Wer bewegt den Anker?

Montag, 11. März 2019


Aus aktuellem Anlass ein Artikel aus Correos 133, Februar 2003.
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Schattenkrieger der Sabotage

Wer bewegt den Anker?

Die Vorgänge in Venezuela werden in den Mainstreammedien mit atemraubender Systematik verzerrt. Ein Blick auf einen nicht genannt sein wollenden Drahtzieher des Geschehens.

Dieter Drüssel

(8.2.03) Der bolivarianische Abgeordnete Julio García erläuterte im venezolanischen Staatsfernsehen, warum die Wiederinbetriebnahme der »bestreikten« Ölschiffe so schwierig sei: »Auf der Strasse werden wir immer wieder angehauen:’ Warum könnt ihr diesen Anker nicht einfach heben?’ Nun, diesen Anker kann man weder von Hand noch maschinell heben. Das alles läuft digital und manchmal ist der 5. Stock (der nominell staatlichen Ölgesellschaft) Pdvsa per Satellit mit dem Schiff verbunden. Resultat: Diese ganze Technologie, die die Nation während Jahren in unser Prunkstück Pdvsa investiert hat, ist jetzt in den Händen einer Gruppe von Terroristen, welche die Leute über die Verknappung der Güter zum Verzweifeln bringen will«. Den Terminus ‚Terroristen’ begründet García mit einem Mitschnitt eines Telefonats des ehemaligen Vizeadmiral Huizi Clavier, der sich über die Absicht unterhält, eine gigantische Umweltkatastrophe zu provozieren. Das Öl des »bestreikten« Schiffes León Pilín soll in den Macaraibo-See ausgelassen und die Schuld dafür der Regierung in die Schuhe geschoben werden[1].

Das Joint Venture der Ölgesellschaft
Die Ölgesellschaft Pdvsa wurde 1976 nationalisiert. Ihre Kader aber wurden von den im Land operierenden Ölmultis gestellt. Das hatte Auswirkungen. 1976 gingen noch 80% der Pdvsa-Einnahmen an den Staat, 2001 nur noch 20%. Das Grossunternehmen schien sich im einschlägigen internationalen Vergleich zur unrentabelsten Lotterbude entwickelt zu haben. Doch der Schein trügt: Tatsächlich transferierte das »staatliche« Unternehmen während der letzten beiden Dekaden mindestens $5 Mrd. pro Jahr ins Ausland. Zum Beispiel Citgo, die Pdvsa-Filiale in den USA: Sie subventionierte die US-Autofahrt mit einem im Vergleich zur Konkurrenz $2-4 tieferen Verkaufspreis pro Fass – für Venezuela sind das bisher $6 Mrd. weniger. Während Pdvsa die eigenen hochwertigen Ölraffinerien verlottern lässt, investiert sie $10 Mrd. in den Kauf von 19 unrentablen, für venezolanisches Öl zudem ungeeignete Raffinerien in den USA und Europa – die Verkäufer freut’s. An die Öltechbude Schlumberger Geoquest und ein Joint Venture mit SAIC (Science Applications International Corporation) namens Intesa gehen $5 Mrd. für das Outsourcing von Informatik und die geospaziale Erfassung von Öl- und Gasvorkommen in Venezuela[2].
Das Joint Venture funktioniert auf feine Weise: Pdvsa zahlt und die SAIC bestimmt. SAIC hat’s in sich. Nach eigenen Angaben 1969 vom Los Alamos-Atomforscher J.R. Beyster gegründet und hat über 41000 Angestellte. Sie gehört zu den Fortune 500-Unternehmen und fährt einen Grossteil ihrer Einkünfte (aktuell $6.1 Mrd.) mit Regierungsaufträgen ein[3]. Laut SAIC-Europe-Sprecher Brian Gunn hat sich das Mutterwerk in den USA in den letzten 30 Jahren schwergewichtig auf Pharma und Life-Sciences-Sparte konzentriert, auf Öl und Gas und auf Finanzdienstleistungen und Regierungsprogramme[4]. Zu diesen SAIC- Regierungsprogrammen schreibt ein Insiderblatt von »Marktnischen, die hart zu erobern sind, wie die Geheimdienstindustrie und andere Regierungsagenturen«[5].

Agenten im Netz
Nicht für die SAIC. In ihren Leitungsgremien tummelten sich die letzten Jahre, neben hunderten von hohen Offizieren i.R., die US-Kriegsminister Melvin Laird und William Perry, die CIA-Chefs Robert Gates und John Deutch, der Direktor der National Security Agency Bobby Ray Inman, der Koordinator des National Security Council Jasper Welch, der Chef für Forschung und Entwicklung im Pentagon, Donald Hicks, der Chef der US Special Forces, Wayne A. Downing, alle in der Eigenschaft »ehemalig«. Downing leitete nach dem 11. September den militärischen Teil von George W. Bushs neuem zivilmilitärischen Ministerium der Homeland Security. 
Vor Jahren sorgte SAIC in der Internetscene für Aufsehen. Die US-Regierung hatte das InterNIC (Internet Network Information Center) geschaffen, weltweit zuständig für die Registrierung der Domainnamen, die auf .org, .gov, .edu., .com oder .net enden. (Domainnamen erlauben es, etwa www.saic.com einzugeben statt zehnstelliger Zahlenfolgen, wie sie die den Internetverkehr regulierenden Computer verwenden). Ab 1993 wurde diese Aufgabe in die Hände der NSI (Network Solutions Inc.) privatisiert. Im September 95 begann NSI, für eine Namensregistrierungen Geld zu verlangen. Angesichts des astronomischen Wachstums des Internet eine wahre Goldgrube. Einige Monate zuvor war NSI von der SAIC aufgekauft worden. Die um einen vor Regierungszugriff geschützten Datenfluss auf dem Web besorgten Organisationen waren in Aufruhr: Das ursprünglich aus dem Pentagon-Forschungsarm DARPA entstandene Internet war via SAIC, trotz gegenteiliger Cyberfolklore, in den überwachten Hafen der Geheimdienste zurückgekehrt[6].

Die Macht per IT
SAIC ist schwergewichtig in der Informatikbranche tätig, genauer in deren Outsourcing aus staatlichen Agenturen. Angeblich aus Spar- und Effizienzgründen lagern die US-Regierungsstellen bedeutende Teile ihrer Informatik- und Verwaltungsaufgaben an Privatanbieter aus. Das führt zu bedrohlichen Situationen. Als die kritische Gruppe Harvard Watch (Ehemalige und aktuelle Mitglieder der Eliteuni)  letztes Jahr die Zusammenhänge zwischen Enronkriminalität und Harvard-Management zu recherchieren begann, stiess sie auf eine verblüffende Frage: Ob nämlich die Börsenaufsicht SEC und das FBI überhaupt in der Lage wären, die Untersuchungen zu führen. Beide Regierungsagenturen hatten ihre hoch sensiblen Datenbanken an Unternehmen wie den Rüstungsgiganten Lockheed und an die eng mit ihm zusammenarbeitende DynCorp ausgelagert. Die aus Pentagon- und Geheimdienstleuten zusammengesetzte DynCorp arbeitet mit firmeneigener, durchs Betriebsgeheimnis vor Kontrolle geschützter Software und stellt für viele Regierungsapparate auch gleich noch das Computerbedienungspersonal. DynCorp-Exponenten sassen aber auch in entscheidenden Posten sowohl beim Harvard-Management wie bei Enron. M.a.W., potentiell motivierte FBI-AgentInnen haben gar keinen Zugang auf »ihre« Daten, der nicht über DynCorp u.a. Privatanbieter liefe[7].

Frères et Cochons
SAIC arbeitet auf einem ähnlichen Feld, oft genug mit DynCorp zusammen. Das US-Umweltministerium EPA erteilte SAIC und ihrem Subkontraktor DynCorp den Auftrag, das »automatisierte Pestizid- und Giftstoff Datensystem« weiter zu entwickeln[8]. Ein Jahr später erhielt ein »SAIC-Team«, das DynCorp und Booz, Allen & Hamilton miteinschloss, von der gleichen Behörde die Erneuerung eines 7-Jahre-Vertrag für die IT-Unterstützung für die Aufgaben der EPA[9] - trotz SAIC-Betrugsstrafverfahren im Umweltbereich. Ein weiteres SAIC-Team (mit DynCorp, TRW, Lockheed) bekam vor zwei Jahren von der US-Army den Auftrag, ein Planungs-, Monitoring- und Kontrollsystem für Kampfoperationen zu entwickeln[10]. Im Vorfeld des Irakkrieges wird dieses Programm massiv ausgeweitet. SAIC zog weiter den 2. Teil des hochgeheimen FBI-Trilogy-Programms an Land. Das Programm integriert weltweit die Datenbanken und IT-Kommunikationen des FBI in ein einziges System. Die erste Phase wird von DynCorp abgedeckt[11]. Das $457 Mio.-Programm wird vom Generalinspektor des Justizministerium wegen unlauterer Geschäftspraxis kritisiert[12].
Auf der Website von SAIC ist nachzulesen, wie doll sich die Bude für die Homeland Security verdient macht, wie brillant ihr antiterroristisches Training, wie durchschlagend ihre Kriminalitätsbekämpfung etwa in der Verbindung der Verbrecher-Dateien der einzelnen US-Staaten oder bei der Verwaltung der Haftbefehle in New York. SAIC ist speziell eng mit dem Pentagon liiert. Ob technischer Support für eine Luftwaffenbasis oder Entwicklung eines neuen monströsen Fliegers mit Lockheed zusammen, die Zeitungsberichte sind sich in der jetzigen Phase vor dem Irakkrieg einig, dass SAIC zu den grossen Nutzniessern des explodierenden US-Militärbudgets gehört[13]. Am 7. Februar gab das Pentagon bekannt, dass sich sein Defense Science Board (Weichenstellung für Akquisitionen, Technologie und Logistik) die nächsten Monate am Hauptsitz der SAIC versammeln wird[14].  Das linkslaizistische Réseau Voltaire in Frankreich mit Zugang zu dortigen Geheimdienstkreisen zählt zu den Acquis von SAIC die digitale Kartographierung der USA, die Sicherung der Pentagon-Informatik, die Informatik für Entscheidungs- und Vermittlungszentren von Ölmultis wie BP Amoco, die Y2k-Vorbereitung im Weissen Haus, die Informatisierung der Mobilisierung der US-ReservistInnen, die Überwachung der atomaren Nonproliferationsverträge, die Konzipierung der Kommandozentralen C4I (Comand & Control, Communications, Computer, Intelligence)  für den See- und Luftkrieg u.a.m.[15]

Gehackte SAIC
Das also gehört zum Hintergrund jener Kräfte, die in den Medienberichten als mutige streikende Erdölarbeiter gefeiert werden. (A propos: Der bewunderte Gewerkschaftsführer Carlos Ortega, Liebkind beim Internationalen Bund Freier Gewerkschaften, ist im Pdvsa-Jahresbericht von 1997 als Personalchef ausgewiesen). Intesa, nominell die Joint Venture von SAIC und Pdvsa, zählt zu ihren Kunden auch wenig erstaunlich BP, Shell, Total. Das Bild wird klarer: Intesa und Pdvsa-Kader sind integriert in ein internationales, von den US-Multis und Diensten gesteuertes Netz zur Kontrolle der Ölvorkommen. Die vorerst gescheiterte Sabotage von Dezember/Januar sollte diese Kontrolle garantieren, gegen das Vorhaben einer Regierung, nationale Reichtümer in den Dienst der Mehrheit zu stellen. Was Wunder, bedurfte die Regierung des Hugo Chávez der Hilfe engagierter Hacker, welche die SAIC-Software knacken und so die Anker wieder heben konnten. Die internationale Aufmerksamkeit wurde in der Zwischenzeit mit atemberaubender Dramaturgie aufs Nebengeleise einer angeblich demokratischen Volksbewegung gelockt. Allerdings ging die Rechnung nicht auf: So katastrophal die wirtschaftlichen Folge der langen Sabotage sind, im Resultat ist die Pdvsa jetzt von den Kräften des Ancien Régime befreit. Ähnlich wie nach dem Putschversuch vom letzten April die Armee.





[1] www.aporrea.org, 19.12.02, „Transcripción de la conversación donde vicealmirante Huizi Clavier autoriza contaminar lago“
[2] Vgl. „El golpe de Estado fue petrolero“ auf www.soberania.info.
[3] vgl. www.saic.com
[4] Sunday Herald, 29.9.02, Darran Gardner, „Secret weapons aims for Europe“
[5] Washington Technology, 7.2.00, Cindy O’Hara, „Firms Reel In Talent Through Acquisitions“
[6] vgl. Covert Action Quarterly # 59, Winter 1996/1997, John Dillon, „Networking with Spooks“
[7] www.harvardwatch.org, 31.1.02, ‚Trading Truth: A Report on Harvard’s Enron Entanglements’ und folgende Berichte. Ein Überblick zu DynCorp findet sich in Correos 131, September 2002, Dieter Drüssel, „Marktplatz der Macht“
[8] U.S. Environmental Protection Agency, Federal Register Environmental Documents, 27.8.1997: „Science Application International Corporation and DynCorp Inc.; Transfer of Data“
[9] SAIC, 21.11.1998, „SAIC Wins EPA’S MOSES Contract“. Booz Allen Hamilton, ihrerseits eng mit der CIA liiert, bezeichnet sich als Consultingunternehmen für Strategie und Technologie. Am WEF-Regionalgipfel in Lateinamerika von November 02 gab Booz Allen die Stossrichtung mit vor, dass die Multis nun auch Kernbereiche der lateinamerikanischen Staaten direkt mit verwalten sollten: Justizreform, Wahlsysteme etc. Vgl. „Auf der internationalen Geisterbahn des WEF“ in der Mobilisierungszeitung des Oltner Bündnis, Januar 03
[10] NetworkWorldFusion, 24.5.01, Carolyn Duffy Marsan, „SAIC snares Army’s massive net management system“
[11] Washington Technology, 13.6.01, Gail Repsher Emery, „SAIC wins Part of FBI Trilogy Project“
[12] Washington Post, 31.1.03, „FBI activates Trilogy network“
[13] Fast täglich sind Berichte zu  SAIC über die Suchfunktion etwa von Hoover’s Online zu finden (www.hoovers.com)
[14] Federal Information & News Dispatch, Department of Defense, 7.2.03, „Defense Science Board“