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 Gewaltsame Destabilisierung und Paramilitarismus hängen in Venezuela eng zusammen
            amerika21.de - 31.03.2014 |
In deutschen und internationalen Medien ist immer noch von 
"Protesten" in Venezuela und "Toten bei Protesten" zu lesen – doch mit 
dem, was gemeinhin als "Protest" verstanden wird, haben die Aktionen 
kleiner, bewaffneter, agiler Gruppen seit spätestens Anfang März nichts 
mehr gemein. Nachdem die gewalttätige Mobilisierung der Opposition, die 
Anfang Februar begann und von einer beispiellosen internationalen 
Medienkampagne begleitet wurde, ihr Ziel des Sturzes der Regierung in 
Venezuela nicht erreichen konnte, sind die Aktionen zunehmend in 
Terrorismus übergegangen. Zwar war Gewalt von Beginn an Teil der 
oppositionellen Mobilisierung, denn es sollte ja vom Staat oder von der 
chavistischen Basis eine gewalttätige Reaktion provoziert werden, die 
weitere Schritte – von der internationalen Isolation bis zu einer 
Intervention – rechtfertigen würde, doch trotz zahlreicher Morde an 
Sicherheitskräften, Regierungsanhängern und Unbeteiligten hielten sich 
sowohl die Ordnungskräfte als auch die Basis des 
Transformationsprozesses zurück. Die Provokation gelang nicht.
Im
 Laufe des Monats März sind die "Unruhen" zu Aktionen von kleinen 
Gruppen geschrumpft, die in etwas mehr als einem Dutzend 
Verwaltungsbezirken aktiv sind. Ihre Ziele und Methoden entsprechen 
immer deutlicher den traditionellen CIA-Vorgaben für einen 
Zermürbungskrieg, ähnlich dem, der auch gegen das sandinistische 
Nicaragua in den 1980er Jahren geführt wurde. Von den 37 Personen, die 
bis am 28. März in Verbindung mit den oppositionellen Aktivitäten 
getötet wurden, gehört nur eine Minderheit der Opposition an, davon sind
 wiederum die meisten von anderen Oppositionellen beziehungsweise von 
Unbekannten umgebracht worden oder bei Unfällen ums Leben gekommen
.1 Acht
 der Opfer sind Angehörige von Sicherheitskräften (Nationalgarde und 
Polizisten). Sie fielen häufig gezielten Schüssen (meist in den Kopf) 
aus großer Entfernung zum Opfer. Aber auch diverse 
Regierungsangestellte, Regierungsanhänger und sogar Oppositionelle und 
sich keinem Lager zurechnende Personen wurden beim Abräumen von 
Barrikaden getötet. Vor allem in der Andenstadt Mérida, an der Grenze zu
 Kolumbien, wird scharf geschossen. Auf Dächern postiert, nehmen 
Schützen mit Gewehren zentrale Kreuzungen unter Beschuss, dabei töteten 
sie bereits diverse Personen.
In den Bundesstaaten Táchira, 
Aragua, Mérida, Zulia, Bolívar, Anzoátegui, Lara, Barinas und selbst in 
Caracas wurden Bomben- und Brandanschläge auf Strom- und 
Stromumspannungswerke verübt um die Energieversorgung zu sabotieren, 
ebenso wurden diverse Universitäten mit Brandbomben angegriffen, an 
denen vorwiegend Arme studieren. Ebenso waren Kindergärten, 
Lebensmittelvertriebe, die staatliche Telefongesellschaft und über ein 
Dutzend ihrer Fahrzeuge, Tourismusbehörden, Wahlbehörden, 
U-Bahnstationen, Nahverkehrsbusse, Ärztehäuser und andere Sozial- und 
Infrastrukturprojekte von Anschlägen betroffen. In Merida wurde das 
Trinkwasserreservoir absichtlich mit großen Mengen Treibstoff 
verunreinigt, in Caracas der Wald des Naturreservats an der Nordseite 
der Stadt angezündet, um die Stromtrassen, die die Stadt versorgen, zu 
zerstören.
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| Brennende Filiale des Wohnungsministerium in der hauptstädtischen Reichengemeinde Chacao am 11. März 2014. | 
 Hinter den Anschlägen und Angriffen stecken drei 
verschiedene Organisationsmuster, die alle derselben 
Destabilisierungsstrategie folgen. Gruppen von meist Jugendlichen bauen 
Barrikaden, versetzt mit Todesfallen aus Stacheldraht, greifen in 
Gruppen Ordnungskräfte und Institutionen mit Molotovcocktails an und 
attackieren jene Anwohner und Anwohnerinnen, die sich gegen die Aktionen
 aussprechen oder versuchen, Barrikaden abzubauen. Diese Gruppen zählen 
häufig auf sowohl militärisch erfahrene Berater wie auch auf 
bereitgestellte Infrastruktur (von Kampfmaterial wie Stacheldraht, 
Molotovcocktails, Benzin usw. bis hin zu Handfeuerwaffen und Orten um 
das Material in unmittelbarer Nähe der Auseinandersetzungen über Wochen 
zu lagern und darüber täglich zu verfügen). Dabei finden diese Aktionen 
fast ausschließlich in oppositionell regierten Bezirken statt, denn dort
 ist ihnen die vielfältige Unterstützung der Bürgermeister sicher: Müll 
wird nicht mehr beseitigt, damit Material für den Barrikadenbau 
vorhanden ist, und die lokale Polizei wird nicht eingesetzt, um 
Barrikadenbau zu verhindern oder Barrikaden abzubauen.
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| Drahtsperren, besonders gefährlich und mörderisch in der Nacht. | 
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| Anweisung per Tweet des Generals a.D. Angel Vivas: "Um mörderische kriminelle Motorradhorden zu neutralisieren, müssen Nylondrähte oder Stromkabel in 1m20 Höhe gespannz werden." Die "friedliche" Oppostiion zieht in der Praxis meist Stacheldraht vor. | 
In einem 
kürzlich veröffentlichten 
Video ist zu sehen, wie eine gut organisierte 
Gruppe (deren teure Autos auch eine eindeutige Klassenzugehörigkeit 
verraten) in Las Salías (gemeinhin als San Antonio de los Altos bekannt)
 im Bundesstaat Miranda Material für eine Straßenblockade heranfährt, 
Kisten voller Molotovcocktails entlädt, Benzin ausschüttet und 
schließlich den Wald anzündet. Seit Beginn der Ausschreitungen Anfang 
Februar gab es in Las Salías, einem Bezirk der oberen Mittelschicht, 
bereits 36 absichtlich herbeigeführte Waldbrände. Der Bürgermeister 
gehört der Partei Primero Justicia von Henrique Capriles an und hat enge
 Verbindungen zur Rechtspartei Voluntad Popular (VP).
Die 
rechtsextreme Partei Voluntad Popular des bereits inhaftierten 
Oppositionsführers Leopoldo López unterstützt die Gewalt offen. Aus 
diesem Grund wurden im März die VP-Bürgermeister Daniel Ceballos (San 
Cristobal, Bundeststaat Táchira) und Enzo Scarano (San Diego, Carabobo) 
vor Gericht gestellt und des Amtes enthoben. Ersterer wurde zu zehn 
Monaten und 15 Tagen Haft verurteilt, da er ein Urteil des Obersten 
Gerichthofes nicht befolgte, die Polizei einzusetzen und den 
Barrikadenbau zu verhindern. Letzterer hingegen wurde zu 12 Monaten Haft
 verurteilt, da er auch noch vermummt gewalttätigen Aktionen beiwohnte. 
Es ist kein Zufall, dass VP tief in diese Strategie involviert ist. 
Leopoldo López ist gut mit dem ehemaligen kolumbianischen Präsidenten 
Álvaro Uribe bekannt, der als wichtigster Förderer des kolumbianischen 
Paramilitarismus gilt, dem mindestens 250.000 Menschen zum Opfer 
gefallen sind.
Zum Zweiten agieren in den gewaltsamen 
Destabilisierungs-Aktionen auch bezahlte kriminelle Banden. Aussagen von
 polizeibekannten Bandenmitgliedern und veröffentlichte 
Telefonmitschnitte von Unterhaltungen oppositioneller Politiker 
bestätigen dies. Diese Banden kommen für den Straßenkampf, Plünderungen 
und gezielte Angriffe zum Einsatz. Rekrutiert werden sie bereits seit 
Jahren von paramilitärischen Sektoren, die den Drogenhandel 
kontrollieren und darüber kriminelle Banden in den Stadtteilen 
kooptieren. Diese werden auch für gezielte Morde an Aktivistinnen und 
Aktivisten in den Armenstadtteilen eingesetzt.  Und grundsätzlich sollen
 sie das soziale Geflecht zersetzen,   Terror und Angst sollen an die 
Stelle der wachsenden solidarischen Beziehungen treten.
Als 
dritte Variante der gewaltsamen Destabilisierung agieren 
paramilitärische Zellen mit gut bewaffneten und auch ausgebildeten 
Kämpfern aus Venezuela, Kolumbien und anderen Ländern. Diese treten 
bisher allerdings nicht offen als eine militärische Struktur (so wie die
 Contras in Nicaragua) auf, da dies in der momentanen Situation für die 
Opposition Spielräume in der internationalen Öffentlichkeit ebenso wie 
im Land selbst stark reduzieren würde. Das Bild der "friedlichen 
studentischen Proteste" und einer vermeintlich bösartig repressiven 
Regierung ließe sich nicht weiter aufrechterhalten, würde eine 
bewaffnete Oppositionsstruktur öffentlich als solche auftreten. Zugleich
 hatte auch die venezolanische Regierung bisher wenig Interesse daran, 
die Existenz einer solchen Struktur öffentlich zuzugeben, um Ängste 
nicht weiter zu schüren oder die Opposition stärker erscheinen zu 
lassen.
Die Strategie der Destabilisierung versucht die 
Bedingungen zu schaffen, damit die linke Regierung in Venezuela fällt. 
Eine direkte militärische Intervention der USA ist auch mittelfristig 
eher unwahrscheinlich. Die politischen Verhältnisse in Lateinamerika 
lassen dies kaum zu. Der Schaden für die USA könnte größer sein als der 
Nutzen, zumal die USA nicht riskieren können, Venezuelas Erdölexporte 
über längere Zeit ausfallen zu lassen. Eine militärische Intervention 
von außen könnte die Linke in Venezuela und Lateinamerika eher stärken. 
Auch die massive Finanzierung und Unterstützung der Opposition zeigte 
nicht die erwünschten Ergebnisse. So setzen die USA, die Rechte des 
Nachbarlandes Kolumbien und Teile der venezolanischen Opposition auf 
Paramilitarismus, Anschläge und Zerstörung. Dadurch sollen die 
Lebensbedingungen so weit verschlechtert werden, dass bei der nächsten 
Wahl die Opposition gewinnt.
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| "Wie sehr ich dich will, VENEZUELA" | 
Die beschriebene dreigliedrige 
gewaltsame Strategie ist bereits seit mindestens 2007 für Kenner von 
US-Geheimoperationen und paramilitärischer Vorgehensweisen ersichtlich. 
Ihre weitere Verbreitung ist nicht unwesentlich dem Umstand zu 
verdanken, dass sowohl die meisten Regierungsinstitutionen als auch die 
meisten Basisbewegungen in Venezuela das Problem lange stark 
unterschätzt haben.
In einer ersten Phase drang der 
kolumbianische Paramilitarismus wirtschaftlich in Venezuela ein. An ihn 
gebundene Personen aus Venezuela und Kolumbien haben gezielt Häuser und 
Grundstücke gekauft sowie massiv Kapital investiert. Sie haben diverse 
legale und illegale wirtschaftliche Aktivitäten unter ihre Kontrolle 
gebracht und konnten eine Infrastruktur und Logistik aufbauen, die es 
ihnen gestattet, sichere Orte zu haben, um zu agieren und sich 
zurückzuziehen, wenn es darauf ankommt. Der Paramilitarismus 
kontrolliert beispielsweise den Benzinschmuggel von Venezuela nach 
Kolumbien. Angesichts der venezolanischen Benzinpreise von nur einigen 
Cent pro Liter ist dies ein riesiges Geschäft. Der Paramilitarismus 
kontrolliert auch wesentlich den Kokainhandel und große Teile des 
Schmuggels von Lebensmitteln.
Der massive Schmuggel von 
Lebensmitteln nach Kolumbien ist auch zu einem beträchtlichen Teil für 
Versorgungsengpässe in Venezuela verantwortlich. Hinzu kommen weitere 
Erscheinungen des kolumbianischen Paramilitarismus auf venezolanischem 
Territorium wie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Viehzüchtern. Viele 
der Killer der seit Erlass der Bodenreform 2001 ermordeten 300 
Landarbeiter und Landarbeiterinnen sind kolumbianische Paramilitärs. 
Auch zahlreiche Basisaktivisten, Gewerkschaftsangehörige und 
PSUV-Angehörige wurden in den vergangenen Jahren Opfer von 
Mordanschlägen.
Der Paramilitarismus begann über die 
Grenzregionen zu Kolumbien wie Táchira und Merida nach Venezuela 
einzudringen. So sind diese Regionen auch aktuell Hochburgen der 
"Proteste", gewaltsamer Aktionen und Sabotage. Aus 
militärisch-strategischer Sicht bieten San Cristóbal und die Region 
Táchira eine Verbindung zu Kolumbien und den Zugang zu den Anden. Diese 
stellen einen "Korridor" in das venezolanische Territorium bis zur Küste
 und in eine der wichtigsten Regionen industrieller Produktion dar. 
Außerdem schneiden die Anden den wichtigsten erdölproduzierenden 
Bundesstaat Zulia vom Rest des Landes ab.
Kriegführung mit 
Guerilla-Taktiken baut auf der Schaffung von strategischen "Korridoren" 
auf, durch die Menschen und Material möglichst gefahrlos transportiert 
werden können und die geographisch den Zugang zu wichtigen 
Angriffszielen bieten. Der zweite wichtige Korridor ist der 
Küstenstreifen (also vor allem Valencia, Caracas, der Bundesstaat 
Anzoátegui und Sucre). Und schließlich der "Südkorridor", vor allem das 
Gebiet der Schwerindustrie im Bundesstaat Bolívar.
Tatsächlich 
ereignen sich die Sabotageaktionen schwerpunktmäßig entlang 
strategischer Punkte dieser Korridore. Angesichts des beschriebenen 
Kontextes kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anschläge und 
Sabotageaktionen wieder von selbst abnehmen oder aufhören. Im Gegenteil 
ist davon auszugehen, dass bereits eine neue Phase der 
konterrevolutionären Aktivitäten eingeläutet wurde und die Anschläge und
 Sabotageaktionen auf wesentlich höherem Niveau als vor Februar 2014 
fortgesetzt werden. Sollte die Destabilisierung nicht zum gewünschten 
Erfolg führen – also weder zum Fall der Regierung noch zu ihrer 
Niederlage bei den nächsten Präsidentschaftswahlen – dann ist es nicht 
unwahrscheinlich, dass der Paramilitarismus in Venezuela der Regierung 
und den Basisorganisationen offen den Krieg erklärt. Ein naheliegendes 
Szenario wäre, dass bei erneuter Niederlage gegen den Chavismus, die 
Opposition mit Unterstützung der USA einen vermeintlichen Wahlbetrug 
denunziert und daraufhin bewaffnete "Befreiungskräfte" ihre Gründung 
bekanntgeben – als einziger Weg, um gegen das "Regime" vorzugehen.
Dario
 Azzellini, Politikwissenschaftler und Soziologe, ist mit Boris 
Kanzleiter Herausgeber des Buches "Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, 
Warlords und Privatarmeen als Akteure der Neuen Kriegsordnung", das in 
mehrere Sprachen übersetzt wurde. Im Jahr 2009 erschien eine erweiterte 
Ausgabe in Venezuela unter dem Titel "El Negocio de la guerra"    1.
 Am 29. März kamen zwei Oppositionelle ums Leben: In Maracaibo starb ein
 33-Jähriger beim Hantieren mit einem selbstgebastelten Sprengsatz und 
im Bundesstaat Táchira starb ein 44-Jähriger an einem Stromschlag bei 
der Beschaffung von Material für eine Barrikade.
        
        
            Dario Azzellini 
          |     amerika21.de - 31.03.2014