Die Medien versäumen es, dies als das zu bezeichnen, was es ist: ein Staatsstreich

Sonntag, 16. Februar 2025

Robert Reich *

Ich möchte heute über die Berichterstattung der Medien über den Trump-Vance-Musk-Putsch sprechen.

Ich beziehe mich dabei nicht auf die Berichterstattung der durchgeknallten rechten Medien von Rupert Murdochs Fox News und ihrer Nachahmer.

Ich beziehe mich auf die Mainstream-Medien in den USA - die New York Times, die Washington Post, die Los Angeles Times, The Atlantic, The New Yorker, National Public Radio - und die Mainstream-Medien im Ausland, wie die BBC und The Guardian.

Indem sie es nicht als Staatsstreich bezeichnen, versäumen es die Mainstream-Medien, die Schwere des Geschehens zu vermitteln.

Die gestrige Stellungnahme des Redaktionsausschusses der New York Times ist ein erbärmliches Beispiel dafür. Sie räumt ein, dass Trump und seine führenden Mitarbeiter „die Verfassung und die Nation in einem Mass auf die Probe stellen, wie es seit dem Bürgerkrieg nicht mehr der Fall war“, fragt dann aber: „Befinden wir uns bereits in einer Verfassungskrise?“ und antwortet, dass das, was Trump tut, «als ein Warnzeichen verstanden werden sollte».

Warnzeichen?


 

Die Einmischung von Elon Musk in den Regierungsapparat ist Teil des Putsches. Musk und seine Bisamratten haben kein Recht, in das Zahlungsverkehrssystem des Bundes oder eines der anderen sensiblen Datensysteme einzubrechen, in die sie eindringen und weiterhin Computercodes sammeln.

Diese Daten sind das Lebenselixier unserer Regierung. Sie werden für die Zahlung der Sozialversicherung und von Medicare verwendet. Mit ihnen werden Inflation und Arbeitsplätze gemessen. Die AmerikanerInnen haben unsere privaten Informationen professionellen Beamten anvertraut, die gesetzlich verpflichtet sind, sie nur für die vorgesehenen Zwecke zu verwenden. In den falschen Händen, ohne rechtliche Befugnis, könnten sie zur Kontrolle oder Irreführung der AmerikanerInnen verwendet werden.

Indem sie den Begriff „Staatsstreich“ nicht verwenden, spielen die Medien auch das Einfrieren praktisch aller Bundesmittel durch das Trump-Vance-Musk-Regime herunter und suggerieren, es handle sich dabei um normales politisches Gezerre. Dem ist nicht so. Der Kongress hat die alleinige Befugnis, Gelder zu bewilligen. Ihr Einfrieren ist illegal und verfassungswidrig.

Indem sie es nicht als Staatsstreich bezeichneten, suggerieren die Medien den AmerikanerInnenInnen auch, die Weigerung des Regimes, den Anordnungen der Bundesgerichte Folge zu leisten, sei eine - wenn auch extreme - politische Reaktion auf Gerichtsentscheidungen, die den Wünschen des Präsidenten zuwiderlaufen.

Nichts in der Weigerung des Regimes, sich von den Gerichten zurückbinden zu lassen, befindet sich innerhalb der Grenzen einer akzeptablen Politik. Unser Regierungssystem gibt der Bundesjustiz das letzte Wort darüber, ob Massnahmen der Exekutive legal und verfassungsgemäss sind. Die Weigerung, sich an Bundesgerichtsurteile zu halten, zeigt, wie schurkisch dieses Regime wirklich ist.

Anfang dieser Woche rügte ein Bundesrichter das Regime, weil es sich nicht an den „klaren Wortlaut“ seines Erlasses von letztem Monat hält, um Milliarden von Dollar an Bundeszuschüssen freizugeben. Vizepräsident J.D. Vance erklärte, vermutlich als Reaktion darauf, dass „Richter nicht die legitime Macht der Exekutive kontrollieren dürfen“.

Vance hat dieselbe juristische Fakultät absolviert wie ich. Er weiss, dass er aus seinem Hinterteil spricht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Missachtung des Regimes von Gesetzen und Verfassungsbestimmungen über den Zugang zu privaten Daten, die Beschlagnahmung von durch den Kongress bewilligten Mitteln und die Weigerung, sich an richterliche Anordnungen zu halten, auf eine Machtübernahme unserer Demokratie durch eine Handvoll Männer hinausläuft, die dazu rechtlich nicht befugt sind.

Wenn das kein Staatsstreich ist, dann weiss ich nicht, was es ist.

Die Mainstream-Medien müssen dies als das bezeichnen, was es ist. Damit würden sie nicht in einer politischen Auseinandersetzung „Partei ergreifen“. Sie würden vielmehr die düstere Notlage, in der sich Amerika derzeit befindet, genau beschreiben.

Solange die AmerikanerInnenInnen die Situation nicht als Ganzes sehen und verstehen, was sie ist, sondern als Infohäppchen, die „die Zone überschwemmen“, aufnehmen, können sie unmöglich auf die gesamte Situation antworten. Das Regime unternimmt so viele ungeheuerliche Initiativen, dass das grosse Ganze nicht sichtbar wird, ohne es klar und einfach zu beschreiben.

Solange die AmerikanerInnen nicht verstehen, dass es sich hier tatsächlich um einen Staatsstreich handelt, der in höchstem Masse illegal und grundlegend verfassungswidrig ist - nicht nur, weil dies zufällig die Meinung von Verfassungswissenschaftlern oder Rechtsprofessorinnen oder die Ansichten von Trumps politischen Oppositionellen ist, sondern weil es sich objektiv und real um einen Staatsstreich handelt -, können sich die AmerikanerInnenInnen nicht als die klare Mehrheit erheben, die wir sind, und die Wiederherstellung der Demokratie fordern.

·        commondreams.org, 14.2.25: Corporate Media Failing to Call This What it is: A Coup

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(zas, 15.2.25) Die Professorin Kim Lane Scheppele von der Princeton University erklärte am 12. Februar 25 in einem Interview auf Democracy Now unter Bezug auf Project 2025, das Programm, das kapitalistische Machtgruppen während Jahren für die zweite «Amtszeit» Trumps vorbereitet hatten:

«Was wir sehen, seit Trump an die Macht gekommen ist, mit seinem Blitz, seinem Project 2025, formuliert von privaten Akteuren in der Zeit, als er nicht an der Macht war, ist, dass er die Nervenzentren der amerikanischen Regierung angreift.  Ich denke, etwas, das wir übersehen haben, ist, dass Elon Musk als erstes in das Office of Personal Management ging, und so alle Bundeangestellten kontrolliert; ins Finanzministerium, und so alle Zahlungen kontrolliert, welches Geld geht raus - welches kommt rein; und drittens in die General Services Administration, die alle Gebäuden und Einrichtungen kontrolliert, aber auch die IT. Sie gingen also zuerst in diese Nervenzentren, und wir wissen immer noch nicht, was genau sie da taten.»

«Aber Leute versuchen, das rauszufinden, und es scheint, dass sie nicht nur Daten stahlen, sondern auch Sachen machten wie Spionagesoftware in den Computer des Finanzministeriums zu installieren, so dass sie alles überwachen können, was diese Leute tun. Sie installieren eine Art zentralisiertes Dashboard, das vom Weissen Haus kontrolliert wird und es dem Präsidenten, oder Musk, den X-Präsidenten, den Leuten im Weissen Haus erlaubt, direkt alle Bundesagenturen zu überwachen, ohne irgendwelche Intermediäre, ohne vom Senat bewilligten Ernennungen oder checks and balances des Systems.»

Scheppele erkennt darin die Vorgehensweise von Viktor Orbán in Ungarn. Zu seiner «Säuberung» des Justizapparates «schafften es Jahre später europäische Gerichte, zu sagen: ‘Das hätte nicht geschehen dürfen. Dies verletzt europäisches Recht.’ (…) Er geht dann zum Gericht und sagt: ‘Willst du, dass ich alle neuen RichterInnen feure?’, worauf die EU-Kommission sagt: ‘ «Nun, das wollen wir wirklich nicht, dass du die neuen RichterInnen feuerst. Gib ihnen einfach die Sicherheit, dass dies nicht wieder geschehen kann.»

Die Frage der Interviewerin, ob Trump mit seinem Verordnungsstakkato nicht Schwäche zeige statt sich ans Parlament mit seiner trump’schen Mehrheit zu wenden, beantwortet die Frau von Princeton negativ: «Trump versucht, die Dinge schnell zu zerbrechen, so dass, wenn ihn dann die Gerichte einholen, wenn die Kräfte der Gewaltenteilung sich neu gruppieren und einen Gegenstoss überlegen, ist das Ding schon zerbrochen. Ich denke, Trump hat gelernt, und ich glaube, Orbán hat es ihn auch gelehrt, sich die Regierung als Aquarium vorzustellen. Wenn du einen Mixer im Fischaquarium gebrauchst, um Fischsuppe zu machen, wirst du das Aquarium nicht mehr retten können, auch wenn es Gerichte anordnen.»

In dieser Hinsicht hat die Professorin wohl eine realistischere Vorstellung als Reich, der ehemalige Arbeitsminister von Bill Clinton, der offenbar alle Hoffnung auf die Justiz setzt. Beide sind liberals, er bestimmt mit sozialer Tendenz, aber ohne reale Kampfperspektive gegen das gerade den Durchmarsch probende Ultra-Regime führender Kapitalgruppen. Dennoch sollten Linke Leuten wie ihnen genau zuhören. Sie verstehen etwas vom konkreten Handwerk der Machtausübung, und ihr Entsetzen über das, was sie sehen, spricht Bände, weit über die paar in den Medien gehandelten Banalitäten zum Thema hinaus. (Gilt nicht für solche wie die NZZ. Die estimiert das lovelove von US-Vize JD Vance mit der AFD und freut sich, wenn Phantasy-Kreuzritter Hegseth als Pentagonboss für Europa eine weitere extreme Steigerung der Rüstungsausgaben anordnet (trotz angedrohter möglichenr Restriktionen im Ukrainekrieg). Diese Sorte von Kampforganen sorgt sich allenfalls, ob man den Bogen nicht zu früh überspannt.)