Kriegstrommeln in Costa Rica?

Montag, 7. Oktober 2013




(zas, 7.10.13) Man kann es als Unfug abtun und verkennt damit ein Problem: Gegen Ende letzten September berichteten die costaricanischen Medien über eine sich via Facebook präsentierende "Patrouille 1856", die 4000 Mann sucht, um einer angeblich drohenden Militärinvasion seitens Nicaraguas begegnen zu können. Die vor wenigen Tagen gelöschte Facebook-Seite zeigte angeblich Bilder von Bewaffneten der Patrouille 1856, als Chef figurierte der Oberst a. D. José Fabio Pizarro. Der Mann kommandierte früher die 1996 vom Sicherheitsministerium ins Leben gerufenen Fuerza Pública.
Bilder der Patrulla 1856. Quelle: repretel.com

Hintergrund ist ein 2011 ausgebrochener Grenzstreit zwischen Costa Rica und Nicaragua, der jetzt vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag verhandelt wird. Dabei geht es u. a. um eine angebliche "militärische Invasion" von Harbour Head respektive, wie die Ticos (CostaricanerInnen) das Gebiet nennen, der Isla Calero am Grenzfluss Río San Juan. Der Fluss selbst gehört internationalem Recht zufolge Nicaragua, das aber gehalten ist, bei seiner Beschiffung und Bewirtschaftung die Interessen des unmittelbar angrenzenden Nachbarlandes zu berücksichtigen. Die "militärische Besetzung" war in Realität die Entsendung einer sandinistischen Ökobrigade, die rein nichts mit einer Armee zu tun hatte. Worum es im Detail bei diesen Grenzstreitigkeiten geht, ist kompliziert nachzuvollziehen, es scheint jedoch, dass, entgegen der periodischen Darstellung etwa in der NZZ, grundsätzlich die Nicas Recht haben. Genauso wie in dem vom IGH weitgehend zu ihren Gunsten entschiedenen Grenzstreit mit Kolumbien über die Meeresgewässer vor ihrer Küste. Das kolumbianische Regime foutiert sich aber um das Urteil (so wie in den 80er Jahren die USA, die sich weigerten, einen bindenden Haager Richtspruch zur Milliardenentschädigung an Nicaragua für ihren damaligen Angriffskrieg zur Kenntnis zu nehmen. So viel zum Respekt vor dem Völkerrecht. Mit ihrem jetzt beschlossenen Austritt aus dem IGH weisen die kolumbianischen Machtgruppen ihren Counterparts in Costa Rica den Weg für den Fall eines "inakzeptablen" Richtspruches.
Wie immer – klar ist, dass die militärische Komponente von Costa Rica, nicht von Nicaragua, ins Spiel gebracht wird. Ein erhellender Artikel von José Solano im costaricanischen Linksmedium Equipo Crítica (Un silbido de miedo entre las montañas: paramilitarismo en Costa Rica) geht kurz auf den in der Praxis seit langem erledigten Mythos von Costa Rica als Armee-freiem Land ein und konzentriert sich auf eine längere Tradition des Paramilitarismus in Costa Rica. Seit den 80er Jahren machen sie sich im Land breit, also der Zeit, als Costa Rica als militärisches Aufmarschgebiets eines Teils der US-Söldnerarmee der Contras gegen Nicaragua Sandinista und dann auch, unter Präsident Arias, als politischer Brückenkopf gegen die revolutionären Nachbarn im Norden fungierte. Es waren nach Untersuchungen, die Solano referiert, parapolizeiliche und paramilitärische Strukturen, die eng mit der in den 80er Jahren gegründeten staatlichen Reserva Nacional verflochten waren. Offenbar sind auch die meisten Mitglieder der Patrouille 1856 ehemalige Angehörige der Sicherheitskräfte.
Solana verweist auch darauf, dass die Grenzstreitigkeiten mit dem Amtsantritt 2010 der jetzigen Präsidentin Laura Chinchilla ihren Anfang fanden. (Einen Nährboden fand diese Demagogie im seit langem herrschenden rassistischen Klima gegen die offiziell 287'000 migrantischen Nicas, die hier oft unter oft erbärmlichen Bedingungen arbeiten.) Chinchilla ist eine überzeugte Militaristin. Als Abgeordnete von 2002 – 2006 machte sie sich stark für die dann nicht zustande gekommene Ansiedlung einer kontinentalen US-Polizei- und Militärschule in Costa Rica, später war sie Sicherheitsministerin und unter der letzten Präsidentschaft von Arias dessen Vize. Unter ihrer Regierung kontrolliert die US-Navy die costaricanischen Karibikgewässer, benutzt die Häfen des Landes und kam es zur Errichtung von US-Militärbasen (s. Bedroht die US-Flotte in Costa Rica Nicaragua oder Kuba?). Der ehemalige Aussen- und heutige Umweltminister René Castro bekannte sich 2011 anlässlich der vom Zaun gebrochenen Grenzstreitigkeiten mit Nicaragua zur "Notwendigkeit", "Sicherheitskräfte, die sich nicht Armee nennen, zu bewaffnen, die aber in allfälligen Konfrontationen eine Verteidigungskapazität gegen fremde Armeen haben" sollen (wiedergegeben in La Nación vom 21.6.13). Damals postulierte er etwa 3 Jahre für den Aufbau einer solchen "Nicht-Armee", die "zwischen 2 % und 4 % des BIP" brauchen werde, explizit analog zu den lateinamerikanischen Armeeausgaben (id.).
Die Episoden um die Patrouille 1856 sind in dem unter Chinchilla schrill gesteigerten Diskurs der herbei phantasierten militärischen Bedrohung durch Nicaragua anzusiedeln. Waren es in den 80er Jahren die USA von Ronald Reagan, denen es gefiel, sich vom "nicaraguanischen Imperialismus" direkt bedroht zu fühlen, so spielen heute Costa Rica und Kolumbien diesen Part, nicht zufällig beide Mitglieder der US-gesteuerten Pazifik-Allianz der militant reaktionären Regimes in Lateinamerika. Viele, auch in Nicaragua, vermuten, dass es Chinchilla & Co. in erster Linie darum gehe, gegen die unübersehbar werdenden Sozialrevolten, etwa in der Folge der wachsenden Freihandelsabkommen-Wirtschaftskrise, ein geeignetes Instrument zur "Disziplinierung" der Bevölkerung in die Hand zu bekommen. Die absurd chauvinistische Kampagne gegen Nicaragua (unbesehen der juristischen Landrechtsdetails) wäre somit ein willkommener Anlass, um den im Land durchaus noch verbreiteten "pazifistischen" Mythos zu knacken. Das kann aber durchaus auch eine Komponente militärische "Selbstverteidigungs"-Aggression gegen Nicaragua beinhalten, die sich, je nach Lage, in einer umfassenderen Destabilisierungsstrategie der USA gegen das fortschrittliche Lateinamerika, zu dem Nicaragua bei allen offenen Widersprüchen unzweifelhaft und mit vollem Recht gehört, zum Tragen kommt.