Irrlichtern am Paradeplatz

Dienstag, 18. Oktober 2011



Das Sympathische vorweg: Wenn die Leute um ein wärmendes Feuer vor dem Bankeneingang sitzen, mit Gitarre, Jasskarten, Stricknadeln und anderen unentbehrlichen Utensilien von real life bewaffnet, so ist das zu begrüssen. Stadtaufwertung.

Dass auch ich eingeladen war, auf einem der vielen Leintücher meine ganz persönliche Botschaft – „Ich möchte es anders“, „Beten wir gegen Gier“ – zu kreieren, liess mich kalt. Dass vor dem Bankeingang die Kunde vom Heil der Rückkehr von der schnöden Zins- zur noblen Goldwirtschaft auf mich niederprasselte, aktivierte die Alarmsirenen. War die indignierte Vorstellung eine rechte?  Den erzreaktionären Goldstandard-Mythos vertritt in der Schweiz nicht zufällig der hiesige Talibanableger mit seiner Initiative zur „Rettung das Nationalbankengoldes“.

Frieden, Freude, Eierkuchen – aber es gab auch unruhige, aufmerksame Gesichter. Nach ein paar Schwätzchen mit Bekannten hatte ich eigentlich genug und wollte gehen. Doch drang da nicht der Klang eines Megaphons an mein Ohr? Richtig – und oh, es war eine VV der Empörten oder so. Mit strahlenden Lächeln fasste da einer gerade die vielfältigen, kreativen Forderungen zusammen: „Erstens, wir fordern mehr Anstand und Bescheidenheit von den Banken…“. Es gähnte mich schon wieder weg, doch die Disziplin war stärker. Ich blieb und studierte Gesichtsausdrücke, bis mich der flammende Aufuruf wieder auf den Boden der Unsäglichkeit zurückholte: „Wir fordern, dass der Schweizer Franken vom Euro entkoppelt wird. Denn ‚öise Schwizer Frankä’“ soll nicht am Euro zugrundegehen. … Ach Nachtijall, ick hör dir trapsen. Hold gegen schnöd. Es applaudierte um mich herum. Ich ging.

Eine der aufrufenden Gruppe, „We are change“, verbandelt mit der freigeldlerischen Inwo, deren Prophet Gesell dieses reizende „widerständige“ Konkurrenzverhältnis mit den Nazis gehabt hatte, verwahrt sich auf ihrem Blog gegen die „Diffamierung“ als antisemitische Gruppe durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. So was von tolerant wie sie gäbe es kein zweites Mal. Das zeigte sich auch in den Postings der Fangemeinde: Was könne man dafür, dass die Rothschilds viele Fäden zögen? Und in jedem Medium treffe man auf „einen Juden“. Das „Kapital“ als Verschwörung … und die Hobbits widerstehen auf dem Paradeplatz.

 „Schweizerischer“ Anlass. Man sprach an der „VV“ selbstverständlich Dialekt. Nicht aus Engstirnigkeit! Sollte sich „ein Türke“ hierher verirren, konnte er sich ja am reichlich bemühten Amerikanisch gütlich tun.

Auf den Paradeplatz kamen scheinbar 1000 Menschen, nach einem enormen Medienhype zum bevorstehenden Wunderanlass. Zwei Wochen zuvor gab es die Sans-Papiers-Demo in Bern. Ca. 3000 Leute, viele MigrantInnen, kein Wort in den Medien.