El Salvador: Ergänzung Wahlinfos

Donnerstag, 5. März 2015




(zas, 4.3.15)Einiges hat sich gegenüber dem letzten Post etwas geklärt, manches nicht. Vermutlich wird dieser Tage der seit geraumer Zeit begonnene Justizputsches im Land eskalieren. Insbesondere, falls sich die anscheinend positiven Resultate für den FMLN bestätigen sollten.

Verzögerungen
Die letzten Wahltische hatten im Verlauf des Montags ihre Auszählung beendet. Die generelle Ermüdung, ja Erschöpfung, der ParteivertreterInnen an den Tischen hat zweifellos zu sehr vielen Fehlern in der Auszählung und den Wahlakten geführt, unabhängig allenfalls angestrebter betrügerischer Manipulationen. Nur ein Beispiel: Wenn jemand die Gesichter einzelner KandidatInnen der gleichen Partei ankreuzt, wird die Stimme für die Partei gezählt und die „marcas“, die Kreuze auf den Fotos, werden getrennt gezählt, um die WählerInnenvorliebe für diese oder jene KandidatInnen zu ermitteln. Offenbar haben die Leute an manchen Wahltischen aber nicht geschnallt, dass sie solche „marcas“ als Stimme für die Partei zählen müssen. Viele Akten sind deshalb inkongruent. Ihre zwangsläufige Überprüfung wird bei der theoretisch gestern angelaufenen definitiven Auszählung unter Regie des Wahlgerichts TSE zu beträchtlichen Verzögerungen führen.
Der ganze Prozess ist seit Schliessung der Wahllokale letzten Sonntag durch grosse Verzögerungen gekennzeichnet, die nicht dem Zufall oder einfach der Unfähigkeit geschuldet sind. Es gilt, die Quelle der jeweiligen Verzögerungen zu unterscheiden. Auf der einen Seite haben wir die eben angetönte Qual der Auszählung an den Wahltischen und die damit einhergehenden Probleme, die sich vermutlich noch potenzieren werden. So hat sich der Transport der physischen Wahlakten aus den Wahlzentren in die Gemeindezentren, ihre Überprüfung und Weiterleitung schlussendlich an das Tse derart verzögert, dass die theoretisch gestern Dienstag beginnende definitive Auszählung heute Mittwoch Nachmittag immer noch hat begonnen werden können.  Auf der anderen Seite haben wir „Verzögerungen“ wie jene der sogenannten vorläufigen Auszählung, die schliesslich vom TSE ersatzlos gestrichen werden musste. Diese hätte darin bestanden, dass die elektronisch an das Rechenzentrum des TSE übermittelten Wahltischakten relativ bald nach Schluss der Auszählung der Wahltische ein ungefähres Ergebnis hätten wiederspiegeln müssen, das auf der Resultatehomepage des TSE aufgeschaltet werden sollte.  Aus Kosten- und grundsätzlichen Gründen heraus hatte das TSE entschieden, diesen Übermittlungsprozess erstmals nicht an ein Privatunternehmen wie die spanische Indra zu vergeben, sondern in Eigenregie, bei Subkontraktierung von 20 salvadorianischen Unternehmen, zu organisieren. Eine Zusatzfinanzierung für eine Lösung à la Indra hätte die Rechte im Parlament – seit sie die Totalkontrolle über das TSE verloren hat, versucht sie, es als unfähigen und betrügerischen Haufen hinzustellen – mit Bestimmtheit faktisch blockiert.  Und das Geld aus anderen Budgetbereichen des TSE zu nehmen, hätte bedeutet, die aus Spargründen ohnehin knapp bemessenen Mitteln des TSE für die Aufklärung der Bevölkerung und die Schulung der Wahltischdelegierten über die dank der Verfassungskammer des Obersten Gerichts kurz vor dem Wahlgang veränderten Wahlmöglichkeiten ins Absurde zu reduzieren.
Das Problem nun ist, dass die Informatikabteilung des TSE fest in ARENA-Hand ist. Sie hat den technisch nicht versierten TSE-Mitgliedern die 20 subkontraktierten Unternehmen „vorgeschlagen“, darunter auch jenes, das für den Absturz der vorläufigen Auszählung hauptverantwortlich war. Dessen Cracks hatten es geschafft, einen Algorithmus zu schreiben, der Daten aus der Gemeinde- mit jener der Parlamentswahl vermischte! Als andere der subkontraktierten Unternehmen zwar den Fehler finden, aber nicht beheben konnten, blieb dem TSE nichts anderes übrig, als die „preliminares“ aufzugeben und alle Kapazitäten auf die definitive Auszählung  zu konzentrieren. Ob es der Verfassungskammer des Obersten Gerichts gefallen wird, dies als verfassungswidrigen Schritt zu taxieren, wird sich weisen. Einen andere Sache ist, dass TSE-Präsident Julio Olivo, ehemaliger Dekan der Jura-Fakultät der Nationaluni, heute sagte: „Es gab eine Sabotage des Übermittlungsprozesses. Wir werden dies vor Gericht beweisen und eine Reihe von Köpfen wird rollen. Sie haben dem Wahlprozess unschätzbaren Schaden zugefügt und wollen das TSE diskreditieren.“
 Zwei sehr andersartige Quellen also der „Verzögerung“. Arena, der Unternehmerverband ANEP, sein Thinktank Fusades und ihre Medien machen daraus natürlich ein Amalgam. Das Fiasko der Stimmauszählung im Wahllokal verschwindet hinter jenem der vorläufigen Auszählung, beide angeblich geschuldet dem Versagen eines FMLN-geleiteten TSE, das den Wahlbetrug als Orientierung hat. Völlig ausgeblendet bleibt dabei natürlich die Rolle der Verfassungskammer, die mit der sofortigen Durchsetzung der „gekreuzten“ Wahlmodalität (Stimmabgabe zugunsten von KandidatInnen verschiedener Parteien) in der ersten Novemberhälfte des letzten Jahres gegen die Darlegungen ihres Präsidenten oder des TSE die Spielregeln der Partie entscheidend verändert  hat. Kurz vor Weihnachten verwarf die besagte Kammer dann eine Auslegeordnung des TSE für das neue Wahldiktat und legte die Gewichtung der gekreuzten Stimmen fest. Der Zeitplan des TSE war damit definitiv aus den Fugen geraten, so mussten etwa die Schulungsmaterialien für die Wahtischdelegierten neu erarbeitet und gedruckt werden … Das alles läuft für die Rechte unter „Unfähigkeit“ des TSE. Es gibt hier übrigens linke KolumnistInnen, die die Verdikte der Verfassungskammer immer noch für gottgesandte Botschaften des Fortschritts und der individuellen Emanzipation halten („Freiheit des Wählers“ etc.). Sie interessiert die konkrete Mechanik von Wahlen oder anderen Prozessen nicht, die „Verseltsamung“ des Klimas und der Mechanismen wird ihnen nichtig angesichts ihrer brillanten Einsichten in tiefere politische Fragen. Leider wird sich die reale Macht davon nicht beeinflussen lassen.

Resultate
Nach seiner internen Aktenlage hat der FMLN nicht nur die Hauptstadt zurückgewonnen, sondern auch die meisten Grossgemeinden ihrer Agglomeration. (ARENA anerkennt dies.) Er hat zwei Departementshauptstädte verloren (Sta. Ana und Sta. Tecla), dafür San Miguel gewonnen. Laut FMLN-Generalsekretär Medardo González an einer Pressekonferenz gestern werden in Zukunft 68 % der Bevölkerung (bisher knapp unter 50 %) in FMLN-regierten Gemeinden leben, auch wenn deren Zahl leicht abgenommen hat. Im Parlament werde der Frente vorne liegen. Gegenteilig tönt es von ARENA. Danach würden etwa 38 % der Bevölkerung in FMLN-regierten und 48 % in ARENA-beherrschten Gemeinden liegen. Angesichts des von ARENA anerkannten Verlusts im bevölkerungsreichen Grossraum San Salvador scheinen diese Zahlen aber sehr seltsam. Im Parlament wird ARENA nach Eigendarstellung zwischen 33 und 36 (von insgesamt 84) Abgeordneten haben. Bei den Parlamentswahlen 2012 hatte diese Partei 33 Sitze gewonnen, der FMLN 31. Ähnlich positiv will sich ARENA auch im zentralamerikanischen Parlament Parlacen situiert sehen.  Nun hat sich ARENA noch nie durch glaubwürdige Wahlangaben ausgezeichnet, im Gegensatz zum FMLN. Aber es hat keinen Sinn, ohne genauen Einblick in die Wahlaktenlage zu haben, zu spekulieren. Insbesondere können auch die o. e. Erschöpfungsfehler und das geltende System der Residualstimmen das Bild noch verändern. Nach unbestätigten Aussagen der rechten Kleinpartei PCN fliegen die ebenfalls mit ARENA verbündete Christdemokratie und die zentristische CD aus dem Parlament.  

Maras, Wahlbeteiligung und WählerInnenregister
Die Berichte verdichten sich, dass an mehreren Orten des Landes inkl. der Hauptstadt die Maras in den und um die Wahllokale herum  Präsenz markiert haben, um die Leute einzuschüchtern – mutmasslich für die Stimmabgabe zugunsten rechter Parteien. Wieweit dies und generell die verbreitete Angst vor den Wahlen, die Maras würden den Wahltag für spektakuläre Gewaltaktionen benutzen, Wahlbeteiligung und Stimmverhalten beeinflusst haben, wird hoffentlich ein wenig klarer werden. Über die reale Wahlbeteiligung liegen mir keine auf Aktenlage gestützten Angaben vor. Sie wird auf jeden Fall als einiges geringer als real eingeschätzt werden.  An einem Treffen vor dem Wahltag machte dies die stellvertretende TSE-Magistratin deutlich: „Wir haben im Land schätzungsweise 6.5 Millionen EinwohnerInnen. Im WählerInnenregister haben wir fast 5 Millionen Personen eingetragen. Dies, obwohl wir ja alle wissen, dass wir sehr viele Kinder haben.“ Das Register ist nach wie vor nur sehr partiell bereinigt. Langfristig Ausgewanderte, Tote u.a. sind immer noch darin enthalten. TSE-Chefmagistrat Olivo hatte vor einigen Monaten darauf hingewiesen, dass er keinen Einblick in das Register habe, da ihm ein TSE-„Techniker“ diesen verweigere. Das Register befindet sich im TSE weiter fest in ARENA-Hand.

Islamophobie
Der jugendliche FMLN-Kandidat für das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt war mit Nayib Bukele ein Sprössling einer von arabischen EinwanderInnen abstammenden Unternehmerfamilie. Der Grossteil seiner öffentlichen Aussagen in dieser Kampagne war wie schon früher perfekter Ausdruck einer „Modernität“ der social media, weitgehend von realen Inhalten entleert. Elektoral kam er damit gut an. Es wird sich zeigen, wie Nayib im politischen Alltag der Hauptstadt agieren wird.
Eine andere Sache ist, wie gegen ihn eine üble islamophobe Kampagne hochgezogen wurde. Sein Vater, ein bekannter, mit der traditionellen Oligarchie im Clinch liegender schwerreicher Unternehmer, ist Schiit.  Ich glaubte zu spinnen, als ich hier ankam und feststellte, wie viele Leute sich von einer von ARENA-nahen KolumnistInnen in den traditionellen und den social media verarschen und einschüchtern liessen. Tenor: Nayib wird das Christentum unterdrücken und den Islam zur Staatsreligion machen! Gerade heute hat La Mentira Gráfica einen Kommentar eines bekannten „Analysten“ veröffentlicht, der Nayibs Wahlsieg in San Salvador mit dem Beginn der frühmittelalterlichen arabischen Eroberung der iberischen Halbinsel gleichgesetzt! Während es in Honduras schon seit einiger Zeit eine rassistisch geprägte Hetze gegen die arabischstämmige Oligarchie gibt, war dies in El Salvador bis dato kein Thema, und schon gar nicht im Sinne einer drohenden Zwangsislamisierung.
Los tiempos cambian.
Einschätzungen zu anderen Aspekten der Wahlen (auch im Kontext der Regierungspolitik) werden wohl erst später zutreffend gemacht werden können. Vorerst aber steht im Zentrum klar, ob sich die Destabilisierung inkl. Justizentscheide verschärfen oder ob sie scheitern wird.