Ecuador: keine „banana republic“

Montag, 18. Februar 2013



(zas, 18.2.13) Mit 56.92% führt Rafael Correa nach Auszählung der Hälfte der Wahlakten landesweit vor seinen Mitbewerbern für das Präsidentenamt. Während allgemein ein Sieg Correas im ersten Durchgang erwartet wurde, reklamiert das Regierungslager aufgrund von Exit Polls auch bei den Parlamentswahlen einen grossen Schritt nach vorne der Alianza País, der Partei von Correa. Allerdings steht die entsprechende Auszählung noch ganz am Anfang.

Auf den zweiten Platz bei den Präsidentschaftswahlen schaffte es Guillermo Lasso, ein Banker, Mitglied des Opus Dei und im Verbund mit José María Aznar vom spanischen PP, mit einem quasi „schweizerischen“ oder „deutschen“ Programm für Freihandelsverträge, für die Steuerbefreiung der Reichen etc. Ihm folgen andere Rechte wie der frühere Präsident Lucio Gutiérrez (6.2% , den eine Basisbewegung aus dem Amt gefegt hatte). An 6. Stelle steht der Star einer internationalen „kritischen Linken“, Alberto Acosta mit 2.87%, gefolgt von einem sozialdemokratischen Ex-País-Mitglied, Norman Wray (1.45%).
 Acosta, der ehemalige Freund und wichtige Mitstreiter von Correa, kritisiert, wie auch die Rechte, dessen angeblichen Autoritarismus und insbesondere auch den „Extraktivismus“, also die entwicklungsproduktivistische Förderung von Öl zulasten indigener und anderer bäuerlicher Comunidades. Er ist eng mit der ehemals rebellischen indigenen Organisation CONAIE verbandelt, die seinen Wahlkampf unterstützte. CONAIE stellte sich praktisch auch hinter den Polizeiputschversuch vom 30. September 2010). Es scheint eine untersuchungswürdige Kluft zwischen ihrer realen oder angeblichen Relevanz in der indigenen Bevölkerung und ihren mickrigen Wahlresultaten zu geben. Zum Vorwurf des Extraktivismus sagt das Regierungslager, heute, wie gefordert, auf die Ölproduktion zu verzichten, würde das Ende aller wichtigen Sozialprogramme bedeuten. Es gehe ihr aber darum, mittelfristig mit den Öleinkünften auch eine Diversifizierung inkl. Industrialisierung der einseitig auf den Export von Öl ausgerichteten Wirtschaft des Landes zu ermöglichen und damit eine Abkehr von der Ölförderung. Eine komplexe Frage – denn jede neue Förderlizenz, ob an nationale, westliche oder chinesische Kapitalgruppen vergeben, bedeutet zweifellos einen extremen sozialen und ökologischen Angriff auf die betroffenen EinwohnerInnen und ihre Gegend. Wie schwierig es aber ist, in solchen Fragen zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, zeigte das Beispiel eines von Correa lancierten neuen Wassergesetzes, das von der ganzen Rechten bekämpft wurde. Und ebenso von der CONAIE (und ihrem Parteiableger Pachakutik) und Acosta (beide mit viel Raum in den dominierenden Medien), die sich gegen die angeblich im Gesetz festgeschriebene Wasserprivatisierung wehrten. Die Allianz Rechte/CONAIE konnte die Verabschiedung des neuen Gesetzes verunmöglichen, das alte blieb in Kraft. Das Problem: Trotz einem auch international bei vielen Linken als gegeben betrachteten Privatisierungsziel des neuen Gesetzes war es natürlich das alte, von den neoliberalen Vorgängerregimes erlassene Wassergesetz, das Privatisierungen erleichterte. Das neue enthielt dagegen ein explizites Privatisierungsverbot – doch wozu auch einen Gesetzestext lesen, wenn man stattdessen einem „autoritären“ Regime die Leviten lesen kann? Real ging es der CONAIE um etwas anderes: Das neue Gesetz verschob wichtige Kompetenzen für die Wasserregulierung von CONAIE-kontrollierten Lokalstrukturen in eine nationale Behörde. Es wäre wichtig gewesen (und dürfte es bei den neuen parlamentarischen Kräfteverhältnissen wieder werden), sich über dieses Thema auszutauschen. Doch erneut: Warum auch diskutieren, wenn es mit Desinfo geht?
Real schielten Acosta und Co. auf genügend Parlamentssitze, um eine Art Zünglein an der Waage zu spielen. Ob diese Rechnung aufging, ist noch offen. Das vorläufige Minimalresultat bei den Präsidentschaftswahlen und die mutmassliche parlamentarische Stärkung der Alianza País (trotz einiger intern umstrittener Kandidaturen) sprechen allerdings eher dagegen.
In einer ersten Reaktion betonte Rafael Correa: „Entweder wir verändern das Land oder wir verändern es nicht mehr“. M.a.W., wie angekündigt, steht jetzt eine Vertiefung des bisherigen Reformkurses an. (Und eine verschärfte internationale Desinformationskapagne.) Zu den Reformen seit dem Amtsantritt Correas 2007 zählt etwa: Rückgang der Armut um 10% und der Arbeitslosigkeit um mehr als die Hälfte; Verteidigung der Rechte ecuadorianischer MigrantInnen; Humanisierung der Knäste; Erziehungs- und Gesundheitsreformen; Steigerung der Abgaben der Ölmultis, womit die Fiskaleinnahmen von 27% des PIB im Jahr 2006 auf 40% letztes Jahr stiegen; Audit der Aussenschuld mit dem Ergebnis, dass ein Drittel als illegitim aberkannt wurde; Schliessung der wichtigen US-Militärbase in Manta; kämpferische Mitgliedschaft in ALBA; Austritt aus dem Weltbankschiedsgericht für Multis (CIADI, engl. ICSID), Asyl für Julian Assange(in der belagerten Botschaft in London) etc.  
Vermutlich hat Correa auch Stimmen aus dem Unternehmerlager gemacht, überraschend nur auf den ersten Blick und doch kein Beweis für einen „Verrat“. Eduardo Tamayo schrieb gestern: „Die Regierungsführung hat zweifellos Unternehmersektoren gefördert, denen es gar nicht schlecht gegangen ist und die die versteckten Stimmen für Correa darstellen. So erlaubt ihnen beispielsweise die Verbesserung der Strassen  beim Warentransport einen Zeitgewinn und mehr Flexibilität. In der gleichen Weise hat die Wirtschaftspolitik mit Beschränkungen beim Import von Textilien oder Schuhen das Wachstum dieser Wirtschaftssektoren gefördert. Diese sollen sich schon daran ‚gewöhnt‘ haben, Steuern zu bezahlen und die Arbeitsgesetze einzuhalten, denn dies erlaubt ihnen bessere Beziehungen mit den Arbeitern und so eine höhere Produktivität“.
Wieweit Alianza País als Organisation gestärkt ist, wird sich nach Vorliegen der Parlamentswahlresultate besser einschätzen lassen. Unbestreitbar ist die Popularität eines Präsidenten, der sich in seiner ersten Stellungnahme nach Bekanntwerden der Exit Polls erneut bei der LGTB-Comunidad entschuldigt hat. Letztes Jahr hatte im Rechtblatt „El Universal“ ein Typ Correa mit übler homophober Hetze angegriffen, worauf dem Präsidenten nichts besseres einfiel, als sich in seiner Antwort ebenfalls schwulenfeindlicher pejorativer Begriffe (wie „maricas“) zu bedienen. Die LGTB-Comunidad protestierte und verlangte „eine öffentliche Entschuldigung oder zumindest eine Erklärung für diese Haltung, die auch jene LGBT-BürgerInnen verdienen, die in wirkungsvoller und patriotischer Weise bei Ihrer Regierung mitarbeiten“. Correa entschuldigte sich öffentlich und wiederholte jetzt, in der Stunde seines Wahlsieges, die Entschuldigung. Mit bewegten Worten stellte er sich hinter den Kampf gegen Diskriminierung und versprach, diesen zu unterstützen. Er meinte auch: „Ich bitte [die LGBT-Comunidad] erneut um Vergebung für unbedachte Worte … Es braucht viel Mut, in ihren Gruppen mitzumachen“.