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Das US-Südkommando erklärt sein Interesse an Lateinamerika

Donnerstag, 26. Januar 2023

 (zas, 26. 1.23) Der Putsch in Peru, von der NZZ etwa wie gewohnt als Stärkung des Rechtsstaats dargestellt, ist Teil einer grossangelegten Strategie Washingtons zur Aufrechterhaltung der US-Kontrolle im ganzen Kontinent südlich des Rio Grande. Die brutale Repression des indigen-bäuerischen Aufstandes gegen das Putschdiktat wird bislang von der internationalen Wertegemeinschaft widerspruchslos geschluckt. Kritische «Anpassungen» werden wohl nur erfolgen, wenn sich abzeichnet, dass der Widerstand die Interessen hinter dem Putschregime – die ökonomische Konkurrenz Chinas in Peru möglichst liquidieren, die Ausbeutung der Naturressourcen verschärfen[1], Modernisierung des Kolonialismus - massiv gefährdet. Im Folgenden zwei Beispiele zur neoputschistischen Strategie des westlichen Imperalismus:

 

US-Südkommando – «Gas geben»

 In Lateinamerika sorgt derzeit ein Gespräch der Kommandantin des gegen Lateinamerika gerichteten US-Südkommandos (Southcom) für Aufsehen. Die Generalin Laura Richardson sprach in dem vom NATO-liierten Thinktank Atlantic Council geleiteten Interview vom vergangenen 19. Januar relativ Klartext. China mit seiner in Lateinamerika stark präsenten «Seidenstrasse» identifiziert sie wenig überraschend als wichtigsten «bösartigen» Gegner im Südkontinent, gefolgt erst von Russland mit seinen Verbündeten Venezuela, Kuba, Nicaragua und danach von der Migration verursachenden transnationalen Kriminalität.

Spannend war ihre Begründung, warum Lateinamerika wichtig sei. Die Region sei «so reich an Ressourcen», verkündete sie und führte in Minute 26:30 des Interviews aus: «Warum ist diese Region wichtig? Mit all ihren reichen Ressourcen und Elementen der seltenen Erden; wir haben das Lithium-Dreieck, das heute nötig für die Technologie ist. 60 Prozent des globalen Lithiums ist im Lithium-Dreieck Argentinien, Bolivien, Chile. Wir haben die weltgrössten Reserven» wie die Ölfelder in Guyana. «Wir haben auch die venezolanischen Ressourcen mit Öl, Kupfer, Gold». China beziehe «36 Prozent seiner Nahrungsmittel aus der Region. Wir haben die Amazon-Lungen der Welt; wir haben auch 31 Prozent des globalen Süsswassers in dieser Region». Richardons Schlussfolgerung im Einführungsreferat: «Wir haben viel zu tun. Diese Region ist wichtig. Sie hat viel zu tun mit nationaler Sicherheit und wir müssen Gas geben» (28:15).

Im Gesprächsteil erläuterte die Offizierin Aspekte des Aufgabenbereichs des Southcom. Sie betonte dabei auch den Soft-Power-Aspekt der US-Militärpräsenz in Lateinamerika und der Karibik und nannte in diesem Zusammenhang den Einbezug von Frauen in die US-Streitkräfte, wie er in Lateinamerika jetzt beginne. Und sie meinte, die «Partnernationen» «haben nicht die Macht der Einberufung. Ich meine, sie haben nicht die Kapazität, ein Manöver zu machen und 26 Partnernationen zusammen zu bringen.» Die USA dagegen führten in der Region jährlich acht grosse gemeinsame Manöver durch.

Zum Aspekt Soft Power gehören die von Richardson betonte Kapazität des Southcom für Interagency-Vernetzung. Sie erwähnt etwa die Verbindung mit dem Army Corps of Engineers (wichtig etwa für infrastrukturelle Projekte), Academia und anderen.[2] Soft Power beinhaltet auch die «Schulung» der Armeen für die Übernahme der als vorbildlich taxierten  Vorgehensweisen, Werten und organisatorischen Strukturen der US-Streitkräfte. Das schliesst eben den Einbezug von nicht-militärischen Entitäten in diesen Ländern ein. Wo diese Prozesse unter Anleitung des Southcom laufen, spricht die Generalin von Team Democracy.

Sie erwähnte in diesem Zusammenhang auch, dass das Southcom sich etwa mit Amcham, der US-amerikanischen Handelskammer, koordiniert. Auch zum Aufgabenbereich des Southcom gehöre, Projekte mit Finanzierungsmöglichkeiten für US-Investitionen in Lateinamerika auszuloten. Bei einschlägigen Treffen gehe es um Folgendes: «Welche Projekte haben wir, habt ihr, die startbereit sind. Und flls ihr das nicht habt, lasst uns ein paar Projekte zusammenstellen» und die Finanzierungsmöglichkeiten anschauen.

Solche Zusammenhänge werfen ein Licht auf die Frage, warum Biden & Co. den Putsch in Peru sofort begrüssten.

Die Interviewerin fragte, ob das Southcom mit seinen im Vergleich zu anderen internationale US-Kommandos doch beschränkten Ressourcen an Personal, Ausrüstung und Finanzen in Lateinamerika als «verlässlich» betrachtet werde. «Ich denke, unsere Partner wissen, dass wir verlässlich sind, dass wir fähig sind, denn sie sehen, zu was wir in der Ukraine imstand sind.»

 


Biden auf Trump-Kurs

Vor zwei Monaten brachte The Intercept eine Mitteilung zu einem geleakten Dokument des State Departments zum Putsch in Bolivien gegen den Wahlsieg von Evo Morales 2019. Das Department  übernimmt darin die Behauptung der Trump-Administration und der von dieser gepushten Organisation Amerikanischer Staaten. Bei der elektronischen Auszählung des Resultats habe die Regierung von Morales betrogen. So sei die vorläufige, nicht entscheidende Auszählung urplötzlich gestoppt worden und nach ihrer Wiederaufnahme habe Evo zugelegt und die rechte Konkurrenz geschlagen. Animiert übernahm das Mediengros diese Darstellung, allenfalls mit einer Krokodilsträne, dass auch Indios korrupt sein können. Nun, die Sache ist längst geklärt. Eine Reihe prominenter US-Statistikerinnen und Wahlexperten hatte nämlich bestätigt, was die Spatzen schon längst von den Dächern der bolivianischen Hütten herunterpfiffen: Die Trendwende war das Resultat davon, dass die Stimmzettel aus entlegenen indigenen Ortschaften zum Schluss gezählt wurden. Der Unterbruch stellte auch kein «unerklärliches» Ereignis dar, sondern markierte den Zeitpunkt der Kräfteverlagerung auf die beginnende definitive Auszählung auf Basis der Unterlagen aus den Wahlzentren, die nun eingetroffen waren.

Das State Department wiederholt in seiner Darstellung exakt die Behauptungen der OAS, die zum Signal für den faschistischen Putsch und eine neue Welle von Angriffen auf indigene Comunidades wurden. Und bringt noch eine Zugabe. The Intercept beschreibt sie so: «Nach dem [erneuten Wahlsieg des 2019 gestürzten MAS] begann die Partei 2020 eine Reihe von PutschanführerInnen wegen Menschenrechtsverletzungen, Terrorismus und Korruption während ihres kurzen Regimes zu belangen. Jetzt frei von der Bedrohung durch Verfolgung, kritisierte 2021 einer der in [den Unterbruch] involvierten Offiziellen die OAS-Vorgehensweise. Der State Department-Bericht nennt den Rücktritt des Offiziellen, Vizepräsident des Wahlgerichts Antonio Costas, als weiteren Grund für Zweifel am Wahlresultat. Doch Costas sagt, er sei wegen der überwältigenden Beweise, dass das Vorrücken von Morales legitim war, zurückgetreten.»

Im letzten Quartal 2022 versuchte sich die weisse Elite des reichen Departments Santa Cruz erneut an einem gewaltsamen Umsturz. Der Bericht des State Departments diente da zur «moralischen Rückenstärkung». Dieser Versuch ist vorerst gescheitert, sein Anführer Camacho, Gouverneur von Santa Cruz, antiindigener Aufhetzer und Zentralfigur während des Putsches 2019, sitzt jetzt wegen Beteiligung an Putschverbrechen in U-Haft.

 

 

«Team democracy» im Kontinent

Neoputschismus, Lawfare, Regime Change, Sanktionen – Aspekte einer gefährlichen Strategie gegen den Versuch in Lateinamerika, die Politik des gesellschaftlichen Wandels wiederaufzunehmen. So scheint die erneute direkt militärische Beherrschung Haitis primär wegen des Zögerns Kanadas, die von Washington dafür vorgesehene Lead-Funktion zu übernehmen, ins Stocken geraten, aber nicht abgesagt zu sein. In Argentinien wütet der Justizkrieg gegen alle und alles, was nicht auf oligarchischer und imperialistischer Linie liegt (auch das medial oft als «Stärkung des Rechtsstaats» verkauft). In Peru sind Glencore und ihresgleichen mit dabei im team democracy. In Brasilien ist bezeichnenderweise der Putsch gegen Lula noch nicht erfolgreich, da Biden darauf setzt, Lula und die Seinen mit ökonomischem Druck kirre zu machen – und da Bolsonaro nun wirklich nicht als Demokratiehoffnung dargestellt werden kann. In Kolumbien tanzt die in Manchem vorbildliche Regierung von Gustavo Petro auf einem Vulkan von extrem rechten Streitkräften, Narkos, Paramilitärs, Oligarchie und dominierenden US-Militärbasen. In Honduras versuchen die USA & Co. gerade die «Umarmung des Bären», um die fortschrittliche Regierung von Xiomara Castro funktional für MigrantInnenhatz und US-Investitionswünsche zu machen. Das Sanktionsregime gegen Kuba ist nach Aussagen der kubanischen Führung trotz einiger punktuellen Verbesserungen heute schärfer als selbst unter Trump. In Venezuela ist Washington gerade dabei, die Verhandlungen zwischen rechter Opposition und Chavismus zu sabotieren, indem es sich konsequent weigert, trotz Zusage auch nur einen Cent an die abgemachten $ 3 Mrd.  aus dem dem Land geraubten Vermögen einem UNO-Fonds für humanitäre Projekte zur Verfügung zu stellen. Nicaraguas Devisenbringer Goldbergbau wird sanktioniert – der Versuch der sandinistischen Regierung, den entsprechenden Handel mit China auszuweiten, wird im Southcom zweifellos als feindlicher Akt beurteilt.

Das ist ein Ausschnitt aus dem Gefahrenszenario. Auf der anderen Seite zeigen uns Dinge wie der Widerstand in Peru, die enormen Kämpfe, die in Kolumbien gegen das NATO-liierte Regime der letzten Jahre, die starken Mobilisierungen in Bolivien und in vielen anderen Ländern, die zahlreichen, jetzt auch in linken Strömungen besser verstandenen Stimmen des indigenen Widerstands, dass auch das team democracy samt seiner oligarchischen Führungsschichten keineswegs gewonnen hat.  

Skandal-Urteil in Argentinien: Haftstrafe und Verlust der Amtsfähigkeit für Kirchner

Donnerstag, 8. Dezember 2022

 https://amerika21.de/2022/12/261465/skandal-urteil-argentinien-kirchner

 


Cristina Kirchner bei ihrer Ansprache nach dem Urteil (Screenshot)
Cristina Kirchner bei ihrer Ansprache nach dem Urteil (Screenshot)

Buenos Aires. In dem Prozess wegen öffentlicher Aufträge in der Provinz Santa Cruz ist am Dienstag das Urteil gegen die Ex-Präsidentin und aktuelle Vizepräsidentin, Cristina Fernández de Kirchner und weitere Angeklagte verkündet worden. Kirchner wurde wegen Veruntreuung zu sechs Jahren Haft und einem lebenslangen Verbot, öffentliche Ämter auszuüben, verurteilt.

Acht Angeklagte bekamen Strafen zwischen drei und sieben Jahren, vier wurden freigesprochen. Im Anklagepunkt "Bildung einer illegalen Vereinigung" gab es für alle einen Freispruch.

Auch die Beschlagnahmung von 84 Milliarden Pesos wurde angeordnet. Dies ist insofern bemerkenswert, als die angebliche Schadenssumme während des Prozesses schwankte und keine davon mit diesem Betrag übereinstimmt.

Zu keinem Zeitpunkt des Prozesses konnten die Anschuldigungen belegt werden. In vielen Fällen waren sie direkt absurd, da Beamte für angebliche Vergehen verurteilt wurden, als sie nachweislich nicht im Amt waren. Aber auch im Fall Kirchners ist die Verurteilung nicht zu begründen, da laut Verfassung weder die Haushaltsgesetze noch deren Kontrolle ihre Aufgabe sind, sondern die der Kabinettsminister. Es wurde jedoch keiner der in dem entsprechenden Zeitraum aktiven Minister dafür belangt.

Die Begründung des Urteils ist noch nicht bekannt.

Der Prozess wurde von Anfang an von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitet. Angefangen mit der Tatsache, dass dieselbe Anklage bereits von der Justiz der Provinz Santa Cruz behandelt worden war und dort wegen Inexistenz einer Straftat verworfen wurde. In offener Missachtung des Prinzips, nach dem niemandem in derselben Anklage zweimal der Prozess gemacht werden darf, hatte Richter Julian Ercolini den Fall nochmals aufgenommen. Obwohl es außer Presseberichten keine Beweismittel gab, erhob er Anklage. Diese Berichte erwiesen sich während des Prozesses als falsch.

Angeblich hatte der 2008 verstorbene Néstor Kirchner, als er zum Präsidenten gewählt wurde, die staatlichen Strukturen mit seinen Leuten durchsetzt, um viele öffentliche Aufträge in seine Provinz zu leiten und dort an einen befreundeten Unternehmer vergeben zu lassen, der sich dann erkenntlich gezeigt habe. Das Parlament soll hintergangen worden sein, das Budget willkürlich erstellt, die Ausschreibungen manipuliert, die entsprechenden Aufträge überteuert und die Ausführung von schlechter Qualität gewesen bzw. viele gar nicht nicht zur Ausführung gekommen sein. Seine Frau und Nachfolgerin als Präsidentin soll diese Struktur weitergeführt haben.

Für diese Anschuldigungen gibt es keine Beweise. In drei Jahren und nach der Anhörung von 114 Zeugen konnte nichts davon belegt werden. Während der Zeugenvernehmungen wurde der Name der Ex-Präsidentin auch nur ein einziges Mal erwähnt ‒ von einem Zeugen, von dem man bereits aus einem anderen Prozess wusste, dass er gecoacht wurde und den man deshalb nicht vereidigte. Erst im Hauptprozess wurden fünf der umstrittenen 51 Bauvorhaben begutachtet, dabei jedoch keine Unregelmäßigkeiten festgestellt.

Wie die Verteidiger bewiesen, war das Parlament immer in die Budgetplanung einbezogen und laufend über die Entwicklung der Ausgaben informiert. Der Anteil, den die Provinz erhielt, war nicht überproportional. Es wurden keine Aufträge bezahlt, die nicht ausgeführt wurden, die Qualität war in Ordnung und die Preise angemessen.

Besonders peinlich für die Anklage: Ihr wurden zahlreiche offenkundige Unwahrheiten nachgewiesen. Was für ein Schaden dem Staat verursacht sein soll, konnte in keiner Weise belegt werden.

Zudem wurde während des Prozesses bekannt, dass der Staatsanwalt zusammen mit einen der Richter und einem der Kammerrichter auf dem Landsitz von Ex-Präsident Mauricio Macri Fußball spielten. Zwei weitere Kammerrichter waren mehrfach zu Besuch bei Macri und seiner Sicherheitsministerin Patricia Bullrich, die in dem Fall als Nebenklägerin auftrat.

Nach dem Urteil veröffentlichte die Regierung eine Erklärung, in der sie das Urteil scharf kritisierte und als Angriff auf den demokratischen Prozess bezeichnete.

Kirchner erinnerte in einer öffentliche Ansprache daran, dass sie bereits vor drei Jahren sagte, das Urteil sei unabhängig vom Prozessverlauf bereits geschrieben. Sie ging auf den jüngsten Skandal ein (amerika21 berichtete) der sehr klar belegt, wie die "parallelen Strukturen" im Staat agieren. Diese "Mafia" machte sie auch für den Anschlagsversuch gegen ihre Person verantwortlich. Zur Bestürzung ihrer Anhängerschaft kündigte Kirchner an, 2023 nicht als Kandidatin anzutreten, weder für die Präsidentschaft noch für eine andere Funktion.

Skandalprozess in Argentinien: Ex-Präsidentin Kirchner soll für zwölf Jahre ins Gefängnis

Donnerstag, 25. August 2022

 

Vizepräsidentin Kirchner mit Präsident Alberto Fernández
Vizepräsidentin Kirchner mit Präsident Alberto Fernández

Buenos Aires. Nach einem Schlussplädoyer, das neun Sitzungstage in Anspruch nahm, hat die Staatsanwaltschaft heute eine Haftstrafe von zwölf Jahren gegen die ehemalige argentinische Präsidentin und aktuelle Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner gefordert. Zudem soll sie keine öffentlichen Ämter mehr ausüben dürfen.

Die Regierung gab wenige Minuten nach dem Auftritt von Staatsanwalt Diego Luciani eine Erklärung ab, in der sie "die gerichtliche und mediale Verfolgung" gegen die derzeitige Vizepräsidentin verurteilte. Der Text stellt klar, dass "keine der der ehemaligen Präsidenten zugeschriebenen Taten bewiesen wurde". Präsident Alberto Fernández bekundete Kirchner "seine tiefste Zuneigung und Solidarität".

Laut Luciani wurde in dem Prozess bewiesen, dass sie der Kopf einer illegalen Vereinigung gewesen sei, die für die Kanalisierung von öffentlichen Aufträgen an befreundete Unternehmer zuständig war (amerika21 berichtete). Die während des Plädoyers gestellten Behauptungen stehen laut Prozessbeobachtern jedoch weitestgehend im Widerspruch zu den Zeugnissen und Beweisen, die im Prozesses vorgelegt wurden.

Luciani bezog sich zudem auf Zeugen, die in diesem Prozess nicht gehört, und auf vermeintliche Beweise, die bisher nicht bekannt waren. Der bekannte Professor und Verfassungsrechtler Eduardo Barcesat bezeichnete den Auftritt der Staatsanwälte als skandalös und "ekelerregend". Sie hätten die Prozessordnung und das Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

Währenddessen kamen einige brisante Informationen zu Tage: Die Tageszeitung Pagina 12 veröffentlichte Fotos, auf denen Luciani und einer der zuständigen Richter, Rodrigo Giménez Uriburu, zusammen im Fußballteam namens Liverpool bei einem Turnier auf dem Landsitz von Ex-Präsident Mauricio Macri spielten. In den folgenden Tagen gab es weitere Bilder, die zeigten, dass auch einer der zuständigen Kassationsrichter, Mariano Llorens, teilnahm.

Macri selbst hatte dem chinesischen Premierminister Xi Jinping bei einem Staatsbesuch stolz ein Video gezeigt, bei dem er ein Tor gegen gerade dieses Team schoss. Seine offizielle Biographin hatte vor zwei Jahren geschrieben, dass sich der innere Kreis seines Vertrauens beim Fussballspiel auf seinem Landsitz Los Abrojos traf.

Der zweite der drei zuständigen Richter, Jorge Gorini, hatte mehrere Treffen mit der damaligen Sicherheitsministerin Patricia Bullrich, die in diesem Fall als Nebenklägerin auftrat.

Die Onlinezeitung El Destape fand zudem heraus, dass der zweite Staatsanwalt, Sergio Mola, ebenfalls Besuche im Präsidentenpalast machte und sich dort mit Fabian Rodriguez traf, den derzeit in Uruguay flüchtigen Organisator der "Mesa Judicial" (Runder Tisch der Justiz) und Richter-Manipulator Macris (amerika21 berichtete). Mola nahm auch an Treffen in der US-Botschaft teil.

Bereits vorher war bekannt, dass die von Macri in das strategische Kassationsgericht versetzten anderen beiden Richter, Mariano Borinski und Gustavo Hornos, den Präsidenten mehrfach besucht hatten. Ein Ablehnungsgesuch seitens der Verteidiger vom Beginn des Prozesses wurde jedoch vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen.

So hatten beide Staatsanwälte, zwei der drei Richter der ersten Instanz und alle drei Richter des Kassationsgerichts Beziehungen untereinander bzw. Kontakt mit den Klägern der Regierung Macri während des Prozesses.

Die Verteidiger Kirchners stellten daraufhin Befangenheitsanträge gegen Staatsanwälte und Richter, die erwartungsgemäß zurückgewiesen wurden. Die Berufung dagegen wird von den ebenfalls als befangen betrachteten Richtern der Kassationskammer, Hornos, Borinski und Llorens entschieden.

Während die rechtsgerichtete Presse der großen Mediengruppen, die seit Wochen die Aktionen der Ankläger voraussagt, den Staatsanwalt als Helden feiert, wächst auf der anderen Seite die Entrüstung.

In Buenos Aires und in Tucuman gab es bereits Demonstrationen gegen den Justizmissbrauch und zur Unterstützung der Vizepräsidentin. Die Puebla-Gruppe internationaler linksgerichtetet Politiker sieht in diesem Fall einen weiteres Beispiel des Missbrauchs der Justiz gegen politische Gegner (Lawfare), in einer Linie mit den Prozessen gegen Lula da Silva, Rafael Correa, Evo Morales und Dilma Rousseff.

Brasilien: Strafuntersuchung gegen Transparency International

Samstag, 23. April 2022

 

Brian Meier*

(14. April 2022) Der Nationale Rechnungshof und die Bundesstaatsanwaltschaft strengen eine Klage gegen Transparency International und die Staatsanwaltschaft von Brasilia wegen illegaler Zusammenarbeit mit der jetzt diskreditierten brasilianischen Operation Lava Jato. Diese hatte den führenden brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Luis Inácio Lula da Silva illegal ins Gefängnis gebracht und damit den Weg für den rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro freigemacht.

Laut der Staatsanwaltschaft steht die Untersuchung im Zusammenhang mit der Zweckbestimmung von 2.3 Milliarden Reais (USD 700 Millionen), die im Rahmen einer Kronzeugenregelung von Lava Jato und dem grössten brasilianischen Investmentfonds J&F ausgehandelt wurden.

2019 blockierte das Oberste Gericht Brasiliens einen Versuch des US-Justizministeriums, der von Delton Dallagnol geleiteten Lava Jato-Task Force ein $687-Millionen-Schmniergeld aus Bussen der staatlichen Ölgesellschaft Petrobras zukommen zulassen. Damit sollte eine private «Antikorruptions»-Stiftung in Curitiba gegründet werden. Laut der Bundesstaatsanwaltschaft versuchte Dallagnol via die Staatsanwaltschaft von Brasilia einen Deal mit J&F in der Höhe von R$2.3 Mrd. für den brasilianischen Zweig von Transparency International (TI) zwecks «Sozialkontrolle der Korruption» und «Erziehungskampagnen» zu sichern. 

Der brasilianische Journalist Reinaldo Azevedo, der die Sache erstveröffentlicht hatte, schrieb: «Die [Bundes-] Staatsanwaltschaft und der Nationale Rechnungshof leiten die Untersuchung ein, weil Gelder aus dem Kronzeugenprogramm öffentlich sind. StaatsanwältInnen sind nicht befugt, irgendwelche Deals auszuhandeln, die nicht das Finanzministerium als Empfänger beinhalten. Zudem sind sie nicht ermächtigt, NGOs oder Organisationen des Privatsektors anzuwerben, um bei der Vergabe von öffentlichen Geldern mitzuwirken.»

 

Transparency International, der Putsch von 2016 und Lava Jato

2016 absolvierte TI Brasilien-Leiter Bruno Brandão Dutzende von Auftritten in nationalen und internationalen Medien, um zu bestreiten, dass ein Coup am Laufen sei. Nachdem Dilma Rousseff wegen eines allgemein praktizierten Verstosses gegen das Haushaltgesetz, der keine persönliche Bereicherung impliziert und eine Woche nach ihrer Absetzung vom Senat legalisiert wurde, des Amtes enthoben worden war, begann Brasilien eine massive Versteigerung der Offshore-Ölreserven an Multis. Zwei der dabei am meisten Begünstigten, Shell und ExxonMobil, sind traditionelle Spender von Transparency International.

2020 analysierte die brasilianische Agência Pública Telegram-Botschaften zwischen Delton Dallagnol und Bruno Bandõa, die Glenn Greenwald von The Intercept vom Hacker Walter Delgatti erhalten hatte. Sie enthüllten eine enge Beziehung zwischen den beiden. Zu den Enthüllungen gehörte, dass Transparency International Zugriff auf $682 Millionen des Abkommens zwischen dem US-Justizdepartment und der Lava Jato-Task Force  hatte, bevor es auch nur von einer der beiden Parteien unterschrieben worden war.

Gegen Dallagnol laufen nun zahlreiche Untersuchungen. Gerade hat der Bundesrechnungshof ihn und den ehemaligen Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot zur Rückzahlung von R$ 2.78 Millionen verurteilt, die sie unter Verletzung der offiziellen Reisebestimmungen für üppige Businessreisen und Ferien in Fünf-Sterne-Hotels ausgegeben haben.

·         Transparency International: Brazil Court Opens Investigation Of Anti-Corruption NGO

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(zas) Kaum war Transparency International (TI) nach dem Zusammenbruch des Ostblocks aus der Taufe gehoben, wurde es auch in hiesigen Medien als internationale Autorität auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung verkauft. Wer, was, warum? – kaum wer hatte eine Vorstellung. Mittlerweile ist die Marke gesetzt, man «weiss» einfach, Coca Cola ist gut und Transparency ist DIE Autorität auf ihrem noblen Gebiet. Vertrauensvoll kann jedes Jahr wieder der «Korruptionsindex» dieser Organisation als kritische Infoquelle nachgebetet werden. Wir sind im Correos wiederholt auf Transparency eingegangen, sowohl im Kontext von Lawfare wie in Brasilien wie auch allgemeiner. Zwei Beispiele für letzteres, das erste, Operateure der Macht, aus Nummer 137 (Februar 2004), im Kontext der Anti-WEF-Mobilisierungen, das zweite, Die globalisierte gute Korruption, aus der gleichen Nummer, über die generelle Stossrichtung von Transparency – nicht Lava Jato, sondern lava cara – das Gesicht des globalen Kapitalismus waschen.

Was Lava Jato und andere Dynamiken in Brasilen betrifft, ist der Blog https://www.brasilwire.com von Brian Meier, US-amerikanischer Journalist und Brasilienkorrespondent für Telesur, eine sehr gute Quelle.

El Salvador: Tendenz zum Faschismus

Samstag, 31. Juli 2021

 El Salvador: Tendenz zum Faschismus

Seit über zwei Jahren findet in El Salvador unter der Präsidentschaft von Nayib Bukele eine brutale Entwicklung hin zu einem autoritären System mit faschistischer Tendenz statt. Einige Stichworte dazu: Februar 2020 - Der Präsident marschiert an der Spitze von Armeetruppen ins Parlament, um ein Plazet für einen weiteren Kreditantrag zu erzwingen; dann drei Monate militarisiertes Lockdownregime als «Pandemiebekämpfung» mit einer folgenden enormen Übersterblichkeit (wegen Covid-19 und wegen unterlassener Behandlungen chronischer Schwerkranker im kollabierten Gesundheitssystem); permanente Hasstiraden und Einschüchterungen gegen alle Oppositionelle inklusive Medien; enorme Korruption bei Staatsaufträgen und vieles mehr.

 

Putschjustiz und Kryptowährung

Im letzten Februar konnte der als weisser Ritter gegen die Korruption auftretende Bukele eine entscheidende 2/3-Mehrheit bei den Parlamentswahlen erzielen. Am letzten 1. Mai setzte die neue Parlamentsmehrheit auf Geheiss des Präsidenten die Verfassungskammer und den Generalstaatsanwalt ab und ersetzte sie mit linientreuem, teilweise übel beleumundetem Personal – ein offener Verfassungsbruch (s. Kasten). Der Familienclan Bukele und eine Gruppe rechtsradikaler, als «BeraterInnen» ausgegebener VenezolanerInnen mit Weisungsbefugnis dem Kabinett gegenüber kontrollieren nun alle drei Staatsgewalten vollständig.

Dieser Justizputsch dient auch der Absicherung der Straffreiheit für die Regierung, indem laufend mehr Bereiche wie Ausschreibungen oder die Pandemiepolitik zur Verschlusssache erklärt werden. Für alle Spitalangestellten gilt ein offizielles Redeverbot mit der Presse, dito für das Lehrpersonal der staatlichen Schulen – horrende Zustände werden so vertuscht. Die zuvor täglich erfolgten amtlichen Angaben zu Morden und Verschwundenen gehören der Vergangenheit an, um die Mär von der Befriedung der mit den Maras zusammenhängenden Gewaltsituation aufrechtzuhalten. Aufgrund eines dokumentierten Deals der Regierung mit Teilen der Maras (und mutmasslich anderen Strukturen der organisierten Kriminalität) ging die offizielle Mordrate zurück, während die Zahl der Verschwundenen massiv anstieg. Als letzten Mai ein Massengrab von Ermordeten im Haus eines Ex-Polizisten gefunden wurde, sanktionierte das Regime einen altgedienten Kriminalistik-Experten der Polizei, der von mindestens 48 Leichenfunden berichtete, und autorisierte einzig den Sicherheitsminister und den illegal eingesetzten Generalstaatsanwalt als zuständig für Information. Seither ist das Thema, das hohe Wellen schlug, aus den Medien weitgehend verschwunden, nicht aber aus den Familien, die verzweifelt ihre Angehörigen suchen. Das Wenige, das man weiss, deutet auf einen aus Polizeikreisen unterstützen Apparat von Auftragskillern hin, der die Leichen der Ermordeten – vor allem Frauen - verschwinden lassen wollte.  Gerade kündigte Bukele die Verdoppelung der Armeebestände zwecks angeblicher Bekämpfung der als «innerer Feind» bezeichneten Maras an. Diesen Ausdruck reserviert er normalerweise für die Opposition.

Im gewohnten Expresstempo (ein bis zwei Stunden «Beratung», keine fachliche Konsultationen usw.) übernahm das Parlament von der Regierung am 5. Juni das weltweit erste Gesetz, das die Einführung der Kryptowährung Bitcoin als Landeswährung neben dem Dollar und ihre Akzeptanz als obligatorisches Zahlungsmittel vorsieht. Ein wichtiges Motiv dafür: So will der Bukele-Clan seine riesigen, vor allem unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung geraubten Reichtümer waschen. Diese Bitcoinisierung, das Drama der Verschwundenen, die massive Verteuerung der Lebenskosten und die immer offensichtlicher werdende Korruption bewirken Popularitätseinbussen für Bukele, der kürzlich unter Verweis auf die Pandemie ein dünn kaschiertes Verbot von Strassenprotesten verhängte.

 

Feministinnen und Verschwundene

Angriff ist die beste Verteidigung, weiss der Bukele-Clan. Also bekämpft er seine Gegner:innen als korrupt. Auf Geheiss des Präsidenten wurde eine ausschliesslich mit «treuen» Abgeordneten besetzte parlamentarische Kommission zur «Untersuchung» der von früheren Parlamenten beratenen Subventionen an hunderte von zivilgesellschaftlichen Organisationen (von lokalen Vereinen über Universitäten und kirchliche Strukturen bis zur Krebsliga und Frauenbewegungen) lanciert.

Am 17. Juli wurden zwei ehemalige Präsidentinnen der für die Beratung von NGO-Finanzhilfen zuständigen Finanzkommission des Parlaments von der Sonderkommission vorgeladen. Für Aufsehen sorgte die «Anhörung» der ehemaligen FMLN-Abgeordneten und Feministin Lorena Peña. Erst liess man sie 5 Stunden warten, dann sollte sie während fast 8 Stunden der aggressiven Kommission Auskunft erteilen (ohne ein Glas Wasser, trotz der Hitze). Das Problem für die Kommission: Ihre Mitglieder erwiesen sich als eklatant inkompetent. Das machten sie mit vulgärer, frauenfeindlicher Wortwahl gegen die Frau wett, vor allem aber stellten sie ihr jeweils das Mikrofon ab, wenn sie die Lügen der Kommissionsmitglieder zu widerlegen begann. Insgesamt war dieses Manöver ein Eigentor, die FMLN-Aktivistin erntete auch in rechten, aber nicht pro-diktatorischen Zirkeln viel Anerkennung, die Bukele-Kommission dagegen Spott und Verachtung.

Allerdings ist die Sache damit nicht gelaufen. Auch die bekannte feministische Organisation Mélida Anaya Montes (die Mélidas), bei der Peña Mitglied ist, hatte für ihre Arbeit zur Alphabetisierung von Frauen in Armutsgemeinden staatliche Subventionen erhalten. Laut Bukele und seiner Parlamentsmehrheit aber gibt es die seit 1998 legal eingetragene Organisation gar nicht, sie sei bloss ein Kanal für private Bereicherung. Mit vergleichbaren Behauptungen ist die Regierung schon gegen unliebsame Gewerkschaften vorgegangen und hat zum Beispiel ihre Mitgliederbeiträge regierungskonformen Gruppen zugeschanzt.

Die Mélidas sind der Regierung wie andere feministische Organisationen verhasst, nicht nur wegen des im Regierungslager an den Tag gelegten krassen Sexismus’ (Bukele: Abtreibung ist «Genozid»), sondern auch, weil diese Bewegungen mit an vorderster Front für die Aufklärung der Verschwundenen einstehen, die oft Opfer sexueller Gewalt wurden. Vor wenigen Monaten haben die Mélidas zudem eine ausgedehnte, auf breites Interesse stossende Feldstudie über die verbreitete sexistische Gewalt durch Familienangehörige oder Maras veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt, als die Regierung die Botschaft einer für ihren «Sieg» über die Maras dankbaren Bevölkerung verbreitete.

 

Lawfare

Am 22. Juli liess Bukele via seinen Generalstaatsanwalt fünf prominente Mitglieder der ersten FMLN-Regierung (2009-2014) ohne richterlichen Haftbefehl verhaften und sie anschliessend in Handschellen der Presse vorführen. Begründung: Sie hätten mehr als ihr ordentliches Gehalt bezogen und seien deshalb der Geldwäscherei schuldig. Die Sache ist von A-Z illegal aufgezogen, zuständig für allfälligen Missbrauch staatlicher Gelder wäre ohnehin eine dem Obersten Gericht angeschlossene Prüfstelle (Departamento de Probidad). Doch das interessiert das Bukele-Lager nicht, in dieser Hinsicht folgt es weiterhin dem von Washington diktierten Prozedere der «Korruptionsbekämpfung» - wichtige Entscheide der seit zwei Jahren mit der Sache betrauten Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft hängen stets vom Plazet der US-Botschaft ab. So verwundert es nicht, dass die Generalstaatsanwaltschaft in der gleichen Angelegenheit weitere Haftbefehle ausgestellt hat, gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Salvador Sánchez Cerén und andere hochrangige Mitglieder der früheren FMLN-Regierung, und 54 weitere Haftbefehle ankündigt (Sánchez Cerén ist seit letztem Dezember nicht im Land).

Am 27. Juli wies Bukele das Parlament an, ein Gesetz zu verabschieden, das Korruptionsdelikte unverjährbar macht. Und zwar retroaktiv, was namhaften Juristen zufolge der Verfassung widerspricht, aber nicht der ungemein bedeutsameren politischen Intention des Regimes, nämlich nach Belieben FMLN-Leute und andere Oppositionelle einzusperren. Wie erwähnt, ist gleichzeitig praktisch die gesamte Information über alle korruptionsanfälligen Bereiche der Regierung Bukele für die Öffentlichkeit hermetisch verschlossen worden. Ein weiterer Aspekt ist, dass das State Department Anfang Juli mehrere hochrangige Kader der Bukele-Regierung auf eine Korruptionsliste gesetzt hatte (die Liste Engel), mit der Folge eines für diese Kreise sehr schmerzhaften Visaentzugs (no more shopping in Miami!). Bukele versucht, sich mit einer Annäherung an China zu revanchieren und muss gleichzeitig seiner eigenen Anhängerschaft Antikorruptionsqualitäten demonstrieren. Nun, der Justizkrieg gegen den FMLN entspricht exakt der Lawfare-Strategie der USA gegen alle linken und fortschrittlichen Regierungen in Lateinamerika. Vermutlich will sich Bukele damit auch weitere Unbill ersparen.

Bis ins bürgerliche Lager hinein empören sich akademische und juristische Kreise über das Vorgehen des Regimes. Die Lage im Land hat sich massiv verschärft. Der Marschbefehl ist klar: Die gesamte Opposition inklusive unbotmässige Medien oder zivilgesellschaftliche Organisationen sollen gelähmt, der FMLN ausgeschaltet werden. Auch der Teil der Rechtspartei ARENA, der sich nicht mit Bukele arrangiert hat, ist betroffen. Wie es im rechten Lager weitergeht, wird primär von der Ausmarchung zwischen neuer (Bukele) und alter Oligarchie abhängen, die derzeit im Gange ist. Das aufstrebende „Millenial“-Lager will sich mit «ursprünglicher Akkumulation» via systematische Aneignung von Staatseigentum an die Spitze setzen. Die Verfolgung des FMLN und die angestrebte Paralysierung von sozialen Organisationen aber soll jede linke Perspektive verunmöglichen. Zu befürchten ist eine Entwicklung in «kolumbianischer» Richtung, also der Einsatz von kriminellen-paramilitärischen Strukturen zur Ermordung von linken AktivistInnen.

 

Eppur si muove

«Und sie bewegt sich doch», die Erde, meinte Galileo, in unserem Fall der Widerstand. Die nähere Zukunft wird gefährlich werden. Aber die letzten Ereignisse wie die unerschrockene Demaskierung der Regimeintrigen durch Lorena Peña oder jetzt die unverhüllte Zerstörungsabsicht der bereits anrollenden Verhaftungswelle haben motivierend in FMLN- und anderen linken Kreisen gewirkt. Erstmals hören wir wieder von Kampfgeist in einem FMLN, der nach den verheerenden Wahlschlappen aufgrund schwerer interner Zerwürfnisse gelähmt war. Das Land ist weit, weit weg von einer breiten Revolte. Aber erste Schritte – wie die wiederholten Mobilisierungen vor dem Gerichtsgebäude – haben vielleicht das Potenzial, in der heutigen Situation wachsender Armut verstanden zu werden.

 

Kasten

Zu dem illegal als Generalstaatsanwalt eingesetzten Rodolfo Delgado schrieb der frühere Ombudsmann für Menschenrechte, David Morales, auf Twitter: «Der vom Präsidenten aufgezwungene Generalstaatsanwalt deckte Vorfälle von Folter unter der Verantwortung von Polizeichefs, die heute wieder die Polizei kommandieren. Das hat die Ombudsstelle für Menschenrechte (PDDH) demonstriert. Die BürgerInnen heute in ihren Händen». 2001 war der heutige Generalstaatsanwalt als Staatsanwalt bei der Folterung eines mutmasslichen Mitglieds einer Entführungsbande anwesend gewesen. Die damalige PDDH-Chefin, Beatrice de Carrillo, hatte den Fall untersucht und 2003 den Generalstaatsanwalt vergeblich aufgefordert, einzuschreiten. 2005 verlangte de Carrillo erneut eine Untersuchung von Delgado im Fall der Ermordung 2004 des US-Salvadorianers Gilberto Soto von der US-Gewerkschaft der Teamsters. Wahrscheinliches Motiv für Sotos Ermordung in El Salvador: Im zentralen, von Drogenbanden kontrollierten Handelshafen von Acajutla wollte Soto eine Gewerkschaft aufbauen. Delgado und zwei Amtskollegen der Staatsanwaltschaft, die beide bei der Folterung der materiellen Täter, Mitglieder der Mara 18, anwesend waren, beschuldigten nachweislich grundlos die Ex-Frau Sotos, den Mordauftrag erteilt zu haben. Über die «Personalie» hinaus ist das in verschiedener Hinsicht von Belang. Delgado hatte unter der letzten ARENA-Regierung von Tony Saca (2004 – 2009) die Abteilung gegen die organisierte Kriminalität der Staatsanwaltschaft (UCCO) geleitet. Die Ermordung Sotos fand in der Amtsperiode von Präsident Tony Saca statt. Viele damalige Kader sind heute prominent in der Bukele-Administration aktiv, so Sicherheitsminister Gustavo Villatoro, Vorgänger Delgados in der UCCO und wichtiger Politoperateur Sacas, der in der jetzigen Verhaftungswelle ebenfalls eine prominente Rolle spielt. Unter Saca leitete Villatoro die Zollbehörde; Anschuldigungen, dort internationale Schmuggelnetze protegiert zu haben, wurden nie offiziell untersucht. Delgado wurde unter Saca Berater des Generalstaatsanwalts Douglas Meléndez, der seinerseits eng verbandelt war mit den US-Sicherheitsbehörden und nach seiner Nicht-Wiederwahl eine Karriere an der Florida International University und in prominenten Think-Tanks wie das Wilson Center in den USA als «Korruptionsexperte» antrat. Auch die staatsanwaltschaftliche UCCO war notorisch von US-Kader kontrolliert. Aussagen gefangener Drogendealer, wonach Delgado als UCCO-Leiter Transportrouten des in die kontinentalen Drogenhandelsnetze eingebundenen Kartells von Texis protegiert habe, blieben ergebnislos.

Es sind solche Figuren, die unter Bukele gedeihen und den Justizkrieg gegen die Linke organisieren dürfen. Unterstützt von Richtern des Schlags von Ramón Iván García, den Bukele am 1. Mai zum Mitglied der Verfassungskammer machte. García hatte als Präsident einer Rekurskammer in der Departementshauptstadt Cojutepeque mehrmals Urteile abgesegnet, die Vergewaltiger freisprachen, wenn sie ihre minderjährigen Opfer ehelichten. Auch an anderer Front tat er sich hervor. Von ihm sind Botschaften an einen Generalstaatsanwalt unter Saca aktenkundig, in denen er sich für einen rechten Abgeordneten und Geldwäscher des Drogenkartells der Perrones, Wílver Rivera, einsetzte. Und nebenbei für eine des Kinderhandels überführte Frau, für die er eine Strafminderung forderte, da sie, «unsere Freundin», wie der dem Generalstaatsanwalt sagte, «uns den Kontakt mit dem Abgeordneten Wílver gemacht» hatte.

 

USA montieren Medien für Boykott (und Kommentar zu Propaganda und Julian Assange)

Samstag, 26. September 2020

 

https://www.infosperber.ch/Medien/USA-montieren-Medien-fur-Boykott

Niklaus Ramseyer

© Ramseyer

Niklaus Ramseyer / 25. Sep 2020 - Die Korruption in Venezuela ist ganz gross in den Tagi-Medien. Die Infos dazu kamen gezielt von US-Behörden.

«Venezuelas Entwicklungsgeld floss in die Schweiz.» So lautete der grosse Titel über zwei Seiten in der «BernerZeitung» (Tagi-Konzern) letzten Montag (21. Sept. 2020). Und immer noch auffallend gross und rot: «UNO schätzt, dass jährlich 4000 Milliarden Dollar illegaler Gelder gewaschen werden.»

Nur: Die UNO-Schätzung von «bis zu 4000 Milliarden illegaler Gelder» meint in Tat und Wahrheit gar nicht Venezuela, sondern sämtliche in einem Jahr weltweit gewaschenen Gauner-Gelder. Im Kleingedruckten gegen Schluss der gross aufgemachten Story erfährt der Leser dann auch, dass es bei «Venezuelas Entwicklungsgeld» konkret um «knapp 30 Millionen Dollar vom mutmasslich überrissenen Preis» (150 Millionen Dollar) für eine Wohnsiedlung südlich der venezolanischen Hauptstadt Caracas geht. Der Fall wurde von den Behörden Venezuelas schon 2015 untersucht.

Da wird also einiges zugespitzt. Interessant ist allerdings die Quelle der ganzen Räuberpistole: Die Informationen stammen aus einem Leck des «Financial Crime Enforcement Network» (Fincen), der Finanzmarktaufsicht der USA. Es sind 2100 Geldwäschereimeldungen von US-Banken («Suspicious Activity Reports, SAR»), die von einer Fincen-Beamtin gestohlen und der US-Plattform «Buzzfeed» weitergegeben wurden. Von dort kamen die «Files» zu einem «International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ)», dem 400 Reporter weltweit angeschlossen sind – auch der «Recherche-Desk» des TA.

Fokus «zufälligerweise» auf Venezuela?

Die Tagi-Rechercheure räumen ein, dass die in den USA «geleakten» Dokumente «nur ein winziger Ausschnitt» jener 2 Millionen Verdachtsfälle seien, die US-Banken ihrer Fincen jedes Jahr per SAR melden. Doch in dem «winzigen Ausschnitt» kommt ausgerechnet Venezuela breit vor. Nicht etwa Korruptionsfälle aus Saudi-Arabien oder aus Israel (wo ja nun gar Korruptionsermittlungen gegen den Regierungschef laufen). Nur sind das halt alte «Freunde» der US-Regierung. Wohingegen diese das Erdölland Venezuela seit Jahren mit Boykott und brutalen Sanktionen regelrecht auszuhungern versucht. Der «Scoop» sieht somit verdächtig nach politisch gezielter Indiskretion aus.

Und er passt ganz gut zum Auftrag («Mission») der Fincen: «The mission of the Financial Crimes Enforcement Network is to safeguard the financial system from illicit use, combat money laundering and its related crimes including terrorism, and promote national security through the strategic use of financial authorities and the collection, analysis, and dissemination of financial intelligence.» (Fettschrift durch den Verfasser)

Der Auftrag umfasst also mitunter die «Streuung finanzieller Informationen» (dissemination of financial intelligence) um die «nationale Sicherheit der USA zu fördern» (promote national security). Diesen Auftrag hat die indiskrete Fincen-Beamtin, die sich schon im Januar schuldig bekannte, mit Hilfe williger Medien weltweit voll erfüllt. Jetzt können wir gespannt zuschauen, ob sie in den USA als «Whistleblowerin» geehrt wird. Oder wegen «Verrat» mit lebenslangem Gefängnis bedroht, wie Julian Assange – der ebenfalls Korrup

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 «Kritische» Propaganda

(zas) Die ersten Wikileaks-Infos wurden über ausgewählte Mainstreammedien verbreitet. Ich erinnere mich, dass bald einmal aus «linken» Verschwörungsecken (wie etwa Global Research) scharfsinnig (natürlich!) der Verdacht, quasi die Gewissheit, formuliert wurde, dass Wikileaks ein Produkt der CIA sei. Warum? Weil die Mainstreammedien erstaunlicherweise die Körner rauspickten (oder gleich zurichteten), die sich irgendwie gegen fortschrittliche Regierungen oder andere «Feinde des freien Westens» benutzten liessen. Jahre später kamen die Panama-Papers. Same Story. Die ersten Schlagzeilen machten deutlich, wie korrupt doch Linke sind. In der Schweiz durfte der Tagesanzeiger mit-«recherchieren». Als mit fortschreitender Veröffentlichung der Papiere der Elefant im Wohnzimmer immer sichtbarer wurde – etwa die systematische «Offshore-Aktivitäten» gepriesener Landes- und Wirtschaftsführer – versickerte erst der Schlagzeilen-, danach generell der Mitteilungsdrang. Und andersrum: Nachdem die grosse Medienschar jahrelang ihren Geifer über Julian Assange gegossen hat, ohne sich bis heute für ihre Falschmeldungen entschuldigt zu haben, fesseln andere Themen ihre Aufmerksamkeit. So bleibt unter der Wahrnehmungsschwelle, dass der Mann, dessen Schuld darin besteht, entscheidend mitgeholfen zu haben, darüber zu informieren, wie die US-Soldateska im Irak die Menschen abgeschlachtet hat, gerade in einem Verfahren vor einem britischen Politgericht, der Elemente eines Schauprozesses mit einem Geheimprozess vereint, zur Auslieferung an seine Häscher in Washington verurteilt wird. (und die USA rächen sich schon mal an Whistleblowerin Chelsea Manning mit Fertigmachen im Knast.) Assange, von dem sein Freund, der britische Ex-Diplomat Craig Murray am ersten Prozesstag entsetzt berichtete, dass er, der Scharfdenker, kaum mehr fähig war, zusammenhängende Sätze zu formulieren oder dem Prozess zu folgen. Eine Folge der Weissen Folter im britischen Knast, also der Totalisolation und des Entzugs physisch und psychisch unbedingt notwendiger Reize, sprich vor allem menschlicher Kontakte. Sie führen offen einen Menschen vor, der an schweren folterbedingten Verletzungen leidet – und kein Wort dazu in «unseren» so menschenrechts-beseelten Medien! (Allenfalls da oder dort mal die leise Frage, ob eine Auslieferung von Julian Assange für die Pressefreiheit bekömmlich sei.) Dafür erneut etwas Unterhaltungshäme gegen Venezuela, Aufwärmer für das, was dort in naher Zukunft droht.