Konversation in gehobenen Kreisen

Sonntag, 26. Juli 2020


(zas, 26.7.20) Covid-19, Lockdowns, Zusammenbrüche, Hungersnöte … hey, immer mit der Ruhe. Sagt Tim Adams, Präsident des International Institute of Finance in einem Brief an die FMI, Weltbank, Paris Club und das saudische Finanzministerium.  Der frühere Chef des US-Finanzministeriums für internationale Angelegenheiten kennt sich aus mit Entschuldungsgeschichten. Im Brief des IFF, des Zusammenschlusses führender Finanzinstitute, geht es um eventuelle Schuldendiensterleichterungen für Regierungen. Wir lernen zuerst, dass das IIF da ganz doll an der Sache arbeitet. Zusammen mit der G-20. Nur, eher halt doch kein Aufschub des Schuldendienstes an private Kreditgeber. Denn da gäbe es gewichtige «Herausforderungen»:

We continue to emphasize the importance of credit ratings as a determinant of cost of funding, index inclusion and ultimately of market access. We have discussed the implications of potential private sector participation in the DSSI with the major ratings agencies, concluding that it is virtually impossible to avoid downgrades and credit rating agency-designated default ratings (which stem from net present value losses) without an additional economic component, an improvement in bond covenants or other incentives/credit enhancements that would be needed to achieve the NPV neutrality specified in the DSSI term sheet.

Ja, klar doch. Sie haben die Frage nämlich aus ihrem Interesse an der DSSSI-Initiative für Schuldendienstsuspendierung der G-20 heraus mit den Rating-Agenturen besprochen und sind dabei darauf gekommen, dass so ein Aufschub die Bonität der Schuldner an den Finanzmärkten mindern könnte. Und das wäre wohl das Letzte, was sich in dieser Covid-19-Zeit jemand wünschen könnte. Dann lieber zahlen als Bonitäten aufs Spiel setzen (um Hungernde zu ernähren oder Kranke zu heilen). Aber es gibt eine alternative Möglichkeit: Wenn für eine Phase der Zahlungssuspendierung neue «Anreize» für die Märkte in die Verträge aufgenommen würden. No harm meant, du verstehst, wir alle sind dem Gesetz (der Märkte) unterworfen.

[rojavaagenda] Newsletter Nr. 18: RISE UP 4 THE REVOLUTION!

Montag, 20. Juli 2020

Liebe Genoss_innen und Freund_innen

Am 19. Juli jährt sich der Beginn der Revolution von Rojava zum achten
Mal. «Während der sogenannte Islamische Staat (IS) im Mittleren Osten
seine Schreckensherrschaft mit türkischer Unterstützung immer mehr
ausweitete, setzte Rojava mit seiner von Frauen angeführten Revolution
ein deutliches Zeichen gegen diesen schärfsten Ausdruck des
Patriarchats», erklärt die Kurdische Frauenbewegung in Europa
(https://anfdeutsch.com/aktuelles/frauenbewegung-weltweite-aktionen-zu-rojava-revolutionsjahrestag-20434).
Der kurdische Europadachverband KCDK-E schreibt dazu: «Diese Revolution
erzeugte einen tiefen Eindruck im Mittleren Osten und stellt ein
Hindernis für die Machtinteressen der Hegemonialmächte dar. Als
Frauenrevolution des 21. Jahrhunderts gibt sie der Menschheit Hoffnung.»
(siehe
https://anfdeutsch.com/aktuelles/kcdk-e-ruft-zu-rojava-solidaritaetsaktionen-am-wochenende-auf-20419).
Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK ihrerseits erinnert
daran, dass die Rojava-Revolution aus einer langen Geschichte entstand
und würdigt zudem die internationale Solidarität:
https://anfdeutsch.com/kurdistan/kck-die-revolution-von-rojava-weiterhin-hoffnung-fuer-voelker-20437.
Die Kampagnen Women Defend Rojava, RiseUp4Rojava, Make Rojava Green
Again und die Internationalistische Kommune rufen für dieses Wochenende
zur Teilnahme an den globalen Aktionstagen auf – „gegen Kolonialismus,
Faschismus, das Patriarchat und Femizide, ökologische Zerstörung und
alle Formen der Unterdrückung in der ganzen Welt”. Neben Demonstrationen
und Jubiläumsfeiern finden auch Online-Veranstaltungen stat. Hier geht
es zum Aufruf:
https://riseup4rojava.org/de/aufruf-zu-globalen-aktionstagen-am-18-und-19-juli/
und zu der Liste der verschiedenen Demos und Online-Veranstaltungen:
https://anfdeutsch.com/aktuelles/globaler-aktionsplan-zum-jahrestag-der-rojava-revolution-20431.


Demo «8 Jahre Rojava-Revolution» heute Samstag, 18. Juli um 16 Uhr im De
Wette Park in Basel – anschliessend Kundgebung in Gedenken an das
Suruc-Attentat (17 Uhr, Barfüsserplatz).

«Wir weichen niemals zurück!»
Dienstagmorgen sind wieder Dutzende Frauen in Amed (Diyarbakir) und
Dîlok (Gaziantep) festgenommen worden – zahlreiche Frauenverbände aus
der Türkei protestieren gegen diese jüngste Repressionswelle: «Bei den
festgenommenen Frauen handelt es sich um unsere Freundinnen, die seit
Jahren unter dem Dach der TJA für Frauenbefreiung kämpfen und Frauen in
der Politik, in den Medien und in Gewerkschaften Geltung verschaffen.
Dass es sich bei dem Angriff auf die kurdische Frauenbewegung nicht um
den ersten Angriff handelt, wissen wir von zahlreichen weiteren
Freundinnen, die als politische Geiseln im Gefängnis festgehalten
werden. Wann immer das Männerbündnis AKP/MHP in Bedrängnis ist, greift
es den freien Willen von Frauen an. (…) Wir sagen es noch einmal: Der
Kampf der festgenommenen Frauen ist auch unser Kampf. Wir werden uns
nicht beugen und wir werden niemals gehorchen. Uns gibt es und wir sind
hier.»
(https://anfdeutsch.com/frauen/frauenorganisationen-wir-weichen-niemals-zurueck-20380).
Unter anderem wurde Ayse Gokkan, Sprecherin der TJA, verhaftet, die vor
kurzem an einer Online-Veranstaltung von Netzwerk Women Weaving the
future teilgenommen hatte (https://www.youtube.com/watch?v=9eywwRVjPJo).
Dieses Netzwerk organisiert übrigens morgen eine Online-Veranstaltung
(auf Englisch) mit der YPJ-Kommandantin Aryen Rojava, um einen Einblick
in das Verständnis und die Notwenigkeit von autonomer Selbstverteidigung
zu geben: https://youtu.be/dkxUDSP1POM.

Wer noch auf der Suche nach spannende Sommerlektüre ist, empfehlen wir
nebst der neu erschienene Übersetzung des dritten Bands von Abdullah
Öcalans «Soziologie der Freiheit» (siehe
https://kritisch-lesen.de/rezension/ocalan-der-ideengeber) der neue
Kurdistan Report, wie immer mit Artikeln zur aktuellen Lage und
Hintergrundsanalysen: http://www.kurdistan-report.de/.

Und zum Schluss noch ein bisschen Musik von Genossinnen aus Deutschland
zur Feier der Rojava-Revolution:
https://www.youtube.com/watch?v=lIEMaPmF2vs&feature=youtu.be.

Mit solidarischen und kämpferischen Grüssen
Rojava Komitee Zürich

rojavaagenda.noblogs.org
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Twitter: @AgendaRojka
#riseup4rojava
***Email gerne weiterleiten***
Wenn ihr regelmässig diesen Newsletter bekommen wollt und noch nicht auf
der Liste seid, dann schreibt ein leeres Email an:
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Brasilien: Brief an die Freunde und Freundinnen im Ausland

Sonntag, 19. Juli 2020

https://terradedireitos.org.br/uploads/imagens/Paiol-2-Lizely-Borges.JPG

Ein von der Regierung angestrebter Massenmord mittels Covid-19. Im Visier: Die unten.

Frei Betto*

In Brasilien geschieht ein Genozid. Heute, am 16. Juli, hat Covid-19, das hier seit Februar existiert, schon über 76'000 Personen getötet. Und fast schon 2 Millionen sind infiziert. Bis Sonntag, den 19. Juli, werden wir 80'000 Todesopfer haben. Wenn Du diesen dramatischen Appell liest, sind es vielleicht schon 100'000.

Denke ich an den Vietnamkrieg zurück, in dem in 20 Jahren 58'000 Leben von US-Militärs geopfert wurden, habe ich ein Mass dafür, wie schwerwiegend das ist, was in meinem Land passiert. Dieser Horror provoziert Empörung und Revolte. Und wir wissen alle, dass die in so vielen anderen Ländern angewandten Massnahmen zur Prävention und Einschränkung diese Zahl an Sterblichkeit hätten vermeiden können.

Dieser Genozid ist nicht auf eine Gleichgültigkeit der Regierung Bolsonaro zurückzuführen. Er ist beabsichtigt. Bolsonaro vergnügt sich am Tod anderer. Als Bundesabgeordneter sagte er in einem TV-Interview: «Mit Wahlen änderst du nichts in diesem Land, nichts, rein nichts. Das wird sich leider erst ändern, wenn wir eines Tages in einen Bürgerkrieg ziehen und die Arbeit erledigen, die das Militärregime nicht gemacht hat: 30'000 zu töten.»

Als er für das Impeachment von Präsidentin Dilma optierte, widmete er seine Stimme dem berüchtigsten Folterer der Armee, Oberst Brilhante Ustra.

Da er so auf Sterben steht, gehört die Befreiung des Waffenhandels zum Kerngeschäft seiner Regierung. Als er vor dem Präsidentenpalast gefragt wurde, ob ihm die Zahl des Pandemieopfer denn nicht wichtig sei, antwortete er: «Ich kann diese Zahl (92 Tote am 27. März) nicht glauben»; «Wir alle werden einmal sterben» (29. März, 136 Tote); «Und? Was soll ich machen?» (28. April, 6017 Tote).

Warum diese nekrophile Politik? Von Beginn weg erklärte er, wichtig sei, die Wirtschaft zu retten, nicht Leben. Daher seine Weigerung, einen Lockdown zu verhängen, die Orientierungen der WHO zu akzeptieren und Beatmungsgeräte und individuelle Schutzausrüstungen zu importieren. Deshalb musste das Oberste Gericht diese Verantwortung an Gouverneure und Präfekten delegieren.

Bolsonaro akzeptierte nicht einmal die Autorität seiner eigenen Gesundheitsminister. Seit Februar hatte Brasilien zwei, beide demissionierten, weil sie sie sich weigerten, die Position Bolsonaros zu übernehmen. Jetzt steht General Pazuello dem Ministerium vor, der nichts von Gesundheitspolitik versteht. Dafür versuchte er, die Opferzahlen der Pandemie zu verheimlichen; berief er 38 dafür nicht qualifizierte Militärs auf wichtige Posten des Ministeriums und schuf die täglichen Presseauftritte ab, über die sich die Bevölkerung orientierte.

Es würde den Raum sprengen, alle Massnahmen zur Unterstützung von Opfern und Familien mit niedrigem Einkommen (über 100 Millionen BrasilianerInnen) aufzuzählen, die nie umgesetzt wurden.

Die Gründe für die kriminelle Absicht der Regierung Bolsonaro sind offensichtlich. Die Alten sterben lassen, um Sozialausgaben zu sparen. Menschen mit Vorerkrankungen sterben zu lassen, um Kosten im öffentlichen Gesundheitswesen einzusparen. Die Armen sterben zu lassen, um Kosten von Bolsa Familia und anderen Sozialprogrammen für die 52.5 Millionen in Armut und die 13.5 Millionen in extremer Armut (offizielle Angaben) zu optimieren.

Noch nicht zufrieden solchen todbringenden Massnahmen, hat der Präsident jetzt das Veto gegen jenen Teil des Gesetzes vom 3. Juli eingelegt, der das Tragen von Schutzmasken in Geschäften, Kirchen und Schulen für obligatorisch erklärt. Er legte auch das Veto ein gegen Bussen für Nichtbefolgung der Regeln und die Verpflichtung für die Regierung, Masken an die Ärmsten, Hauptopfer von Covid-19, und die Gefangen zu verteilen. Doch diese Vetos können lokale Bestimmungen über das Maskenobligatorium nicht annullieren.

Am 8. Juli legte Bolsonaro das Veto gegen vom Senat verabschiedete Gesetzesbestimmungen ein, die seine Regierung verpflichtet hätten, den indigenen Dörfern Trinkwasser und Hygienematerial, Internetzugang, Essenskörbe, Saatgut und andere Agrargüter zur Verfügung zu stellen. Er belegte mit einem Veto auch den Gesundheitsnotfonds für indigene Gesundheit und die Nothilfe während dreier Monate von 600 Reais (€ 100) für Indigene und Quilombolas[1]. Ebenfalls die Verpflichtung der Regierung für mehr Spitalbetten, Geräte für Beatmung und Messung von Sauerstoff im Blut zugunsten indigener Völker und Quilombolas.

Indigene und Quilombolas werden durch die wachsende sozioökologische Zerstörung insbesondere im Amazonasgebiet dezimiert.

Bitte, macht dieses Verbrechen gegen die Menschheit so bekannt wie möglich. Es ist wichtig, dass die die Medien in Euren Ländern davon erfahren, die Social Media, der UNO-Menschenrechtsrat in Genf, der Internationale Gerichtshof in Den Haag, aber auch die Banken und Unternehmen, die die von der Regierung Bolsonaro so umworbenen Investoren schützen.

Lange, bevor die Zeitschrift The Economist den Begriff verwendete, zirkulierte in den Social Media die Bezeichnung BolsoNero – während Rom brennt, spielt er die Leier und betreibt Propaganda für Chloroquin, eine Arznei ohne wissenschaftliche Evidenz einens Nutzens gegen das neue Virus. Aber seine Hersteller sind politische Alliierte des Präsidenten …

Ich danke für Euer solidarisches Interesse bei der Verbreitung dieses Briefes. Nur Druck aus dem Ausland kann den Genozid stoppen, der unser geliebtes und wunderbares Brasilien heimsucht.

Herzlich, Frei Betto.

·         cartamaior.org, 17.7.20: Carta aos amigos e amigas do exterior. Der Autor ist ein bekannter Befreiungstheologe und Berater sozialer Bewegungen.

https://terradedireitos.org.br/uploads/imagens/Paiol-2-Lizely-Borges.JPG


[1] AfrobrasilianerInnen in ursprünglich von geflüchteten SklavInnen bewohnten Territorien.

Nicaragua: Vor dem Jahrestag der Revolution

Samstag, 18. Juli 2020

Morgen ist der 19 de julio - Jahrestag der sandinistischen Revolution vom 1979.
Wegen Corona wird es keine Grossveranstaltung geben. Doch die Sandinistas organisieren zahlreiche kleine Feiern. Manche mochten nicht warten und taten ihre Freude heute schon kund. Hier Szenen aus einem Quartier im Osten von Managua.


Förderte auch die Schweiz den Umsturzversuch in Nicaragua?


Nicaragua / Schweiz / USA / Politik

Förderte auch die Schweiz den Umsturzversuch in Nicaragua?

Die der Opposition zugehörige Stiftung Funides erhielt Gelder von der Schweizer Deza
Die der Opposition zugehörige Stiftung Funides erhielt Gelder von der Schweizer Deza

Bern/Managua. Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist in Nicaragua in die Kritik geraten.

Mit dem Anspruch "die Inklusion der Armen und Verletzlichen, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die Menschenrechte und die demokratische Regierungsführung zu fördern", ist die Deza nach eigenen Angaben in dem mittelamerikanischen Land aktiv. Sie unterstützt unter anderem die Nicaraguanische Stiftung für ökonomische und soziale Entwicklung (Funides), die an der Organisierung des Putschversuchs gegen die Regierung von Präsident Daniel Ortega 2018 beteiligt war. Der eher regierungsnahe Onlinedienst nicaleaks.com hinterfragte nun die entwicklungspolitische Zielsetzung dieser "Förderung" und verglich sie mit der bekannt gewordenen Mittelverwendung von Funides.

Demnach zahlte die Deza zwischen Januar und Oktober 2019 70.000 US-Dollar, die sich mit früheren Zahlungen zu 155.000 Dollar in dem Zeitraum addierten. Davon wurden Löhne von fast 34.000 und Beraterhonorare von rund 33.000 Dollar bezahlt, Reisekosten von etwa 13.500 und Unterbringungskosten von knapp 5.000 Dollar. Für Büromaterial verwendete Funides in der Zeit 3 Dollar und 17 Cent, für Reinigung und Cafeteria-Bedarf 15,26 Dollar.

Der nicaleaks-Autor fragt daher, wo in den Abrechnungen die "Armen und Schutzbedürftigen" auftauchen? Er kommt zu der Einschätzung, dass die Gelder verwendet wurden, "um Nicaraguas Oligarchie reicher zu machen und ihre Destabilisierungsmaßnahmen gegen die Regierung zu fördern".

Der Leiter von Funides, Juan Sebastián Chamorro García, tauchte unlängst auch in weiteren Beiträgen zur Finanzierung des Putschversuchs von 2018 auf. Dazu gehören die direkten Zahlungen über US-Entwicklungsagentur USAID und von der Botschaft der USA in Managua sowie indirekte Zahlungen aus den USA über das Hauptquartier der INCAE-Business School in Costa Rica. Der Journalist William Grigsby Vado hatte über die finanzielle Unterstützung der Regierungsgegner in Nicaragua berichtet.

Aber nicht nur diese Finanzierung wird in Nicaragua weiterhin diskutiert, sondern auch die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen.

Die vom Parlament eingesetzte Kommission für Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden (CVJP) legte am Freitag einen Abschlussbericht vor. Bei ihrer Untersuchung der Gewalt vom April bis Juli 2018 kommt sie auf insgesamt 248 Todesfälle, die direkt in einem Zusammenhang mit den Unruhen stehen.

Dem Bericht der CVJP liegt der Vergleich aller von verschiedenen Gruppierungen benannten Menschenrechtsverletzungen und ihre detaillierte Überprüfung auf sachliche Richtigkeit und den Zusammenhang der Tat zu Grunde. Von Menschenrechtsorganisationen waren deutlich höhere Zahlen genannt worden, die sich aber laut CVJP zum Teil in einem anderen Zusammenhang ereignet oder andere Ursachen wie etwa häusliche Unfälle oder natürlichen Tod hatten. 113 Todesfälle wurden von ihnen nur als Zahlen genannt, ohne dass eine Person identifiziert werden konnte. Ein Teil dieser Organisationen hatte in den letzten Monaten auch die Übertreibung ihrer Angaben eingestanden.

Um eine vollständige Aufarbeitung der Todesfälle durchzuführen, hatte die CVJP mehrfach versucht, dies gemeinsam mit den Menschenrechtsorganisationen im Land anzugehen. Allerdings war keine zur Zusammenarbeit bereit.

Schweiz/Venezuela: Die Schraube anziehen

(zas, 18.7.20) Am letzten 7. Juli übernahm die Schweiz von der EU-Sanktionen gegen weitere elf venezolanische FunktionärInnen. Gemäss der damit aktualisierten Verordnung über Massnahmen gegen Venezuela vom 28. März 2018 erstrecken sich die Sanktionen, die gemeinhin als Einreiseverbote oder Konfiszierung von Bankkonten der betroffenen natürlichen oder juristischen Personen gehandelt werden, auch auf «Unternehmen und Organisationen, die im Namen oder auf Anweisung der natürlichen Personen, Unternehmen und Organisationen nach Buchstabe a handeln» oder «sich im Eigentum oder unter Kontrolle» dieser Personen «befinden» (2. Abschnitt). «Buchstabe a» bezieht sich auf eine Liste (hier und hier). [i]

Es sind diese «sekundären», also nicht nur das genannte Individuum betreffenden Sanktionen, die in Venezuela, aber auch in anderen sanktionierten Ländern enorme wirtschaftliche und soziale Zerstörungen anrichten. Dies aus einem einfachen Grund. Sagt das US-Finanzministerium, die Behörde oder Institution, mit der eine sanktionierte Person verbunden ist, stehe unter ihrer Kontrolle, sind allenfalls im Ausland gelagerte Vermögenswerte der besagten Entität oder ihre Zahlungen, die über das US-Finanzsystem abgewickelt werden, automatisch beschlagnahmt. Brüssel und im Schlepptau Bern kopieren wie andere Länder fast ebenso automatisch die US-Vorgaben in ihren eigenen Sanktionserlassen. Die Finanz- und Wirtschaftsblockade wird nach US-Belieben zunehmend totalisiert oder entschärft, je nach «Betragen» des betroffenen Landes.

Weniger als einen Monat vor den neuen Sanktionen organisierte die Schweiz via DEZA für eine Reihe von UN-Organisationen und das IKRK einen Flug humanitärer Güter nach Venezuela im Zusammenhang mit der Coronaepidemie. Die alte Geschichte:  Man zeigt am Schaufenster ein Mal die «menschliche» Seite und wütet dafür andauernd off the record. Oder hätte wer davon gehört, dass das Schweizer Finanzdepartement und die Nationalbank sich im IWF gegen die Verweigerung von Covid-19-Nothilfen an Nicaragua oder Venezuela ausgesprochen hätte?

So verlogen wie die Begründung jüngster Schweizer Sanktionen gegen Nicaragua war (s. Nicaragua/Schweiz: Sanktionen und die alte Doppelmoral), ist sie es heute bei den neuen Angriffen auf Venezuela. Dabei gibt es ein Novum: Erstmals wird ein Nicht-Chavist sanktioniert. Der letzten Januar neu gewählte rechte Parlamentspräsident Luis Eduardo Parra Rivero und sein Vize fallen auch in Bern in Ungnade. Aus der Seco-Begründung: «The election took place while entry of several parliamentarians to the premises of the National Assembly was blocked by military police.» Wir erinnern uns an die Foto: Juan Guaidó, der von Trump erkorene «Präsident» Venezuelas und, bis letzten Januar, Parlamentspräsident, versucht, über eine Gitterabsperrung zu klettern, um, wie der Medienmainstream mitteilte, zur Wahlsession des Parlaments gelangen zu können. Nur: Guaidó hätte mühelos durch den für ihn und die anderen ParlamentarierInnen offenen Eingang hineinspazieren können, ein paar Meter neben der «dramatischen Szene». Aber nicht so sein Gefolgstrupp aus Ultras.

Trump ernannte Guaidó im Januar 2019 zum «legitimen Präsidenten» Venezuelas, auf der Basis der dreisten Lüge, Maduros Amtszeit sei abgelaufen und sein Interimsnachfolger sei deshalb Juan Guaidó.  In Washington setzte man auf zwei Entwicklungsachsen: 1. damit genügend nationalen und internationalen Support für die Figur zu generieren, um die Chavistas in einer Kombination von Protesten, «Grenzkonflikten» und (para-) militärischen Vorstössen primär aus Kolumbien stürzen zu können; 2. Mit Guaidós Ernennung so etwas wie rechtmässigen Zugriff auf die venezolanischen Reichtümer zu erlangen. Ersteres scheint gescheitert, von Trump zirkulieren Bemerkungen, Guaidó verliere an «Strahlkraft». Anders der zweite Punkt. Die Kombination von «legitimer Präsidentschaft» und Sanktionen benutzte das westliche Empire, um sich den im Ausland befindlichen Reichtum Venezuelas unter den Nagel zu reissen. Vor wenigen Wochen etwa verweigerte ein britisches Gericht die Herausgabe von Goldreserven im Wert von $ 1.7 Mrd., welche die venezolanischen Zentralbank bei der Bank of England deponiert hatte. Begründung: Die britische Regierung habe Guaidó als Präsident anerkannt. Lehrreich ist die Geschichte der Citgo, der Filiale des staatlichen Erdölkonzerns Pdvsa. Citgo betreibt eines der grossen Raffinerie- und Tankstellennetzes in den USA. Im Januar 2019, als Trump sagte, Guaidó sei der Boss, beschlagnahmte er mit einem Präsidialerlass auch die Citgo. Im folgenden Mai gab ein Gericht in Delaware dem kanadischen Minenmulti Crystallex grünes Licht für eine Entschädigung aus dem Verkauf von Citgo-Aktien. Chávez hatte 2008 eine Goldmine der Crystallex nationalisiert, die mit Erfolg an das Investorengericht ICSID der Weltbank für eine massiv erhöhte Entschädigung von $ 1.4 Mrd. gelangte. Vor dem gleichen Gericht in Delaware klagt ConocoPhillips für ebenfalls via Citgo-Aktien zu bezahlende $ 8.7 Mrd. Beide Unternehmen klagten, weil es Venezuela sanktionsbedingt unmöglich war, die ausgehandelten Raten zu überweisen.

Die chavistische Journalistin Anahí Arizmendi hat vor wenigen Tagen mehrere dieser Raubzüge kurz zusammengefasst. Nur einer sei hier noch gestreift: Venezuela hatte 2015 bei der Citibank Goldreserven als Garantie für einen Kredit von 1.6 Mrd. hinterlegt. Im März 2019, wenige Wochen nach Trumps umfassendem Exekutivdekret und der Ernennung Guaidos zum Präsidenten, führte Citi «einen Rückstand» der venezolanischen Ratenzahlungen als Grund dafür an, dass sie sich aus dem venezolanischen Goldreichtum entschädigte und den Rest des Goldes auf ein Konto der US-Notenbank verschob, theoretisch im Besitz der «legitimen Regierung». Die stänkert aber andauernd, dass sie nur Brosamen erhalte. Dafür hat Washington mindestens $ 600 Mio. aus dem Citgo-Fonds für den Mauerbau an der mexikanischen Grenze ausgegeben, berichtet der US-Sender Univisión.  

An den direkten Folgen der Sanktionen sind laut Aussagen im UNO-Menschenrechtsrat schon 100'000 Menschen gestorben. «Der Effekt der Sanktionen ist kontinuierlich und verstärkt sich. Es ist wie in Star Wars, wenn Darth Vader jemandes Kehle eindrückt. Das machen wir wirtschaftlich mit dem Regime.» Sagte ein gewisser John Bolton im März letztes Jahr (Sie wissen, was sie tun).

 

Aber, du verstehst, solange der US-Präsident sagt, Guaidó sei the man, ist dies Gesetz. Wer es bricht, muss bestraft werden, findet man auch in Bern. Zum Beispiel also eine Parlamentsmehrheit, die ihren neuen Präsidenten wählt (und damit die Guaidó-Diktion weiter unterhöhlt). Die Erbärmlichkeit dieser TäterInnen mit ihren Wortblasen von democracy all over the world macht ein Blick auf das Nachbarland Kolumbien nur noch bitterer. Da ist es nicht mehr so, dass wir alle zwei Tage einen Regimemord an linken AktivistInnen beklagen müssen. Heute sind es oft mehrere Morde am Tag. «Natürlich» flüstert hier kein Schwein in Bundesbern was von beschlagnahmten Konti etwa bei CS oder UBS. Zur «demokratischen Kultur» in diesem NATO-Partner s. Kolumbien: Folter an Farc-Mitgliedern und weitere Kriegsverbrechen aufgedeckt. Wie die USA in Kolumbien zur Zeit Paramilitarismus und Aufmarsch gegen Venezuela unter einen Hut bringen wollen, ist in Gerichtshof verordnet Abbruch der Operationen einer US-Elitetruppe in Kolumbien nachzulesen.



[i] Die identische Formulierung findet sich auch in «Massnahmen gegenüber Nicaragua» vom 24. Juni 2020.