiedenen Gliedstaaten, parallel zu Strassen- und Landbesetzungen anderswo. 
Bei der Besetzung einer Niederlassung des Finanzministeriums. Foto: MST

Ministeriumsbesetzung. Foto: MST.
Sie bekämpften damit die unter Rousseff beeindruckende Verlangsamung der Agrarreform, deren eh unzureichende Mittel im Rahmen  der aktuellen „Spardynamik“ Levys um fast die Hälfte gekürzt wurden, von 3,5 auf 1.8 Mrd. Reais (von € 0.86 Mrd. auf €  0.44 Mrd.). Kelli Mafort von der Nationalen Koordination des MST sagte: „Wir können der Sparpolitik nicht untätig zusehen. Wir sind dem Volk verpflichtet.“ Zum Agrarproblem führte sie weiter aus: „Wir verlangen die Ansiedlung alles Familien in den Lagern. Wir haben Familien, die seit mehr als 10 Jahren im Zelt leben und die Opfer der Gewalt des Grossgrundbesitzes und des Agrobusiness sind. Die Regierung muss Zielvorgaben für die Ansiedlung von mindestens 50‘000 Familien pro Jahr für die Zeit von 2016 bis 2018 ausarbeiten.“ 
Kelly Mafort.

Am 11. und 12. August kam es zur Marcha das Margaridas, zu einer von der LandarbeiterInnengewerkschaft Contag und feministischen Gruppen organisierten Frauendemo in Brasilia mit, je nach Quelle, 30‘000 bis 70‘000 Beteiligten. Inhalte: Für Dilma  - gegen Putschversuche, gegen die Gewalt an Frauen, für die Ernährungssouveränität, gegen Homophobie, gegen die mörderische, oft staatliche rassistische Gewalt.


Die an den linken Mobilisierungen beteiligten Kräfte versuchen, den Frente Brasil Popular als Linksfront sowohl gegen die neoliberale Ausrichtung der PT-Regierung wie gegen die rechten Rollbackstrategien aufzubauen. Francisco Terto von der nationalen MST-Koordination sprach an der Mobilisierung im Staat Pernambuo von „einem historischen Meilenstein in der linken Neugruppierung in Brasilien. Er dient zum Aufbau eines neuen politischen Instruments, um den politischen und ökonomischen Kampf und die sozialen Veränderungen voranzutreiben.“ Alles andere als ein Treueschwur in Richtung PT.
Interessanterweise hat sich in den hegemonialen Medien wie „O Globo“ in den letzten Tagen die Pro-„sanfter Putsch“-Tonlage etwas geändert. Insofern, als die Impeachmentrhetorik Raum abtreten musste an eine Linie, die für eine verstärkte „Anpassung“ der Regierung Rousseff an die kapitalistische Diktate plädiert. Dies dürfte auf mehrere Gründe zurückgehen. Dem PT gelang es, Cunha etwas zu isolieren, was ein – unter den gegebenen Bedingungen klar illegales - Impeachment auf jeden Fall erschwert. Eine putschistische Rechtsregierung stiesse weiter auf jeden Fall auf eine breite Gegenwehr der sozialen Bewegungen, die sozialen Konflikte könnten in unkontrollierbare Richtungen eskalieren. Wieweit die Armeeführung bereit wäre, sich zum blutigen Handlanger eines von den USA abhängigen Regimes zu machen, wäre offen. Senatspräsident Renan Calheiros, wie Cunha PMDB-Mitglied,  aber von der „Pro“-Rousseff-Fraktion, hat vor wenigen Tagen die Agenda Brasil lanciert, die im Kern eine verschärfte neoliberale Zurichtung des Landes (etwa massive Ausweitung der Auslagerung von Arbeitsplätzen in unregulierte Arbeitsverhältnisse) mit einer gewissen Stabilität für die Regierung Rousseff kombiniert. Insgesamt scheint die sich abzeichnende Linksfront von unten durchaus schon Auswirkungen gehabt zu haben. Immerhin etwas – angesichts eines PT, von dem relevante Teile leider in eine verschärfte Rechtsdynamik verfallen könnten.

El Salvador: Der Krieg in der Ebene

Montag, 10. August 2015



Víctor Regalado
Der Ansturm der Rechten im Kontinent verschärft sich. Es wäre naiv anzunehmen, dass die lokalen oligarchischen Gruppen jetzt, wo es linke Regierungen gibt, diese im Zeichen der Demokratie akzeptieren würden. Das Wort Demokratie bedeutet für diese Gruppen schlicht ein Wort, das sie schreien, wenn sie ihre illegitimen ökonomischen Interessen in Gefahr sehen. Der Ansturm ist kontinental und sehr gut koordiniert.
Der Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) ist eine Guerillaorganisation, die von den Bergen in die Ebene hinab gestiegen ist, um den Kampf für die Befreiung des Volkes fortzuführen. In den Bergen hatte sie sich zu einer Guerillakraft entwickelt, die imstand war, Armee und Regierung von El Salvador an den Rand des Zusammenbruchs zu führen, trotz der Millionen von Dollars, Militärberatern und Ausrüstungsgütern aus den USA.  Der FMLN leistet Widerstand, konsolidierte sich, siegte – es gelang ihm, die Armee, das Imperium an den Verhandlungstisch zu setzen und den Frieden zu erreichen.
Der FMLN tauchte ein in ein Szenarium einer Rechten, die Wahlen als Spektakel benutzt, um ihre Regierungen legitimieren zu können, auch wenn diese Ergebnisse blutiger Staatstreiche oder schmutzigster Politmanöver sind. Siehe Pinochet in Chile, Franco in Paraguay, Lobo in Honduras etc. Wann immer nicht sie, die Rechten, in einem Staat regieren, gibt es ihnen zufolge keine Demokratie. Denn eine dem Volk verpflichtete Regierung gefährdet ihre Interessen und enthüllt die ganze Korruption, mit der sie regieren. In diesem heuchlerischen demokratiespiel war der FMLN erneut fähig, Kräfte zu akkumulieren und die Rechte zu besiegen, nicht mehr in den Bergen, sondern in ihrem eigenen Hinterhof voller Wahlbetrüge.
In diesem Rahmen müssen wir die Geschehnisse in El Salvador situieren; so auch den gerade erfolgten Versuch krimineller Gruppen, den Transport mit Morden an Arbeitern, Drohungen gegen die Bevölkerung und die Transporteure und dem Verbrennen von Transportmitteln zu boykottieren.
Aber dieser Versuch, den Transport zu blockieren, stellte in erster Linie klar, dass es sich nicht um ein zufälliges Zusammengehen der Banden und der Rechten handelt, sondern dass die Banden von der Rechten als Teil eines makabren Plans benutzt worden sind, um an die Macht zurückzukehren. Und zudem, dass die Bevölkerung die Leidtragende solcher Handlungen ist, denn deren Zweck ist es, die Leute so einzuschüchtern, wie sie es früher mit den Todesschwadronen gemacht haben.
Das Ziel all dessen ist es, die Regierung zu destabilisieren, sie politisch zu schwächen und die Bedingungen für einen Staatsstreich zu schaffen. Täuschen wir uns nicht: dieser kann technisch sein, juristisch … oder blutig. Für sie rechtfertigt der Zweck die Mittel. Einige denken, die Zeiten gewalttätiger Staatsstreiche seien vorbei, aber si täuschen sich: Es geht um einen Krieg auf Leben und Tod zwischen zwei gesellschaftlichen Optionen, und im Krieg hat Romantizismus keinen Platz. Es stimmt, es ist für sie jetzt schwieriger, einen gewalttätigen Putsch zu machen, aber wenn sie ihn machen müssen und können, werden sie ihn machen. So ist das.
Die Vorsicht, mit der die Regierung mit allen Provokationen und Sturmläufen der Rechten umgeht, ist lobenswert. Aber mit der Ermordung der Transportarbeiter, dem Boykott und der Sabotage des Transports ist klar, dass die Rechte pervers ist und eine Wende nötig wird, die den Prozess radikalisiert, denn für die Bevölkerung stellt sich die Lage so dar, dass die Regierung spät reagiert. Anders gesagt, der Anschlag auf das Mobilitätsrecht der Bevölkerung entspricht einer Situation, die der Geheimdienst hätte erkennen müssen, bevor es zu den ersten Störungen und Morden an Buschauffeuren kam. Alles hätte unter völliger Kontrolle der staatlichen Sicherheitsorgane stehen müssen.
Während die politisch-militärische Kapazität des FMLN in seiner Zeit in den Bergen ausser Frage steht, ist ebenso klar, dass es ihm in diesem neuen Krieg in der Ebene nicht gelungen ist, die Strukturen zu erschaffen und wirksam zu machen, die es braucht, um ihm zu begegnen und an der Seite des Volkes den Sieg zu erringen. In den Bergen zählte der FMLN mit Spezialeinheiten, Kampftruppen, einem Geheimdienst, Militärspitälern, einem unglaublichen Logistikapparat, kampferprobten Stadtkommandos, Werkstätten für die Herstellung von Sprengstoffen und Waffen, Verbindungskanälen, einer Funkkommunikation zwischen den verschiedenen Fronten, einer internationalen Presseagentur, einem potenten Kurzwellensender und einer beeindruckenden diplomatischen Equipe, die jener der Regierung der Lobby der „Gringos“ stets drei Züge voraus war.
Doch trotz des Überraschungseffekts des rechten Angriffs mittels Gebrauch der Transportwaffe wusste das Bevölkerungsgros zu reagieren und den Schlag abzufedern. Die Einschüchterung misslang den Rechten, die Leute strömten auf die Strasse und sichten nach den Mitteln, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können.
Nun, die Realität sagt uns, dass es neue Angriffe der Rechten gegeben wird, denn sie folgen einem Plan und einer Strategie wie in Ecuador, Bolivien, Argentinien und Venezuela. Und die kommenden Angriffe werden überall ansetzen.
Der FMLN hat ein Jahr, um die Sympathie und Zuneigung jener Leute zu gewinnen, die [A.d.Ü.: bei den Parlaments- und Gemeindewahlen vom letzten März] nicht wählten oder den FMLN abstraften. Der FMLN muss ins Volk eintauchen, mit ihm einen Dialog führen und es politisch erziehen.
Für die Regierung ist es nötig, das Steuer herum zu reissen, um den Prozess in Richtung mutiger und radikaler Veränderungen zu lenken. Sie muss ihren Sicherheitsapparat wachrütteln und darf sich nicht von einer verlogenen Rechten foppen lassen; sie muss den Staatsapparat von korrupten FunktionärInnen und solchen, die die Verwaltung am Funktionieren hindern wollen, um die Regierung von Sánchez Cerén schlecht dastehen zu lassen, säubern. Wer im Krieg die Initiative ergreift, hat Chancen auf den Sieg. Es darf nicht sein, dass die Rechte in die Offensive geht. Bisher war sie in der Defensive und so soll es sein.
6. August 2015­­­­­­­­­­

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Der Kontext:
(zas, 10.8.15) Der angeblich von den früheren Strassenbanden, den sogenannten Maras, ausgerufene „Transportstreik“ begann am Sonntag, dem 26. Juli 2015, und lief am Mittwoch, dem 29. Juli, definitiv aus.  Die von den grossen Medien vermittelte Version war, dass die Maras damit gegen die repressive Politik der Regierung Sánchez Cerén protestierten und diese zum „Dialog“ aufforderten. Wer den Transportstreik breche, so diese von den rechten Medien verbreitete Version, riskiere sein Leben. Und tatsächlich wurden in diesen Tagen bis zu acht Buschauffeure umgebracht. Viele hauptstädtische und einige interurbane Buslinien – in El Salvador beruht der „öffentliche“ Transport ausschliesslich auf privaten Busunternehmen – stellten infolgedessen ihren Betrieb vorübergehend ein, was zu enormen Schwierigkeiten für die Bevölkerung führte. Nachbarschaftshilfe und flinkes Anbieten des eigenen PW für bezahlte Fahrten linderten die Not, die Transportblockade brach die Regierung ab dem zweiten Tag mit der Bereitstellung aller verfügbaren Staatsvehikel und einem Grossaufgebot der Sicherheitskräfte. Für die Rechte war der „Transportstreik“ ein Beleg mehr für die Regierungsunfähigkeit des FMLN, der das Land zum „gescheiterten Staat“ gemacht habe.
Eine Rhetorik, der sich der Grossunternehmerverband ANEP und die frühere Regierungspartei ARENA seit Monaten im Zusammenhang mit der beträchtlich gestiegenen Mordrate im Land befleissigen. Direkte Hauptakteure beim Anstieg der Mordrate sind zweifellos die Maras. Die seit Juni 2014 im Amt befindliche FMLN-Regierung hatte zuvor den sogenannten „Waffenstillstand“ mit den Maras beendet, da dieser zwar eine deutliche Verminderung der Morde zwischen den verfeindeten, oft an internationale Drogenkartelle angeketteten Mara-Strukturen brachte, aber diesen gleichzeitig einen enormen Ausbau ihrer Präsenz vorallem in Unterklassenzonen ermöglichte, wo sie die Bevölkerung einschüchtern und erpressen. Einen Tag vor Beginn der Transportblockade steigerte sich das Gewaltklima nochmals, als unbekannte Täter eine Handgranate im Parking eines Luxushotels zündeten, ohne Opfer zu fordern. Und nochmals einen Tag vorher demonstrierten 14 schwer bewaffnete Soldaten im Stadtzentrum für zusätzlichen Sold (sie haben ein Verfahren vor der Militärjustiz). Während der Transportsabotage propagierte ARENA die „gerechte“ Forderung der Berufssoldaten.
Soldaten-"Demonstration", von ARENA unterstützt. Quelle: El Diario de Hoy, 24.7.15

Aufschlussreich ist die von diversen Portalen wie Verdad Digital am 4. August publizierte Information, wonach die Busunternehmer eigentlich kaum konkret bedroht worden seien, sondern einem „Gerücht“ aufgesessen seien. Caralino Miranda, ARENA-lastiger Chef eines Busunternehmerverbands sagte etwa zum „Transportstreik“: „Alles war ein Gerücht, nur zwei Unternehmer haben dieses Gerücht mitbekommen … In Wirklichkeit ist die grosse Mehrheit nicht bedroht worden“. Mirandas Kollege William Cáceres doppelte nach: „Ich habe mit einigen Vertretern im Osten des Landes geredet und fragte sie, ob sie von Personen wüssten, die nicht arbeiteten. Sie sagten, sie hätten keine Probleme gehabt. Soyapango arbeitete am Montag zu 85%“ (id.). Soyapango, eine grosse Vorstadt von San Salvador, war in den dominanten Medien als eines der Epizentren des „Transportstreiks“ dargestellt worden. Und nochmals Miranda: „Ich muss etwas unterstreichen: Wenn die Kommunikationsmedien ein Gerücht beackern, wird es meistens Realität“ (id.).
Morgen Dienstag, 10. August 2015, soll es erneut zu einem „Transportstreik“ kommen. Infoquelle: Die rechten Medien, die sich, wie gewohnt, auf Mitteilungen in den social media berufen.

Notizen eines deutschen Anwalts in Guatemala

Mittwoch, 5. August 2015

http://www.guatemalanetz.ch/guate_joomla/images/stories/pdf/MM04_NotizenEinesAnwalts_Juli2015.pdf


Guatemala-Stadt, Ende Juli 2015


In den letzten Wochen haben wir neue Verhaftungswellen1 erlebt, die die Hoffnung auf Säuberung aufrecht erhalten, uns allerdings gleichzeitig Ausmasse von Korruption vor Augen führen, die an Zynismus kaum noch zu überbieten ist. Institutionalität ist heute in Guatemala ein irreales Konzept, das lediglich dazu zu dienen scheint, die korrupten Kräfte im Spiel zu halten, „damit nicht gleich alles zusammenbricht“. Die Demonstrationen haben etwas an Massivität verloren, allerdings nicht an Kraft, da die Bewegung neben der Strasse auch an der Ausarbeitung der Reformen teilnimmt, zu denen der Kongress erst noch gezwungen werden muss. Die wichtigsten Forderungen sind nach wie vor die nach Rücktritt des Präsidenten2, nach Reformen des politischen und Justizsystems und – wenn es auch immer schwieriger erscheint – nach Verschiebung der Wahlen.
Man könnte also meinen, die Säuberungen gehen weiter und alles läuft gut. Tatsache ist, dass sich Strafermittlungen und Verhaftungen als Mittel demokratischer Reformen nicht eignen und schnell totlaufen, wenn das System keinen Willen zur Veränderung hat. Tatsache ist auch, dass sich die politischen Kräfte des Landes in die aufteilen, die Reformen und eine unabhängige Justiz wollen und die, die den Status Quo verteidigen. Letzterer Sektor hat wichtige Niederlagen erlitten, dann aber gezeigt, dass er nach wie vor die Fähigkeit zum Handeln und Obstruieren hat, z.B. haben die Parteien Patriota und Lider einen neuen Verfassungsrichter nominiert, der direkt aus dem Umfeld von OPM kommt und das alte Verhältnis von 3:2 gegen die Reformer wieder herstellt. Parallel versuchen Lider und Patriota im Kongress die Suspendierung des Verfahrens zur Immunitätsaufhebung von OPM zur Bedingung dafür zu machen, dass die von der Bewegung vorgeschlagenen Reformen überhaupt diskutiert werden.
Darum geht es im Augenblick bei allen Fragen: An den runden Tischen, im Kongress, in der Justiz: Wie garantieren, dass die Veränderungen sich im Rahmen halten, kontrollierbar sind und vor allem nicht gleich wirksam werden? US-Botschaft und CACIF wollen Veränderungen, aber auf keinen Fall die Strasse zu sehr stärken, weswegen sie für Reformen plädieren, aber Otto Pérez Molina symbolisch an der Macht halten.
Während ich dies schreibe, platzen zwei neue Bomben, die die Konjunktur wieder verändern könnten. Am 15.7. werden drei neue Immunitätsaufhebungsverfahren gegen 3 Abgeordnete beantragt und 11 weitere Personen verhaftet. Wieder ist es ein Schlag ins Zentrum des „perversen Systems der Korruption“, wie die CICIG einen Tag später bei der Veröffentlichung ihres Berichts zur Parteifinanzierung sagen wird. Es sind drei Abgeordnete des Lider, der in den Umfragen führenden Partei. Das Delikate an diesem Vorgang ist, dass es sich unter anderem um die Brüder Barquín handelt, von denen Edgar zur Zeit der Taten 2011 Präsident der Bank von Guatemala war und heute Kandidat des Lider zur Vizepräsidentschaft ist. Sie sollen mindestens 937 Millionen Q (!!) aus öffentlichen Quellen erschlichen, falsch ausgewiesen und teils in die eigene Tasche, teils in die ihrer damaligen Partei GANA umgeleitet haben. Wenn Edgar Barquín fällt, steht die Kandidatur von Manuel Baldizón auch rechtlich auf Messers Schneide.
Einen Tag später veröffentlicht die CICIG ihren bereits erwähnten Bericht und kommt zu dem Schluss, dass die „Korruption das Element ist, dass dieses politische System zusammenhält“. Am gleichen Tag kommentiert die US – Botschaft, dass „...das eben dabei rauskommt, wenn man schwache Institutionen damit beauftragt, die Korruption zu kontrollieren“ und „...dass dieses perverse System jahrelang seine Bevölkerung verspottet hat“. Die Wortwahl ist nicht mehr diplomatisch, die Situation mehr als dramatisch. Lider hat das verstanden und ruft für die kommende Woche zu einem Marsch von 100 000 gegen die CICIG auf, was sehr leicht zu Ausschreitungen führen kann, wie sie Ríos Montt 2003 am „schwarzen Donnerstag“ provozierte. Jetzt steht alles auf dem Spiel und Tatsache ist, dass sogar die Verschiebung der Wahlen wieder möglich erscheint und die Reformen noch vorher in Kraft treten könnten.
In dieser Situation steht die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Ríos Montt und Rodríguez Sánchez wegen Völkermords und Kriegsverbrechen für den 23.7. an. Es könnte ein guter Moment für solche Prozesse sein und wir sind im Augenblick dabei, mehrere von ihnen wieder anzustossen. Der Schulterschluss von Unternehmern und Militärs, der noch 2013 die betrügerische Annullierung des Urteils ermöglichte, ist durch die jüngsten Skandale nicht mehr der gleiche. Ríos Montt lässt folgerichtig verlauten, dass er einem Verfahren mental nicht mehr folgen kann; Rodríguez Sánchez kann das auch nicht, aber wegen seines Knies. Sie scheinen dem System im Augenblick nicht zu trauen, obwohl sie in den letzten Monaten heftig auf eine ihnen günstige ad hoc Besetzung des Gerichts hingearbeitet haben. Sie wollen den Prozess zumindest jetzt nicht.
Miguel Mörth

 1 Durchsuchungen und Verhaftungen im Kongress, zahlreiche Immunitätsaufhebungsverfahren gegen Abgeordnete, darunter der Kongresspräsident von 2013 /14; eine Kommission empfiehlt, die Immunität von Otto Pérez Molina (OPM)aufzuheben, der Kongress weigert sich aber, diese auf die Agenda zu setzen. Am 9.7. dann wird der Generalsekretär (bis 2.6.) und Schwiegersohn von OPM verhaftet! 2 wohlwissend dass dieser Rücktritt eher symbolischer Natur ist und keinen qualitativen Wechsel mehr darstellt