Trump mag noch nicht in Venezuela einmarschieren, aber er macht Schlimmeres

Samstag, 27. Dezember 2025


Michelle Ellner*

(26.12.25) Die lauteste Frage, die derzeit in Washington gestellt wird, ist, ob Donald Trump in Venezuela einmarschieren wird. Die leisere und weitaus gefährlichere Realität sieht jedoch so aus: Er wird es wahrscheinlich nicht tun. Nicht, weil ihm das Leben der VenezolanerInnen am Herzen läge, sondern weil er eine Strategie gefunden hat, die kostengünstiger, im eigenen Land politisch weniger riskant und verheerender ist: Wirtschaftskrieg.

Venezuela hat bereits Jahre des Wirtschaftskriegs überstanden. Trotz zwei Jahrzehnten umfassender US-Sanktionen, die darauf abzielen, die Wirtschaft des Landes zu strangulieren, hat Venezuela Wege gefunden, sich anzupassen: Öl wird über alternative Märkte gehandelt, Gemeinden haben Überlebensstrategien entwickelt, die Menschen haben mit Kreativität und Widerstandsfähigkeit Mangel und Not ertragen. Genau diese Widerstandsfähigkeit versucht die Trump-Regierung zu brechen.

Anstatt eine militärische Invasion zu starten, die öffentliche Gegenreaktionen und eine genaue Prüfung durch den Kongress hervorrufen würde, setzt Trump auf etwas Heimtückischeres: die totale wirtschaftliche Erstickung. Durch die Verschärfung der Beschränkungen für venezolanische Ölexporte, die wichtigste Einnahmequelle des Landes, treibt die Trump-Regierung das Land bewusst in einen vollständigen humanitären Zusammenbruch.

In den letzten Monaten deuten die Massnahmen der USA in der Karibik, darunter das Kapern von Öltankern mit Bezug zu Venezuela, auf eine Verlagerung von finanziellem Druck hin zu illegaler Seemacht hin. Diese Operationen zielen zunehmend darauf ab, Venezuela daran zu hindern, seine eigenen Ressourcen durch internationale Gewässer zu transportieren. Öltanker wurden aufgehalten, beschlagnahmt, mit sekundären Sanktionen bedroht oder unter Zwang zu Umwegen gezwungen. Das Ziel ist eine Strangulierung.

Dies ist nach internationalem Recht illegal.

Die Freiheit der Schifffahrt auf hoher See ist ein Grundpfeiler des internationalen Seerechts, der in der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen verankert ist. Die einseitige Aufbringung ziviler Handelsschiffe ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats verstösst gegen den Grundsatz der souveränen Gleichheit und der Nichteinmischung. Die extraterritoriale Durchsetzung von US-Sanktionen, mit denen Drittländer und private Akteure für den rechtmässigen Handel mit Venezuela bestraft werden, hat keine Rechtsgrundlage. Es handelt sich schlicht und einfach um Nötigung. Noch wichtiger ist, dass damit eine kollektive Bestrafung beabsichtigt ist.

Indem sie Venezuela daran hindert, Öl zu exportieren, dessen Einnahmen für Lebensmittelimporte, Medikamente, Strom und öffentliche Dienstleistungen verwendet werden, schafft die Trump-Administration bewusst Bedingungen für Massenentbehrungen. Nach dem humanitären Völkerrecht sind kollektive Bestrafungen verboten, gerade weil sie ZivilistInnen als Mittel zur Erreichung politischer Ziele ins Visier nehmen. Und wenn dies so weitergeht, werden wir schreckliche Bilder sehen: leere Regale, unterernährte Kinder, überlastete Krankenhäuser, Menschen, die nach Nahrung suchen. Szenen, die an diejenigen aus Gaza erinnern, wo Belagerung und Hunger als Kriegswaffen zur Normalität geworden sind.

Die Massnahmen der USA werden zweifellos Millionen VenezolanerInnen dazu veranlassen, aus ihrem Land zu fliehen. Aber Trump verschliesst ihnen die US-Grenzen, versperrt Asylrouten und kriminalisiert Migration. Wenn Menschen hungern, wenn Volkswirtschaften zusammenbrechen, wenn das tägliche Leben unerträglich wird, dann ziehen die Menschen weg. Wenn man VenezolanerInnen die Einreise in die Vereinigten Staaten verwehrt und gleichzeitig systematisch die Lebensbedingungen zerstört, die ihnen das Überleben in ihrer Heimat ermöglichen, bedeutet dies, dass Nachbarländer wie Kolumbien, Brasilien und Chile die menschlichen Kosten der Entscheidungen Washingtons tragen sollen. Auf diese Weise lagert das Imperium den Schaden aus. Aber diese Länder haben ihre eigenen wirtschaftlichen Probleme, und die Massenvertreibung von VenezolanerInnen wird die gesamte Region destabilisieren.

Venezuela ist ein Testfall. Was derzeit ausgefeilt wird – wirtschaftliche Belagerung ohne formellen Krieg, maritime Zwangsmassnahmen ohne erklärte Blockade, Hunger ohne Bomben – ist eine Blaupause. Jedes Land, das sich weigert, den politischen und wirtschaftlichen Forderungen Washingtons nachzukommen, sollte wachsam sein. So wird Regimewechsel im 21. Jahrhundert aussehen.

Und so kann Trump dem US-Kongress versichern, dass er nicht „in den Krieg“ mit Venezuela zieht. Das muss er auch nicht. Wirtschaftliche Strangulierung verursacht keine unmittelbaren politischen Kosten wie eine militärische Intervention, auch wenn sie langsame, weitreichende Verwüstungen anrichtet. Keine Leichensäcke kehren auf US-amerikanischen Boden heim, keine Wehrpflicht, keine im Fernsehen übertragenen Bombardierungskampagnen. Nur eine stetige Erosion des Lebens anderswo.

Trumps Kalkül ist brutal einfach: Die VenezolanerInnen so unglücklich machen, dass sie sich erheben und Maduro stürzen. Das ist dieselbe Kalkulation, die seit sechs Jahrzehnten hinter der US-Politik gegenüber Kuba steht – und sie ist gescheitert. Wirtschaftliche Strangulierung bringt keine Demokratie, sondern Leid. Und selbst wenn es durch einen unglücklichen Zufall gelänge, die Regierung zu stürzen, wäre das wahrscheinliche Ergebnis nicht Freiheit, sondern Chaos – möglicherweise ein langwieriger Bürgerkrieg, der das Land und die Region für Jahrzehnte verwüsten könnte.

Die Menschen in Venezuela feiern Weihnachten und Neujahr gemeinsam am Tisch, wo sie sorgfältig zubereitete Hallacas, Pan de jamón und Dulce de Leche essen. Sie erzählen sich Geschichten, tanzen zu Gaitas und stossen mit Ponche Crema an.

Gemeinsam hallacas machen

 Aber wenn diese wirtschaftliche Belagerung weitergeht, wenn das venezolanische Öl vollständig abgeschnitten wird, wenn dem Land die Mittel zur Selbstversorgung verweigert werden, wenn der Hunger vollenden darf, wozu Bomben politisch nicht mehr tauglich sind, dann könnte dieses Weihnachtsfest als eines der letzten in Erinnerung bleiben, das die VenezolanerInnen in etwas feiern konnten, das einem normalen Leben ähnelt - zumindest in naher Zukunft.

Umfragen zeigen übereinstimmend, dass fast 70 Prozent der Menschen in den Vereinigten Staaten eine militärische Intervention in Venezuela ablehnen. Krieg wird als das begriffen, was er ist: gewalttätig, zerstörerisch, inakzeptabel. Sanktionen werden jedoch anders wahrgenommen. Viele Menschen glauben, dass sie eine harmlose Alternative sind, eine Möglichkeit, „Druck” auszuüben, ohne Blut zu vergiessen.

Diese Annahme ist gefährlich falsch. Laut einer umfassenden Studie in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet erhöhen Sanktionen die Sterblichkeit in einem Ausmass, das mit bewaffneten Konflikten vergleichbar ist, wobei Kinder und ältere Menschen als Erste betroffen sind. Sanktionen verhindern kein Leid für die Zivilbevölkerung – sie verursachen es systematisch.


 

Wenn wir Krieg ablehnen, weil er Menschen tötet, müssen wir auch Sanktionen ablehnen, die dasselbe tun, nur leiser, langsamer und mit weitaus weniger Rechenschaftspflicht. Wenn wir nicht mit derselben Dringlichkeit gegen Wirtschaftskriege vorgehen wie gegen Bombenangriffe und Invasionen, werden Sanktionen die bevorzugte Waffe bleiben: politisch bequem, aber ebenso tödlich.

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(zas) In der Zeit vor den US-Sanktionen jammerten die Mainstreammedien während Jahren, dass sich die Armen in Venezuela von Chávez’ Almosen kaufen liessen. Zuvor gab es jahrzehntelang kein Jammern, als wirtschaftliche Vernunft herrschte und das Geld nicht wie unter Chávez der Bevölkerung, sondern der Wall Street zugutekam. 2015 verhängte Barack Obama Sanktionen gegen das Land (da eine «Bedrohung der national security»). Nachfolger Trump verschärfte sie mit Erfolg: Von 2017 bis 2018 forderten sie das Leben von 40'000 Menschen in Venezuela. Weitere Sanktionen vergrösserten laut UNO-Berichten die Übersterblichkeit um mehr als 100 Prozent. Der Mainstream antwortete in jenen Jahren wie gewohnt sensibel: empört über die «chavistische Misswirtschaft», die Millionen von Menschen in Armut und Flucht treibe. Die o. e. Lancet-Studie schätzt für den Zeitraum von 1971 bis 2021, dass in 152 Ländern jährlich mehr als 560'000 Menschen als Resultat von US-Sanktionen starben – ungefähr so viele wie an militärischen Kriegshandlungen.

 

*         https://codepink.substack.com: Trump might not invade Venezuela yet, but what he is doing is worse. Die in Venezuela geborene Autorin koordiniert die Lateinamerika-Kampagne der US-Antikriegsorganisation Codepink. Wenn Figuren wie Trump oder Pete Segeth im Restaurant dinieren wollen, riskieren sie, wie in der letzten Zeit aus Solidarität mit Venezuela vorgekommen, daselbst von