MIT-Forscher sagen: Kein Wahlbetrug in Bolivien

Samstag, 29. Februar 2020


(zas, 29.2.20) Vorgestern veröffentlichte die Washington Post einen Artikel von Jack R. Williams und John Curiel; beide arbeiten im Election Data and Science Lab des Massachusetts Institute of Technology. Sie haben sämtliche Daten der bolivianischen Wahlbehörde TSE von letztem Oktober einer statistischen Analyse unterzogen und kommen zum klaren Schluss: Die Resultate ergeben null Hinweis auf eine Manipulation. Die endlos wiedergekäute Lüge der Organisation Amerikanischer Staaten, die (juristisch ohnehin nicht bindende) vorläufige Auszählung der Resultate sei aus «unerklärlichen Gründen» beim Stand von etwas über 80 % der Akten gestoppt worden, bei der Wiederaufnahme der Veröffentlichung sei es dann aber zu einem «höchst unwahrscheinlichen» Vorsprung von Evo Morales von über 10 % auf seinen nächsten Konkurrenten, Carlos Mesa, gekommen, wird von den beiden MIT-Autoren als falsch analysiert. Sie schreiben: «Unsere Resultate sind klar. Es scheint keine statistisch bedeutsame Differenz in der Marge vor und nach dem Stopp der vorläufigen Auszählung zu geben. Es ist im Gegenteil höchst wahrscheinlich, dass Morales die 10 % -Marge in der ersten Runde überschritten hat.» (10 % -Vorsprung: Bedingung für einen Sieg in der ersten Runde.)
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Inhaltlich entspricht das Kurzpapier der beiden Autoren den Ergebnissen, die das Center for Economic and Policy Research schon bald nach den Wahlen vorgelegt hat (s. dazu Die Falschspieler von der OAS, Correos 196). Bemerkenswert sind zwei Dinge: Das MIT gilt als eine führende Instanz auf dem Gebiet, und die Post bequemte sich jetzt dazu, den Beitrag der beiden Autoren zu veröffentlichen. MIT hin, MIT her: Die OAS antwortet auch ihnen nicht: «Wir haben wie andere ForscherInnen die OAS um einen Kommentar ersucht; die OAS hat nicht geantwortet.»
Vielleicht, ganz vielleicht, konzedieren irgendwann mal auch jene «progressiven» Stimmen aus angeblichen Solikreisen, die sich bisher nicht genug über den ja von der OAS selbst «nachgewiesenen Wahlbetrug» von Evo Morales empört haben (und oft die faschistischen Strukturen zum «Bürgerwiderstand» verklären, ganz menschenrechtlich natürlich), dass bei diesem Punkt nicht alles ganz restlos gesichert sei.
Eines müssen wir klar voraussetzen: Bei den vom Putschregime auf den 3. Mai angesetzten und von den OAS-Leuten unterstützten «Wahlen» wird es mit Sicherheit zu einem Wahlbetrug kommen. Wenn der dann nicht ganz verschwiegen werden kann, werden der mediale Mainstream und seine «fortschrittlichen» AdlatInnen ein mangelndes demokratisches Ethos der BolivianerInnen in Bolivien beklagen, wie stets vom Olymp der Selbstgerechtigkeit aus.  

El Salvador: Putsch in slow motion – aktueller Stand

Mittwoch, 26. Februar 2020


(zas, 26.2.20) Am Dienstag vergangene Woche donnerten am Nachmittag wiederholt Flugstaffeln der Luftwaffe über San Salvador. Wenige Leute dürften die Botschaft von Präsident Nayib Bukele nicht getickt haben: «Ich bin der Boss, die Armee tut, was ich ihr sage.» 
Bukele führt seinen Herrschaftsanspruch vor. Quelle: Twitter Bukele.
Zum Hintergrund dieses  «Events» – militärische Besetzung des Parlamentsgebäudes am 9. Februar bei gleichzeitig markant verstärkter Armeepräsenz in Teilen der Hauptstadt – siehe El Salvador: Ein Putsch in process (8.2.20) und El Salvador: Putschversuch erstmal gescheitert (10.2.20). Es ging Bukele damals nicht um den als Anlass für den Selbstputsch und den einen imaginierten «Aufstand» des Volkes gehandelten undurchsichtigen Kreditantrag ($ 109 Mio. angeblich für die Verbrechensbekämpfung), sondern darum, den noch widerstrebenden Teil der Rechten an die Leine zu nehmen. Dann wäre die Bahn frei für den Grossangriff auf den den linken FMLN. Dabei vergriff sich der Clan um Bukele in der Wahl der Mittel. Sie verwechselte ihre Aspiration, die traditionelle Oligarchie (und deren politischen Apparate) als favourite business partner der US-Investoren zu ersetzen, mit dem Ist-Zustand. Es hagelte Kritik an der Armeebesetzung des Parlaments von Seiten zahlreicher salvadorianischer und zentralamerikanischer Handelskammern oder Sozialorganisationen. Grosse US-Medien riefen «Pfui», die US-Botschaft und Mitglieder des US-Kongresses verurteilten das Geschehen. Bukele musste zurückkrebsen. Im Gebet im militarisierten Parlamentssaal habe ihm Gott «Geduld» angeraten. Er gebe dem Parlament noch genau eine Woche, den Kredit zu sprechen, ansonsten werde er sich am nächsten Sonntag vor dem «Volk» nicht mehr um eine Gnadenfrist für die kriminellen Abgeordneten verwenden. Die Verfassungskammer des Obersten Gerichts suspendierte tags darauf mit grünem Licht aus Washington Bukeles neue (verfassungswidrige) Einberufung des Parlaments zur Sondersession samt angedrohter «Volksmobilisierung».

Rattendiskurs
Vorübergehend sprang nun Bukele-Intimus Walter Araujo in die Bresche. Der frühere Chef der traditionellen Rechtspartei ARENA veröffentlichte auf Youtube und Facebook Geiferorgien gegen die ausschliesslich als Ratten titulierten unbotmässigen ParlamentarierInnen. Er kündigte an, an dem von Bukele als letzte Schonfrist genannten Sonntag, dem 16. Februar, an der Spitze des Volkes den Rattenpalast auszuräuchern. 50'000 seien seinem Aufruf gefolgt, liess der Möchtegern-Tribun dann nach dem 15-Minuten-Anlass mit Ankündigung einer verlängerten Schonfrist verlauten. Gekommen waren um die 300-500 LoyalistInnen aus Bukeles Partei Nuevas Ideas.
Am Dienstag danach also donnerten die Flugstaffeln während einer Stunde immer wieder über San Salvador hinweg. Sie feierten so eine erneute Bukele- Vergrösserung der Streitkräfte – der laut Eigenwerbung «populärste» und «coolste» Präsident der Welt nahm gerade vor dem Nationalpalast weiteren 1400 neuen SoldatInnen den Amtseid ab. «Unsere Helden», wie Bukele und sein Lager die Militärs bezeichnen, hatten sich schwer bewaffnet, mit martialischem Getrampel und mit Tarnfarben aufgemotzten Gesichter aufgestellt, um diesen Worten des Präsidenten zu lauschen: «Ich will euch grüssen, nicht als Oberkommandant der Streitkräfte, sondern als Salvadoreño, und euch danken, denn ihr habt euch dafür entschieden, die Salvadorianer vor inneren und äusseren Feinden zu schützen … Es sind schwere Zeiten, in denen wir wissen, dass die Mehrheit der Politiker Kriminelle beschützen. Zeiten, in denen wir wissen, dass
Abgeordnete und Ex-Minister die Kriminellen finanzierten, die ihr verfolgen und fangen werdet. Zeiten, in denen wir wissen, dass Abgeordnete Skandal schreien, wenn sie einen Militär sehen, aber keinen Skandal sahen, als Bandenmitglieder das Parlament betraten, um über das Leben der Salvadoreños zu verhandeln.»

Etwas Faktenlage
Das Bukele-Lager vertritt die von der Staatsanwaltschaft und fast allen Medien vertretene These, sowohl führende ExponentInnen der Rechtspartei ARENA wie des linken FMLN hätten den Maras, den früheren Strassenbanden zwecks Wahlhilfe massiv Geld geschoben. Bei führenden ARENA-Kadern liegen entsprechende Beweise vor. Bei Mitgliedern des FMLN dagegen gibt es bis jetzt nur extrem wacklige Handyaufnahmen, ohne Möglichkeit, Stimmen, Sätze oder Gesichter zu erkennen. Nur in einem Fall existiert eine besser erkennbare Szene: Ein späterer Innenminister des FMLN wird von Mareros beim Zutritt zu einer Wahlveranstaltung in einer Comunidad «abgefangen» und versichert ihnen im folgenden Gespräch, eine künftige FMLN-Regierung werde Rotationskredite für produktive Projekte für ihre Integration sprechen. Ist ein Hilfswerk-Diskurs schon illegal in einer Situation, in der zahlreiche Gesundheitsposten in Unterklassenquartieren für ihr Funktionieren erst die «Erlaubnis» der örtlichen Gang einholen müssen? Die erste FMLN-Koalitionsregierung (2009-2014) hatte mit OAS-Segen faktisch eine Art Waffenstillstand mit den Maras geschlossen. Das Resultat: eine gefährliche Ausweitung der Territorialmacht der weitgehend unbehelligten Maras, die dafür auf das Abschlachten der Mitglieder der konkurrierenden Gruppe verzichtet hatten. Danach und erst recht unter der zweiten FMLN-Regierung (2014-2019) wurde der Kampf gegen die professionellen, mit dem Drogenhandel verbundenen Gewaltstrukturen eindeutig verschärft, verbunden mit Sozialprogrammen v. a. für sehr junge Mara-Mitglieder und ausstiegswillige Gefangene. (Dabei kam es entgegen der Regierungslinie wiederholt zu Massakern an realen oder angeblichen Mareros, der Korpsgeist in Polizei und Armee war stärker als die politische Leitung.)
Dennoch sind sich die Generalstaatsanwaltschaft und die Medien, auch die sogenannt investigativen wie El Faro, seit Jahr und Tag einig: links wie rechts hat mit den Maras paktiert. Als «Beweise» gegen den FMLN werden anonyme Kronzeugenaussagen angeführt… Ein Detail noch: Bukeles Innenminister und ein weiteres prominentes Kabinettsmitglied hatten für Bukele, damals noch Bürgermeister von San Salvador, mit den Maras laut präziser polizeilicher Observation einen Nichtangriffsdeal ausgehandelt.

Rattendiskurs und Applaus
Letzten Donnerstag eröffnete Bukele das Gouverneurstreffen der Interamerikanischen Entwicklungsbank (span. Kürzel: BID) in San Salvador. Indirekt bezugnehmend auf das negative Echo des internationalen Medienmainstreams auf die Okkupation des Parlaments sagte der Typ in seiner Ansprache: «Würden Sie einen Tag in El Salvador leben, glauben Sie mir, Sie würden alle Politiker zusammen verbrennen.»
Und wie reagierte Luis Alberto Moreno, Chef des internationalen Finanzinstituts darauf? So: «Der BID unterstützt den Weg des Wirtschaftswachstums, den Präsident Bukele eingeschlagen hat. Dafür mein Glückwunsch an Sie, denn Sie konzentrieren sich darauf, mehr Investitionen anzulocken, einen ‘Schock’ zu erzeugen, und das wollen wir entschlossen verteidigen.» Der Washington-Insider Moreno hatte sich als kolumbianischer Botschafter der beiden rechtsextremen Regierungen Pastrana und Uribe in Washington der massgeblichen Beteiligung an der Entwicklung des verheerenden Plan Colombia schuldig gemacht.

Moreno (l) lauscht angetan.
Der FMLN
Es war ein Zufall, doch der FMLN hatte gut reagiert: Am 9. Februar, dem angekündigten Tag des Selbstputsches, war in San Marcos bei San Salvador eine Konvention des FMLN angesagt. In grösserer Zahl als üblich waren die Delegierten aus dem ganzen Land gekommen. Als sich die Kunde verbreitete, dass Armee und Polizei die Konventionshalle grossräumig umzingelt hatten, begann die Mobilisierung zur Unterstützung aus vielen Gemeinden. Der FMLN hatte als einzige Kraft an diesem Tag praktisch gehandelt und sich nicht auf ein Communiqué beschränkt. Intern war, so berichteten manche AktivistInnen, zum ersten Mal wieder wieder Stolz auf den Frente zu spüren – und die Bereitschaft, gemeinsam zu kämpfen. Das wurde auch ausserhalb des FMLN registriert. Leider ist es bis heute dabei geblieben. Nach Bukeles Aufgeben in Sachen zweite Parlamentsbesetzung wurde die angekündigte Gegenmobilisierung des FMLN vor das Parlament hinfällig, ohne z. B. durch eine Welle von dezentralen Kleinmobilisierungen gegen den Putsch ersetzt zu werden. Einige wenige Ansätze in den folgenden Tagen zum Strassenprotest gegen den Putschversuch aus sog. zivilgesellschaftlichen Strukturen heraus verhallten bald.
"Wir haben es schon gesagt: Nie wieder!". An einem Protest gegen den Putsch am 10. Februar 2020. Foto: Gato Encerrado.
Cyber – kein Ersatz
Dafür konzentrierte sich der FMLN – in seiner Handlungsfähigkeit auch durch interne Differenzen eingeschränkt – auf parlamentarische Vorstösse und das «Cyber-Kriegertum». Beides natürlich notwendig, aber als zentrale Achse das Rezept für eine Niederlage. Was die Priorisierung institutioneller Politik zulasten der Mobilisierung in den realen sozialen Räumen für Konsequenzen bringt, hatte sich nach Jahren einer solchen Politik mit den massiven Wahlniederlagen des FMLN zur Genüge erwiesen. Frente-ExponentInnen verwenden viel Zeit und Energie für Präsenz in den Social Media. Klar, pro EinwohnerIn im Land gibt es anderthalb Handyabos. Und, «hey, die Leute kommen immer weniger an die Treffen, aber im Chat sind sie dabei. Wohlan denn, wir sind heute Cyber-Guerillas.» Und bestätigt nicht die wenige Tage nach dem Selbstputschversuch durchgeführte, offenbar seriöse Analyse von Twitter, Face etc., dass Bukele erstmals Punkte einbüsst und der Frente welche gewinnt? Nun, möglicherweise wird die Ablehnung von Militarismus und Hardcore-Neoliberalismus, unterstützt durch linke Cyber-Präsenz, bei einem Teil jener Leute, die früher FMLN gewählt und dann zu Bukele gewechselt haben, eine reale Korrektur bewirken. Doch vermutlich wird das bei Vielen, die heute auf Bukele schwören, keine Wirkung erzeugen. Aus einem einfachen Grund: Wer trotz neoliberaler Raserei, Neoputschismus, überbordender Kleptokratie und «Vetternwirtschaft», permanenter Lüge, Totalunterwerfung unter das AntimigrantInnendiktat Trumps, ekelerregender Verherrlichung des Präsidenten, katastrophalen Fehlleistungen bei der Wasserversorgung oder Katastrophenprävention etc. pp. weiter am Glauben an die Lichtgestalt festhält, funktioniert wie ein Sektenmitglied. Diese Leute scheinen wie «geimpft» gegen «Ratten»-Kritik zu sein und konsumieren einzig die sie darin bestätigenden Social Media-Posts. In der kultivierten Mittelklasse, hyperaktiv in den Social Media, bröckelt der Glanz Bukeles beträchtlich. In einer ziemlich kleinen Minderheit also. Unten im kommunen Volk wird weiter an den schizophrenen Folgen der Konfusion gelitten, die eine systematische Kampagne der Herrschenden gegen eine gefährlich gewordene Linke entfesselt hat: «Die sind alle gleich». Die nicht auf das Konto der Linken geht, aber teilweise von ihr mit «unethischem» Verhalten und Gefasel mit alimentiert worden ist.
Vorderhand, so der ungute Schluss, scheinen die Chancen des Bukele-Lagers intakt, bei den Parlaments- und Gemeindewahlen im Februar 2021 sich auch die Legislative unterzuordnen. Irgendwann wird auch dieser im Vergleich zum argentinischen Mafioso noch aufgeblasenere zweite «Macri» zu Fall kommen, nach viel Leiden und Zerstörung. Besser wäre, der FMLN entwickelte jetzt wieder Handlungsfähigkeit im gesellschaftlichen Raum – bevor sich der Autoritarismus zur neuen Diktatur gefestigt hat.

Nochmals etwas Faktenlage
Die wohl wichtigste Triebkraft für Bukeles Popularität dürfte in seinen behaupteten Erfolgen gegen die Gewaltkriminalität liegen. Die landesweite Mordrate ist klar zurückgegangen, auch wenn an den offiziellen Zählmethoden Zweifel angebracht sind. Doch die Stimmen aus den von den Gewaltorgien hauptsächlich betroffenen Unterklassen-Comunidades sprechen eine klare Sprache (s. dazu El Salvador: Gewalt, Lügen, Gehirnwäsche). Dass der Rückgang der Mordrate ein Erfolg des «energischen Armeeeinsatzes» sei, ist falsch. Letzte Woche etwa berichtete La Prensa Gráfica aufgrund von Daten der Gerichtsmedizin, dass es in den vom Regierungplan Territorialkontrolle erfassten Gemeinden mit den höchsten Mordraten während der Regierung Bukele zwar tatsächlich zu einer beträchtlichen Reduktion der Morde gekommen war, aber diese prozentual in Gemeinden ohne Plan Territorialkontrolle sogar noch etwas deutlicher ausgefallen war.  (Zu erwähnen wäre zudem, dass die Mordrate schon in den letzten Jahren der FMLN-Regierung stetig zurückgegangen war.) Vermutlich geht der jetzige massive Rückgang der Mordrate auf ein Stillhalteabkommen zwischen Bukele-Regierung und Gewaltverbrechen zurück. Und vergessen wir auch dieses nicht: «Unter der neuen Regierung wurde kaum Kokain auf dem Weg in die USA beschlagnahmt, ganz im Gegensatz zu den Rekorden unter der FMLN-Regierung.» Daran hat sich nichts geändert. Sowohl aus den von der Gewaltkriminalität heimgesuchten Comunidades wie von mit Sicherheitsfragen Beschäftigten ist zu hören, dass die immer mehr von den Drogenkartellen kontrollierten Maras die neue Waffenruhe für den Ausbau ihrer Territorialkontrolle und eine massive Bereicherung (fast immer dank Erpressung mit Morddrohung) ausnutzen. Die rechte Prensa Gráfica tweetete am 20. Februar diese Grafik:

«Die Erpressungen gehen nicht zurück. Die Generalstaatsanwaltschaft erhielt im Januar 2020 196 Anzeigen wegen Erpressung, eine Zahl, die höher ist als jene von letztem Dezember und die von Januar letzten Jahres. In den Gemeinden ohne Plan Territorialkontrolle gab es einen Rückgang, in jenen mit dem Plan eine Zunahme.»
Wie lange wird es gehen, bis sich solche Erkenntnisse auch in Zonen durchsetzen, in denen die organisierte Gewaltkriminalität relativ schwach entwickelt ist? Und wie lange wird es gehen, bis selbst in den betroffenen Comunidades die grosse Mehrheit ihre Schlüsse aus den Tatsachen ziehen und die Bukelistas vertreiben wird? Der Fakt, dass fundamentalistische Sekten, die Armut als eine Bestrafung Gottes für Sünden und Reichtum als eine Belohnung für Tugendhaftigkeit anpreisen, gerade auch in diesen Comunidades spriessen, lässt kaum heitere Zuversicht aufkommen.

USA: Einheitskasse gegen Massenmord

Sonntag, 23. Februar 2020


(zas, 23.2.20) Auch hierzulande wird die Sabotage an den sozialen Aspekten des Gesundheitswesens intensiviert. Ein Blick in die USA ist auch deshalb ratsam.
Letzten Mittwoch brachte Democracy Now ein Interview mit Allison Galvani von der Yale School University. Sie hatte eine Gruppe von Yale-Leuten geleitet, welche den vom fortschrittlicheren Flügel der Demokratischen Partei portierten Vorschlag einer medicare for all, einer Einheitskrankenkasse für alle, untersucht hatte. Tage zuvor hatte die Gruppe ihre Befunde in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht. Kurz zusammengefasst: Die USA-EinwohnerInnen würde $ 450 Mrd. weniger als für den Ist-Zustand bezahlen, und mindestens 68'000 Menschen weniger würden sterben - beides pro Jahr. Fiele Obamacare unter dem Ansturm der reichen Kohorten der republikanischen Partei definitiv weg, wären es sogar 107'000 Menschen, die dank medicare for all dann doch überleben könnten. Wie kamen die ForscherInnen auf die Zahlen der jährlich geretteten Leben? Sie verglichen die Todesfälle unter den 40 Millionen US-BürgerInnen ohne jegliche Krankenversicherung und unter den weiteren 40 Millionen, die viel zu teuer versichert sind, so dass sie die Kasse im Notfall kaum in Anspruch nehmen können, mit den Todesfällen bei jenen Menschen aus gleichen Risikogruppen, die über eine ausreichende Krankenversicherung verfügen.  
Grundsätzlich sind diese Erkenntnisse nicht neu. Doch die Zahlen rütteln auf. Hinter dem Negieren der Zusammenhänge steht mehr als das Warten auf die Resultate einer nächsten von der Versicherungsbranche determinierten «Untersuchung», mehr als Marktseligkeit oder Idiotie – dahinter lauert auch die kalte Entschlossenheit, unnütze EsserInnen zu eliminieren. Was soll die «welfare mother» trotz Diabetes noch leben, wenn sie keinen Profit mehr bringt? Auf diese Spur, auf diese Bejahung von strukturellem Massenmord müssen wir die Reden von VersicherungspolitikerInnen und ihrem akademischen und medialen Anhang mit abklopfen.