Bolivien: Wahlen ja, aber nicht so!

Mittwoch, 8. Januar 2020


Jaime Iturri Salmón*
Wie im klassischen Roman “Und dann gab’s keine mehr» von Agatha Christie setzt die De-facto-Regierung in Bolivien darauf, dass die historischen Führungsfiguren des Movimiento al Socialismo eine nach der anderen Anschuldigungen zum Opfer fallen. Diese sind oft unglaublich, wie etwa, dass in einer Station der Seilbahn von La Paz Gruppen Jugendlicher Videos erstellten. Das stimmt, es handelt sich um einen Teil des erweiterten Programms des Transportbetriebs. So sehr ich im bolivianischen Rechtssystem suche, ich finde das Delikt nicht. Aber die einfallsreichen Regimejuristen fanden heraus, dass es sich dabei um einen unangemessenen Gebrauch öffentlicher Güter handeln könne. Die FELCC (Polizei-Sondereinheit) fahndet nach César Dockweiler, ehemaliger Manager der Seilbahn und fast sicher Bürgermeisterkandidat des MAS für die Hauptstadt. Er befindet sich im Ausland, ein Verfahren wegen Vorladungsmissachtung ist im Gang.
Ähnlich der Fall der ehemaligen Gesundheitsministerin und Parlamentsvorsitzenden Gabriela Montaño, die wegen verfallener 50 Tonnen Medikamenten angeklagt ist. Der Präsident der privaten TV-Kette ATB. Marcelo Hurtado, ist unter dem Verdacht der Geldübergabe an den ehemaligen Vizepräsidenten Álvaro García Linera des Weisswaschens illegaler Gewinne angeschuldigt. [1] All das ohne irgendeinen Beweis. Die Liste ist lang, mehr als hundert Menschen sind verhaftet.
Die Putschstrategie ist simpel: Ich beschuldige dich und während der Untersuchung bist du hinter Gittern. In der Zwischenzeit sucht man entweder Kronzeugenaussagen der Art, wie sie gegen Lula eingesetzt wurden, oder man schürt Angst davor, dass Buenos Aires eine namhafte Gruppe der besten Kader des Prozesses des Wandels schützt.
Diese Sorte Justizverfahren sind in der Politik nicht neu. Die Franzosen hatten sie im Algerienkrieg nach ihrer Niederlage in Dien Bien Phu in Indochina, heute Vietnam, entwickelt. Nicht Neues unter Sonne, aber mit (Innenminister) Arturo Murillo ist … na ja, Sie wissen schon.
Deshalb ändert das MAS seine Strategie. Die Cocaleros aus dem Chapare künden Mobilisierungen ab dem 15. Januar an. Sie verlangen Gerichtsverfahren wegen der Massaker von Senkata und Sacaba gegen Jeanine Áñez und Arturo Murillo.
Auf dem Land geht die Ernte zu Ende und in El Alto (einer Stadt mit vielen Handelstreibenden) ist die mit Weihnachten verbundene Verkaufssaison vorbei. Die MAS-Basis kann also real den Kampf wieder aufnehmen. Januar, der heisseste Monat des bolivianischen Sommers, könnte das auch politisch werden. Alles scheint darauf hinzuweisen, dass es am 3. Mai zu Wahlen kommt, aber so nicht.

* Página 12, 7.1.20: Bolivia: elecciones sí, pero no así


[1] (zas) Gestern wurde auch bekannt, dass eine Untersuchungsrichterin wegen Amtsmissbrauch verhaftet wurde. Sie hatte die provisorische Freilassung Hurtados verfügt. Auch diesen Mechanismus wendet die Putschjustiz nicht zum ersten Mal an.