Mesoamerika: Mit Magie und Würde gegen Minen

Montag, 4. Februar 2013


aus Vorwärts, 03/04, 1.2.13

Von Honduras bis Kanada: Widerstand gegen Bergbau vernetzt sich
Mit Magie und Würde gegen Minen

Philipp Gerber

Vom 17. bis 20. Januar fand in südmexikanischen Oaxaca das Mesoamerikanische Treffen "Ja zum Leben, nein zum Bergbau" statt. 500 Delegierte aus zwölf Ländern diskutierten die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Bergbauindustrie in Zentral- und Nordamerika und tauschten Erfahrungen über den Widerstand aus. Zum Treffen aufgerufen hat das Oaxaca-Kolletiv zur Verteidigung der Territorien (Colectivo Oaxaqueño por la defensa de los Territorios) sowie die Gastgemeinde Capulálpam de Méndez in der Sierra Juárez.
Die ehemalige Bergbau-Gemeinde Capulálpam steht seit 2005 geeint gegen eine neue Goldabbau-Bewilligung ein. Zuvor prägte der Bergbau zwei Jahrhunderte lang den Ort:. Die Lebenserwartung war deutlich unter dem Durchschnitt, die ökologischen Folgeschäden der Goldmine bis heute nicht bewältigt. Der Ältestenrat, mehrheitlich pensionierte Minenarbeiter, zog vor bald einem Jahrzehnt diese düstere Bilanz und in der Gemeinde reifte der Entschluss, die zuvor von den Betreibern stillgelegte Mine nun für immer ruhen zu lassen. Anlässlich des Treffens gaben die Behörden dieses zapotekischen Bergdorfes bekannt, dass sie eben diesen Beschluss auf einer Gemeindeversammlung erneuert haben: "Wir führen einen entschiedenen und frontalen Kampf gegen jegliches neues Bergbauprojekt", so der Gemeindepräsident von Capulálpam de Méndez, Juan Pérez Santiago.
Heute versucht Capulálpam, sich als Ökotourismus-Ziel zu profilieren. Dank grosser gemeinsamer Anstrengungen gelingt dies auch: Capulálpam bekam von der Tourismusbehörde das Prädikat „Pueblo mágico“ verliehen, magisches Dorf. „Die Magie dieser Gemeinde geht weiter als die neoliberalen Bestrebungen der Tourismusbehörde“, schrieb der linke Aktivist und Ethnologe Gilberto López y Rivas am Tag der Eröffnung des Treffens. Denn „die Magie von Capulálpam wurzelt im unumstösslichen Willen der BewohnerInnen, ihre Gemeingüter und ihr Territorium zu verteidigen“. Dass die Gemeinde erstens geeint gegen die erneute Habgier kanadischer Unternehmer auftritt und zweitens ihre Erfahrung auch mit anderen vom Bergbau bedrohten Gemeinden teilt, machte einen zentralen Teil des Treffens aus. „Die Compañeras und Compañeros von Capulálpam sind ein Beispiel für den Widerstand, der in ganz Mesoamerika beginnt“, kommentierte Marcos Leyva von der NGO Educa Oaxaca. „Sie zeigen, dass wir nicht nur einfach „gegen den Fortschritt“ sind, wie uns vorgeworfen sind. Sie schaffen würdige Lebensumstände und zeigen auf, dass das möglich ist“.
Am Treffen nahmen viele Gemeindevertreter aus dem Bundesstaat Oaxaca teil, die seit kurzem erst von der Problematik betroffen sind und sich erst mal ein Bild machen wollten über die Auswirkungen des Bergbaus. Denn die Bewilligung für Exploration und Ausbeutung der Bodenschätze werden von der Zentralregierung an die ausländischen Firmen vergeben, ohne dass die betroffenen Gemeinden ausreichend informiert werden. Die Anzahl der Bewilligungen gehen landesweit in die tausende. Mindestens ein Viertel der Landesfläche Mexikos ist konzessioniert. Der Bergbau wurde in den letzten Jahren mit dem Argument der Arbeitsplatzbeschaffung von Regierungen aller Couleur stark gefördert.
Real lässt diese Investitionstätigkeit zerrüttete, ja verwaiste Gemeinden zurück. Ein krasses Beispiel dafür ist die Silbermine in San José del Progreso, 40 km ausserhalb von Oaxaca Stadt. Zwischen 2010 und 2012 kostete der Konflikt um die Mine hier je zwei Todesopfer auf beiden Seiten. Die Bevölkerung lebt in einem anhaltenden Ausnahmezustand. Überlebende von Anschlägen auf den Widerstand aus San José waren ebenfalls am Treffen und berichteten von diesem Terror. Eine Fotoausstellung zeigte das Begräbnis von Bernardo Vásquez, dem Sprecher des Widerstands, der im März 2012 ermordet wurde. Mit einem Altar im Versammlungsraum wurde Bernardo und allen weiteren Opfern des extraktiven Kapitalismus gedacht. 

Die zentralamerikanischen Aktivisten ergänzten das Treffen mit drastischen aber auch hoffnungsvollen Beispielen: Der honduranische Arzt und Aktivist Juan Almendares veranschaulichte die gravierenden gesundheitlichen Folgen des Bergbaus anhand der Präsenz des kanadischen Minenunternehmens Goldcorp im Valle de Siria. Besondere Aufmerksamkeit erhielten die Strategien des Widerstands in Guatemala. Francisco Rocael vom Rat der Völker des Westens von Guatemala (Consejo de los Pueblos de Occidente de Guatemala) erläuterte die Praxis der Volksbefragungen in indigenen Bezirken. Seiner Meinung nach sind diese "ein ursprüngliches Element zur Definition des Lebensmodus und der Nachhaltigkeit". Weitere Mitglieder der Mesoamerikanischen Bewegung gegen den Bergbau-Extraktivismus (Movimiento Mesoamericano contra el Modelo Extractivo Minero) ergänzten mit Ausführungen zur Bergbaupolitik in El Salvador, wo ein Moratorium gegen den Bergbau verhängt wurde. Doch die salvadorianischen Vertreter, unter anderem vom Radio Victoria, betonten, dass höchste Wachsamkeit geboten ist, weil die Minenindustrie auf Zugang drängt. Zudem machen die Folgen der Minentätigkeit nicht vor Landesgrenzen halt, wie mehrere Beispiele in Zentralamerika zeigen.
Ein weiteres Highlight des Treffens war die Diskussion mit John Cutfeet, einem Vertreter der indigenen Bewegung Kanadas. Cutfeet schilderte den erfolgreichen Widerstand gegen zwei Bergbauprojekte auf dem Territorium der Kitchenuhmaykoosib Inninuwug in Ottawa. Der Sprecher dieses indigenen Volkes ging zudem auf die aktuellen Mobilisierungen unter dem Slogan "Nie mehr Passivität" (Idle No More) ein, welche seit Dezember 2012 die konservative kanadische Regierung auf dem Thema Indigene Rechte mit massiven Protesten herausfordern. Die kanadische Presse spricht von einem „indianischen Winter“. Laut den mexikanischen Organisatoren des Treffens war mit Cutfeet erstmals die kanadische indigene Bewegung an einer mesoamerikanischen Vernetzung präsent. Die lateinamerikanischen Organisationen beschlossen, Solidaritätsaktionen mit den nördlichen Indigenen zu organisieren. Ein wichtiges Signal für eine beginnende Süd-Nord-Solidarität.
Die Schlussdeklaration des Treffens spiegelt die einheitliche Analyse der anwesenden indigenen Bewegungen wieder: Dem Raubbau durch Bergbau und der Merkantilisierung der Gemeingüter durch weitere extraktivistische Industrien stellen die VertreterInnen von 80 Organisationen und 50 Gemeinden die Vision einer mesoamerikanischen Widerstandsvernetzung entgegen. Ein grosser Schritt in die Richtung wurde getan, wenn die TeilnehmerInnen inspiriert von der kollektiven Magie von Capulálpam de Méndez den Heimweg antraten.