Ecuador: „Linke“ für die Bourgeoisie (und ein Schweizer Echo)

Mittwoch, 15. März 2017



(zas, 15. 3. 17) „Linke“ Gruppen setzen sich, erfahren wir auf amerika21, vorgestern auf diesem Blog wiedergegeben, in Sachen Stichwahl vom 2. April für den Grossbanquier und Präsidentschaftskandidaten der Rechten, Guillermo Lasso, ein, gegen Lenín Moreno von der regierenden fortschrittlichen Alianza País (AP).
Um das Phänomen zu kapieren, dient ein Blick in die Geschichte. (Und zum Schluss einer auf eine linke Veranstaltung in der Schweiz.)
 1994 „liberalisierte“ die damalige neoliberale Regierung Durán den Finanzsektor. Die staatliche  Nachrichtenagentur Andes schreibt dazu: Damit „erhalten die Banken grünes Licht für neue Operationsfelder. Die staatlichen Kontrollen werden reduziert, was die Zinsen befreit, und es entstehen die vinkulierten Kredite, mittels derer die Aktionäre das Geld der SparerInnen für ihre privaten Unternehmungen erhalten.“ Ein bewährtes Mittel also, die Wirtschaft abzuwürgen bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung der Finanzbosse. (Unterstützt wurde dieses Unterfangen durch den Grenzkrieg mit Peru 1995, Tiefstpreise für den Exportschlager Erdöl und die Verheerungen von El Niño 1996.) SchuldnerInnen konnten oder wollten ihre Bankkredite zunehmend nicht zurückzahlen, die Banken sassen auf einem Haufen maroder Kredite. Rettung tat not.

„Bankferien“ und Massenvertreibung
1998 wurde Jamil Mahuad, der Mann der Banken, Staatspräsident. Im gleichen Jahr wurde für zwei Jahre die staatliche Entität AGD geschaffen, die den Banken marode Kredite abkaufen sollte – gutes staatliches Geld für die Banken, illusorisches für den Staat. Kaum gegründet, verstaatlichte die AGD das damals landesweit grösste Finanzinstitut, den Filanbanco. (Dessen Besitzer, die Brüder Isaias, haben sich vor der ecuadorianischen Justiz, die wegen Betrug vorgeht, in die USA gerettet. Natürlich liefert sie dieses Land, das sich mit „Korruptionsuntersuchungen“ in Ländern mit nicht-genehmen Regierungen hervortut, nicht aus.) Die „vinkulierten Kredite“ und die AGD-Hilfen (insgesamt $ 1.6 Mrd.) brachten die Grossbanker in sichere Dollarhäfen.
Um das Budgetdefizit zu decken, wertete die Zentralbank derweil den Sucre in mehreren Schritten um 2/3 ab. Folge: Die SparerInnen leerten ihre Konten, was weitere Bankcrashs zur Folge hatte. Am 8. März 1999 dekretierte Präsident Mahuad den feriado bancario, die „Bankferien“ - Bankenschliessung. Fünf Tage danach verordnete er einjähriges  Einfrieren aller Sparguthaben über 2 Mio. Sucres, zu jenem Zeitpunkt weniger als $ 300.  Diese Kontensperrung wurde mit der im Jahr 2000 eingeführten Abschaffung der Landeswährung zugunsten der Dollarisierung aufgehoben. Ein Dollar war jetzt 25‘000 Sucres wert. 1993, im Jahr vor dem neoliberalen Kahlschlag,  lag der Kurs unter 400 Sucres pro Dollar, noch 1998 lag er bei ungefähr 5000 Sucres. Mit anderen Worten, SparerInnen ohne Dollarguthaben, also die grosse Bevölkerungsmehrheit, verloren mindestens 4/5 ihrer Guthaben – primär in die Steueroasen.
Zwischen 2 und 3 Millionen EcuadorianerInnen suchten wegen des feriado bancario Überlebensmöglichkeiten in Spanien, USA, Italien… Der Raubzug auf die plebejischen Guthaben und Einkommen bewirkte eine Welle von Selbstmorden und Herzinfarkten. Von der Zwangsjacke der Dollarisierung sind die EcuadorianerInnen bis heute nicht befreit.
Proteste gegen feriado bancario. Quelle: Andes
 
Zum aktuellen Wahlkampf
Um die „linken“ Kämpfe gegen Alianza País, für Lasso, zu ticken, sollten wir wissen, dass Lasso von 1994-96, also während der Zeit der wilden Bankenderegulierung, für die privaten Banken in der staatlich-neoliberalen Bankenaufsicht junta monetaria sass. Er ist damit einer der Architekten des folgenden Ruins. Im Schicksalsjahr 1999 amtete er während über eines Monats als Wirtschaftsminister mit offiziellen Superkompetenzen. (Er war zurückgetreten, da er mit dem Moratoriumsentscheid Mahuads für die Auslandschulden nicht einverstanden war.) Kurz, der Mann ist einer der damaligen Haupttäter (auch wenn er die Dekrete des feriado bancario und der Dollarisierungsenteignung nicht selber unterschrieb). Sein Regierungsplan gilt in Ecuador als lokale Version des Programms des argentinischen Präsidenten Macri gegen die Unterklassen. Der Opus-Dei-Mann bewundert, wie das Rechtsblatt El Comercio anerkennend schreibt, die „stille Revolution“ seines Freundes Aznars in Spanien.
Diesen Mann also unterstützen „Linke“.
Im ersten Durchgang erzielte Lenín Moreno von AP 39.35 % der Stimmen. Es fehlten ihm 0.65 %, um mit 40 % und mehr als 10 % Vorsprung auf den zweitplatzierten Lasso (28.11 %) gewählt zu werden. Während der Oberste Wahlrat CNE aufgrund des knappen Resultats definitive Zahlen erst am Mittwoch nach dem Wahlsonntag veröffentlichte, hatte die Rechte schon auf den Strassen mobilisiert und das Zentralgebäude des CNE regelrecht belagert. Die Rechte schrie Wahlbetrug, da es nicht gleich zur Ausrufung der Stichwahl gekommen war.

Momente eines möglichen Putsches
Nun, am 6. März erklärte Heereschef General Luis Castro, das Heer sei zuständig für die Sicherung und Kontrolle des gesamten Wahlprozesses an den Urnen, auch während der Auszählung. Doch genau letzteres sei in der ersten Wahlrunde am 19. Februar nicht der Fall gewesen. Verteidigungsminister Ricardo Patiño (AP) entgegnete: Den Streitkräften „obliegt es, dafür zu sorgen, dass während die Pakete [mit den Wahlunterlagen unter Kontrolle des Wahlrats] zusammengestellt werden, niemand von aussen versuchen kann, dies zu beeinflussen, die Wahlakten, die Urnen zu rauben. Wir dürfen nicht versuchen, mehr zu machen als das, was in unsere Kompetenz fällt, denn sonst würden wir sehr ernste Fehler begehen.“ Präsident Rafael Correa entliess Castro natürlich postwendend, was diesen zu veranlasste, vor der Militärschule zu sagen: „Ich rufe alle Soldaten unseres Heeres dazu auf, weiter die Sicherheit des Wahlprozesses zu garantieren … Die Soldaten werden weiterhin (…) die Rechte, Freiheiten und Garantien aller Ecuadorianer beschützen. Ich rufe meine tapferen Soldaten dazu auf, sich nie entmutigen zu lassen, nie den Kopf einzuziehen, (…) sich nicht von der Korruption verführen zu lassen und ihre Überzeugungen zu keinem Preis zu verkaufen.“
Castro vor der Militärschule.
 
Ein kaum verhüllter Aufruf zur Befehlsverweigerung, allermindestens, der laut von El Universo wiedergegebenen Angaben des Chefs des Wahlrats, Juan Pablo Pozo, überdies konkrete Lügen enthält. Das Blatt berichtet des Weiteren über ein von ehemaligen Militärs veröffentlichtes Schreiben des aktiven Konteradmirals Darwin Jarrín Cisneros, in dem er den Generalstabschef darum bittet, sich für eine ausgeweitete Armeekontrolle des Auszählungsprozederes am 2. April einzusetzen. Lasso distanzierte sich zum Schein von den „Wutanfällen“ Castros, während Andrés Paéz, der als sein Vize antritt, in einem im gleichen Artikel wiedergegebenen Tweet den Ex-Offizier bittet, mitzuteilen, ob er Kenntnis davon habe, dass eine Anzahl Wahlzettel in der (AP-nahen) Zeitung El Telégrafo gedruckt worden sei…
Für die Rechte scheint klar: Die Präferenz gilt einem offiziellen Wahlsieg am 2. April, Plan B ist eine aggressive  Destabilisierungskampagne mit putschistischem Resultat. Sie macht eine einfache Rechnung: 60 % haben im 1. Wahlgang gegen AP gestimmt. Nun scheint die Sache aber einiges komplexer zu sein. Verschiedene Gruppen, die im Februar nicht AP gewählt haben, rufen jetzt zur Wahl Morenos auf. Wie die Karten schlussendlich fallen, scheint unklar zu sein.

Après moi le déluge
In diesem Kontext sind die Pro-Lasso-Aufrufe „linker“ Gruppierungen zu verorten. Montecristi Vive etwa, die Gruppierung um den bekannten früheren Mitstreiter Correas und ehemals linken Ökonomen Alberto Acosta, liess am 6. März verlauten: „Es ist eine demokratische Notwendigkeit, dieses Regime zu beenden, indem im nächsten Wahlgang gegen das Duo Moreno-Glas gestimmt wird.“ Die sich maoistisch nennende Partei PCMLE argumentierte ihrerseits in ihrem Wahlaufruf für Lasso, sie werde „sich auf die Seite des Volkes stellen und den Hauptfeind des Vaterlandes und der Demokratie besiegen“. Die „Genossen“ kämpften schon 2010 beim gescheiterten Putsch gegen Correa auf der Strasse militant für den „Aufstand der uniformierten Proletarier“, wie sie sich auszudrücken beliebten. Die indigene Organisation Conaie bzw. ihre Führung, die offenbar jedes Jahr noch weniger mit dem gemein hat, was sie vor Jahren mal war, dafür umso penetranter den indigenen Alleinvertretungsanspruch anmeldet –, die nach wie vor einen indigenen Alleinvertretungsanspruch anmeldet, hatte sich beim Putschversuch 2010 ebenfalls an den begleitenden Strassenmobilisierungen beteiligt. Sie evoziert in ihren Communiqués ebenso den Kampf gegen die „correistische Diktatur“. Es gibt hier nun offenen Protest von Conaie-Basisorganisationen gegen die Unterstützung von Lasso durch ihre Führung und einen Aufruf für Moreno und AP. 
All diesen „linken“ und „indigenen“ Stellungsnahmen haben eine gemeinsame diskursive Basis. Erst gelte es den „Diktator“ zu besiegen, danach die rechte Bourgeoisie. Ihre Erklärungen sind voll von klassenkämpferischen Willensbekundungen, „Analysen“, Positionsbezügen, auch – speziell im Fall der Conaie – von flammenden Bekenntnissen zur Mutter Erde und zum Guten Leben. Haben sie erstmals die „Diktatur“, den sog. Correismus, besiegt, geht’s dem Kapital an den Kragen. Mag sein, dass der bekannte ecuadorianische Rechtsanwalt Xavier Zavala Egas Recht hat, wenn er sagt, einige Fraktionen der Conaie, deren Partei Pachakutik und der MaoistInnen benötigten eine rechte Regierung, um selber wieder zu Kräften zu kommen. Denn unter einer Veränderungskraft wie Alianza País würde ihr Einfluss stets geringer. Après moi le déluge, wie mal ein Geistesverwandter gesagt hatte.
Rafael Correa und Lenín Moreno


Der Frömmler…
Alberto Acosta brilliert mit Widerlichkeit. Die Verbissenheit, mit der er Correa des Verrats an den gemeinsamen Idealen – er war u. a. Minister in der ersten Correa-Regierung gewesen – bezichtigt und seit Jahren den Hauptkampf gegen den „Diktator“ führt, mag persönlicher Verletzung, Fehlern Correas, einem finanziell von „fortschrittlichen“ internationalen NGOs gut gepolstertem Kissen oder was immer geschuldet sein; mit Ehrlichkeit und Engagement hat sie nichts gemein. Beispiel ein am 5. März auf der Page von Montecristi Vive publizierter Artikel, den er zusammen mit dem Ökonomen John Cajas Guijarro geschrieben hat. Darin geht es Acosta insbesondere darum, die erfolgreiche, zeitgleich mit der ersten Präsidentschaftsrunde erfolgte Abstimmung über das Verbot für InhaberInnen oder AnwärterInnen auf Staatsämter, Gelder in Steuerparadiesen zu halten, als korruptes Manöver Correas darzustellen. Der wolle sich unter dem Mantel der Korruptionsbekämpfung für künftige Missetaten in Stellung bringen. Liest man den Artikel, bleiben zwei oder drei „Erkenntnisse“ hängen: Correa und seine Entourage sind durch und durch korrupt; Correa ist Neoliberalismus pur; an den gesellschaftlichen Strukturen von Ausbeutung haben er und Alianza País kein Jota geändert. Statt den Kampf gegen die Steuerhäfen wirklich zu führen, habe Correa einfach Populismus betrieben, denn wie bitte sollte ein einzelnes Land, Ecuador, im Alleingang die Steuerparadiese besiegen können? Nun, Correa hat erstens die Steuerparadiese im UNO-Rahmen auf die Agenda gesetzt, und zweitens, wichtiger, gilt es, wie Mark Weisbrot vom Center for Economic and Policy Research zum gleich lautenden Argument der Rechten bemerkt, das Ross von vorne her aufzuzäumen: Der siegreiche Referendumsvorschlag „ist sich bewusst, dass keine Regierung diese Steuerhäfen in Ländern wie den Cayman Islands oder der Schweiz illegalisieren kann und versucht stattdessen zu unterbinden, dass wer ein öffentliches Amt inne hat oder sich darum bewirbt, sie benutzten kann. Da Steueroasen in Ländern wie Ecuador essentiell zu praktisch allen Bestechungen Diebstählen gehören, würde keine Regierung, die von Korruption profitieren oder sie auch nur tolerieren wollte, so eine Gesetzgebung vorantreiben.“
Das weiss natürlich auch Acosta. Seine wütende Reaktion auf den Sieg von Correas Vorschlag zieht ihm eigentlich nur die Maske des edlen Kämpfers für Mutter Erde und soziale Gerechtigkeit vom Gesicht. Dito übrigens andere in seinem Artikel angeführte „Belege“ für die Korruption des Correismus. Acosta und Guijarro verweisen etwa darauf, dass Correa 2008 zwar den brasilianischen Multi Odebrecht wegen Korruption des Landes verwiesen habe, aber zwei Jahre später auf Drängen Lulas dem heute im Mittelpunkt eines von der US-Jusitz gemanagten Korruptionsskandals stehenden Unternehmen die Tür zu lukrativen Aufträgen geöffnet habe. Sie unterschlagen, dass zuvor Odebrecht Millionen an Dollars bezahlte, nicht als Schmiergeld, sondern öffentlich als Busse. Unverschämt ist etwa auch der Hinweis, dass auch correistische Ex-Funktionäre die Korruption der obersten Staatsführung bezeugten. Acosta verlinkt auf entsprechende Aussagen  des Ex-Chefs der staatlichen Ölgesellschaft Petroecuador, Carlos Pareja Yannuzzelli, die von der Rechten im Wahlkampf zu einem zentralen Thema gemacht wurden. Dazu nochmals Weisbrot: „Ein Problem ist, dass der Zeuge [Pareja] selber ein Justizflüchtling ist, der letzten September aus dem Land geflohen ist. Die Anklage beschuldigt ihn, mindestens $ 1 Million an Bestechungsgelder angenommen und in einem Offshorekonto deponiert zu haben. Er hat sein Fehlverhalten gestanden und Präsident Correa um Milde angefleht.“ Correa hatte diese Bitte abgelehnt, worauf Pareja den amtierenden Vizepräsidenten Jorge Glas, der erneut für das Amt kandidiert, der Mitwisserei beschuldigt hat. Weisbrot: „Mit seiner Kampagne gegen  die Regierung erhöht Pareja seine Chancen massiv, von den USA nicht an Ecuador ausgeliefert zu werden.“
Im ganzen langen Text findet sich nicht eine Kritik an Lasso, natürlich auch keine explizite Unterstützung. Es reicht à la Montecristi Vive im April gegen AP zu stimmen. Das macht die Scheinheiligkeit glaubwürdig (sozusagen).

… und sein Echo in der Schweiz
Und noch ein Blick auf den Grossanlass Reclaim Democracy des Denknetzes Anfang Februar in Basel. 

Ein Stargast dabei war … Alberto Acosta, „Experte“ für das indigene Konzept des Buen Vivir, des Gut Lebens. Offenbar durfte er ungehindert vom Leder ziehen, in einem Diskussionsrahmen, der Bolivien und Ecuador als „umstrittene Demokratien“ taxierte. Das kommt bei einigen gut an. So müssen wir in der WoZ etwa lesen: „Ein Angebot für ein substanzielles Demokratieverständnis lieferte etwa der ecuadorianische Politiker und Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta. Er beschrieb in seinem Vortrag den Ansatz des «Buen Vivir» (gutes Leben): eine Weltanschauung indigener Gemeinschaften, die ein lebenswertes Leben nicht an materiellem Wohlstand misst, sondern auf der harmonischen Beziehung zwischen Individuen, Gesellschaften und der Natur beruht (…Und) darf sich die Linke nicht davor scheuen, eine grundsätzliche Kapitalismuskritik zu formulieren. Auch wenn – oder gerade weil – linke Regierungen in vergangenen Jahren aktiv am neoliberalen Projekt beteiligt waren.“ Acosta hat es dem WoZ-Journalisten pfannenfertig geliefert: Linke Regierungen (Acosta-Schwerpunkt in Basel auf Ecuador) sind neoliberal. Ungemein radikaler Durchbruch der Erkenntnis. So kleine Wenns und Abers, wie wir sie kürzlich aus amerika21.de verlinkt und immer wieder im Correos thematisiert haben (reale gesellschaftliche Veränderungen etc.) spielen keine Rolle. Es wäre Zeit, dass man sich im Denknetz vom Zauber der Namen „illustrer Denker“ emanzipiert.