Nicaragua/Schweiz: Sanktionen und die alte Doppelmoral

Donnerstag, 25. Juni 2020

(zas, 26.6.20) Die offizielle Schweiz gehorcht. Erst verhängte Washington Sanktionen gegen ranghohe FunktionärInnen des nicaraguanischen Regierung, im Mai folgte die EU und gestern brillierte die Schweiz mit Nachvollzug. Bei den direkt Sanktionierten handelt es sich um Néstor Moncada Lau, Sicherheitsberater von Daniel Ortega, vier hohe Polizeimitglieder und die ehemalige Gesundheitsministerin Sonia Castro, die erst von Washington, danach von Brüssel sanktioniert wurden. Zusätzlich zur Sperrung von Vermögenswerten, die subito dem Seco ausgehändigt werden sollen, verhängte Bern noch eine Ein- und Durchreisesperre. So wie Washington fügten auch die EU und jetzt die Schweiz an, die Sanktionen richteten sich nicht gegen die Bevölkerung. Den gleichen Spruch bemühen die westlichen Mächte z. B. auch bei Venezuela. Washington bemüht sich weitgehend erfolgreich, Venezuela von jeder Covid-19-Hilfe abzuschneiden. Für Nicaragua hat die Trump-Administration einen IWF-Notkredit zur Bekämpfung der Coronaepidemie blockiert.

Ganz so offen mag die Schweiz nicht operieren. Am 19. Juni liess sie verlauten, auf Ersuchen von UN-Organisation, NGOs und des IKRK einen Charter für 94 Tonnen humanitärer Hilfsgüter (Covid-19 und Wasseraufbereitung) nach Caracas organisiert zu haben. Dürfen wir in Zufriedenheit schwelgen? Was ist das: Man mischt aktiv mit bei der Zerstörung der Wirtschaft eines Landes und versucht zwischendurch den entstandenen Schaden ein klein wenig zu reduzieren? Die humanitäre Pose als Doppelmoral.

Die US-Sanktionen richten sich nominell gegen Einzelpersonen und ihre angeblichen, in den USA deponierten Vermögenswerte. Dank des Tricks mit den sekundären Sanktionen gelten die Blockaden aber auch weltweit und für alle angeblich unter dem Einfluss der sanktionierten Individuen stehenden Institutionen (s. Nicaragua: Washington greift an). Sobald Washington hustet, wird man auch in Bundesbern, in den Schweizer Finanzinstitutionen ohnehin, dafür eilfertig zu Diensten stehen.

Ein Freund reagierte so auf die Berner Sanktionen: «Erdogan bringt Tausende von Kurden um. Bern schweigt! Treten gegen unten, buckeln nach oben.» Neben Bundesrat Ignazio Cassis dürfte da auch der Chef der Amerikas-Abteilung des EDA eifrig mitmachen, Bénédict de Cerjat, früher EDA-Liaison mit der NATO und danach als Botschafter in Caracas bis zu seiner Ausweisung Propagandist der putschistischen Kräfte.

Ach so: Die Sanktionen gegen Nicaragua beziehen sich auf angebliche Gräueltaten des Sandinismus 2018. So etwa habe die damalige Gesundheitsministerin Sonia Castro Notaufnahmen verwundeter Oppositioneller in den staatlichen Spitälern verboten. Das ist widerlicher Quatsch. Vor kurzem hörten wir von eigentlich solidarischer Seite, das Gesundheitsministerium habe seinem Spitalpersonal das Tragen von Schutzmasken verboten.  Ein weiteres Motiv also, die Sanktionen zu eskalieren – bis die Nicas wieder «Cry Uncle» rufen, wie das der damalige Kriegsherr in Washington gegen Nicaragua, Ronald Reagan, in Anlehnung an den Ausdruck für Aufgeben aus dem Boxsport verlangte.

Heute habe ich mit einem Mitglied der Nica-Botschaft in Genf telefoniert. Es ging um Covid-19, hier und dort. Etwas fassungslos war der Hinweis, dass sich die Leute beim Massenflanieren am See offenbar einen Deut um steigende Fallzahlen scherten. «Ich verstehe die Schweizer Behörden nicht, was denken sie sich dabei?» Nun ja, die Antwort leider: die Ökonomie. Jene des Kapitals, nicht der Leute, die in Nica etwa ihren Tagesverdienst brauchen, um nicht an den Folgen von Hunger nicht zu erkranken oder zu sterben. Die Regierung hat objektiv keine Möglichkeit – anders als in den reichen Zonen der Welt – einen Grossteil der Bevölkerung bei einem monatenlangen Generallockdown zu ernähren etc. Sie will dem – bei allen möglichen Fehlern – Rechnung tragen und verordnet daher kein allgemeines Herunterfahren der Wirtschaft. Stattdessen soll gerade im informellen und KMU-Bereich, also dem Zentrum der wirtschaftlichen Aktivitäten, das Bewusstsein für Präventionsmassnahmen und Regeleinhaltung geschärft werden. Und die Regierung setzt auf eine ziemlich kapillare und landesweite Präsenz medizinischer Equipen für Prävention und Früherkennung, als Ergänzung zu einem in den letzten Jahren massiv ausgebauten Ambulatorium- und Spitalwesen.

Sie lässt also «die Zügel schleifen», wie das Putschkader in Nicaragua und seine hiesigen Echokammern einordnen. Sie gehört sanktioniert, du verstehst?!