Maurer, Bolsonaro und Konsorten

Freitag, 18. Januar 2019


Am 12. Januar berichtete die Berner Zeitung über einen Trostpreis für Ueli Maurer: Der Schweizer Bundesrat darf immerhin auf ein Treffen mit Brasiliens führendem Fascho Jair Bolsonaro hoffen, in gediegenem WEF-Ambiente, jetzt, wo es zu keinem tête-à-tête mit Trump kommt. Schreibt die BZ:

Derzeit führt die Schweiz Freihandelsgespräche mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten, zu denen auch Brasilien zählt. Dabei geht es für die Schweizer Wirtschaft um viel, da sie sich im Wettlauf mit der EU befindet, die ebenfalls ein Abkommen mit dem Mercosur anstrebt. Nicht zuletzt aus diesem Grund begrüssen es Schweizer Parlamentarier aller Lager, wenn Maurer den umstrittenen Bolsonaro trifft. Bolsonaro sei zwar «eine schreckliche Figur», sagt SP-Nationalrat Carlo Sommaruga. Für die Schweiz gehe es aber darum, aus erster Hand Informationen über seine politischen Absichten zu erhalten – etwa zur Frage, ob er die Freihandelspolitik weiterzuführen gedenke. Gleichzeitig müsse Maurer Bolsonaro aber daran erinnern, die Demokratie, die Menschen- und Minderheitenrechte zu bewahren, fordert Sommaruga.

Auch CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter erwartet darum, dass Maurer gegenüber Bolsonaro «die Schweizer Wertvorstellungen zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat deponiert». Gegen ein Treffen gebe es aber nichts einzuwenden: «Die Schweiz redet mit allen.» SVP-Nationalrat Claudio Zanetti erachtet es sogar «als grosse Ehre für die Schweiz, dass der Präsident eines derart grossen Landes zuerst die Schweiz besucht». Reden müsse Maurer mit Bolsonaro vor allem über ein Thema, fordert Zanetti: über Freihandel.

Halten wir uns nicht länger an der Kühnheit von Carlo Sommaruga auf, der auch schon Besseres mitteilte. Und lasst uns versuchen, den Kotzreiz zu unterdrücken, den «die Schweizer Wertvorstellungen zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat» auslösen (dazu gleich nachher ein Lesetipp). Vergegenwärtigen wir uns einfach, welch Hochgefühle bei den Schweizer WertvorstellungsträgerInnen etwa die Nachricht auslöst, die amerika21 heute verbreitet: Der militärisch gesicherte wirtschaftliche Ultraliberalismus will das Rentenwesen nun vom Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren umstellen. A21 zitiert dazu den Wirtschaftswissenschaftler Márcio Pochmann:

„Eine Inspiration für den Ultraliberalismus in Brasilien ‒ die Privatisierung des chilenischen Rentensystem bedeutet sechs Fonds, in denen die Arbeiter zehn Prozent ihrer Monatsgehälter im Lauf von 30 Jahren lassen, um schließlich einen lächerlichen Betrag als Rentner zu erhalten“. 90 Prozent der Einzahler bekämen schließlich nur 50 Prozent des Mindestlohns. Ausgenommen sei lediglich das Militär.

Dass das kritisiert wird, stösst in der extremistischen Mitte, also den ProduzentInnen der bewussten Wertvorstellungen, auf Unverständnis: Es gehe doch gerade darum, dass Versicherungen etc. Gewinne machen, zum nur so gesicherten Wohl Aller, selbstverständlich. Wenn die Renten dann gerade wieder mal zusammenkrachen, kann ja wie gewohnt der Staat einspringen – dafür ist er da. Und wenn das mit dem Freihandelsabkommen mit dem Mercosur klappt, stehen dem Schweizer Finanzplatz Tür und Tor offen. Da sind „Informationen aus erster Hand“ wichtig.

Andere Informationen hat Dilei Schiochet, nationale Delegierte der Landlosenbewegung MST für Paraíba im Nordosten des Landes. Das regionale MST-Treffen ist den beiden am 8. Dezember 2018 umgebrachten MST-Mitgliedern José Bernardo da Silva und Rodrigo Celestino gewidmet. Brasil de Fato zitiert die Frau so:

Bolsonaro betreibt zusammen mit einem Teil der Medien eine sehr starke Kampagne, um das MST als terroristische Organisation darzustellen (…) Für den Kapitalismus gibt es im Modell, das Arbeits- und soziale Rechte der Bevölkerung anerkennt, keine Chance, weiter Gewinne zu erzielen.

 
Dilei Schiochet am Treffen in Paraíba.

Das kommt den heutigen Schweizer Wertvorstellungen ziemlich nahe. Nochmals aus a21.de:

Minister Guedes plant zudem, noch vor der Umsetzung der Reform ein Mindestrententalter einzuführen. Es gehe darum, "mehr an die Zukunft zu denken und sie für die kommenden Generationen zu sichern". Das von der Regierung vorgeschlagene System sei "viel robuster" als das bisherige. Allerdings seien "die Kosten des Übergangs hoch", gestand der Minister ein.

Klingt doch vertraut, zumindest, wenn man gelegentlich Zeitungen liest oder Schweizer (etc.) Politprominenz im TV zuhört. Und dazu noch der Lesetipp zur Kontinuität der „Wertvorstellungen“, ein Artikel aus der autonom-anarchistischen Homepage ajour-mag.ch:
Was Christoph Blocher mit dem Mord an Rosa Luxemburg zu tun hat. Eine deutsch-schweizerische Zeitreise
1. Mai-Demo in Zürich, ca. 1946