Venezuela: Wozu Logik, wenn es ein Lügennetz tut?

Mittwoch, 23. August 2017




(zas, 23.8.17) Praktisch alle Parteien der Rechten haben ihre KandidatInnen für die Gouverneurswahlen vom kommenden Dezember eingeschrieben. Unter diesen nicht wenige, die sich so Schutz vor einer möglichen Strafverfolgung wegen ihrer Rolle bei brutalen Gewaltszenen der letzten Monate erhoffen. Womit das Gerede vom chavistischen Wahlbetrug am 30. Juli aller Logik nach erledigt sein müsste. Als sich damals über 8 Millionen VenezolanerInnen, Chavistas, aber auch manche Nicht-Chavistas, an der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung beteiligt hatten, war bei der Rechten erstmal die Luft raus. Ihre Träume von blutiger Wahlverhinderung und Ausrufung einer Gegenregierung, welche danach von Washington et al. militärisch unterstützt werden sollte, zerbrachen an der im Land offensichtlichen Stärke der chavistischen und nicht-faschistischen Kräfte.
Es waren jetzt die USA selber und ihre Verbündeten und Lakaien, die unverhüllt das Geschehen diktieren wollten: Offener Wirtschaftskrieg und offene Drohung eines US-Militärangriffs auf Venezuela. Ersteres feiern die imperialen Medien frenetisch, letzteres schreiben sie als ungeschickt superklein. Doch als Trump auf auch „militärischen Optionen“ gegen Venezuela insistierte, sprach er nur offen aus, was seit 2015, als Obama das Land zur „ausserordentlichen Bedrohung“ für die USA erklärte, unausgesprochen, aber unverkennbar im Raum stand (ob als offener Einsatz, als verdeckte Leitung der militärischen Aggression durch untergegebene Armeen wie die nicht zufällig mit der NATO strategisch verbundene kolumbianische oder etwa als sukzessiver Ausbau bestehender paramilitärischer Strukturen in Venezuela zu einer neuen Contraarmee wie gegen das sandinistische Nicaragua in den 1980er Jahren mit Kolumbien als strategischem Hinterland…)
Das imperiale Wahrnehmungsmanagement will den wichtigen Sieg vom 30. Juli unkennbar machen. Dazu wurde auch die Behauptung vom Wahlbetrug durch den Obersten Wahlrat CNE ventiliert. Doch warum eilt jetzt die venezolanische Rechte, sich an den von eben diesem CNE organisierten Wahlen vom Dezember zu beteiligen. Frohgemut verkündet heute Henry Ramos Allup, einer der Stars des rechten Bündnisses MUD: „Wir werden alle, alle, alle gewinnen.“ Gemeint alle 23 Gouverneursitze im Land. Doch klar, so etwas wie Logik spielt keine Rolle. Die imperiale Propaganda bringt so etwas einfach solange nicht, als es nicht als weiteren Beleg für eine dringende internationale humanitäre Mission benutzt werden kann. Egal, was dann gerade ins Zentrum gerückt wird, der jetzige Kontext – eklatanter Widerspruch zum Wahlbetrugsgerede – wird dann weg und der 30. Juli vergessen sein.
Seit dem 30. Juli ist Venezuela ein friedlicheres Land geworden. Wie gesagt, die Luft bei den Rechten war raus, die Moral im Keller. Es gab keine Barrikaden mit Todesfallen, keine Aufrufe für die Lahmlegung des Landes, keine Heckenschüsse auf hundskommune Chavistas oder nicht genehme Presseleute mehr. Untragbar! Es ist abzusehen, dass möglichst bald gesteuerte Militärangriffe auf Kasernen oder wichtige Infrastrukturanlagen o. ä. die Moral heben sollen. Und dass der Wirtschaftskrieg brutal werden wird. Angefangen von den von einigen lateinamerikanischen Ländern (und rhetorisch auch von der EU-Kommission, aber offenabr nicht von allen EU-Mitgliedern) übernommenen US-Sanktionen, die faktisch den internationalen Zahlungsverkehr der venezolanischen Ölgesellschaft Pdvsa und der Regierung in Caracas blockieren sollen, bis hin zu dem dieser Tage „urplötzlich“ erneut bemerkbar werdenden Verschwinden von Umlaufgeld aus den Bankautomaten (s. El ataque a la moneda física: la desaparición del efectivo).
Zwischendurch darf die Propaganda Mist verbreiten. So etwa die Meldung vor kurzem, wonach die frisch gewählte Verfassungsgebende Versammlung (ANC) den Saal des rechts dominierten Parlaments mit brutaler staatlicher Gewalt besetzt habe. Im Parlamentsgebäude gibt es zwei grosse Säle, jenen des heutigen Parlaments und den anderen des früher existierenden Senats. In letzterem tagte die ANC. Ein kleines Beispiel für die als Kriegslegitimitation eingesetzte Darstellung der ANC als brutaler Gewalthaufen und der rechten Parlamentsmehrheit als Hort des demokratischen Widerstands. Einer Parlamentsmehrheit, die sich seit ihrer ersten Tagung im Januar 2016 mit zahlreichen Dekreten als verfassungswidrige, putschistische Kraft etabliert hat, die aber in der imperialen Darstellung genau jene Verfassung hochhalten soll, gegen die mehrere ihrer führenden Exponenten 2002 den nach drei Tagen und 60 ermordeten Chavistas gescheiterten Militärputsch unterstützt haben.
Als nächstes werden wir wohl von der erst nach Kolumbien, jetzt nach Brasilien geflüchteten ehemaligen Generalstaatsanwältin Luisa Ortega hören. Brasilien dürfte kein Zufall sein. Sie wird sich dort mit der Putschjustiz ins Vernehmen setzen, um deren „Odebrecht-Korruptionsuntersuchungen“ gegen die chavistische Regierung aufzumunitionieren. Brasilien ist mit Kolumbien, Mexiko, Paraguay und Argentinien führend im Vollzug der US-Direktiven gegen Venezuela. Gegen Ortega und ihren Mann liegen offenbar fundierte Indizien dafür vor, dass sie von den kontinentalen Odebrecht-Untersuchungen betroffene Unternehmen in Venezuela zu beträchtlichen Geldzahlungen im Tausch für die Niederschlagung von Strafuntersuchungen erpresst haben sollen.