Monsanto und Kühne + Nagel beglücken Haiti

Montag, 24. Mai 2010

Am 10. Mai veröffentlichte der Jean-Yves Urfie, Mitglied des Ordens vom Heiligen Geist und ehemaliger Chemielehrer in Port-au-Prince, bei der kanadischen Gewerkschaft CUPE den danach viel verbreiteten Artikel A New Earthquake Hits Haiti. Das Saatgutmonster Monsanto habe demnach dem von der US-Botschaft in Haiti gemanagten "Project Winner" 475 Tonnen gentechnisch verändertes Saatgut (mutmasslich des Typs Roundup Ready) samt Dünger und Pestiziden geschenkt. Project Winner werde von Jean-Robert Estimé geleitet, der für die Duvalierdiktatur den Aussenminister gemacht habe.

Der brasilianische Journalist Thalles Gomes veröffentlicht eine Woche später auf alainet.org dazu den Bericht Haiti: Monsanto y el Proyecto Vencedor. Der haitische Landwirtschaftsminister Joana Ford habe sich gezwungen gesehen, die Aussage von Urfie zu dementieren: „Bevor wir die Offerte des Multis Monsanto bzgl. eine Schenkung von 475’947 kg Maishybridsaatgut und 2'067 kg Gemüsesaatgut akzeptiert haben, haben wir alle Vorsichtsmassnahmen getroffen. Wir müssen auch erwähnen, dass ich in Ermangelung eines Gesetzes, das den Gebrauch von GVO in Haiti reguliert, die Einführung von Saatgut „Roundup Ready“ oder einer anderen gentechnisch veränderten Sorte nicht erlauben kann“.  Angenommen, das stimmt, stinkt die Sache trotzdem zum Himmel. Denn, so erläutert Thalles, die von Monsanto bemühte PR-Caritas würde implizieren, dass die BäuerInnen Herbizide und Dünger von Monsanto beziehen müssten – abgesehen davon, dass Hybridsaaten per definitionem nur einmal voll genutzt werden können. So oder so sollen die haitischen LandwirtInnen noch abhängiger vom US-Multi gemacht werden.

Das erwähnte Project Winner, unter dessen Regie der Angriff auf die Nahrungssouveränität läuft, ist am 8. Oktober 2009 von der USAID lanciert worden. Es soll, laut Pressemitteilung der US-Botschaft in Port-au-Prince, über die Kombination von „public-private-partnerships“ zwischen „haitischen Bauern, NGOs, Agrobusiness und Bauunternehmen“ mit ökologischem Wassereinzugsgebietsmanagement die Umwelt schützen und die Agrarproduktion ankurbeln (Kostenpunkt: $126 Mio. für 5 Jahre). US-Botschafter Kenneth Merten verdeutlichte das an einer Rede am Lancierungstag von Project Winner: Auf der Anhöhe wird Wassermanagement via Aufforstung betrieben, in der Ebene unten werden die so vor Landrutschen geschützten Agrarprojekte lanciert.

Und schaut, wer auch dabei ist: der Schweizer Logistikmulti Kuehne + Nagel. Laut Thalles ist seine „Emergency and Relief Logistics“ zusammen mit der UPS-Foundation für den Transport und die Verteilung des Danaersaatguts verantwortlich. Das komme übrigens zuerst in USAID-Läden, wo es dann den BäuerInnen verkauft werde.

Chavannes Jean-Baptiste, Chef der BäuerInnenorganisation MPP, drohte laut einem Bericht von Bev Bell damit, die Monsanto-Felder niederzubrennen. Das wäre schön und würde das MPP in neuem Licht erstrahlen lassen. Aus einer ursprünglich kämpferischen Organisation war es im Lauf der Jahre ein weiteres Aushängeschild des NGO-Büros PAPDA geworden und hat sogar laut Darstellung ehemaliger Mitstreiter aus der US-Solibewegung mit Haiti in den Wirren 2003/2004 mit den gegen Aristide vorgehenden paramilitärischen Söldnern kollaboriert (S. Tom Reeves in Correos 138, Juni 04). Das Problem bisher: PAPDA repräsentiert trotz radikal-antineoliberalen Diskurses einen kleinen elitären „zivilgesellschaftlichen“ Zirkel im oberen Mittelstand und hat kritischen Stimmen etwa auch aus der kirchklichen Solidarität zufolge die Führungen einer Reihe ursprünglicher Sozialorganisationen weitgehend ihrer eigenen Basis entfremdet. Das PAPDA und die meisten seiner Umkreisgruppen waren in Vorbereitung der Invasion von 2004 von US- und europäischen Regierungsstellen kofinanziert worden, wohl kaum, weil man in den imperialistischen Metropolen ihre antikapitalistische Revolutionsrhetorik ernst genommen hätte. Sollte von Chavannes und dem MPP jetzt mehr als Verbalradikalismus kommen, wäre das ein wichtiger Change in Haiti.

Haiti - Vergewaltigung, nicht Promiskuität

Eine vom US-“Institut for Justice & Democracy in Haiti” zusammengestellte Delegation von RechtsanwältInnen, GesundheitsarbeiterInnen und Community-AktivistInnen aus verschiedenen US-Organisationen veröffentlichte am 17. Mai ein Communiqué über die „alarmierende Rate von Vergewaltigung und anderen gender-basierter Gewalt in den Vertriebenlagern quer durch Port-au-Prince“. Das Communiqué zitiert die Delegationsleiterin Blaine Bookey vom IJDH mit diesen Worten: „Es ist wichtig, dass wir den Mythos dieser Vergewaltigungen als Folgen von Promiskuität abschaffen. Dies sind gewalttätige Gender-Verbrechen, die von Fremden im dunkel der Nacht begangen werden und die Aufmerksamkeit der Polizei und der anderen Gruppen erfordern, die helfen, diese Lager zu organisieren“. Die meisten Frauen und Mädchen werden nachts angegriffen, etwa beim Gang auf eine Latrine oder von Müttern, die bei ihren Kindern schlafen. Die Polizei foutiert sich um Vergewaltigungen.

Haiti - "Sozialistische" Privatisierung

 Auch das noch: Laut einem Bericht von Hervé Jean-Michel vom 8. Mai konnte Premier Préval sich und der internationalen Raubgemeinschaft einen alten Traum erfüllen: die Privatisierung der staatlichen Telekomgesellschaft Téléco. Jahrelang war das Unterfangen am Widerstand der Gewerkschaft gescheitert. Doch Prévals Dekapitalisierungsstragie und das Erdbeben machten es jetzt möglich: 60% der Téléco-Aktien (damit das Festnetz) gingen in den Besitz der „Military Telecom Company“ über. Nein, dahinter steckt nicht das Pentagon. Die besagte Gesellschaft, bekannt als Viettel, gehört der … vietnamesischen Armee.

Haiti: „Wir wollen, dass unsere Stimmen gehört werden“

Sonntag, 23. Mai 2010

Die Kräfte, die sich positiv auf den gestürzten Präsidenten Aristide beziehen, sind gewiss nicht unumstritten – auch nicht in der Linken. Dessen ungeachtet ist bemerkenswert, dass im nachfolgenden Text aus dem Umkreis der Aristide-Stiftung neben der erschreckenden Darstellung des Ist-Zustandes in den Lagern der Erdbebenopfer auch die zentrale Wichtigkeit der „informellen“ gegenseitigen Hilfe fürs Überleben ins Bklickfeld gerät. "Natürlich" gerät genau diese weitgehend feminisierte Überlebenshilfe ins Visier der transnationalen „HelferInnen“. Offensichtlich hat es die Autorin verstanden, den Menschen an den Treffen der Aristide-Stiftung zuzuhören.


Auszüge aus
“We Want Our Voices To Be Heard”: Democracy in Haiti’s Earthquake Zone
30.4.10
Laura Flynn


„Wir leben im Dreck. Wir sind nass und hungrig. Die Zuständigen haben uns jeder Hoffnung beraubt. Falls sie einen Plan haben, kennen wir ihn nicht. Wir fragen nach der Zukunft. Und wir wollen, dass unsere Stimmen gehört werden“.
Suzette Janvier, Bewohnerin von St. Martin (Quartier im Zentrum von Port-au-Prince)

[Die Autorin arbeitet im US-Arm der haitischen Aristide Foundation for Democracy (ADF) mit, die 1996 vom 2004 gestürzten haitischen Präsidenten gegründet worden war, um sich um Strassenkinder und andere „Ausgeschlossene“ zu kümmern. Laura Flynn beschreibt, dass sich jeden Samstag tausend oder mehr  Erdbebenüberlebende in den Räumlichkeiten der Stiftung in Port-au-Prince treffen und ihre Situation diskutieren]. Jetzt, wo die Regenfälle begonnen haben, sagen die Leute, dass sie die Nächte „domi pandeye“ verbringen (schlafend beim Aufrechtbalancieren), also unter dem schützenden Plastik stehen, denn es hat nicht genügend Platz dafür, dass alle im Trockenen liegen können und weil das Wasser in die Zelte fliesst. Sie leben jetzt 24 Stunden am Tag in „labouye“ (im Dreck), in Lagern, wo es fast überall an Latrinen und anderen Sanitäranlagen mangelt.
An einem Samstagtreffen. Bild: AFD.



Sie beschreiben den Kampf für Essen für die Familie. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind seit dem Beben um 15-30% gestiegen, während sich die Einkommen aufgelöst haben. Nur wer von emigrierten Angehörigen Geld erhält, kann Nahrungsmittel kaufen. Für alle, die von der internationalen Hilfe abhängen, ist die Nahrungssuche für die Familie eine endlose Plackerei. Essenscoupons werden in den Lagern eventuell einmal in der Woche verteilt, aber nicht an alle und nicht überall. Frauen, die Coupons ergattern konnten, müssen sich dann an einen anderen Ort, oft Meilen entfernt, lange vor Sonnenaufgang in eine Warteschlange einreihen. Haben sie Glück, erhalten sie um Mittag 50 Pfund Reis, die sie dann irgendwie tragen oder transportieren müssen. Am nächsten Tag fängt vielleicht der gleiche Kampf von neuem an, dieses Mal für Kochöl.  Einen Tag anstehen für die Coupons, am anderen Tag eine Reise dorthin, wo das Öl verteilt wird, an einem völlig anderen Ort als zuvor der Reis. Oft bringt das alles nichts: Die Coupons reichen nicht für alle, der Reis geht aus, das Verteilungscenter wurde verlagert oder es geht aus Sicherheitsgründen nicht auf. Und mit dem Regen werden die Reissäcke nass und der Reis verfault.

TeilnehmerInnen [an den Samstagstreffen] beschreiben voller Horror den dramatischen Anstieg der Prostitution – junge Frauen und Mädchen verkaufen ihren Körper, um sich und ihre Angehörigen zu ernähren. Sie beschreiben die grässlichen Gesundheitszustände in den Lagern, wo Ansteckungskrankheiten zwangsläufig steil ansteigen werden. Jeden Mittwoch seit dem 10. März kommen 1200 Leute in die Free Clinic der ADF. ADF-ÄrztInnen bestätigen die Zeugnisse in den Foren: Viele Krankheitsfälle resultieren aus den Lebensbedingungen – Falschernährung, Durchfall von Kindern, Infektionen von Harnwegen und anderem.

Die erste Forderung an den ADF-Foren zielt auf Temporärunterkünfte in sicheren und gesunden Verhältnissen. Die zweite auf Essen. Danach Arbeitsplätze,  Erziehung, Gesundheitsversorgung und […] Investition in die Nahrungserzeugung. Zu Grunde liegt all dem das Verlangen, an der Planung der Zukunft der Nation teilzuhaben. Wer sich in der ADF trifft, verspür mehr denn je ein tiefes Gefühl des Ausschlusses.

Für die Vorbereitung des PDNA (Post-Disaster Needs Assessment, Bedürfnisabklärung nach der Katastrophe), den die haitische Regierung am 31. März der internationalen Gebergemeinschaft vorgelegt hatte, gab es mit Bestimmtheit keine Konsultation oder Beteiligung der vibrierenden haitischen Basisorganisationen [zur Konferenz s. Entwicklungskolonialismus II aus Correos 161]. […] Zusätzlich dazu, dass der Plan und die [transnational dominierte Haiti-] Interimskommission [für den Wiederaufbau, IHCR] ohne Partizipation vorbereitet wurde, wurde auch fast nichts zum Inhalt des Planes kommuniziert.  Alle, die an die Foren der Stiftung kommen, haben gehört, dass es einen Plan gibt. Sie haben keine Ahnung, was er beinhaltet. Sie hören von Milliardenversprechen in New York. Sie haben wenig Vertrauen darauf, dass dieses Geld ausbezahlt wird und gar keines, dass, was ausbezahlt wird, in ihrem Interesse ausgegeben wird.

Was für alle zuvorderst steht, ist die Frage der temporären Umsiedlung, danach, die Leute aus der Gefahren zu bringen, die mit den kommenden intensivierten Regenfällen kommen wird. Aber drei Monaten nach dem Erdbeben haben weder die haitische Regierung noch die internationalen NGOs einen Plan dafür formuliert.

Anfangs April gab es mehrere Berichte von Zwangsumsiedlungen von Menschen, die ihr Lager im Fussballstadion oder auf Privatboden oder den Grundstücken von Privatschulen hatten. An einigen Orten kamen Bulldozer ohne Voranmeldung, machten die Unterstände platt und liessen die Familien ohne einen Ort zurück, wohin sie hätten gehen können. Es scheint, dass die einzige erfolgreiche freiwillige Umsiedlung jene bei Corail ist, wo die haitische Regierung in Zusammenarbeit mit ausländischen NGOs in den letzten ein oder zwei Wochen damit begonnen hat, Leute vom Golfplatz von Pétionville, wo 45'000 Menschen sind, in ein Zentrum bei Corail umzusiedeln. Aber dieses Lager ist nur für 7500 Menschen geplant. […]

Man schätzt, dass es über eine Million Obdachloser in der metropolitanen Zone gibt. Falls es Pläne für Temporärsiedlungen für irgend jemandem ausserhalb des Golfplatzes gibt, werden sie nicht kommuniziert. Die Leute an den ADF-Foren haben Angst, dass sie zwangsweise aus ihren jetzigen Lagern geräumt werden. Sie sind auch skeptisch, was Pläne betrifft, sie in entlegenen Zonen anzusiedeln. Das würde sie vom wirtschaftlichen Leben der Stadt abschneiden, also von der gegenseitigen Hilfe, die Familien, Communities, Nachbarschaftsvereine etc. und die informelle Wirtschaft ermöglichen. Gegenseitige Hilfe und informelle Ökonomie sind das einzige, das HaitierInnen am Leben erhält. Das war so vor dem Beben und ist es immer noch.

Hilfsanstrengungen müssen die starken Netzwerke der gegenseitigen Hilfe und der informellen Ökonomie stärken, nicht demontieren und ignorieren. Was heisst, sie stärken? Gemeinschaftsküchen in den Lagern, Darlehen an Frauen für den Neubeginn von „ti komés“ (informeller Handel), Umsiedlungen der direkt Bedrohten mit ihrer Beteiligung, Wege finden, um die Leute, die das wollen, nahe bei der Stadt zu lassen. Und wenn, wie wir hören, Dezentralisierung ein Ziel ist, wer redet dann mit den BewohnerInnen von Port-au-Prince über ihre möglichen Vorstellungen von einem Leben ausserhalb der Stadt? Und warum sind von den im Plan (PDNA) verlangten $12.2 Mrd. nur $41 Mio., also 0.3%,  für Landwirtschaft und Fischerei vorgesehen, also für die lokale Nahrungsproduktion?

Haiti: „Wir brauchen Solidarität, nicht Wohltätigkeit“

Auszüge aus einem Interview mit Dukens Raphael, Generalsekretär des haitischen Gewerkschaftsbundes Confédération des Travailleurs des Secteurs Public et Privé (CTSP), das während der Jahreskonferenz vom letzten April der Canadian Union of Public Employees (CUPE), Sektion British Columbia, geführt und am 28.4.10 auch in „Haiti Liberté“ veröffentlicht wurde (We’re looking for solidarity, Charity we’re not interested in).

Port-au-Prince, 1.5.10: CTSP-Demo für besser Lebens- und Arbeitsbedingungen. Foto:  Public Service Internaitonal.

D.R.: Etwa zwei Millionen leben in Zelten. Es gibt viel Kriminelle und Unsicherheit. Die Leute sind nicht in Sicherheit. Wenn sie in riesigen Zeltlagern leben, stehlen die natürlich Sachen, es gibt Promiskuität etc. Aber das Härteste für die Leute ist die Angstpsychose, denn die Regenzeit hat schon eingesetzt. Wenn der Regen kommt, halten die Zelte nicht. So fängt also der Regen an, und gleich anschliessend, im Juni, kommt die Hurrikansaison. Wir gehen davon aus, dass die Situation schlimmer wird. Die Reaktion der Leute in der Regierung bestand darin, statt mit robusteren Zelten, die auch in dieser Saison standgehalten hätten, aufzuwarten, Millionen von Dollars für normale Zelte auszugeben. Die werden nichts taugen.

[…] CUPE: Ist denn die Regierung, die ja selbst ein Durcheinander hat, überhaupt im Stande zu helfen?

D.R.: Es stimmt, dass viele Regierungsgebäude eingestürzt sind.  Und sie hat einige Menschenleben verloren, ja. Aber die Regierung hat die Pflicht, diese Dinge zu lenken, Verantwortung zu übernehmen, zu regieren. In den internationalen Medien kommt viel über dieses  „Durcheinander“, und die Regierung benützt es als Entschuldigung, um nicht die volle Verantwortung zu übernehmen. Aber dennoch gibt es einen Präsidenten, einen Premier und MinisterInnen, die immer noch ihr Salär beziehen. Also sollen sie ihre Arbeit machen. Wenn sie es nicht können, sollen sie zurücktreten. Was ich am meisten fürchte, ist, dass wir bei einer Volksrevolte enden könnten. Die Leute können nachts nicht schlafen. Niemand begleitet sie. Das Risiko ist, dass wir sehen werden, dass die Leute auf der Strasse ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen.

[Der Gewerkschafter erläutert, dass das einzig Positive an der Situation sei, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Differenzen hintan gestellt hätten und zusammenarbeiteten.] Das Problem ist, dass die Regierung sie [die zivilgesellschaftlichen Organisationen]  schlicht ignoriert und nicht arbeitet. Zum Beispiel legte die haitische Regierung am 31. März in New York einen Plan für den Wiederaufbau vor [s. dazu Entwicklungskolonialismus II aus Correos 161]. Aber es gab vorher keine Debatte, keinen Input der Zivilgesellschaft. Stattdessen zwingen sie uns einen Plan auf. Leider kann ich ziemlich fest garantieren, dass er nicht funktionieren wird.

CUPE: Was sagst du nach diesen Tagen des Gewerkschaftstreffens den internationalen Organisationen, wie sie die Hilfe- und Wiederaufbauanstrengungen unterstützen können?

Was den Wiederaufbau betrifft, sagen wir klar,. Dass er zuerst und vor allem von den HaitierInnen kommen muss. Wir müssen entscheiden, was wir brauchen, dann werden wir euch um Hilfe bitten. Mag sein, dass wir Expertise, Know-how benötigen, aber zuerst müssen wir das entscheiden. Es liegt nicht an den Amerikanern und der internationalen Gemeinschaft zu entscheiden, was wir brauchen. Ich sitze hier mit euch zusammen und kann euch aber nicht sagen, was im Wiederaufbauplan drin ist.

[…] Nach Haitis Unabhängigkeitserklärung widersetzten sich die USA der Aufnahme Haitis in den Congress of Nations, Sie wollten Haiti nicht als Nation anerkennen. Frankreich liess Haiti für die Anerkennung zahlen, 150'000 Goldstücke, die heute $20 Mrd. entsprechen. Aber das ist eine andere Diskussion. Man sagt, Haiti sei ein armes Land. Das ist es nicht. Es ist das am meisten ausgebeutete Land. Alle unsere Bodenschätze wurden gestohlen. Ich mag das amerikanische und das französische Volk, aber ihr müsst die von den Kolonialmächten begangenen historischen Ungerechtigkeiten anerkennen.

CUPE: Und wenn sie das nicht machen, werden sie auch nicht erkennen, wie sie heute das gleiche Muster wiederholen?

D.R.: Genau. Die letzten beiden Staatsstreiche – der von 1991, der drei Jahre dauerte, bis zur Rückkehr von Aristide 1994, und der folgende – zeigen das. Aristide hat eine Menge Fehler gemacht, aber das berechtigte nicht dazu, den demokratisch gewählten Präsidenten zu stürzen. Und wir auch jetzt keinen Putsch. Wir sind gegen die Politik von René Préval, aber wir wollen, dass er sein Mandat zu Ende bringt, so dass nach seinem Abgang der demokratische Prozess weitergeht.

CUPE: Kam von internationalen Gewerkschaften eine Hilfe?

D.R.: Ich kann nur für meine Organisation sprechen. Wir erhielten viel moralische Unterstützung, aber sehr wenig konkrete.

Honduras: Deutschland putscht weiter

aus "Junge Welt", 18.5.10

Putsch gelobt

Die Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützt weiter das Regime in Honduras. Gegner des Staatsstreichs ermordet

Von André Scheer
Die deutsche Friedrich-Naumann-Stiftung berät künftig die Nationalpolizei von Honduras. »Auf Bitten von José Luis Muñoz Licona«, dem im März ernannten obersten Polizeichef des Landes, »hat die Stiftung ihre Arbeit mit der Nationalpolizei wiederaufgenommen und wird gemeinsam mit zwei Beamten der deutschen Polizei als erstes eine strukturelle Beratung und eine Analyse der Arbeit und der Aufgaben dieser wichtigen Institution durchführen«, sagte der Vertreter der FDP-nahen Einrichtung in Tegucigalpa, Christian Lüth, am Samstag der dort erscheinenden Tageszeitung La Tribuna. Ziel sei, »das hohe professionelle Niveau der honduranischen Polizei zu garantieren«. Voll des Lobes war Lüth in diesem Zusammenhang auch für die honduranische Armee und den Obersten Gerichtshof, die »besonders im vergangenen Jahr eine außerordentliche Rolle gespielt« hätten. »Beide Institutionen verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung«, so Lüth weiter. Die Armee habe »den Frieden im Land bewahrt und die Verfassung verteidigt«, während die obersten Richter »freie und transparente Wahlen organisiert und durchgeführt« hätten.

Am 28. Juni vergangenen Jahres waren maskierte Soldaten in die Residenz des demokratisch gewählten Präsidenten des zentralamerikanischen Landes, Manuel Zelaya, eingedrungen, hatten ihn mit Waffengewalt verschleppt und in ein Flugzeug nach Costa Rica gesetzt. Anschließend legitimierten die Richter des Obersten Gerichtshofs diesen Putsch mit Verweis auf einen – offenbar nachträglich den Akten hinzugefügten – Haftbefehl gegen Präsident Zelaya und dessen »illegalen« Versuch, das honduranische Volk darüber zu befragen, ob es über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung abstimmen wolle. Während Richter, die sich dem Putsch widersetzten, mittlerweile ihrer Ämter enthoben wurden, wurde dem damaligen Generalstabschef Romeo Vásquez Velásquez vom neuen Staatschef Porfirio Lobo der Chefposten beim staatlichen Telekommunikationsunternehmen Hondutel zugeschanzt. Das immerhin findet Lüth nicht ganz so elegant: »Der Fall des neuen Chefs von Hondutel ist ein sehr gutes Beispiel für eine unnötige Belohnung.« Eine »starke und gesunde Demokratie« brauche unabhängige staatliche Institutionen, so Lüth weiter. »Das war auch das Motto des vergangenen Jahres, als wir Präsident Roberto Micheletti unterstützten, und dies ist es auch jetzt unter Pepe Lobo.«

Die honduranische Menschenrechtsorganisation COFADEH veröffentlicht auf ihrer Homepage eine fortlaufend aktualisierte Liste mit den Namen der durch die Repression der Putschisten ums Leben gekommenen Menschen. Von den 42 hier identifizierten Opfern wurden acht nach dem Amtsantritt Lobos ermordet. Noch gar nicht aufgeführt ist dabei das jüngste Todesopfer des schmutzigen Krieges gegen die Putschgegner. Am Samstag wurde der 27 Jahre alte Gilberto Alexander Núñez Ochoa in Tegucigalpa von Unbekannten vor seiner Haustür erschossen, als er sich gerade mit einem Freund unterhielt, der bei dem Attentat ebenfalls ums Leben kam. Núñez Ochoa gehörte der Kommission für Disziplin und Sicherheit der Nationalen Widerstandsfront (FNRP) an, einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften und linken Organisationen, das sich unmittelbar nach dem Staatsstreich gebildet hatte.

Der gestürzte Präsident Manuel Zelaya, dem von den Behörden in Tegucigalpa noch immer eine sichere Rückkehr in sein Heimatland verweigert wird, tourt unterdessen durch Lateinamerika, um einen »Plan zur nationalen Aussöhnung« vorzustellen, durch den die verfassungsmäßige Ordnung, der Rechtsstaat und die Wahrung der Menschenrechte in Honduras wiederhergestellt werden sollen. In Quito wurde er in der vergangenen Woche von Ecuadors Präsident Rafael Correa empfangen, in Managua beriet er mit Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega, in Caracas mit Hugo Chávez und in Havanna mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro. Ortega kündigte an, mit Lobo telefonieren und diesem die Vorschläge Zelayas übermitteln zu wollen.

Mexiko/Oaxaca: Das Morden geht weiter

Gründer des autonomen Bezirks San Juan Copala ermordet
Philipp Gerber, Oaxaca

(22.5.10) In der Region der Triqui-Indigenen regiert weiterhin die Gewalt. Drei Wochen nach dem Angriff auf eine Menschenrechtskarawane in der abgelegenen Region Oaxacas wurden am 20. Mai Timoteo Alejandro Ramírez (46) und seine Ehefrau Cleriberta Castro (36) erschossen. Ramírez galt als „natürliche Autorität“ seiner Gemeinde Yosoyuxi sowie Gründer und „politisches Hirn“ des autonomen Bezirks San Juan Copala.
Die Angreifer tarnten sich als Verkäufer und schossen das Ehepaar in dessen Lebensmittelladen nieder. Fünf Kinder wurden zu Vollwaisen. Die Attentäter konnten in ihrem Lastwagen fliehen. Augenzeugen erkannten sie jedoch, sie sollen nicht-indigene, bezahlte Mörder aus dem Nachbarbezirk Putla Villa de Guerrero sein. Dennoch macht MULTI die indigene Organisation MULT für den Doppelmord verantwortlich. Von MULT hat sich MULTI 2006 abgespalten und den autonomen Bezirk mit Sitz in San Juan Copala aufgebaut. MULT seinerseits bezeichnet Timoteo Alejandro Ramírez als verantwortlich für das Verschwindenlassen von zwei jungen Frauen im Jahre 2007, was dieser bestritt. Eine seriöse Abklärung der Vorwürfe durch die Behörden fand wie meist nicht statt.
Gleichzeitig mit dem Angriff in Yosoyuxi wurde auch San Juan Copala beschossen. San Juan Copala wird seit sechs Monaten von Anhängern der bewaffneten Organisationen MULT und UBISORT belagert. Vergangenes Wochenende wurden 35 Frauen und Kinder, welche sich in der Bezirksstadt Santiago Juxtlahuaca mit Lebensmitteln eindeckten, auf dem Rückweg von Paramilitärs der UBISORT abgefangen. Einige konnten fliehen, aber 13 Frauen und Kinder wurden entführt und eine Nacht lang misshandelt. Dabei wurden die Triqui-Frauen erst von 300 Polizisten und Vertretern der Regierung zusammen mit dem Chef der UBISORT, Rufino Juárez Hernández, „zurück begleitet“. Aber nicht nach San Juan Copala, sondern in das weit entfernte Yosoyuxi, worauf sich die Frauen alleine auf das letzte und gefährlichste Wegstück machen mussten – und prompt überfallen wurden.

Jorge Albino Ortiz, Sprecher des zapatistisch inspirierten autonomen Bezirks, hält am Aufruf für die Menschenrechtskarawane „Alberta Cariño Trujillo y Jyri Antero Jaakkola“ fest, welche den Namen der beiden am 27. April ermordeten AktivistInnen trägt. Die neuen Morde lassen jedoch grosse Zweifel aufkommen über die Machbarkeit der neuen Karawane vom 8. Juni, solange die Mörder weiterhin auf freiem Fuss sind und offen mit der Regierung kollaborieren. Zudem stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Ermordung von Timoteo Alejandro Ramírez auf den aktuellen Kriegszustand in der Triqui-Zone hat.

SÜDMEXIKO - SOLINEWSLETTER MAI 2010

Donnerstag, 20. Mai 2010

In diesem Newsletter liegt der Schwerpunkt auf Oaxaca, wo eine
internationale Friedenskarawane angegriffen wurde und zwei Menschen ums
Leben kamen. Als Zeichen des Protests dieses Angriffs kann die Eilaktion
von Amnesty International unterschrieben werden.

VERANSTALTUNGEN UND EILAKTIONEN

MENSCHENSTROM-AM 24. MAI 2010
Die Stromkonzerne wollen drei neue AKW bauen. Dagegen wehren wir uns!
Der MenschenStrom führt am Pfingstmontag, 24. Mai 2010 Kinder,
Jugendliche und Erwachsene aus allen Landesteilen der Schweiz sowie aus
Deutschland, Österreich und Frankreich zusammen. Mehr Infos:
http://www.menschenstrom.ch
Start um 10 Uhr in Aarau, Marsch nach Olten um 13.30, Schlusskundgebung
in Olten

GROSSDEMO – FREIHEIT. GLEICHHEIT. WÜRDE. FÜR MICH UND DICH!
Sa, 26. 6. 2010 in Bern, Versammlung 14:30h Waisenhausplatz
Setzen wir ein starkes Zeichen gegen Diskriminierung, Rassismus und
Ausgrenzung und gegen die Ausschaffungsinitiative der SVP! Weitere Infos
auf: www.ohneuns.ch
Demoflyer:
http://www.sosf.ch/cms/upload/pdf/demo10_aufruf_20100506_de_sw.pdf


EILAKTION VON AMNESTY INTERNATIONAL ZUM ANGRIFF AUF DIE FRIEDENSKARAWANE
IN OAXACA (die Ereignisse dazu werden in diesem newsletter geschildert):

BRIEF/FAX SCHICKEN (siehe downloads rechte spalte):
http://www.amnesty.ch/de/laender/amerikas/mexiko/dok/2010/menschenrechtlerinnen-getoetet

PROTESTAKTION VON AMNESTY INTERNATIONAL ZUR RECHTSLOSEN SITUATION VON
MIGRANTINNEN AUF DER DURCHREISE IN MEXIKO:
Fordern wir die mexikanische Regierung auf im Schutz für
zentralamerikanische MigrantInnen aktiv zu werden.

ONLINE UNTERSCHREIBEN:
http://www.amnesty.org/en/appeals-for-action/protect-migrants-mexico

BERICHT UND VIDEO:
http://www.amnesty.ch/de/laender/amerikas/mexiko/dok/2010/bericht-migranten-unsichtbare-opfer







O A X A C A

Indigene Autonomie ist in Oaxaca unerwünscht
Die PRI kämpft mit paramilitärischen Mitteln um ihre Macht. Im
mexikanischen Oaxaca haben Paramilitärs freie Hand. Mit der
Rückendeckung des PRI-Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz gehen sie gegen
Menschenrechtler und die Widerstandsbewegung vor. Artikel im Neuen
Deutschland vom 18.05.2010
http://www.neues-deutschland.de/artikel/171160.indigene-autonomie-ist-in-oaxaca-unerwuenscht.html

Angriff von Paramilitärs auf Friedenskarawane
Am 27. April geriet eine Menschenrechtskarawane in La Sabana in einen
Hinterhalt der Paramilitärs. Die 37-jährige Beatriz Cariño, Direktorin
der sozialen Organisation CACTUS und Mutter von zwei kleinen Kindern
sowie der 33-jähige finnische Menschenrechtsaktivist Jyri Jaakkola
starben im Kugelhagel. Mehrere Personen, die bei dem Angriff flüchten
konnten, tauchten nach einigen Tagen wieder auf, während-dessen die
Hauptverdächtigen, die der paramilitärischen Gruppe UBISORT angehören,
weiterhin frei herumlaufen. Jyri arbeitete auch für das RedproZapa, das
Kaffee von zapatistischen Kooperativen nach Europa importiert.
Mehr dazu auf http://www.chiapas.ch und in folgenden Artikel:


Paramilitärische Milizen marschieren für Frieden und Ordnung in Mexiko-City
Nach dem tödlichem Beschuss von Menschenrechtsaktivisten inszenieren
sich Paramilitärs als Opfer. Dabei beschuldigen sie die autonome
indigene Organisation MULTI, die der zapatistischen Bewegung nahe steht;
sie hätten sich sozusagen selbst attackiert. Diese Verschwörungstheorie
wurde von den regierungsnahen Medien unkritisch übernommen.
http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/mai/mex-92747-miliz

Erneuter Angriff
Die Lage ist weiterhin sehr angespannt. Am 15. Mai wurde eine Gruppe von
35 Frauen und Kindern auf ihrem Weg von San Copala nach La Sabana von
Angehörigen von UBISORT angegriffen, wobei 24 Personen fliehen konnten.
Die Paramilitärs haben 11 Frauen und Kinder entführt, in einer
ehemaligen in eine Militärkaserne eingesperrt und bedroht. Sie wurden
erst am nächsten Tag wieder freigelassen.

Neue Friedenskarawane geplant
Nun ruft die autonome Gemeinde San Juan Copala
Menschenrechtsorganisationen sowie das IKRK und die UNO dazu auf, Ende
Mai hin mit einer neuen Friedenskarawane die Belagerung der Paramilitärs
zu durchbrechen. Diese haben erneut angekündigt, dass die Karawane wegen
der „fehlenden Sicherheit“ in der Region nicht möglich sei.

Radio-Interview zu den Hintergründen des Konfliktes in der Region von
San Juan Copala mit Philipp Gerber, Oaxaca
http://www.npla.de/files/onda/20100504-ondainfo23-01060.mp3
Internationale Proteste
In zahlreichen Ländern gab es Protestaktionen und
Informationsveranstaltungen zu den jüngsten Ereignissen in Oaxaca. In
Deutschland gab es Proteste in Bonn:
http://de.indymedia.org/2010/05/280069.shtml und in Berlin; in der
Schweiz gab es eine kurze Rede am 1. Mai-Umzug und an der „Fiesta
Mexicana“ im Zürcher Rietberg Museum anlässlich der
Teotihuacan-Ausstellung (9. Mai), die von der Mexikanischen Botschaft
unterstützt wird, wurden Flyers verteilt. In Italien, Finnland und
Schweden fanden Informationsveranstaltungen statt. Und in Wien findet
zurzeit eine Protest-Info-Acción statt (3. – 21. Mai).
http://www.chiapas98.de/news.php?id=5380

Die Opfer werden zu Täter gemacht
Die internationalen Reaktionen auf die schrecklichen Ereignisse in
Oaxaca sind geharnischt. Doch einmal mehr werden die Opfer von krassen
Menschenrechtsverletzungen zu Tätern gestempelt. Seit Tagen dauert eine
xenophobe Kampagne der Regierung Ruiz an. Diese findet mitten in einem
von Gewaltakten überschatteten Wahlkampf statt.
http://www.chiapas.ch/?artikel_ID=1019&start=0&j=10



C H I A P A S

Paramilitärs nahmen fünf Zapatisten fest
Der Rat der Guten Regierung von La Garrucha meldete, dass fünf
Zapatisten von Paramilitärs festgenommen wurden und neun Personen als
verschwunden gelten. Nach dreitägiger Inhaftierung im Staatsgefängnis
von Ocosingo wurden die Zapatisten freigelassen. Die Verschwundenen
sollen den Paramilitärs entkommen sein.
http://www.chiapas98.de/news.php?id=5377


Montes Azules: EZLN duldet keine einzige Vertreibung mehr
Der Rat der Guten Regierung von La Realidad denunziert die neuen
Vertreibungen und kündigt an, dass keine weiteren geduldet würden. „Wir
werden unser Land verteidigen, komme was wolle, denn für uns lässt sich
Land nicht verpachten oder vermieten und noch weniger betrachten wir es
als ein Verkaufsobjekt. Das Land liebt man, versorgt man, bearbeitet man
und verteidigt man. Wir sind bereit es zu verteidigen, koste es was es
wolle.“
http://www.chiapas98.de/news.php?id=5354



G U E R R E R O

Guerreros Staudammprojekt La Parota neu umkämpft

Die Atempause war von kurzer Dauer. Gerade mal sechs Monate ist es her,
seit bekannt wurde, dass die mexikanische Energiekommission CFE das
Staudammprojekt La Parota im Bezirk Cacahuatepec oberhalb von Acapulco,
Guerrero, nicht mehr in der Liste ihrer offenen Projekte führt. Dies
feierte der in der CECOP organisierte lokale Widerstand als Sieg.
Gleichzeitig aber blieb die CECOP wachsam, da der Verzicht auf das
Staudammprojekt nicht schriftlich vorlag. Und sie behielt Recht: Nach
gezinkten Lokalwahlen erklärte Eustaquio García Vázquez, der neue,
umstrittene Gemeindeland-Kommissär von Cacahuatepec, der Staudamm sei
unverzichtbar, denn sonst „verdurstet Acapulco“. Interessant ist das
neue Argument der Wasserknappheit. In der Auseinandersetzung um die
Stromgesellschaft „Luz y Fuerza del Centro“ wurde klar, dass die
Stromversorgung Mexikos für die nächsten Jahrzehnte gesichert ist. Die
Megaprojekte dienen rein privaten Interessen, insbesondere für den
Stromexport in die USA. Der CECOP gelang es am 18. April, eine
Gemeindeversammlung zu verhindern, an der eine erste Tranche von 1'300
Hektaren hätten „umgezont“ werden sollen. Die Lage bleibt aber äusserst
angespannt.
Lateinamerika-Nachrichten, Mai 2010
Aktualisierung Mai: Mit der Unterstützung von über 500 Polizisten gelang
es Ende April, die Hektaren in einer von wenigen GemeindebewohnerInnen
besuchten Versammlung umzuzonen und so dem Staudammprojekt zuzustimmen.
Die Proteste gehen weiter, auf juristischer Ebene wie mit
Mobilisierungen versucht der CECOP das Prestigeprojekt des
PRD-Gouverneurs Torreblanca doch noch zu verhindern.



Die gute Nachricht: Europa und Lateinamerika vernetzen Widerstand

In Madrid fand vom 14.-18. Mai der Gegengipfel „Enlazando Alternativas“
statt. Anlässlich des EU-Lateinamerika-Treffens vernetzten sich die
sozialen Bewegungen der beiden Kontinente und protestierten gemeinsam
gegen das Europa des Kapitals und die neoliberale Politik in vielen
Ländern Lateinamerikas. Am 17.05. fand eine Grossdemo mit 15'000
Personen statt. Mehr dazu auf:
http://www.enlazandoalternativas.org/
http://amerika21.de



Peace Watch
LUST AUF EINEN MENSCHENRECHTSEINSATZ IN KOLUMBIEN?

Peace Watch Switzerland (PWS) sucht Menschen, die in Kolumbien einen
Freiwilligeneinsatz als Menschenrechtsbeobachterin oder -beobachter
während mindestens drei Monaten leisten möchten. Einsatzdaten nach
Absprache, ev. bereits diesen Sommer.

Infos zu den Einsätzen in Kolumbien findest du auf der PWS-Website

http://www.peacewatch.ch/public/frameset.aspx?cat=5&lang=DE. Bei Fragen
kannst du dich auch gerne an die Projektkoordinatorin wenden:
colombia@peacewatch.ch.

El Salvador: Präsident will FMLN abschütteln

Sonntag, 16. Mai 2010

(zas, 16.5.10) Bei seinem Versuch einer kontinentalen Gegenoffensive gegen die Aufbruchbewegung in Lateinamerika trifft der Imperialismus in El Salvador auf einen eigentümlichen Bündnispartner: Staatspräsident Mauricio Funes. Dieser verfolgt das alte US-Projekt einer „aufgeklärten Mitte“ gegen den FMLN, die nach US-Design vom „moderaten“ Flügel der bisherigen Regierungspartei ARENA bis zur „modernen“ Strömung im FMLN reichen soll. Funes hat gestern mit der Lancierung seines „Movimiento Ciudadano por el Cambio“ (Bürgerbewegung für den Wandel) den Versuch offizialisiert, dem FMLN seine Basis abzugraben und die ehemalige Guerilla bei den nächsten Wahlen auflaufen zu lassen. Es ist eine offene Frage, wie lange der FMLN noch an der Regierung beteiligt sein wird.

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Ecuador: Merkwürdige Einheiten

Samstag, 15. Mai 2010

(15.5.10) Indigene Aufstände gegen den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der ein Gesetz für die Privatisierung des Wassers durchpeitschen will! (Glücklicherweise aber behindert gerade das Oberste Gericht eine solche Infamie!) Lernt der autokratische Correa nie, mal jemandem zuzuhören, die/der nicht ganz seiner Meinung ist? So oder ähnlich sind Berichterstattung und Tonlage zu Ecuador, im Mainstream und auch in linken Medien. Eine verblüffende Übereinstimmung … die zu denken gibt.

Wir wissen viel zu wenig für eine genauere Einschätzung. Immerhin stimmt die Information aus dem untern wiedergegebenen Artikel aus amerika21.de nachdenklich, wonach die rechte Opposition das von Correa betriebene Wassergesetz scheitern lassen will. Ein echter Fortschritt für eine rechte Parlamentsmeute, der es ansonsten nicht „privat“ genug zugehen kann.

Wir denken, auch Mitteilungen wie die folgende des ecuadorianischen Aussenministeriums würden es verdienen, wahrgenommen zu werden:

"Die Regierung von Ecuador wird von den Mitgliedsländern Europäischen Union verlangen, dass sie die am 18. Dezember 1990 von der UNO-Generalversammlung verabschiedete Internationale Konvention über migrantische ArbeiterInnen und ihre Familienangehörigen ratifizieren. Die Regierung von Ecuador ist der Meinung, dass 20 Jahre für die entwickelten Länder ausreichen, um diese Konvention zu ratifizieren, die Artikel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung weiterentwickelt. […] In diesem Sinne ruft das ecuadorianische Aussenministerium die lateinamerikanischen Länder und die europäischen Organisationen für die Verteidigung der Rechte der migrantischen ArbeiterInnen dazu auf, diese Initiative der Regierung von Ecuador am VI. Gipfeltreffen Europäische Union – Lateinamerika und Karibik zu unterstützen“ (http://www.mmrree.gov.ec/2010/bol316.asp).

Der Gipfel wird am 18. und 19. Mai in Madrid stattfinden.

Hier nun der Artikel aus amerika21.de zum Wassergesetz.


15.05.2010
Wassergesetz in Ecuador verschoben
Regelung wird erst in mehreren Monaten erneut beraten. Präsident Correa erhebt Vorwürfe gegen einige indigene Gruppen
Von Albert Köstler, Guayaquil
amerika21.de


Quito. Die ecuadorianische Regierungspartei Alianza País hat ein geplantes Gesetz zur Regelung der Wasserressourcen nicht zur Abstimmung vorgelegt. Ursprünglich war die Abstimmung über das neue "Gesetz über die Wasserressourcen, Gebrauch und Nutzbarmachung des Wassers" für Donnerstag geplant.
Die Regierung zog den Antrag zurück, nachdem unsicher war, ob das Gesetz die notwendige Mehrheit im Parlament finden würde. Parlamentspräsident Fernando Cordero beschloss daraufhin den Entwurf einer sogenannten "vorgesetzlichen Konsultation" zu unterziehen. Dieser Prozess wurde vom Verfassungsgericht Mitte März für Gesetze bestätigt, die "kollektive Rechte einiger Nationalitäten betreffen". Gemeint sind die indigenen Volksgruppen.
Corderos Vorgehen stieß auf Unmut der Opposition, die das Gesetz als Ganzes scheitern lassen wollte. Kurz vorher war ein Antrag der Regierungsvertreter zur Einleitung der Konsultation im Parlament knapp gescheitert. Der Parlamentpräsident leitete den Vorgang daraufhin auf administrativem Wege ein, indem er sich explizit auf das Urteil des Verfassungsgerichtes bezog.
Einige indigene Verbände bekämpfen das Gesetzesvorhaben mit teilweise militanten Mitteln. Ihrer Meinung nach leistet das neue Gesetz einer möglichen Privatisierung von Wasser Vorschub. Die Regierung bestreitet dies vehement und verweist auf den Text der Bestimmung, in dem eine Privatisierung ausdrücklich verboten wird.
Hauptstreitpunkt aber ist die Zusammensetzung einer geplanten Wasserbehörde. Nach vorliegendem Gesetzestext wird die Leitung dieses neuen Gremiums vom Präsidenten der Republik ernannt. Der Wasserrat setzt sich demnach aus 50 Prozent Vertretern der Regierungen (Landesregierung, Provinzregierung und nachfolgende Ebenen) und 50 Prozent Vertretern der indigenen Gruppen und Verbraucherverbände zusammen. Die Indigenen wollen einen höheren Vertretungsanspruch. Präsident Rafael Correa sprach sich dagegen aus.
Correa hat mehrfach die Vermutung geäußert, dass hinter den Protesten einiger indigener Vertreterorganisationen ausländische Kräfte stecken. Ihr Ziel sei es, die Linksregierung zu spalten und zu stürzen. Er verwies dabei auch auf die Vorgänge in Bolivien, wo zeitgleich einige indigene Vertreter gegen die Regierung von Evo Morales zu Felde ziehen, der ähnliche Vorwürfe wie Correa erhob.
Nach der Überweisung des Gesetzesantrags zur "vorgesetzlichen Konsultation" durch den Parlamentspräsidenten dürften jedenfalls mehrere Monate vergehen, bis das Wassergesetz, dann vielleicht in geänderter Form, zur Abstimmung gelangen kann.

Honduras: Ein Mord und eine Räumung

Freitag, 14. Mai 2010

(14.5.10) Am 8. Mai gab die Umweltschutzorganisation Movimiento Ambientalista de Olancho (MAO) die Ermordung ihres Mitglieds Adalberto Figueroa am Morgen des selben Tages in der Gemeinde Guata im Departement Olancho bekannt. Der Katechist war mit einem elfjährigen Sohn in der Nähe seines Hauses am Holzsammeln, als mehrere Maskierte ihn niederschossen. Das MAO, Mitglied der Widerstandsbewegung FNRP, stellt den Mord in den Zusammenhang des Kampfes und sagt: „Wir wissen, dass hinter diesem Mord ein von Holzunternehmern gut aufgestellter Plan steckt, mit denen er [Adalberto Figueroa] sich für die Verteidigung des Rechts der Comunidad gegen die unhaltbare Ausbeutung der Holzressource in der Zone angelegt hat. Wenige Tage zuvor hatte er beim Nationalen Forstinstitut ICF den Antrag auf einen Stopp des Holzschlages in dieser Zone eingereicht und es hatte eine Vollversammlung gegeben, in der der Beschluss gefasst wurde, die Schritte zu unternehmen, um die Zone wegen ihrer Wichtigkeit für die Gemeinde zur Waldschutzzone zu erklären. Das hat zweifellos die Holzausbeuter gestört, die dadurch ihre Interessen bedroht sahen und Auftragskiller auf Adalberto angesetzt haben. Es muss erwähnt werden, dass nach dem Putsch der Holzschlag intensiviert worden ist“. An anderer Stelle schreiben die GenossInnen von Adalberto: „Heute sind wir traurig und empört. Schon neun UmweltschützerInnen sind ermordet worden und die Fälle bleiben ungesühnt. Wir haben diese Morde bis zum Überdruss angezeigt und die Behörden unseres Landes schenken ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit. Wir wissen, dass hinter den öffentlichen Justizverantwortlichen eine Unternehmermacht steht, welche ihnen vorschreibt, wie und gegen wen sie vorzugehen haben“.

Quelle: Comunicado MAO auf www.resistenciahonduras.net (Webseite der Widerstandsfront).

Während die Morde an Medienleuten international für Aufsehen sorgen – selbst bei der OAS, nicht aber bei „Reportern ohne Grenzen“ -, geht die Repression also weiter. Die Widerstandsfront FRNP hat vor wenigen Tagen eine Riesenaktion lanciert, die zum Zweck hat, 1.5 Millionen Unterschriften für die Installierung einer Verfassungsgebenden Versammlung zu sammeln (bei einer Gesamtbevölkerung von rund 7 Millionen). Gleichzeitig gibt es jetzt auch Bestrebungen aus dem rechten, putschistischen Lager für eine Verfassungsreform. Denn die 1982 vom US-Prokonsul John Negroponte dem Land verpasste Verfassung ist derart schlecht, in sich widersprüchlich und unbrauchbar, dass auch diese Kreise die Notwendigkeit einer neuen Verfassung diskutieren. Natürlich sollen dabei die Anliegen, um die es unter Zelaya und im Widerstand gegen den Putsch ging – soziale Rechte, indigene und Garifuna-Autonomie, keine Privatisierung lebensnotweniger Güter wie Wasser, keine fremden Militärbasen im Land u.a. – exakt nicht vorkommen.

In welche Richtung die Reise gehen soll, machen neue Vorkommnisse in der von Landunruhen erfassten Region Bajo Aguán deutlich. Hintergrund: Im Lauf der neoliberalen Agrarkonterreform der 90er Jahre haben sich drei Grossunternehmen, allen voran Miguel Facussé, einer der wenigen Grosskapitalisten im Land und führender Putschboss, Ländereien von Agrarkooperativen angeeignet, auf welchen diese neben Nahrungsmittel auch afrikanische Ölpalmen angebaut haben, die heute auch für die Produktion von Agrosprit wichtig sind. Facussé & Co. dominieren das Palmenbusiness im Land. Militär, Polizei und Paramilitärs der Grossunternehmer gingen wiederholt blutig gegen die organisierten Kooperativen vor. Am 14. April schien eine Wende erreicht worden zu sein, als Putschistenpräsident II Porfirio Lobo und das MUCA, die Kooperativorganisation der Gegend, einen „Friedensvertrag“ unterzeichneten, der eine partielle Umsiedlung der Kooperativen, die Zuteilung von Land und den Stopp aller Landvertreibungsaktionen beinhaltete (s. hierzu Honduras: Terror gegen Journis / Position der Jesuiten / Agrarkonflikt/ Minenparadies). 

In einem Interview mit Jesse Freeston von The Real News meinte ein MUCA-Führer zum Abkommen: Es ist „nicht, was wir wollten. Aber wir verhandelten mit einem M-60 an der Schläfe. [Die Armee] hat alle zwei Kilometer Checkpoints in unseren Dörfern errichtet. Sie hat die Leute auf unseren Pflanzungen von allen Seiten umzingelt. Wie sollen wir unter diesen Umständen verhandeln?“ (s. Video). Nicht, was die BäuerInnen wollten, aber immer noch eine Zumutung für Facussé. Die Militarisierung der Gegend geht weiter, trotz Abkommen. Trotz richterlichem Verzicht auf Räumungen nach dem Abkommen kam es am 12. Mai zur Räumung der Comunidades El Despertar und La Trinidad, wie die honduranische Red Morazánica de Información berichtete. Die linke Agentur geht davon aus, dass den lokalen Sicherheitskräften die Anordnungen des Staatspräsidenten egal sind. Wilfredo Paz, Sprecher des MUCA, rechnet mit rund 300 Haftbefehlen, die „in den nächsten Tagen vollzogen werden sollen. Dies begleitet von der permantenten Beschattung durch Militärs und Paramilitärs, die sich in Wagen ohne Nummernschildern fortbewegen“ („Nuevo desalojo en el Aguán empresarios quieren imponer su propia ley“, resistenciahonduras.net). Bei der Räumungsaktion wurden laut Wilfredo Paz im Kontext der allgemeinen Militarisierung der Gegend 500 Soldaten und Polizisten eingesetzt. Die Menschenrechtsorganisation COFADEH fügt ihrerseits an: „Obwohl das Regime behauptet, es handle sich [bei der Räumungsaktion] um eine Operation zur Verbrechensbekämpfung und allgemeinen Entwaffnung, schossen die Sicherheitswachen der Grossgrundbesitzer Facussé und Morales auf den Ländereien, wo die BäuerInnen der Kooperative El Despertar waren, in die Luft“ (defensoresenlinea.com).

Freihandel I: Europas gieriger Blick nach Süden

Freitag, 7. Mai 2010

3 kleine Beiträge zum drohenden Freihandelsabkommen EU/Zentralamerika:

1. Eine kleine Einführung in europäisches Wesen im Isthmus.
2. Wie es zur lateinamerikanischen Ohrfeige für den spanischen Sozi kam oder: ein Putsch bleibt ein Putsch.
3. Krise im Verhandlungsprozess und FMLN legt sich quer.
___________
 1.

Das geplante Assoziierungsabkommen der EU mit Zentralamerika droht die soziale Spaltung zu vertiefen

Torge Löding
 
http://www.amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/apr/tlc-91273637-eu-la/

(5.4.10, San José, Costa Rica) Der Export steigt, die Menschen hungern - Kaffeeanbau in der Monokultur
San José (Costa Rica). Die Verhandlungspartner aus Europa und Zentralamerika geben sich optimistisch: Bereits Anfang Mai soll das Assoziierungsabkommen zwischen den beiden Regionen stehen. Der Putsch in Honduras soll kein Hemmschuh für die Apologeten des Neoliberalismus sein – hinter den Kulissen habe insbesondere die costaricanische Delegation Werbung für das Weiterführen der Verhandlungen gemacht, berichten Insider.
All das, was die EU da seit Oktober 2007 mit Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica verhandelt – Panama hat Beobachterstatus –, entspricht der "Lissabon-Strategie", auf die sich Europas neoliberale Regierenden im März 2000 verständigten. Die Eckpunkte dieser Strategie sind zusammengefasst im Strategiepapier "Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt" (März 2006), eine aggressive Freihandelsagenda zu Gunsten europäischer Konzerne. Schwerpunkte sind:
·    Öffnung der Dienstleistungssektoren des Südens für europäischen Konzerne;
·    Sicherer Zugang zu und Kontrolle der strategischen Bodenschätze wie Mineralien, Erdöl, Energie, Land, Artenvielfalt und Wasser;
·    Öffnung der Beschaffungskäufe zentralamerikanischer Regierungen für europäische Lieferanten;
·    Urheberrechtsschutz zu Gunsten der Konzerne;
·    Verbesserung des Schutzes von Investitionen aus Europa;
·    Abschaffung staatlicher Hilfen für lokale Firmen in Zentralamerika;
·    Fällen der Zollschranken.
Von der Freihandelszone mit Europa profitieren freilich auch zentralamerikanische Exporte. Ganz besonders in Costa Rica, dem zentralamerikanischen Hauptexporteur nach Europa. Im Jahr 2007 summierten sich die Exporte aus Costa Rica auf 8,2 Milliarden US-Dollar, 50 Prozent davon generierte die Warenausfuhr nach Europa, 49 Prozent in die USA und nur ein Prozent in andere Märkte. Die wichtigsten Exportprodukte sind dabei Ananas, Banane, Kaffee, Honigmelone und Mango. Mehr als die Hälfte der Ananasproduktion und etwa ein Drittel der Kaffeeproduktion wird in die EU exportiert.
Aufgrund der relativen Kaufschwäche der internen Märkte in Zentralamerika bildeten sich in allen Ländern agroindustrielle Konglomerate, die gigantische Monokulturen unterhalten. Regenwälder werden abgeholzt, das Grundwasser mit Pestiziden vergiftet und Viehbauern vertrieben. Während zahlreiche Zentralamerikaner von Hunger bedroht sind, wachsen auf diesen Feldern dann nur Exportprodukte für den Nachtisch in den Industrienationen.
Der Agrarexportsektor wird potentiell vom Wegfallen der Zollschranken profitieren. Ein Wirtschaftsbereich, in dem die Konzentration von viel Boden in Händen einer kleinen Elite besonders ausgeprägt ist, der die meisten staatlichen Subventionen erhält und beherrscht wird von der traditionell ultrakonservativen Landoligarchie Zentralamerikas.

Unser Autor arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica

Freihandel II: Ohrfeige für den Conquistador

(7.5.10) Am 18. Mai findet in Madrid der 6. Regierungsgipfel EU/Lateinamerika/Karibik statt. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Zapatero agierte im Vorfeld „ungeschickt“. Erst lud er den honduranischen De-facto-Präsidenten Porfirio Lobo zum Gipfel ein, nur um dann zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass er dann den Event abschrieben kann. Erst waren es Rafael Correa, der Präsident von Ecuador, und seine Kollegen der anderen ALBA-Staaten, die mitteilten, wenn das Putschregime II beteiligt sei, würden sie nicht kommen. Vorgestern nahm auch die Mehrheit der Mitglieder des südamerikanischen Staatenbündnis Unasur eine ähnliche Position ein (offiziell haben in Südamerika bisher nur Peru und Kolumbien die Wahlfarce Lobo als Sieger vom letzten November anerkannt). Marco Aurelio García,  der einflussreiche Berater von Lula, meinte: „Falls Honduras sich beteiligt, werden mindestens zehn lateinamerikanische Präsidenten, angefangen bei Präsidenten von Brasilien, nicht nach Madrid gehen“. Der spanische Aussenminister Moratinos liess mittlerweilen verlauten, die Einladung an Honduras gelte nur, wenn es dazu in Lateinamerika Einigkeit gäbe.

Was aber erklärt das gründlich missratene Vorprellen der spanischen Sozialdemokratie? In Madrid wusste man schliesslich bestens, dass bisher die honduranische Putschverlängerung noch in manchen Staaten auf Ablehnung stösst.

Ein Element ist zweifellos der Freihandelsvertrag EU/Zentralamerika, den Brüssel noch vor dem Gipfel unter Dach und Fach kriegen wollten. Für den Deal kam der Putsch in Honduras ungelegen, will Brüssel doch für seine globale Ausbeutungs- und Unterwerfungsstrategie das Branding als besonders demokratisch und entwicklungsfördernd verankern. Die EU musste ihre Verhandlungsoffensive erst sistieren, dann unter Ausschluss von Honduras weiterführen. Doch kaum war die Wahlfarce vorbei, preschte Zapatero mit der Anerkennung der „freien Wahlen“ vor.

Die Nichtanerkennung Lobos (noch) durch eine Mehrheit der südamerikanischen Staaten gefährdet das Assoziierungsabkommen (AA) nicht grundsätzlich, da die zentralamerikanischen Regierungen (bis auf jene Nicaraguas) in dieser Frage auf Washingtoner Kurs sind. (An einem von Zapatero und Barroso jetzt geschalteten Nebengipfel EU/Zentralamerika in Madrid darf Lobo dabei sein). Dennoch ist die Ausladung Lobos vom EU/Lateinamerika/Karibik-Gipfel ein empfindlicher Rückschlag für die EU. Denn das AA mit Zentralamerika soll auch als Türöffner für entsprechende Offensiven weiter im Süden dienen. Zudem ist noch unklar, wie die Unasurstaaten auf den neuen Trick mit den „zwei“ fast parallelen Gipfeln reagieren werden. Je nach Entwicklung des Gipfels dürfen wir uns zusätzlich zur täglichen Kosten der GriechInnenhetze auch wieder auf EU-mediales Gegeifer gegen die „Populisten“ in Lateinamerika gefasst machen.

Freihandel III: Abkommen am Schleudern, FMLN kritisiert EU

(7.5.10) Pünktlich auf den EU/Lateinamerikagipfel vom 18. Mai in Madrid sollte das Assoziierungsabkommen (AA) der EU mit Zentralamerika unterzeichnet werden. Doch daraus wird höchstwahrscheinlich nichts. Denn obwohl die zentralamerikanischen Regierungen (bis auf Nicaragua) und Wirtschaftsverbände nur zu gerne auch mit der EU ein für sie lukratives Unterwerfungsabkommen firmieren möchten, scheint Brüssel in der letzten, so eben zu Ende gegangenen Verhandlungsrunde nochmals einen Zacken zugelegt haben. So forderte es die Marktöffnung des Isthmus für jährlich 5000 Tonnen Milchpulver und 3000 Käse aus Europa, was insbesondere die salvadorianische Unternehmerdelegation in Rage versetzte: Gegen die hoch subventionierten europäischen Milchprodukte haben die einheimischen grossen Viehzüchter keine Chance. Die salvadorianische Regierungsdelegation verliess die Verhandlungen, gefolgt von jenen von Honduras und Nicaragua. Weitere Uneinigkeiten in Handelsfragen gibt es auch in Bereichen wie Rum, Zucker, Bananen, Textilien u.a. Das bedeutet natürlich nicht zwangsläufig ein Scheitern des AA, sondern kann einfach nach mehr Zeit verlangen. Andererseits scheint sich eine Spaltung im Isthmus abzuzeichnen: Guatemala, Costa Rica und das neu dazu gekommene Panama haben die letzte Verhandlungsrunde nicht unterbrochen und sich damit für Brüssels Pläne des Weichklopfens auch nur der geringsten gemeinsamen „Abweichung“ im Isthmus funktional gemacht.

Eigentlich ist es eigenartig, dass Brüssel in dem volumenmässig fast bedeutungslosen Handelsbereich Konditionen durchdrücken will, die in Zentralamerika auch Rechten die Haare zu Berge stehen lassen. Für die EU definitiv wichtiger dürften Bereiche wie das Aufknacken des staatlichen Beschaffungswesens oder die Patentregelungen sein. Jedenfalls kann das Abkommen real wohl in Nicaragua und/oder El Salvador entgleisen. Die sandinistische Regierung sitzt weniger aus Überzeugung, denn wegen des Machtverhältnisses am Verhandlungstisch. Sie hatte letztes Jahr mit der Forderung nach einem Kompensationsfonds von $40 Milliarden für die zentralamerikanischen Wirtschaften eine Weile die Verhandlungen auf Eis gelegt, was für die EU ein schlechter Witz ist. Hintergrund der Forderung ist natürlich die evidente Ungleichheit der „Spiesse“ der beiden Regionen. Es ist wohl nicht ausgeschlossen, dass Managua in dieser Frage erneut Gas gibt. In El Salvador ist die Regierung von Funes auf Abkommenskurs und hat deshalb als Chefunterhändler jenen Schurken auf dem Posten gelassen, der schon das Freihandelsabkommen mit den USA „verhandelt“ hat. Das Plazet der Grossunternehmerverbände dürfte mit einigen faulen „Nachbesserungen“ der Brüsseler Position zu kriegen sein und Funes würde liebend gern schon in Madrid unterschreiben. Unklarer ist die Situation im Parlament, das dem Ding  zustimmen muss, soll es in Kraft treten.

Vorgestern hat der FMLN eine Erklärung gegen die Verabschiedung des vorliegenden Vertragswerkes veröffentlicht. Die Rede ist dabei von „einem typischen Freihandelsvertrag“, womit der europäischen Rhetorik von einem Vertrag der „guten“ Sorte begegnet wird. Der FMLN betont auch, dass die offizielle Zielsetzung des AA , „den zentralamerikanischen Integrationsprozess zu fördern“, unterwegs verloren gegangen ist: „Dies zeigen die bedingungslose Reintegration von Honduras in den Verhandlungsprozess, und damit die Nichtbeachtung des Bruchs der demokratischen und verfassungsmässigen Ordnung, und der Einbezug von Panama als Verhandlungspartner, eines Landes, das das sich an den Abkommen über die zentralamerikanische Wirtschaftsintegration nicht beteiligt und offen bestrebt ist, die Institutionalität der regionalen politischen Integration zu schwächen“. An anderer Stelle heisst es: „Die Logik der Freihandels- und Investitionsverträge hat unseren produktiven Apparat tief geschwächt, Arbeitslosigkeit und Auswanderung gefördert, unsere Biodiversität nicht beschützt und die Rolle des Staates geschwächt. Gleichzeitig wurde die Makroökonomie mit wachsenden Handelsbilanzdefiziten beeinträchtigt.“ Kein Wunder, schliesst die Erklärung mit diesen Worten: „Es ist angesichts dieses Panoramas  angezeigt, darauf hinzuweisen, dass der Verhandlungsprozess in eine Sackgasse gelangt ist, da der europäische Teil ausschliesslich seine Interessen zum Verhandlungsgegenstand zu machen versucht. Angesichts dieser Umstände ist für den FMLN gleich wie für breite soziale und Untermehrsektoren klar, dass es nicht im nationalen Interesse liegt, den Verhandlungsprozess weiterzuführen. Nur eine radikale und ehrliche Änderung der europäischen Haltung könnte allfälligen weiteren Verhandlungen Sinn geben“.

Nun gibt der Ochs bekanntlich keine Milch. Könnte es dem FMLN gelingen, in dieser Frage eine Mehrheit im Parlament (in dem er in der Minderheit ist) gegen eine Allianz von Rechten und der Gruppe um den Staatspräsidenten zu zimmern? Schön wäre es.

Correos 161, 14. April 2010

Mittwoch, 5. Mai 2010

Inhaltsverzeichnis und ausgewählte Artikel zu "Modelldörfern" in Chiapas, Widersprüchen in Ecuador, komplexer Entwicklung in El Salvador, Niedergang des Weltsozialforums und katastophenkapitalistischer Entwicklungsdiktatur in Haiti.

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