Kolumbien/Schweiz: Sie reden von Menschenrechten

Freitag, 4. Mai 2018


(zas, 3.5.18) Wer meint, das zynische Arsenal sei ausgereizt, muss sich immer wieder eines Besseren belehren lassen. Zum Beispiel von Glencore-Sprecherin Sarah Antenore, die gestern ihresgleichen zu toppen wusste. Beim Eingang zur Aktionärsversammlung des Rohstoffgiganten hatten GewerkschafterInnen aus vielen Ländern einen Protest veranstaltet (s. dazu Infos von Multiwatch).
„Your money kills“ – aber nicht doch, sagte die Glencore-Frau: „Menschenrechte haben bei uns oberste Priorität“.
Zur „Illustration“ dieser Priorität kann auch das Beispiel des Minenkomplexes El Cerrejón in Kolumbien bzw. das Sterben des Wayúu-Volks in dessen Umgebung dienen. Die Kohlenmine El Cerrejón gehört Glencore, Anglo-American und Billiton. Die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien arbeitet seit Jahren zu dieser Mine, insbesondere zu den vielen Versprechen, die El Cerrejón den vertriebenen Wayúu- und afrokolumbianischen Comunidades jeweils gemacht hat. (Bei allen Bemühungen der Arbeitsgruppe um die „Objektivität des informed dialogue“-Partners wird doch klar ersichtlich, dass diese Versprechen gebrochen wurden.)
Wir haben vor bald zwei Jahren auf diesem Blog über das Sterben von Wayúu-Kindern in La Guajira, dem Departement, in dem El Cerrejón ist, berichtet. Sie und auch Erwachsene sterben an den herrschenden gesellschaftlichen Zuständen wie fehlende medizinische Betreuung, Marginalisierung etc. Am direktesten wirkt sich aber der Mangel an Trinkwasser aus. Dessen Hauptursache: Den Río Ranchería, Hauptwasserquelle der lokalen Bevölkerung, haben El Cerrejón und mafiös-paramilitarische Agrarkapitalisten in die Mine bzw. die eigenen Plantagen umgeleitet.
2015 hatte die Menschenrechtskommission CIDH der OAS die kolumbianische Regierung angewiesen, Massnahmen zum Schutz des Lebens der betroffenen Comunidades zu ergreifen. Doch das Sterben geht weiter. Am 2. April 2018 berichtete die Zeitung El Espectador über Angaben des kolumbianischen Ombudsmans (Defensoría del Pueblo), mitnichten eine subversive Institution: „Zwischen 2010 und 2016 starben in La Guajira 244 Kinder an Unterernährung und damit verbundenen Gründen.“ Und dieses Jahr starben laut Angaben des Nationalen Gesundheitsinstituts INS „bis am 24. März 16 Menschen an Unterernährung und anderen Gründen“ (id.).  Und Telesur berichtete vor wenigen Tagen: „Das INS informierte, dass zwischen dem 15. und dem 21. April [2018] 8 Kinder unter 5 Jahren an Unterernährung starben.“ (Die Dunkelziffer bei diesen Todesfällen dürfte leider hoch sein, s. dazu den erwähnten Blog-Beitrag.) Carolina Sáchica, eine Anwältin der Wayúu, befürchtet sogar, so Telesur am 8. April 2018, ein Aussterben der Wayúu aufgrund der Marginalisierungspolitik des Staats.
Wayúu-Kinder. Bild: Voz.
 Angehörige der Bewegung Nación Wayúu sind auch anderswie bedroht. Deren Sprecher José Silva sagte letzten Januar in Contagio Radio: “Wir wurden wegen Anklagen gegen das Kolumbianische Institut für Familienwohlfahrt ICBF [zuständig für Minderjährige] bedroht, und auch wegen Anklagen gegen El Cerrejón, wo wir Entschädigungen verlangten“. Auf Silva war ein Attentat verübt worden. Andere ExponentInnen waren angegriffen worden, nachdem sie eine Klage gegen das Familieninstitut ICBF beim Gericht deponiert hatten. Die Klage hatte sich dagegen gerichtet, dass das ICBF einen zuvor ergangenen Entscheid ignoriert, wonach es zuerst die Wayúu-Comunidades konsultieren müsse, bevor es „Operateure“ in deren Gebiet entsenden kann. Was es damit auf sich hat, lässt uns folgende Stelle aus dem Bericht erahnen: „Mehr als 67 von den traditionellen Autoritäten anerkannte indigene Territorialorganisationen, die in den Afro- und indigenen Gebieten operiert haben, wurden ohne Grund abgesetzt (desvinculado), um, so die Anklage, ‚mit den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Leitung des regionalen ICBF verbandelten Organisationen den Zugang zu verschaffen. Dafür gab es keine Konsultation mit den indigenen traditionellen Autoritäten, sondern es wurde im Gegenteil aufgezwungen.‘“ Radio Contagio berichtet weiter von grosser Sorge in den Comunidades, „da AnführerInnen auch umgebracht worden sind, wie Rafael Lubo Aguilar, der anscheinend wegen der Anklage von Korruption in der Erziehung hingerichtet wurde. Die Lehrerin Juana Amazo Uriana wurde tot aufgefunden (…) nachdem sie eine Anklage in der Gemeinde Uribia, wo sie arbeitete, formuliert hatte.“ Der gleiche Sender informierte am letzten 30. April über einen Anschlag auf Edwin Ceballos Sijana, Aktivist der Bewegung Nación Wayúu. Unterwegs in seinem Wagen, war er am Vortag von einem Motorrad aus beschossen worden. Er blieb glücklicherweise unverletzt. Sijana hatte drei Tage zuvor öffentlich das Familieninstitut kritisiert, weil es ein schwer unterernährtes Mädchen nicht etwa ins Spital eingeliefert hatte, sondern gekommen war, „um Fotos zu machen“. Contagio Radio schrieb: „Für das Movimiento Nación Wayúu widerspiegelt diese Situation die systematische Verfolgung von AnführerInnen und traditionellen Autoritäten, weil sie anklagen, dass Kinder wegen Unterernährung und Handel von Kinderplätzen im ICBF sterben.“
Wie engmaschig das Netz von Ausbeutung und Repression weiter funktioniert, zeigt der am letzten 16. April in El Espectador veröffentlichte erschütternde Artikel La wayúu a la que el conflicto le arrancó el cabello (Die Wayúu, der der Konflikt die Haare ausriss). Es geht darin um die heute 69-jährige Blanca Nubia Díaz. Ihr Mann Rubén wurde 2000 in La Guajira ermordet. Ein Jahr später wurde ihre 15-jährige Tochter Irina von Paramilitärs auf grausame Weise vergewaltigt und ermordet. Irina war Mitglied der Jugendorganisation der kommunistischen Partei gewesen. Nach langem Suchen gelang es Blanca Nubia, den Leichnam ihrer Tochter in einem anonymen Massengrab zu finden. Danach musste sie wegen Drohungen nach Bogotá flüchten, von wo aus sie den Kampf für die Aufklärung der Morde an ihrer Tochter und ihrem Mann weiterführt. Sie ist Gründungsmitglied von Móvice, der Organisation von Angehörigen von Monrdopfern der para-staatlichen Gewalt. Wegen Drohungen gegen die BesitzerInnen der Stätte, wo sie Irina begraben hatte, musste sie den die sterblichen Überreste ihrer Tochter erneut bergen. Mit Unterstützung von Oxfam und dem Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo konnte sie im August 2010 kurz nach La Guajira zurückkehren, um ihre Tochter nochmals zu beerdigen: „Wir beerdigten sie mit unseren Wayúu-Riten in unserem Dorf nahe beim Meer, wo das Wasser klar ist“. Am letzten 13. Januar wurde sie in Bogotá auf der Strasse in einen Lieferwagen gezerrt. Was folgte, weiss sie nicht mehr. Als sie wieder zu sich kam, irrte sie durch die Stadt mit fürchterlichen Kopfschmerzen – man hatte ihr die Haare gewaltsam abgeschnitten, mit einem Messer oder einer Schere. Sie erklärt: „Das Haar ist ein Symbol der Kraft, des Kampfes, des Respekts.“
Blanca Nubia Díaz. Bild: El Espectador.
 Doch Glencore & Co. reden von Menschenrechten!