Honduras: Wahlen - dunkle Schatten oder Durchbruch

Montag, 1. Dezember 2025

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Honduras: Wahlen - dunkle Schatten oder Durchbruch

(zas, 30.11.25) Trump teilte mit, welcher Kandidat bei der honduranischen Präsidentschaftswahl von heute, wo es auch um Parlament und kommunale Regierungen geht, zu wählen sei. Eine Missachtung der Anweisung werde unweigerlich «katastrophale Resultate» zeitigen.

Mit Präsidentin Xiomara Castro regiert die linke Partei Libre, die aus dem Widerstand gegen den US-gesteuerten Militärputsch 2009 entstand. Für diese Partei bewirbt sich Rixi Moncada für die Nachfolge von Xiomara, für die beiden Rechtsparteien der Liberalen und der Nationalen kandidieren Salvador Nasralla bzw. Tito Asfura dafür. Die Umfragen, soweit sie überhaupt etwas ernst zu nehmen sind, geben Rixi Moncada einen leichten Vorsprung, wobei oft eine grosse Menge Leute unter «unentschieden» figuriert. (Es gibt keine Stichwahl; die Partei mit den meisten Stimmen kommt an die Regierung.)

Die Strassenmobilisierungen von Libre übertrafen jene der konkurrierenden Parteien deutlich. Allerdings dominieren bei der Stimmabgabe oft andere Momente als jene des persönlichen Engagements auf der Strasse. Nun, Tatsache ist, dass bei Libre-Wahlveranstaltungen etwa in der Wirtschaftsmetropole San Pedro Sula eine Volksfeststimmung herrschte.

 

Audios vom Wahlbetrug

Ende Oktober aber verschärfte sich die Stimmungslage. Die Generalstaatsanwaltschaft, deren Spitze nicht mehr von den alten reaktionären Seilschaften kontrolliert wird, hatte auszugsweise abgefangene Audiobotschaften veröffentlicht. Darin updateten sich Cossette López, die Vertreterin der Nationalen Partei im dreiköpfigen, mit der Wahlorganisation beauftragten Wahlrat CNE, der Fraktionschef ihrer Partei, Tomás Zambrano, und ein öffentlich nicht identifizierter hoher Militär zu ihren Schritten für einen Wahlbetrug. Manipulierte Auszählungen sollen den liberalen Kandidaten Nasralla am Wahlabend zum Sieger erklären und für «Chaos» sorgen.

Wichtige Elemente in diesem Vorhaben sind etwa die satellitenbasierten Verbindungen, die der Schnellauszählung der Stimmen und der biometrischen (!) Identitätsbestätigung der Wählenden dienen sollen. Cossette López: «Am meisten interessiert uns das Thema der Verbindungen». Es sollen etwa Wahlakten vor allem aus Gegenden mit guter Satellitenanbindung und rechten Mehrheiten berücksichtigt werden. Tatsache ist, dass ein Probelauf für diese rechtlich nicht bindende Schnellauszählung – die definitive Auszählung erfolgt später auf der Basis aller Akten – vom 9. November ihr miserables Funktionieren aufdeckte: Die Angaben sind widersprüchlich, aber maximal die Hälfte der Wahlresultatsakten konnte übertragen werden, und deutlich weniger noch beim Abgleich des Fingerabdrucks. Mit der Schnellauszählung werde, so López, Nasralla als künftiger Präsident positioniert. Gleichzeitig sollen «spontane» Proteste der Basis der Rechten die Regierung des Wahlbetrugs bezichtigen, da sie, gesetzestreu, nur die entscheidende Schlussauszählung auf der Basis aller Wahlakten anerkennen will. Die «Zivilgesellschaft» und eingespannte internationale Beobachtungmissionen sollen am Abend angesichts des «Chaos» eine Wahlwiederholung fordern.

In den Audios erwähnen López und ihr Fraktionschef erfolgreich angeheuerte Transportunternehmen oder die massive Neuanstellung von ausgesuchten AktivistInnen der Nationalen Partei in Organisationen wie die CONADEH (eine US-finanzierte «Antikorruptions»-NGO, Stimme der «Zivilgesellschaft»). López: «Die Idee ist, mindestens den Transport zu kontrollieren» - gemeint: der Transport von Wahlutensilien in die Wahllokale und der Wahlakten zum Wahlrat. Und weiter: «Die Militärs stehen auf unserer Seite. Sie gingen nie mit ihnen [Libre] mit, und beim Transport werde ich sicherstellen», dass ihn die «Richtigen» übernehmen.

Mehrmals erwähnt López, dass wegen Abhörgefahr auch in diesem Infoaustausch nicht alles gesagt werden könne. Aber doch dieses: «Lasst uns die Instrumente nutzen, die uns die Leute der [US-] Botschaft und die internationalen Organisationen gegeben haben, um das, was die [Linken] machen, zu denunzieren.» Sie spricht auch davon, dass am Wahlabend «die Mehrheit der Organisationen sagen, ein Wahlbetrug liege vor, und die Idee ist, dass die USA unterstützen und die Wahlen (…) als gefälscht bezeichnen».

Reaktion der Rechten auf die Audios: Alle mit KI gefälscht. Eine von der Regierung angeordnete forensische Untersuchung der Audios durch das anscheinend reputierte kolumbianische Unternehmen Private Investigation Technology entkräftet diese Propaganda. Danach schwieg die Rechte zum Inhalt und bezeichnete dafür eine eingeleitete strafrechtliche Untersuchung als Bedrohung ihrer Wahlfreiheit.

 

A propos «Internationale Organisationen»

Ein Wort noch zu den von López erwähnten Internationalen Beoachtungsorganisationen. Im Land sind das vor allem jene der EU (mit denkbar schlechter Geschichte in Sachen Whitewashing des Putsches 2017 im Land) und der OAS (Organisation der Amerikanischen Staaten). Jene der OAS wird geleitet von Eladio Loizaga. Er war paraguayischer Aussenminister in der ultrareaktionären Regierung von Horacio Cartes. Loizaga besitzt viel Agrareform-Land, das er sich in der Zeit der Stroessner-Diktatur widerrechtlich angeeignet hatte. Er war zudem in die Operation Condor involviert[1]. Dazu passt seine Rolle als Landeskader der mit Condor vergleichbaren World Anti Communist League, einer ursprünglich US-taiwanesischen Organisation. Sie war erst auf Asien fokussiert und griff dann auf andere Kontinente über. IIhre US-Abteilung spielte in den 80-er Jahren eine blutige Rolle in Zentralamerika. Seit dem Ende des Kalten Kriegs ist von ihr nicht mehr viel die Rede, auch wenn sie als World League for Freedom and Democracy offenbar weiterexistiert.[2]

Als die beschriebenen Audios öffentlich gemacht wurde, «warnte» Washington vor Wahlbetrug durch Libre. Trump schickte erst den OAS-Generalsekretär vor, dann drohte US-Vizeaussenminister Christopher Landau am 12. November eine «schnelle und entschlossene» Antwort auf einen Wahlbetrug an. Loizaga ist jetzt diplomatischer Teil einer neuen Ultra-Internationalen.

 

Partido Nacional

So weit, so ungut. Würde die Rechte geeint antreten, wäre es wohl sehr schwierig für Libre, zu siegen. Die Liberalen scheinen die Nationalen stimmenmässig abgehängt zu haben. Dafür hat der Partido Nacional klar die bessere Organisationsstruktur. Die Partei ist wegen ihrer Wahlbetrüge von 2013 und 2017, damals brutal durchgesetzt, offenbar in einem Popularitätstief. Der Hauptprofiteur war der Präsident, Juan Orlando Hernández oder JOH, der nach dem Sieg von Libre an die USA ausgeliefert und dort 2024 zu 45 Jahren Knast verurteilt wurde. Damals begründete dies der zuständige US-Bundesstaatsanwalt Damian Williams so: Hernández «stand im Zentrum einer der weltweit grössten und gewalttätigsten Verschwörungen zum Drogenhandel». In Honduras hat JOH den Drogentransporten insbesondere des Sinaloa-Kartells freies Geleit verschafft und dafür zum Beispiel von dessen Boss, Chapo Guzmán, $ 100 Millionen erhalten. All das keine tolle Wahlempfehlung.

 

Double bind als Herrschaftsmittel

Das sieht man im Weissen Haus anders. Am 26. November rief Trump die honduranische Bevölkerung dazu auf, Asfura zu wählen: «Der einzige wahre Freund der Freiheit in Honduras ist Tito Afura. Tito und ich können zusammenarbeiten, um die Narcokommunisten zu bekämpfen.»

Das konsternierte die Rechte. Denn die Absprache zwischen den beiden Rechtsparteien ging implizit von einer Liberalen Partei aus, die als einzige Chancen habe, notfalls auch mit der erwähnten «Nachhilfe», Libre zu schlagen. Nur schon, dass sich relevante Mengen Liberaler in Rekordzeit auf Partido Nacional umpolen lassen, ist kaum vorstellbar. (Fast sieht es danach aus, dass man sich in Honduras nicht genügend mit dem Boss verständigt hat.)

Das Weisse Haus legte noch zu. Am 28. November verkündete Trump auf seiner Online-Plattform: «Wenn Tito Asfura die Präsidentschaft in Honduras gewinnt, weil die USA so viel Vertrauen in ihn haben, werden wir [ihn] fest unterstützen. Gewinn er nicht, werden die USA schlechtem Geld kein gutes nachwerfen, denn ein falscher Leader kann einem Land nur katastrophale Resultate bescheren (...) Überdies werde ich den früheren Präsidenten Juan Orlando Hernández voll und komplett begnadigen. Denn er war laut vielen Leuten, die ich sehr schätze, sehr hart und unfair behandelt worden. Das darf nicht vorkommen, erst recht nicht jetzt, wenn Tito Asfura die Wahlen gewinnt.  Wählt Tito Asfura zum Präsidenten. Make Honduras great again!»

Die Begnadigung von JOH, einer nicht nur in Libre-Kreisen verhassten Figur, stösst auch in den USA auf Ablehnung. Manchmal aus Sorge, das könne konterproduktiv sein. New York Times fasst die Bedenken eines ehemaligen Chefs für internationalen Operationen der US-Drogenbehörde DEA so zusammen: die Begnadigung «gefährdet den internationalen Ruf der USA und ihrer Untersuchungen von Drogenhandel».

 Von solcherlei Bedenken lässt sich die Clique im Weissen Haus nicht beirren. Keine 24 Stunden nach der Begnadigungsankündigung deklarierte ein Präsident im Weissen Haus in einem Post an «alle Luftfahrtgesellschaften, Piloten., Drogenhändler und Menschenhändler» den venezolanischen Luftraum für «Closed in ist entirety». Mit anderen Worten: Wer von/nach Venezuela fliegt, riskiert das LebenDie Einzelbotschaften mögen grotesk widersprüchlich sein – der Drogenbaron kommt frei, der Unbeteiligte wird bombardiert. Das alte Prinzip double-bind als Herrschaftsmittel. Das Diktat der brutalen Machtausübung soll verinnerlicht werden.  

 

Angst oder «Yanqui go home”?

Möglich, dass viele HonduranerInnen aus Angst – siehe die extreme Massierung von US-Streitkräften in der karibischen Nachbarschaft – Trump gehorchen. Aber Compas von Libre meinen, dass es im Gegenteil zu einer patriotischen Aufwallung im Land kommen könne, im Stil ein wenig von Yanqui go home. Die nächsten Tage werden wahrscheinlich sehr turbulent werden. Die Rechte wird ihren Sieg verkünden, Libre wird eine eventuelle Niederlage schlucken.

 

 



[1] Unter Aufsicht der CIA wüteten die Geheimdienste der lateinamerikanischen Diktaturen der 70-er und 80-er Jahre gemeinsam gegen die Oppositionellen.

[2] WACL: Ursprünglich eine US-kontrollierte taiwanesische Organisation. Erst auf Asien fokussiert, danach Expansion in andere Kontinente. Der US-Arm spielte spielte in den 80-er Jahren eine blutige Rolle in Zentralamerika. Nach dem Kalten Kriegs unbenannt in World League for Freedom and Democracy ; existiert offenbar weiter.


Amerikas: Militäreinsätze, Wirtschaftskrieg – und ein Orientierungsansatz

Sonntag, 9. November 2025

 

(zas, 9.11.25) Bekanntlich kann es heikel oder einfach falsch sein, was uns nicht passt, als (prä-) faschistisch zu bezeichnen. Noch schlimmer wäre allerdings, den Begriff dort zu vermeiden, wo er sich aufdrängt. Kurzinfos zu aktuellen Aspekten der militarisierten US-Politik in Lateinamerika und dem damit untrennbar verbundenen Grossangriff auf gesellschaftliche, auch wirtschaftliche Emanzipation. Ein Interpretationsschema dazu aus den USA. Und ja, verwandte Züge der US-Herrschaftspraxis und -Doktrin mit nazistischem «Gedankengut» sind erkennbar.

 

Mexiko im Visier

Am 3. November berichtete der US-Fernsehkanal NBC, gestützt auf Aussagen zweier ehemaliger und zweier aktueller hoher RegierungsfunktionärInnen, über den Beginn konkreter Planungen für den «Anti-Kartell»-Einsatz von US-Truppen in Mexiko. Der stehe allerdings nicht unmittelbar bevor. Die US-Truppen, hauptsächlich aus dem Joint Special Operations Command kommend, würden dann mit Autorisierung der US-Geheimdienste operieren. Falls es soweit komme, werde die Administration nicht über die Einsätze berichten. Die sähen hauptsächlich Drohnenschläge gegen Drogenlabors und Kartellmitglieder vor, wobei einige der vorgesehenen Drohnen von mexikanischem Boden aus gesteuert werden müssten.

Die US-Armee hat bisher nach eigenen Angaben über 70 Menschen auf Booten primär in Gewässern nahe von Venezuela umgebracht. Immer lautet die nie mit Beweisen unterstützte Erklärung, es habe sich bei den Ermordeten um Drogenhändler gehandelt. Die Fischer, die traditionell zwischen Trinidad und der venezolanischen Küste hin und her pendeln, unterlassen dies jetzt. Das hat unmittelbare wirtschaftliche Konsequenzen für die KüstenbewohnerInnen.

 

El Salvador, Bukele dabei

Die New York Time informierte am 6. November über «Flugmissionen von mindestens drei Militärfliegern vom hauptsächlichen internationalen Flughafen von El Salvador» aus bezeichnete diese auf der Basis von «Satellitenfotos, Kommunikationen der Luftverkehrskontrolle und Flugverfolgunggsdaten» als «Erweiterung des aussergewöhnlichen US-Truppenaufmarsches in der Karibik».  Einer der Flieger sei ein «schwer bewaffnetes Angriffsflugzeug» und werde vom «Air Force Special Operations Command eingesetzt, einer Einheit für heikle Militäroperationen». Neben einem Aufklärungsflieger sei ein weiteres Flugzeug vom Typ C-40 Clipper am Flughafen Comalapa (genauer gesagt in der offenbar wieder aktivierten angrenzenden US-Base). Über dessen Operationen sei wenig bekannt sei «und seine Verlegung nach El Salvador ist höchst ungewöhnlich», insbesondere, da es das Aufklärungsflugzeug manchmal begleite. Zwei US-ArmeefunktionärInnen «bestätigten der Times, dass der Einsatz dieser Flieger im Zusammenhang mit der Ausweitung der Antidrogenmissionen in der Region steht». Das Blatt schreibt: «Der Einsatz in El Salvador stellt wahrscheinlich das erste Mal dar, dass ein ausländisches Land US-Flieger aufnimmt, die in Militärschläge in der Region verwickelt sein können. Und er wirft ein weiteres Licht auf die engen Beziehungen zwischen der Trump-Administration und dem salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele, der zur Unterstützung der Migrationsstrategie von Präsident Trump aus den USA Deportierte in einem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt hatte.»[1]

 

Argentinien: Durchmarsch und Geschäft

«Argentinien schuldet» dem IWF rund $ 60 Milliarden. Der neoliberalen Regierung von Macri hatte der Fonds 2020 schon damals auf Geheiss von Trump einen Kredit von über $ 50 Milliarden gewährt. Er sollte die Wiederwahl von Macri erleichtern (Fehlschlag) und zudem den US-Filialen und der Oligarchie erlauben, ihren Geldreichtum ins sichere Ausland zu transferieren (gelungen). Zahlen sollten wie gewohnt die «anderen», also die Unterklassen und der Mittelstand. Der Fonds brach mit der Kreditgewährung seine «eisernen Regeln», da er klar hatte, dass Argentinien diese Schulden niemals würde stemmen können. Die peronistische Regierung unter Alberto Fernández maulte zwar wegen der untragbaren Schuldenlast, unterschrieb aber eine Vereinbarung für ihre Rückzahlung. Direkte Ergebnis: Die Armut nahm zu, die nationale Wirtschaft (also jene, die etwas mit dm Leben der Leute zu tun hat, war in Dauerkrise. Milei gewann die folgenden Präsidentschaftswahlen.

Trotz andauernden Hurra-Rufen der herrschenden Kreise auch hierzulande für Mileis ultra-neoliberale Politik drohte dem argentinischen Regime dieses Jahr erneut, der Zaster (also Dollars) auszugehen. Also half der IWF Milei mit einem weiteren unbezahlbaren $ 20 Milliarden-Kredit.

Trump lässt die Seinen nicht hängen.

Also verkündete er im September einen Tausch minderwertiger Pesos mit $ 20 Milliarden Dollarreserven des Finanzministeriums. Und fügte bekanntlich an, der Deal laufe nur, wenn Milei die partiellen Parlamentswahlen im Oktober gewänne. Damit das auch richtig möglich werde, kündete er einen weiteren Kredit von $ 20 Milliarden seitens führender US-Grossbanken an Milei an.

Der IWF hatte Bedenken zu den beiden Trump-Krediten geäussert, wie das Wall Street Journal kürzlich festhielt. Natürlich nicht wegen des mit der gigantischen Verschuldung verbundenen Horrors für die Bevölkerung in Argentinien, sondern aus Sorge, die Rückzahlung der beiden US-Kredite würde jene an den Fonds verdrängen. Das würde sein globales «Ansehen» doch stark belasten.

Trumps Kalkül ist aufgegangen, er hat in den argentinischen Wahlen trumpfen können. Die vermeintliche Aussicht auf den Geldregen trübte nach allgemeiner Ansicht das Sensorium der WählerInnen entscheidend, neben anderen Faktoren.

 

Die Hemisphären-Präsidentschaft

Der kurze Artikel The Hemispheric Presidency: Emergency Powers and the New US Doctrine in Latin America von José Atiles, Kriminologe an der University of Illinois, lohnt die Lektüre. Lateinamerika und die Karibik seien wieder in den Fokus des Weissen Hauses geraten. Es gehe dabei nicht um ein Revival des Kalten Krieges oder der Monroe-Doktrin (Amerika den USA), sondern um eine neue Doktrin, «die Ausnahmevollmachten, Wirtschaftskrieg und Militarisierung zu einer einzigen hemisphärischen Ordnung verschmelzt. Diese aufkommende Doktrin basiert auf der Erweiterung der präsidialen Autorität. Sie steht für die volle Ausdehnung der Theorie der unitary executive[2] (einheitliche Exekutive) oder imperialen Präsidentschaft in den Bereich der Aussenpolitik, ein Versuch, den exekutiven Unilateralismus als organisierendes Prinzip der US-Regierungspraxis zuhause und im Ausland zu normalisieren.»

Die letzten 30 Jahre des Drogenkriegs und des Kriegs gegen den Terror, so der Autor, haben die Ausdehnung der Vollmachten des Weissen Hauses sukzessive durchgesetzt. Das ursprüngliche Ausnahmeregime in der Aufstandsbekämpfung hat sich zum aktuellen Standard entwickelt. «Unter Trump sind die Instrumente» des früheren Ausnahmeregimes wie Sanktionen, Elemente der Aufstandsbekämpfung u. a. «zu einem kohärenten hemisphärischen Projekt zusammengeschlossen.» 

«Die Karibik, einst als ‘Hinterhof’ imaginiert, ist zum Theater geworden, in dem die Ausnahmevollmachten als alltägliche Staatspolitik geprobt werden. Der wirtschaftliche Arm dieser Doktrin folgt der gleichen Logik.» Die $ 40-Milliarden-Kreditpakete für Milei dienen «weniger zur Stabilisierung der argentinischen Wirtschaft als der Absicherung eines radikalen neoliberalen Experiments» mit vielen Parallelen zu Trumps Gesellschaftspolitik in den USA.

 

Parallelen zum Nazismus

Unitary executive hiess bei den Nazis Einheit der Führung, wie sie unter anderen vom Starverfassungsrechtler Carl Schmitt mitbestimmt worden ist. Der Führer verkörpert den Willen des deutschen Volkes (sowie heute Trump jenen der americans) und dominiert deswegen alle staatlichen Instanzen. Auch in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik gibt es eindeutige Parallelen. Franz Neumann hatte in seiner während des 2. Weltkriegs im US-Exil verfassten Analyse der Wirtschaftspolitik der Nazi- und Industrie-Eliten – «Behemoth – Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944» - als Befehlswirtschaft charakterisiert. Das, was heute als «Erpressungspolitik» Trumps bekannt ist, hat viele Elemente von der Nazi-Doktrin wieder aufgenommen, von den Zöllen bis zum staatlichen Dauerangriff auf alle nicht eingebundenen Kräfte. Vergessen wir Trumps «Launen». Neumann analysiert diese NS-Politik als durchdachten Versuch der Eliten, sich mit imperialistischen Kriegen zur Weltmacht aufzuschwingen. Das sollte uns Warnung genug sein, auch wenn die USA heute nicht Deutschland 1933 sind. Die Lektüre des Behemoths kostet Zeit und Aufmerksamkeit und bietet – muss das noch gesagt werden? – keine Blaupause für das Verständnis der fast weltweiten aktuellen faschistischen Mobilisierung. Aber sie hilft uns, wach zu werden.

 

 



[1]Die Funktion des «coolen» Bukele in der Trump-Agenda zeigte sich letzten August, als er eine Armeeoffizierin als Erziehungsministerin einsetzte, damit sie, kaum im Amt, Zucht und Ordnung im Erziehungsbereich durchsetze. Schluss mit Frisuren etwa à la Hip-Hop, nur noch anständiger Schnitt und saubere Uniformen sind Pflicht. Beim Betreten der Schule sind die Autoritäten höflich zu grüssen, ungehobeltes Vokabular ist streng verboten. Jeden Montagmorgen sing die ganze Schule die Landeshymne und grüsst die Fahne. Wer mehr als 3 mal getadelt wird, repetiert das Schuljahr. Ein geleaktes Handbuch des Erziehungsministeriums verbietet kategorisch die Verwendung von Begriffen wie Feminismus, Ermächtigung, sexuelle Orientierung, LGBT, Sexualität oder auch nur «todas y todos» (jeder und jede). Ebenfalls des Teufels sind Begriffe wie Klimaschutz oder Hinweise auf oder Zitate aus der Agenda 2030 (UN-Entwicklungsziele) wie Zugang zu Wasser.  

[2] Alle Staatsorgane (Parlament, Justiz, Kontrollbehörden etc.) orientieren sich streng an der Politik des Präsidenten. In den vier Jahren der Biden-Administration hat die einflussreiche, trumpistische Heritage Foundation diese Theorie unter dem Begriff Project 2025 im Detail und umfassend und mit praktischen Angaben zum Vorgehen ausgearbeitet. Die liberale These der (relativen) staatlichen Gewaltenteilung oder etwa das Völkerrecht soll damit zu Altpapier werden.