Kommuniqué der Nica-Solidarität in der Schweiz

Samstag, 19. Mai 2018


Zur Krise in Nicaragua
Die seit 40 Jahren in der Solidarität mit dem Volk von Nicaragua aktiven Gruppen und Einzelpersonen in der Schweiz verfolgen die aktuelle schwierige Situation mit grosser Beunruhigung. Sie führen ihre Solidarität mit den Basisorganisationen weiter, die sich für die Verbesserung der sozio-ökonomischen Bedingungen der ärmsten Bevölkerung in Nicaragua einsetzen.
Die Ereignisse schwerer Gewalt, die in diesem zentralamerikanischen Land seit dem 18. April stattfinden, mit mehr als 40 von vertrauenswürdigen Quellen bestätigten Toten, machen die Solidaritätsbewegung mit Nicaragua in der Schweiz sehr betroffen. 
In einer ersten Phase waren wir wie gelähmt durch diese Entwicklung. Auch heute haben wir noch keine wirkliche Erklärung für die Ausweitung des überbordenden Gewaltzyklus, hatte doch der Sandinismus stets die Fähigkeit an den Tag gelegt, Krisen zu überwinden.
Das Vorhaben einer Anpassung des Systems der Sozialversicherung hat die ersten Mobilisierungen der RentnerInnen und StudentInnen und danach eines sie unterstützenden Teils der Bevölkerung ausgelöst. Dieser Sachverhalt hat uns an einem nationalen Treffen der Solidarität in der Schweiz am 14. Mai in Biel zur Diskussion einiger grundlegender Überlegungen gebracht.
Nach fast einem Monat der Krise ist nicht hinnehmbar, dass die Regierung von Nicaragua:
1.       immer noch keine offizielle Liste der Umgekommenen veröffentlicht hat
2.       nicht Verantwortung für ihre Polizeikräfte übernommen hat
3.       den Angehörigen der Opfer nicht ihr Bedauern kundgetan hat (für die Toten als Folge der Polizeirepression, die Opfer der Scharfschützen, die Toten beider Seiten aufgrund der Tumulte in mehreren Städten).
Die Regierung von Nicaragua ist zuständig für die Aufrechterhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Land. Sie muss deshalb ihre Verantwortung an diesen schmerzhaften Ereignissen übernehmen, sei es wegen mangelnder Kontrolle der Polizei, sei es, weil sie nach den ersten Geschehnissen nicht auf der Höhe der Anforderungen war oder weil sie die Sandinistische Jugend hat agieren lassen, von der einige Gruppen die ersten spontanen Demonstrationen angegriffen und damit die bis anhin unkontrollierte Gewaltspirale provoziert haben. Danach haben organisierte Sektoren die Lage ausgenutzt, um landesweit Chaos zu säen: Angriffe auf ZivilistInnen, Plünderungen von Geschäften, Barrikaden, Inbrandsetzung von öffentlichen Gebäuden etc.
Der April 2018 markiert deshalb in Nicaragua ein «Vorher» und ein «Nachher». Dies trotz des medialen Kriegs und der zahllosen Gerüchte, die in den Social Media zirkulieren und Verwirrung und Zweifel an den Verantwortlichen für das Geschehen provozieren.
Wir begrüssen die Einberufung des am 16. Mai begonnenen Nationalen Dialogs. Angesichts der komplexen Situation im Land - mit andauernder unkontrollierter Gewalt – sind wir überzeugt, dass es nur diese eine mögliche Lösung gibt: die Verhandlung zwischen allen sozialen, politischen, gewerkschaftlichen und religiösen AkteurInnen.
Ebenso begrüssen wir die Bildung einer aus fünf Persönlichkeiten des Landes geformten Untersuchungskommission. Sie kann als positiv betrachtet werden, wenn sie die Gewalttaten rasch aufklären und die Verantwortlichkeiten für die Toten und Verletzten benennen kann; wenn sie juristische Massnahmen gegen die Verantwortlichen vorschlägt und eine moralische und finanzielle Wiedergutmachung für die Opfer und ihre Angehörigen betreibt.
Als Solidaritätsorganisationen ist uns bewusst, dass die reaktionären Kräfte in ganz Lateinamerika nach Jahren demokratischer Regierungen mit wichtigen sozialen Fortschritten versuchen, politische Machtpositionen zurückzuholen. Diese Kräfte sinnen auf Rache und versuchen mit allen Mitteln, die Errungenschaften und gesellschaftlichen Prozesse zu zerstören. Dabei setzen sie zweifellos auch auf Methoden der organisierten Gewalt, um Chaos zu erzeugen und eine Destabilisierung voranzutreiben.
Wir sind uns auch bewusst, dass eine Schwächung von Regierung und Staat in Nicaragua als Folge der Einschnürung des demokratischen Raums und heute der Gewalt diese Offensive der Rechten nur begünstigen kann und so die zentralen politischen Argumente der fortschrittlichen Kräfte für den seit 2007 in Nicaragua in Gang befindlichen Prozess der Transformation neutralisiert. Wir stellen auch fest, dass heute jene Oppositionellen, die sich als Linke verstehen, nicht klar gegen die Versuche der Rechten und des Imperialismus Stellung beziehen, die versuchen, ihre reaktionäre Logik den Ereignissen aufzudrücken.
Schliesslich unterstreichen wir, dass wir in diesen schwierigen Momenten klar entschlossen sind, unsere Unterstützung für unsere Partnerorganisationen in Nicaragua weiterzuführen. Wir werden dies mit der gleichen Energie machen, die wir seit fast 40 Jahren haben. Wir unterstützen weiterhin die fortschrittlichen Bewegungen und AkteurInnen, die seit der Sandinistischen Revolution von 1979 für grundlegende Veränderungen und sozio-ökonomisch-kulturelle Verbesserungen zugunsten der ärmsten Sektoren dieses heroischen Volkes kämpfen.

Biel, 14. und 18. Mai 2018

Schweizer Solidaritätsbewegung mit Nicaragua: Organisationen, Vereine, Städtepartnerschaften und AktivistInnen in verschiedenen Städten, insbesondere Biel, Genf, Delémont, Zürich, Lausanne, Bern, Fribourg, Aigle und Bellinzona.