Peru: Einschätzungen eines marxistisch-leninistischen Ex-Aussenministers

Sonntag, 18. Dezember 2022

 

Die mexikanische Tageszeitung La Jornada brachte gestern ein Interview mit Héctor Béjar Rivera. Dem 87-jährigen ehemaligen Aussenminister in der ersten Regierung des gestürzten Präsidenten Pedro Castillo. Genau 19 Tage hatte es gedauert, bis Castillo zum ersten Mal dem Druck der Rechten nachgab und Béjar absetzte (s. dazu das Gespräch mit Béjar in Correos 201).

Im Jornada-Interview meinte Béjar zur «desaströsen» Regierung Castillo etwa:

«Mit Castillo kamen hunderte von OpportunistInnen, fast alle auf der Suche nach Staatsaufträgen, und machten das, was in früheren Regierungen geordneter gemacht wurde. In der Vergangenheit hatten wir eine Korruption mit hoher Inzidenz bei den Staatsgeldern und mehr Drogenhandel, geordnet; jetzt hatten wir das Gleiche primitiv und ungeordnet.»

«Die Korrupten von vor 2021 begannen, die neuen Korrupten zu denunzieren. Alles gebündelt im Kongress, der von Mafias mit teilweisen Verflechtungen mit dem Drogenhandel kontrolliert wird und der Castillo zum bevorzugten Ziel war zentral, bis er ihn mit Beteiligung von Castillo selbst stürzen konnte. Niemand weiss, warum er, der wegen eines mangelnden Stimmenquorums nicht abgesetzt werden würde, dafür optierte, bis zum Punkt, dass er sein Asyl vorhersah, genau das zu machen, das seinen Sturz provozieren würde».[1]

Interviewer: «Welche Rolle spielt dabei die Persönlichkeit des Präsidenten seine Unerfahrenheit, seine Einfachheit»?

«Eine zentrale Rolle, mit mehr Erfahrung hätte die peruanische Rechte niemals die gleichen Resultate errungen (…) Es muss auch gesagt werden, dass Castillo kein Mann der Linken ist, er ist wie seine Familie evangelikal, kein Marxist-Leninist oder ‘Terrorist’. Sein Verhalten ist mir unerklärlich, denn er ist ein nationaler Gewerkschaftsführer und hat zwei extrem wichtige Streiks des Lehrpersonal geleitet; es ist also nicht so, dass er keine Erfahrung gehabt hätte.»

Auf die Journalistenfrage nach dem Zustand der Linken antwortete Béjar:

«Wenn Sie den Namen hinnehmen, den sich die Leute geben, gibt es in Peru viele linke Kräfte, aber wenn Sie sich an technischen und akademischen Begriffen orientieren, existiert die Linke nicht. Was existiert, sind Gruppen, die das Wort benutzen, um an die Macht zu kommen, aber kein konsequentes und mit dem Volk abgestimmtes Verhalten. Wer jetzt protestiert, ist ein Teil des Volkes, nicht die Linke. Es gibt viele linke Leute in den sozialen Volksorganisationen, aber diese Rebellion macht ein Teil des Volkes spontan, aus eigenem Entschluss. Würde die Linke dahinterstecken, wäre es nie dazu gekommen, denn sie ist mehr daran interessiert, im politischen System zu bleiben, das von ganz Peru verabscheut wird, vor allem die Abgeordneten. Natürlich sind nicht alle korrupt, aber die blosse Tatsache, im politischen System zu sein, stellt für das Volk ein grosses Fragzeichen dar.»

« (…) Es braucht real demokratische Wahlen, doch der aktuelle Gesetzesapparat lässt diese nicht zu. Bliebt er bestehen, werden wir eine Weiderholung des schon Erlebten haben. Die aktuelle gesetzliche Situation bietet keinen Ausweg, es braucht eine Erneuerung von Allem. Wir sind in einem revolutionären Moment, aber ohne Revolutionäre.»



[1] (A. d. Ü.) Zwar stand im Kongress wieder ein Versuch zu Castillos Absetzung bevor, aber Konsens ist, dass die dafür nötigen Stimmen fehlten.