Honduras: Offiziell holt die Rechte auf

Mittwoch, 29. November 2017



(zas, 29.11.17) Seit gestern Nacht (MEZ) hat die Auszählung des Wahlgerichts TSE klar Fahrt aufgenommen. Brauchte es für etwa mehr als 1 % der Akten bis gestern Mittag (Ortszeit) rund anderthalb Tage (und das Resultat bei ausgezählten 58 % der Akten verharrte bei fast 5 % Vorsprung der Antidiktatur-Allianz bei den Präsidentschaftswahlen), stehen wir aktuell gerade bei 75.39 % der Akten. Änderungen ergeben sich fast im Minutentakt, mit der klaren Tendenz eines abnehmenden Vorsprungs Nasrallas von der Antidiktatur-Allianz auf den Präsidentendiktator Juan Orlando Hernández (JOH) vom Partido Nacional PN). TSE-Angaben zum derzeitigen Stand: Nasralla 42.63 %, JOH 41.66% (je etwas über eine Million  Stimmen, Differenz noch knappe 24‘000 Stimmen. Das vom PN in diesen Tagen vorausgesagte Szenario, dass nach Vorliegen aller Akten im TSE JOH oben aufschwingen würde, scheint Einzug zu halten.
Das TSE hatte während anderthalb Tagen faktisch gestreikt, angeblich, weil die offiziellen Akten nicht eingetroffen seien. Tatsächlich dürfte der physische Aktentransport von einigen ländlichen Gemeinden in die TSE-Zentrale Verzögerungen implizieren. Dennoch scheint es unwahrscheinlich, dass dies fast die Hälfte der Akten betroffen hat. Immerhin war das TSE bei den Präsidentschaftswahlen 2013 fähig, in einem Zeitraum, in dem es dieses Mal genau ein Auszählungsresultat vorlegte, fünf vorzulegen. Selbst die UNO-Vertretung im Land wie auch die Beobachtungsmission der EU monierten die Infoblockade des TSE.
Es sieht also danach aus, dass JOH zum Wahlsieger ausgerufen wird, wenn es keine Überraschungen mehr geben sollte. Nun hat Libre, die Hauptkraft in der Allianz, gestern mitgeteilt, über die Kopien sämtlicher Wahlakten zu verfügen; Nasralla stehe als Sieger fest. Der PN versichert das Gleiche. (Diese beiden Parteien sollten die organisatorische Kapazität haben, sich die Aktenkopien auch zu sichern.) Ginge es mit rechten Dingen zu und verfügt Libre tatsächlich über die Akten (abgeglichen, wie sie versichern, mit jenen der drittstärksten Kraft, des Partido Liberal), wäre die Sache damit letztlich entschieden. Doch eine Hypothese besagt natürlich, dass in der „Wartezeit“ Akten gefälscht werden konnten. Die Copppal (Conferencia Permanente de Partidos Políticos de América Latina y el Caribe), ein Mittelinks-Zusammenschluss von mehr oder weniger progressiven Parteien des Südkontinents, kritisiert in ihrem Beobachtungsbericht u. a. auch „die Legalisierung von sechs Parteien vom Typ Briefkasten‚ ‚Bonsai‘ oder Satellit“, die so „Wahltischausweise“ erhielten „für den Wahlprozess und die Auszählung (…) Während der Wahlen konnte beobachtet werden, dass die meisten der für diese Parteien akkreditierten Personen nicht wussten, welcher Partei sie angehörten und diese Parteien, trotz [stimmberechtigter] Vertretung in den Wahltischen, keine Stimme erhielten.“  Dieser übliche Wahlbetrugstrick dient der Erstellung schon gefälschter Originalakten, kann aber auch für eine nachträgliche „Revision“ benutzt werden. Zu solchen manipulierten Akten hat das TSE, damals wie heute präsidiert von David Matamoros Batres, auch 2013 gegriffen. Matamoros  musste in den 90er Jahren wegen Korruption von der Zollbehörde zurücktreten, worauf er sich mit einem Parlamentsmandat schadlos hielt. Er war schon 2009 Wahlmagistrat, als das TSE die Beteiligung an den wenig besuchten Wahlen unter den Putschbajonetten auf Rekordhöhe schraubte.
In Honduras ist natürlich die Angst vor einer nochmals eskalierten Gewaltanwendung des Regimes präsent. El Libertador, eine linke, manchmal aber nicht sehr präzise berichtende Zeitschrift mit etwas ausgebautem Portal, berichtete gestern von massiven Truppenmobilisierungen in die Hauptstadt Tegucigalpa. TSE-Präsident Matamoros Batres, unter dessen formalen Kommando die Armee im Moment steht, erklärte, diese Truppenverschiebung, von der Videos im Netz zirkulieren, „hat nichts mit einer Krisensituation zu tun, sondern mit einer normalen militärischen Mobilisierung“, bzw. laut einer anderen Quelle mit dem Aktentransport.  Tatsache ist, wie El Libertador (s.o.) berichtet: „Die Wochen vor den Wahlen waren von einem militaristischen Szenario gekennzeichnet, im Zusammenhang mit der Ankunft internationaler Beobachter wurden die wichtigsten Militärflughafen in einem Ausmass militarisiert, das den Eindruck vermittelte, Honduras sei ein Land im Krieg. Das gleiche Bild wiederholte sich auf den Strassen.“ Die Copppal-BeobachterInnen etwa wurden stundenlang an der Einreise behindert und damit bedroht, beim nächsten Rückflug deportiert zu werden (s.o.). Dies drohte bestimmt einem Beobachter nicht: Jorge Quiroga, Missionschef für die OAS. Von ihm, einem ultrareaktionären bolivianischen Ex-Präsidenten, der in Lateinamerika stets für die harte Rechte weibelt, sind bestimmt keine Einsprachen gegen eine TSE-Hilfe für ein „richtiges“ Resultat zu erwarten.
Vieles ist derzeit noch spekulativ. Sobald Libre (und der Partido Liberal) allenfalls Akten vorlegen, die denen des TSE und des PN widersprechen, können wir genauer sehen. Was die Parlaments- und Gemeindewahlen betrifft, schwingt die Rechte nach TSE-Angaben eh oben auf. Von der Allianz ist dazu bisher nichts gesagt worden, was eher darauf deutet, dass diese Resultate stimmen könnten. Allerdings kann das bisherige diesbezügliche Schweigen auch mit der Konzentration auf die sehr angespannte Präsidentschaftslage zusammenhängen.

Honduras: Kalte Dusche oder Kaffeeregen?

Dienstag, 28. November 2017



(zas, 28.11.17) Das honduranische Wahlgericht TSE stellt abschliessende Resultate für Donnerstag oder Freitag in Aussicht. Als Grund führt es an, dass es vorläufig primär über Wahlakten aus den Regionen um die beiden grossen Städte des Landes verfüge, die ländlichen Wahlunterlagen würden jedoch nach und nach eintreffen. Allerdings ist zu fragen, warum das TSE in der Nacht auf Montag 57.1 % der Präsidentschaftsakten ausgezählt hatte und es seither bis jetzt (ca. 10h30 am, 28.11.17, in Honduras) auf ganze 58.4 % schaffte (mit 45.05 % für den Mittelinks-Kandidaten Nasralla und 40.29 % für den amtierenden Präsidenten)? Anderthalb Tage für 1.3 % aller Akten? Selbst die UNO-Vertretung in Honduras teilte dem TSE mit: „… wir ermuntern das TSE, die Bevölkerung regelmässig über die Wahlresultate auf zu informieren“.  
Mauschelei? Das ist natürlich der allgemeine Verdacht, der aufkommt. Eine der führenden Putschpersonen von 2009 und mehrmals Minister in den beiden De-facto-Regierungen seither, Arturo Corrales, legte schon früh eine Piste, wobei er die schon in der Nacht von Sonntag geäusserten Elemente des TSE bzgl. des Fehlens der ländlichen Unterlagen aufnahm. Auf dem Land sei JOH unschlagbar. Er wiederholte seither mehrmals, dass JOH, wie der amtierende Präsidentendiktator Juan Orlando Hernández genannt wird, der Sieger sei. Erst gestützt auf eine exit poll seines Unternehmens, danach angeblich auf die Auswertung von Wahlakten, deren Kopien im Besitz der Parteien sind. Zwar konzediert er jetzt auf der angeführten Grundlage von 78 % der Akten einen leichten Vorsprung für Nasralla, der sich aber von 94‘075 auf noch 13‘000 Stimmen reduziert habe. Doch fehlten eben noch 22 % der Akten, und, führt er an, seine ursprünglichen exit-poll-Ergebnisse von 43 % für JOH, 35 % für Nasralla und 19 % für den abgehängten liberalen Kandidaten Luis Zelaya würden dem Trend bei den parallel abgehaltenen Parlaments- und Gemeindewahlen entsprechen.
Die Partei Libre, Hauptkraft in der progressiven Alianza de Oposición contra la Dictatura, hatte gestern ihrerseits eine Zählung von 71.4 % der Akten veröffentlicht, wonach Nasralla mit 45.6 % (etwas über eine Million Stimmen) vor JOH mit 40.6 % (knapp 950‘000 Stimmen) führe. Libre hatte gestern zu einer Kundgebung vor dem TSE aufgerufen, um Betrugsmanöver zu vermeiden. 
Tegucigalpa, 27.11.17: Libre vor dem TSE

Man könnte sagen, es werden die Akten sein, die letztlich den Wahlausgang entscheiden werden. Allerdings belegten zahlreiche Libre-Akten der Präsidentschaftswahl von 2013 grobe Resultatfälschungen, allein, die zuständigen staatlichen Instanzen mit der „internationalen Gemeinschaft“ im Boot foutierten sich königlich darum. So wie die Dinge jetzt liegen, kann durchaus sein, dass in den nächsten zwei oder drei Tagen das TSE JOH zum Sieger erklärt. Sei es, weil die Magistraten bedroht wurden; sei es, weil sie erst zur allgemeinen Überraschung eine Kür der Unparteilichkeit hinzulegen gedachten, bevor sie sich für den „Richtigen“ entscheiden würden; sei es sogar, dass JOH tatsächlich mehr Stimmen gemacht habe (was aber die doch glaubwürdigen Angaben von Libre ziemlich auszuschliessen scheinen).
Sollte überraschenderweise Nasralla zum Präsidenten gekürt werden, würden sich klar Fragen nach den Kalkülen der Mächtigen stellen. Nicht, dass die Allianz eine klar linke Kraft wären. Auch Libre selbst ist vom Parteichef und 2009 gestürzten Präsidenten Mel Zelaya in Richtung „Mitte“ geführt worden (der linke Flügel wird im Parlament nur noch marginal vertreten sein, während Kader aus Mel Zelayas liberaler, früherer Traditionspartei dominieren). Nasralla ist eine black box, von der kaum jemand viel zu wissen scheint. Möglich, dass auch er wie etwa der ecuadorianische Präsident Lenín Moreno in Washington als trojanisches Pferdchen in der Linken wahrgenommen wird. Und doch würde ein Präsidentschaftssieg der Allianz enorm viel bedeuten: einen Bruch im Aufbau einer mörderischen Alltagsrealität von Gewalt, Zerstörung der Lebensgrundlagen von indigenen und bäuerischen Gemeinschaften, Raub von Wasser und anderen Naturelementen zugunsten der Multis, Ersticken einer kritischen Kultur, verschärfte Mediengleichschaltung, Aushändigung des Landes an Washington und die US-Streitkräfte etc. pp. Luft zum Atmen. Viele der Bewegungen und indigenen Völker, die zur Wahl Nasrallas aufgerufen haben, wissen, dass sie ihren Kampf so oder so weiterführen müssen. Auch wenn sich Nasralla und ein Teil von Libre als „Bauern“ im imperialistischen Schachbrett erweisen würden.
Leider reduziert genau das die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung. Aber vielleicht trifft ja zu, was Juan Luis Guerra und die 4:40 einst sangen:

Ojalá que llueva café en el campo...

Hoffentlich regnet es Kaffee auf dem Land...

Ecuador, Honduras: Es grunzt!

Montag, 27. November 2017


Aus der honduranischen Zeitung La Tribuna von heute: Der ecuadorianische "Linkspräsident" hat seinem Kollegen in Honduras schon mal gratuliert. Sagt letzterer.

Honduras: Siegt die Allianz?



(zas, 27.11.17) Laut den letzten Angaben des Wahlgerichts TSE hat die Antidiktatur-Allianz 5 % Vorsprung. Dies nach der Auswertung von 57 % der Wahlurnen. Das Erstaunliche ist, dass diese Zahlen offiziell sind. Sollte sich diese Tendenz halten, stünden wir vor einem unberechenbaren Szenario: Wie würden sich die Militärs, die USA, Hernández etc. verhalten? Doch laut La Prensa seien vorallem die beiden Grosstädte Teguicigalpa und San Pedro Sula ausgezählt worden, viele Resultate aus dem Landesinnern stünden noch an. Das wäre möglicherweise ein Dreh, um die Resultate in die "richtige" Bahn zu leiten. Exit-Polls eines "angesehenen" Unternehmens würden zudem einen Sieg des aktuellen Regierungschefs suggerieren (43 % gegen 34 % für die Allianz).
Die Allianz hatte noch vor den TSE-Veröffentlichungen gestützt offenbar auf ihre Akten folgende vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht:

So oder so wird die Spannung in Honduras in diesen Tagen extrem sein. Falls sich der für die Allianz positive Trend im TSE halten würde (was eigentlich nur eine reale Kanterniederlage der Putschkräfte signalisieren könnte), müsste abgewartet werden, ob die Putschkräfte eine Niederlage akzeptiren und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Umgekehrt wird es bei einem offiziellen Sieg der Putschkräfte, mutmasslich aufgrund von Wahlfälschung, zu Protesten und schwerer Repression kommnen.


Brasilien: von Zynismus und Sinekuren

Sonntag, 26. November 2017



Die von der Regierung Temer und ihren Verbündeten vorangetriebene «Arbeitsreform» kreierte die entsetzliche Modalität der Anstellung von «intermittierender Arbeit», das meint, der Patron stellt den Arbneiter für eine bestimmte Anzahl Stunden an, für anderthalb Dollar die Stunde. Und schon zirkulöiert die Idee von 5-Stunden-Tagen an Samstag und Sonntag, für insgesamt 15 Dollars. Das klingt herabwürdigend, und das ist es.
Obwohl Brasilien laut Verfassung erin laizistisches Land ist, stimmte das Oberste Gericht dem Zwangsreligionsunterricht an den Schulen zu. Ein Sieg der Evangelikalen im Kongress. Die Abgerodneten-Kommission für Verfassung und Gerechtigkeit hat ihrerseits einen Verfassungszusatz angenommen, der die Abtreibnung nach Vergewaltigung, von Föten ohne Gehirn und bei Schwangerschaften, die das Leben der Frau gefährden, verbietet. Die Kommission setzt sich, klar doch, aus 18 Parlamentariern zusammen, die fast alle in evangelischen Sekten sind, und einer einsamen Abgeordenten.  Sie gab die einzige Nein-Stimme ab. Das Gesetz geht jetzt ins Plenum der Kammer. Es sei daran erinnert, dass das bisherige, reichlich konservative Gesetz Abtreibung ausschliesslich in diesen drei Fällen erlaubt.
(…)
Ein anderes neues Phänomen unter so vielen Desastern ist der Zynismus, der in den brasiliansichen Parteien seelenruhig  aufgekommen ist. Nachdem das Oberste Gericht feig einknickte und die Entscheidung den Senatoren überliess, ob sie Aécio Neves suspendieren wollten oder nicht, den gegen Dilma Rousseff 2014 Unterlegenen und danach Mentor des Putsches gegen sie, zeigen sich Auswirkungen auf Prvinzebene. Von Neves existieren Aufnahmen, wie er einen korrupten Unternehmer erpresst. Vor zwei Tagen haben jetzt die Provinzabgeordneten von Rio ihren Parlamentspräsidenten und wzeitr weitere Kollegen aus dem Gefängnis geholt. Sie waren als Mitglieder eine Bande eingesperrt, die seit über 20 Jahren von der Korruption im öffentlichen Verkehrswesen von Rio lebt.
aus: Eric Nepomuceno, Página 12, 19.11.17 - Brasil: ¿qué le hicieron a mi país?

[Zur Zeit machen die Kapitalmedien Stimmung für die von der Regioerung Temer anvisierte Priovfatisierung des Stromversorgungswerks Electrobras. Und] geichzeitig erklärte der Landesverräter Michel Temer die mächtigen Ölmultis für steuerbefreit. Die geschenkten Reichtümer des presal [riesige Ölvorkommen vor der Küste] reichen nicht; die Unternehmen, die das brasilianische Öl grabschten, erhalten von den Putschisten weitere Pfründe.
aus: Mário Augusto Jakobskind, Brasil de Fato, 23.11.17 - Los golpistas de hoy se parecen mucho a los de ayer
Henrique Mereilles, Finanzminister und Lichtgestalt für die Kapitalmedien, und Temer.