UN-Menschenrechtsbericht zu Venezuela in der Kritik

Montag, 8. Juli 2019

 

Beiträge von Menschenrechtsgruppen aus Venezuela ignoriert. Regierung bemängelt "selektive und voreingenommene Sichtweise"

Logo des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen
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Caracas/Genf. Die Regierung von Venezuela hat die Ergebnisse des Berichtes in Frage gestellt, den die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet vergangene Woche über die Lage in dem südamerikanischen Land vorgelegt hat. Menschenrechtsgruppen und Aktivisten aus Venezuela kritisieren, dass die von ihnen vorgelegten Informationen nicht berücksichtigt wurden.
Bachelet stellte den Bericht am vergangenen Freitag dem Menschenrechtsrat in Genf vor. Der Text besagt unter anderem, dass die venezolanischen Spezialeinheiten FAES und die Kriminalpolizei CICPC "für zahlreiche außergerichtliche Hinrichtungen" und andere Praktiken verantwortlich gewesen sind, die dazu dienten, "Angst zu verbreiten und soziale Kontrolle zu erlangen".
Der Bericht des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Human Rights, OHCHR), so die Bezeichnung von Bachelets Behörde, weist zudem auf Korruption und die Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen sowie auf Schwierigkeiten beim Zugang der Bevölkerung zu Nahrungsmitteln und Gesundheitsversorgung hin und äußert gleichzeitig "die Sorge", dass die venezolanische Migration weiter zunehmen wird.
Das UN-Menschenrechtsorgan spricht abschließend eine Reihe von Empfehlungen aus, darunter die Aufforderung an die Regierung, schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, die FAES aufzulösen und die Einrichtung eines ständigen OHCHR-Länderbüros zu ermöglichen.
In einer Stellungnahme weist die Regierung von Präsident Nicolás Maduro auf die ihrer Auffassung nach "selektive und offen voreingenommene" Darstellung der Menschenrechtssituation in Venezuela hin und fordert "Korrekturen von 70 Fehlern" in dem Bericht. "Die verzerrte Sichtweise des Berichts ist das Ergebnis der erheblichen Mängel in der dahinter stehenden Vorgehensweise", heißt es in der Erklärung. Kritikpunkte sind unter anderem, dass von den 558 UN-Befragungen 460 nicht in Venezuela durchgeführt und Informationen der Regierung nicht berücksichtigt worden seien.
Zudem spiele der Bericht die Folgen der US-Sanktionen herunter und ignoriere Untersuchungen zu diesem Thema. So finde eine aktuelle Studie des Washingtoner Center for Economic and Policy Research keine Erwähnung, die zu der Einschätzung kommt, dass seit 2017 mindestens 40.000 Menschen an den Folgen der Zwangsmaßnahmen der USA gestorben sind.
Das US-Finanzministerium hat seit dem Jahr 2015 mehrfach Sanktionen gegen Regierungsfunktionäre und verschiedene Bereiche der Wirtschaft verhängt sowie venezolanische Vermögenswerte im Ausland eingefroren. Besonders betroffen ist die Erdölindustrie, die Haupteinnahmequelle des Landes. Ein im Januar verhängtes Embargo hindert Venezuela daran, Rohöl in die USA zu exportieren und Verdünnungsmittel zu importieren, die für die Kraftstoffherstellung und Raffinierung von schwerem Rohöl zu exportfähigen Qualitäten benötigt werden.
Die Sanktionen haben auch zu einem drastischen Rückgang von Importen geführt, da sie die Deviseneinnahmen der Regierung reduzieren, den Zugang zu den Finanzmärkten einschränken und Handelsgeschäfte behindern. Laut dem Chefökonom von Torino Capital, Francisco Rodríguez, sanken die Importe im April auf nur 303 Millionen US-Dollar, was einem Rückgang von 64 Prozent gegenüber dem Vorjahresdurchschnitt und einem Rückgang von 93,2 Prozent gegenüber 2012 entspricht.
Obwohl das OHCHR anerkennt, dass die US-Sanktionen "die Wirtschaftskrise verschärfen", enthält der Bericht keine Empfehlung zur Aufhebung der Strafmaßnahmen.
Bachelet hielt sich kürzlich zu einem dreitägigen Beusch in Caracas auf, wo sie mit Vertretern der Regierung und der Opposition zusammentraf. Sie sprach außerdem mit Mitgliedern von Menschenrechsorganisationen und Aktivistengruppen.
Einige von ihnen zeigten sich nun enttäuscht darüber, dass ihre Stimmen nicht in den Bericht aufgenommen wurden. Das Komitee der Guarimba-Opfer vertritt Personen, die bei gewaltsamen Protesten der Opposition von 2014 bis 2017 verletzt oder getötet wurden. "Bachelets Bericht macht die Opfer unsichtbar und beschützt die Verantwortlichen für die Gewalt, die dem Land so großen Schaden zugefügt hat", heißt es in einer Stellungnahme des Komitees. Fundalatin, die Lateinamerikanische Stiftung für Menschenrechte und soziale Entwicklung in Venezuela, beklagt, die Informationen von zwölf Nichtregierungsorganisationen seien ignoriert worden. Bachelet seien unter anderem 123 dokumentierte Fälle von Menschen übergeben worden, die von Anhängern der Opposition "gelyncht, geköpft und ermordet wurden". Diese finden im Bericht der Hochkommissarin keine Erwähnung. Auch werde die US-Blockade nicht verurteilt. Der Bericht führe zudem die Fortschritte im Bereich sozialer Rechte im Land nicht auf.
Auch der US-amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas kritisierte den Bericht als "grundsätzlich fehlerhaft und enttäuschend" und bezeichnetet ihn als eine "verpasste Gelegenheit". Zayas war von 2012 bis 2018 UN-Sonderberichterstatter für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung und besuchte in dieser Funktion auch Venezuela.
"Es ist unprofessionell, dass die UN-Mitarbeiter die Beiträge von [Menschenrechtsorganisationen] Fundalatin, Grupo Sures, dem Red Nacional de Derechos Humanos und die konkreten Antworten der Regierung ignorieren oder nicht angemessen gewichten", schrieb de Zayas und beklagte gleichzeitig die geringe Aufmerksamkeit, die den gegen Venezuela verhängten Sanktionen im Bericht geschenkt wurde.