Honduras oder der Zynismus des State Departments

Sonntag, 30. Oktober 2016



(zas, 31.10.16) Am 9. Oktober wurde der Wagen, in dem Tomás Gómez Membreño fuhr, beschossen. Am gleichen Tag schossen Schwerbewaffnete auf die Fenster und Türen des Hauses, in dem sich Alexander García Sorto aufhielt. Beide überlebten die Anschläge, beide sind Mitglieder der Lenca-Organisation COPINH. Deren frühere Anführerin, Berta Cáceres, wurde letzten März erschossen, andere Copinh-Militante ereilte dieses Schicksal seither. Gómez ist ihr Nachfolger von Berta Cáceres, García ein Führungsmitglied von Copinh. García wurde schon letzten Mai beim Verlassen seines Hauses unter Beschuss genommen. Niemand zweifelt daran, dass hinter den Anschlägen jene Kräfte stecken, die schon mehrere AktivistInnen des Copinh wegen deren Widerstand gegen die Zerstörung ihrer Lebensbedingungen zugunsten von Megaprojekten ermordet haben. Am 18. Oktober 2016 wurden José Angel Flores und Silmer Dionisio George, Präsident bzw. Mitglied der bäuerischen Organisation MUCA im Gebiet des unteren Laufs des Fluss Agúan in der Karibikzone, im Büro des MUCA von Vermummten erschossen.
"Die Wirkung der Staudämme misst sich nicht in Kilowatt, sondern in der Zahl der Toten."

Laut einer Untersuchung der US-Organisation Global Witness vom letzten Jahr war Honduras das gefährlichste Land der Welt für UmweltsaktivistInnen (gemeint meistens Mitglieder indigener Gemeinschaften) und MenschenrechtsverteidigerInnen (gemeint BewegungsaktivistInnen).
Als das COPINH am 20. Oktober in Tegucigalpa gegen die Verschleppung der Untersuchungen des Mords an Berta Cáceres demonstrieren wollte, gab es Gummigeschosse und Tränengas. Alle Welt weiss, dass Gladys Aurora López, Vizepräsidentin des Parlaments und Präsidentin der Nationalen Partei des Staatspräsidenten Juan Orlando Hernández, bekannt unter dem Kürzel JOH, eine Drahtzieherin im Business der Megaprojekte an den Flüssen der Copinh-Comunidades ist. Sie gilt als direkt für die Morde mitverantwortlich. Ihr Name taucht jedoch in den offiziellen Statements zu diesen Vorfällen nie auf.
Bullendemo gegen Copinh
JOH, der Präsident, hat sich mittlerweile alle staatlichen Gewalten und Instanzen untertan gemacht. El Señor Presidente hatte den Wunsch geäussert, für eine nächste Amtszeit anzutreten, die Verfassungskammer des Obersten Gerichts erklärte dies im April 2015 für verfassungskonform. Im August 2016 kam das Plenum des Obersten Gerichts zur Erkenntnis, dass damit der Fall abgeschlossen sei. Erinnert ihr euch noch an die Empörung“, als sie 2009 Mel Zelaya stürzten, mit Verweis darauf, dass er zur Frage der Wiederwahl am Tag des Wahl eines neuen Präsidenten eine Volksabstimmung über die grundsätzliche Zulässigkeit einer Wiederwahl abhalten wollte? Da war von „ehernen Artikeln“ in der Verfassung die Rede, die so etwas auf alle Zeiten ausschlossen. Hernández selber, das Oberste Gericht, alle mussten heroisch die Demokratie verteidigen und den Tyrannen stürzen. Was den „Experten“ in den hiesigen Medien runter ging wie warme Brötchen; es war kein Putsch, sondern Notwehr. (Schliesslich hat Hillary Clinton, damals US-Aussenministerin, den Staatstreich unterstützt, wie sie in ihrem Buch Hard Choices unverkrampft mitteilt.) Nota bene: Zelaya konnte auch bei einer Annahme der Idee nicht wieder Präsident werden, da am Referendumstag die Wahl seines Nachfolgers hätte stattfinden sollen.
Habt ihr den shit storm mitbekommen, den „unsere“ Medien jetzt folgerichtig gegen den tatsächlich diktatorialen JOH entfacht haben? Nicht? Tja, es gab und gibt keinen Mucks zum Thema. Das gleiche Gesocks, das 2009 höhnisch das Putschopfer angriff, schweigt heute. (Das brasilianische Repeat läuft schon.)

Die Luft wird knapp
Natürlich weiss JOH, dass seiner Macht Grenzen gesetzt sind. Er bleibt solange Präsident, wie er Washington gefällt. Ein Fehler – und er ist weg, wie vor ihm der guatemaltekische Ex-Präsident und Massenmörder Otto Pérez Molina. Der stürzte, nicht weil er korrupt war (was sonst?), sondern eher, weil er den US-„Drogenkrieg“ nicht stets weiter eskalieren mochte. Übersetzt: weil er den gringos nicht die ganze Macht im Land überlassen wollte. In Honduras hat die US-Botschaft letztes Jahr offen die Bewegung der Anitkorruptions-Indignados unterstützt, wohl mit der Einschätzung, dass diese Bewegung ebenso kontrollierbar sei wie es jene in Guatemala gewesen ist (bisher jedenfalls).
Letzten Juli – es war ein Höhepunkt der antiautoritären Studibewegung in Tegucigalpa – brachte CNN en español als inoffizielles Meinungs- und Interpretationsorgan des State Departments für Lateinamerika, sehr viele auffallend sympathisierende Nachrichten und Reportagen über die Bewegung. Ein Warnsignal, das die regierende Elite in Honduras unmöglich entgangen ist. Es steht vermutlich im Zusammenhang mit der Frage der Reorganisation der gesamten Sicherheitskräfte im Land. Etwas weit zum Fenster hinaus gelehnt haben dürfte sich Parlamentspräsident Mauricio Molina. Vor wenigen Tagen wies er eine Kritik der US-Botschaft an den ungenügenden Qualitäten der KandidatInnen für den Rechnungshof mit einem Satz zurück, der in Washington Stirnrunzeln provoziert haben wird: „Die US-Botschaft bestimmt hier im honduranischen Volk keine Gesetze“.

Drogenkriegspolitik
Die Zeichen an der Wand von JOH sind beachtlich: Im Rahmen einer US-Untersuchung gegen das drogendealende „atlantische Kartell“ in Honduras hat die US-Botschaft in Tegucigalpa am letzten 7. Oktober US-Justiz-Untersuchungen gegen mehrere hochrangige Honduraner bekanntgegeben. Später ventilierte InsightCrime, ein Unternehmen von Medienleuten, SicherheitsakademikerInnen und „Ex“-Geheimdienstleuten aus dem Dunstkreis des kontinentalen US-Sicherheitsapparats, Tony Hernández, Bruder des Präsidenten, sei ebenfalls in diesem Visier. JOH beteuerte am 24. Oktober unter explizitem Verweis auf seinen Bruder, „niemand steht über dem Gesetz“.  Tags darauf flog Tony Hernández nach Miami, wo er sich mit den US-Ermittlungsorganen traf. Er kehrte danach problemlos nach Honduras zurück.
Dass ein Bruder des Präsidenten, der auch Abgeordneter ist, von der US-Justiz mit dem Drogenhandel in Zusammenhang gebracht wird, zeigt, dass des Präsidenten Spielraum heute klein ist. Dass der Bruder  wieder ausfliegen durfte, legt vielleicht nahe, dass JOH noch keine rote US-Linie überschritten hat.

US-Menschenrechtssegen für das Mordregime
So sieht das offensichtlich das State Department. State-Sprecher Marc Toner bestätigte, dass das Aussenministerium am 30. September 2016 zertifiziert hatte, dass „Honduras wirksame Schritte hin zur Erfüllung der für die Mittelzuweisung im Finanzjahr 2016 festgelegten Kriterien unternimmt. Das heisst nicht, alles wäre gut und schön. Offensichtlich sind Korruption, Verbrechen, Straffreiheit reale Probleme. Aber wir haben eine Demonstration des politischen Willens der honduranischen Regierung gesehen, die in einigen der Sicherheits- und Entwicklungsherausforderungen des Landes Fortschritte gemacht hat. Deshalb wollen wir sehen, dass dieser Fortschritt weitergeht.“
Die alte Rechtfertigungsleier: Noch jedes Verbrechen eines Vasallenregimes belegt die Distanz zu den Zielen, die es unter gütigem US-Einfluss eigentlich erreichen will, und wofür es unterstützt werden muss. Und klar, in Honduras läuft der Ball rund für das US-Kapital und seine Streitkräfte. Böden, Gewässer, Wälder werden an die Multis privatisiert, die USA führen ihren „Drogenkrieg“, ein Fingerzeig der US-Botschaft hat Orakelrang. Die über Jahrzehnte errungenen Rechte der ArbeiterInnen werden immer mehr zu Makulatur und behindern so keine Wettbewerbsfähigkeit dank internationaler Investitionen. Die Widerstandsbewegung gegen den Putsch hat sich spalten lassen. Die Ermordeten, insbesondere Berta Cáceres, die in den USA über grossen Rückhalt verfügte, müssen, soweit nicht einfach verschweigbar, juristisch irgendwie behandelt werden –eine Knacknuss für das Hernández-Regime.
Eine andere sind die für November nächsten Jahres angesagten Wahlen. Die progressive Partei Libre, ursprünglich entstanden aus der Widerstandsfront gegen den Putsch, aber unter der Regie des 2009 gestürzten und später nach Honduras zurückgekehrten Präsidenten Mel Zelaya unter den Einfluss von Leuten aus dessen alten Liberalen Partei geraten, gibt an, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen, falls Hernández wieder kandidiert und falls es nicht zu absolut notwendigen Reformen kommt, die Hernández‘ jetzige Kontrolle des Wahlvorgangs beenden. Die zweitgrösste Oppositionspartei, die Antikorruptionspartei PAC, will sich Libre für den Fall einer erneuten Kandidatur von JOH anschliessen. Mel Zelaya erklärt immer wieder, in diesem negativen Fall werde Libre die Wahlen aktiv boykottieren. Wie er das mit einer Partei, die ja gerade die Strassenmobilisierung zugunsten des institutionellen Agierens vernachlässigt hat, erreichen will, bleibt sein Geheimnis. Als letzten Donnerstag die Volkswiderstandsfront FNRP gegen die Morde an AktivistInnen und die Aufklärung der Politmorde in Tegucigalpa demonstrierte, waren wenige Leute beteiligt. Gilberto Ríos, Leitungsmitglied des FNRP, meinte denn auch: „Wir sind besorgt, denn es gibt ein Symptom der Demobilisierung des Volkes. Die Oppositionsparteien haben die elektorale Agenda priorisiert, die wichtig ist, aber das sind auch die Mobilisierungen.“ Allerdings beweist Libre dieser Tage im Land reale Mobilisierungskraft, wenn es um Wahlanlässe geht (Primärwahlen stehen an).