Nicaragua: 19 de julio ...

Sonntag, 20. Juli 2025

 

(zas, 19.7.25) 1979, am 19. Juli, zog die sandinistische Guerilla siegreich in Managua ein. Die von den USA geleitete Somoza-Diktatur war besiegt.

Die Revolution riss viele von uns aus Europa, USA und anderswo mit. Auch wir vibrierten mit der nicaraguanischen Hoffnung auf ein besseres Leben, eine andere Gesellschaft. Eine Hoffnung, die lebt, wirksam wird, aus der Kraft der kollektiven revolutionären Veränderung heraus. Wir haben es bei uns erlebt und bei andern: später beim Mitgehen mit den Zapatistas oder mit der basisrevolutionären Bewegung der Appo in Oaxaca, Mexiko, heute und gestern mit den Kämpfenden in Kurdistan – mit dem geschärften Bewusstsein, dass der Kampf «dort» auch der «hier» ist. In all diesen Momenten der Geschichte riskieren manche, auch Dazugestossene, im Alltag ihr Leben – einige verlieren es.

Es gab die Momente, wo ich mich in Nicaragua so frei fühlte wie noch nie im Leben. Trotz US-Krieg, Contra-Terror. Ich fühlte das, weil es so war. Wir alle spürten so etwas.

Ein zentrales Ziel des «Kriegs niederer Intensität», wie die Täter ihre Mordstrategie nannten, besteht in Hoffnungslosigkeit statt Hoffnung. In Nica begriff ich das. Francisca hatte mir das klar gemacht. Sie war vor dem Sieg «correo», hat Meldungen von einem Guerillaposten zum anderen überbracht. Nach dem Sieg baute sie die Frauenorganisation AMNLAE in Estelí mit auf, für die Revolution, und speziell für die Frauen. Immer bereit, neben ihrem Haushalt mit den vielen Töchtern Aufgaben für die Revolution zu übernehmen. Ihr Haus war lange ein Zentrum freudigen Aufeinandertreffens und manchmal diskreter Absprachen. Es lebte, vibrierte sandinistisch.  

Doch dann gab es immer mehr Beerdigungen von Compas, aus der Nachbarstadt, aus der Stadt, aus dem Bekanntenkreis, die im Contrakrieg Reagans starben. Irgendwann, nach Jahren, brach es einmal aus ihr heraus: «Ich halte das nicht mehr aus. Immer an die Beerdigungen der Compas zu gehen. Und es hört nicht auf!» In diesem Moment begriff ich, was low intensity-Krieg war. Warum du viel weniger als früher dieses in lächelnde und erwartungsfreudige Gesichter blickst. Dass dabei zynische Planung umgesetzt wird, gespiesen aus anderen Massenmorderfahrungen, systematisiert von einer Armada in Academia und Institutionen, propagiert per Medien und «Zivilgesellschaften» der Herrschenden. Dass die Zerstörung der neuen Schule im Weiler, des kleinen Gesundheitszentrums, der Kooperative, stets zusammen mit der Ermordung daran Beteiligter, die Seele verletzten. Deine, meine. Unsere.

Und irgendwann taten viele, was Ronald Reagan von ihnen verlangt hatte: «cry uncle», «wir geben auf». Sie hofften nicht mehr, gaben ihre Stimme der Kandidatin der USA.

Das sorgte für eine aufgeräumte Stimmung auch in Schweizer Medien und Politmanagementkreisen. Die Demokratie hat sich durchgesetzt!

Und dann ging es weiter abwärts. 16 Jahre neoliberaler Sozialterror. Dafür neu Reklame im vorher davon befreiten Land. Ein Mann trinkt Whisky, raucht Camel und fährt GM oder Chrysler. Die tolle Sofa- und TV-Kombination (internationale Sender!) lässt die Familie erblühen. Und alle Schulbücher werden radikal umgeschrieben, so dass sich der Santo Padre in Rom (er hiess Woytila) nicht mehr sorgen muss. Auch nicht el hombre in Washington. Dafür erwürgen wir die Kooperativen und pflückst du Kaffee, dann den deines Herrn.

Der FSLN machte weiter. Es gab die grossen Kampfzyklen, an den Unis, bei den Busfahrern, mit den KaffeepflückerInnen. Das mochten besonnene, demokratische Kräfte im Frente aber nicht leiden. Denn «heute müssen wir alle zusammenspannen und alte Manien ablegen». Sie sassen für den Frente im Parlament und durften da den Anschluss an die Moderne suchen. Der Frente spaltete sich bzw. die Reaktionäre verliessen das vermeintlich sinkende Schiff. Die Leute blieben bei FSLN.

Nur, da gab es andere Widersprüche. Einige bereicherten sich, wie die Austretenden auch, an früherem Gemeineigentum. Den sexuellen Missbrauch Daniel Ortegas an seiner Stieftochter machte diese publik. Ihre Mutter, Ortegas Gattin Rosario Murillo, entschuldigte sich an einer Grosskundgebung bei den FSLN-AktivstInnen für ihre «schlechte Tochter». Die Partei schloss die Reihen um Daniel Ortega und neu auch seine Gattin, die seither an stets Macht zulegt. Vielleicht der Moment, der den Abstieg des Frente von einer Kraft für Emanzipation zu was anderem markiert.

Ich war dann wieder bei Francisca zu Besuch. Sie hatte die letzte ihrer Töchter Danielita genannt, zu Ehren des Comandante. Und jetzt? «Das ist ein Bruch. Ich bin Mutter. Nie kann ich das Daniel verzeihen.» Sie machte wieder, immer noch, Basisarbeit. Jetzt ohne FSLN. Ein kleines Frauenkollektiv in Estelí. Was machte es? Die compañeras gingen in die Kaffee- und anderen Plantagen, um die Arbeiterinnen zu massieren. Denn diese hatten oft Rückenschmerzen wegen der Arbeit.

Francisca wurde krank, unheilbar. Als der Frente die Wahlen 2006 gewann, schöpfte sie trotz «Daniel und seiner Geschichte» wieder etwas Hoffnung. Kurz darauf starb.

Heute feiern sie wieder den 19 de julio in Nicaragua. Letztes Jahr gab es den offiziellen 19 de julio. Ich hatte mir danach eine Videoübertragung angesehen und erstarrte dabei. Da war eine kleine Menge – alles Geladene, wie ich später erfuhr -, deren Sitzreihen dank der Aufmerksamkeit der Ko-Präsidentin Murillo in Form eines Herzens angelegt waren. So tief, so kosmisch – nur, wo waren die Leute? Am 19. vibrierten allein in Managua jeweils Zehntausende, es war pueblo, pueblo! Und jetzt? Nicht in Sicht.

Dann hörte ich, dass es - sí! - viele Feste zum 19 gab, in den barrios. Inoffizielle, keine Prominenz. Aber die Compas feierten ihren 19.

Es gab zwei 19 - einen «privatisierten», so ein Freund, und den der Leute, mit Freude, Leben.   

Wie es weiter geht in Nicaragua, wissen wir nicht. Wie immer - eines zeigte letztes Jahr 19.: in vielen Köpfen und Herzen lebt die Revolution weiter. Auch wenn sie vom offiziellen Sandinismus mittlerweile choreographisch traktiert wird.

Und noch etwas: Die westliche Feindschaft zu Daniel Ortega hat wenig damit zu tun, was er macht oder nicht macht. Wie beschissen diese Führung manchmal – nicht immer - auch daher kommt, die koloniale Arroganz der Macht hat viel, enorm viel, zu tun mit dem, was sie angeblich kritisiert. Wir sahen es im Krieg der 80-er Jahre. Wie viele Krokodilstränen flossen da nicht im Medienstrom hierzulande, wie wurden doch das Leid der kriegsmüden Menschen bejammert und gleichzeitig der Krieg geölt.

Und heute: Die Starre, die Verbote, die «Kultur» der Nichtdiskussion (die sandinistische Angst vor dem offenen Wort – niemand will «Contra» sein), die nicht hinnehmbaren Akte wie etwa das «Aberkennen» der Staatsbürgerschaft von Oppositionellen (die tatsächlich meist mit «dem Yankee» gehen) – reflektiert die umfassende Gewalt der Umzingelung. Unabhängig von der bleibenden Verantwortung der entscheidenden Akteure im Land.  Das sollten vielleicht jene ein wenig reflektieren, die heute praktisch nachreden, was die westliche Herrschaft von sich gibt.

Wie gesagt, noch tanzen die Leute an ihrem 19.

Managua, in der Nacht auf den 19.
 


USA-Israel in Gaza: Morden, aushungern, zerstören

Sonntag, 13. Juli 2025

Hier Teil I. Teil II folgt demnächst.

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 (zas, 13.7.25) Nachdem US- und israelische Medien schon seit Tagen über eine geplante «Umsiedlung» von hunderttausenden von Menschen in Gaza in eine zu erbauende «humanitäre Stadt» dort, wo einst Rafah stand, berichteten, machten Trump und Netanyahu die Absicht offiziell. Auch in Mainstreammedien ist jetzt Erschrecken über dieses Vorhaben wahrnehmbar. Denn Vernichtungswillen und Zynismus dabei sind enorm.

Trump hatte bekanntlich den Joker für geplante Verbrechen mit der Spruch von der «Riviera von Gaza» schon früh signalisiert. Ein Vernichtungswille, gestützt auch auf Pentagon-/Geheimdienst-Tentakel, undurchsichtige Finanzunternehmen oder eines der global grössten Beratungsunternehmen, die Boston Consulting Group. Das Wenige, was davon öffentlich wird, reicht, um die Umrisse des Ungeheuers zu erahnen.

In der Strategie der «humanitären Stadt» findet auch die sogenannte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) ihren Platz. Am 11. Juli berichtete das UN-Menschenrechtshochkommissariat von mindestens 798 Menschen, die bei der US-israelischen GHF-Essenverteilung seit Ende Mai umgekommen sind. Vor wenigen Tagen lag die Zahl noch bei 600, die Killstrategie geht weiter, unbeirrt von Einwänden auch im Westen.

Teil I beschreibt Aspekte der Zerstörung von Gesellschaftlichkeit in Gaza über eine Strategie von Morden, Aushungern und Chaos. Teil II gibt Angaben zum darauf aufbauenden Plan der «humanitären Stadt».

 

I

«Hunger Games»

Quelle: ‘The Hunger Games’: Inside Israel’s aid death traps for starving Gazans, 20.6.25, auf dem Portal 972.mag der jüdisch-palästinensischen Linksgruppe Local Call.

Die zwei Brüder Hatem (19) und Hamza (23) gesellten sich am 11. Juni um halb 2 nachts zu Dutzenden anderer Hungernder, die auf der Küstenstrasse von Gaza auf die Lieferung von Nahrungsmittel warteten. «Sie hofften, einen Sack Weissmehl für die 5-köpfige Familie zu erlangen. Doch Hamza kehrte mit dem in ein weisses Leichentuch gehüllten Körper seines jüngeren Bruders zurück.» Um halb 4 hatten sie «die Rufe gehört: Die Camions kommen. Gefolgt sogleich vom Sound  eines israelischen Artilleriebeschusses. ‘Wir kümmerten uns nicht um den Beschuss. Wir rannten einfach zu den Lichtern der Camions.’»

Stunden später – Hamza hatte einen Sack Mehl ergattert und wartete am vereinbarten Treffpunkt auf seinen Bruder, den er beim Durcheinander verloren hatte – kam ein Anruf eines Freundes der beiden: Er hatte die Leiche Hamzas im Netz gesehen. Im Spital von Deir Al-Balah. Hamza eilte zum Spital, wo ihm ein im gleichen Beschuss Verletzter das Geschehen berichtete. «Hatem und Andere versuchten sich im hohen Gras zu verstecken. ‘Hatem hatte Splitterverletzungen am Bein’, sagte der Mann. ‘Stundenlang verlor er Blut. Hunde waren um ihn herum. Als dann mehr Hilfetransporte ankamen, halfen Leute, die Körper auf einen zu laden. Insgesamt wurden an diesem Morgen 25 auf Essen wartende Palästinenser auf der Küstenstrasse getötet. Hamza brachte die Leiche von Hatem zurück nach Gaza-Stadt und beerdigte ihn neben ihrer Mutter, die im August 2024 von einem Scharfschützen erschossen worden war. Ihr älterer Bruder Khalid war ein paar Monate vorher gestorben – bei einem Luftschlag, als er verletzte ZivilistInnen auf seinem Pferdewagen evakuierte.»

Ein Verletzer wird auf der Küstenstrasse evakuiert. Bild: 972.mag

 

 

Yousef Abu Jalila (38) hat eine 10-köpfige Familie. Früher half ihnen des UN-Welternährungsprogramm mit Essenspaketen zu überleben. Doch das ist seit zwei Monaten vorbei[i], «und der Preis von was immer noch auf dem Markt ist, schnellte zum Himmel. ‘Meine Kinder weinen vor Hunger, und ich habe nichts für sie zu essen.’ Abu Jalila hat keine andere Wahl, als bei den Verteilzentren auf Hilfetransporte zu warten. ‘Ich weiss, dass ich sterben kann, wenn ich versuche, Essen für meine Familie zu bekommen. Aber ich gehe, denn meine Familie ist am Verhungern.»

Zahiya Al-Samsour (47). «Sie ringt um Atem und sagte 972: ‘Mein Mann starb letztes Jahr an Krebs. Ich kann nicht für meine Kinder sorgen. Kein Essen im Haus seit der Blockade und dem Stopp der Hilfelieferungen, die uns im Krieg über die Runde halfen.’ Zusammen mit tausenden Anderen kampierte sie in der Nacht vom 16. Juni auf der Küstenstrasse mit der Hoffnung auf Hilfelastwagen. Aber am Morgen regnete es Granaten auf die Menge und töteten mehr als 50 Menschen. ‘Ich sah Leute, die ihre Glieder verloren, zerfetzte Körper. Drei meiner Nachbarn aus Al-Zaneh [nördlich von Khan Younis] kamen um.»    

Mohammad Al-Basyouni (22) liegt mit einer Schusswunde am Rücken im Nasser-Spital. Er hatte sie am 25. Mai erhalten. «Ich verliess mein Zuhause (im Süden von Gaza) mit dem Ziel, Mehl für meinen kranken Vater zu kriegen. Meine Mutter bat mich, nicht zu gehen, aber wir hatten nichts zu essen und mein kranker Vater brauchte Hilfe. Ich brach um 6h auf und als ich ankam, begann das Schiessen. Ich wurde auf der Flucht getroffen – ein Scharfschütze schoss mir in den Rücken. Ich habe überlebt, aber andere nicht. Wir wussten, wir konnten sterben. Aber was für eine Wahl haben wir? Hunger tötet. Wir wollen ein Ende des Kriegs und der Belagerung. Wir wollen, dass dieser Albtraum vorbei ist. Ich kam verletzt und mit leeren Händen zurück. Jetzt hat mein kranker Vater seinen einzigen Ernährer verloren.»

 

«Wir wurden Monster»

Quelle: ‘We’ve turned into monsters’: Famine and genocide are changing society in Gaza, 19.6.25. Der Autor Tariq S. Hajiaj ist Mitglied der Palestinian Writers Union.

«Ahmad Mosabih (16) nahm auf die Reise, die nicht für jemanden seines Alters gedacht war, mit, was ihm passend schien. Er nahm einen halben Meter langen eisernen Hammer, packte ein Taschenmesser in den Hosensack, und brach um 3h früh mit einem Ziel auf: einen Sack Mehl zu erlangen.» Ahmad, Verwandte und Nachbarn marschierten eine Stunde an die Grenze zu Nordgaza, wo die Trucks durchkommen sollten.

«Er fand tausende von Wartenden vor. Alle suchten Nahrung, aber waren sich auch über die Gefahren, im Klaren: die Möglichkeit eines israelischen Beschusses – wie er täglich vorkommt – und die Drohung, falls man einen Sack Mehl erlangt, von anderen Gazaern ausgeraubt zu werden. Der Krieg hat Merkmale eines sozialen Lebens ausgelöscht und nichts ausser Zerstörung und einer grauenvollen Tagesreise, um zu überleben zu versuchen, gelassen. Das wurde Realität für Tausende von PalästinenserInnen, die jeden Tag den entsetzlichen Aufbruch zu einem der Hilfeverteilzentren machen, die von der von Israel unterstützen und von den USA geleiteten Gaza Humanitarian Foundation gemanaged werden.»

«Seit Beginn des Krieges lebt die Mehrheit in Gaza in Vertriebenenlagern und versucht, an das für das Leben Unabdingbare zu kommen. Hunger kommt auf, nimmt leicht ab, kehrt zurück, aber die ganze Zeit hört das Töten nie auf.»

«Ahmad fragt sich: ‘Was veranlasst mich zu einem mit Tod gefüllten Gang früh morgens? Eine verirrte Kugel könnte mich treffen. Oder eine Rakete, wie sie die israelische Armee auf Hungernde schiesst. Ich könnte die Armee überleben und es nachhause schaffen, aber dabei auf einen Dieb stossen, der mir auflauert. Ich habe in diesem Krieg gelernt, dass, wenn du nicht stark bist, dein Brot von Stärkeren als du genommen werden kann.’»

‘Dier Krieg hat uns zu Monstern gemacht. Das war nie unser Leben. Dafür sind wir nie jeden Tag aufgewacht.’

 

«Killing fields»

Die von der US-israelischen Propaganda als Alternative zur UNRWA dargestellte GHF betreibt seit Ende Mai in Gaza vier «Essensverteilungsstellen», drei davon im Süden. Täglich kommen tausende, manchmal zehntausende Menschen zu jeder dieser Verteilstellen, um Essen für die verhungernden Familien zu ergattern. Die IDF «sichern» die Umgebung der Verteilstelle, US- und palästinensische Söldner werfen die Nahrungsmittel vom Trailer auf den Boden und sind für die Sicherheit innerhalb der «Verteilzonen» zuständig. Am 27. Juni bestätigte die Haaretz, gestützt auf Aussagen von Offizieren und Soldaten der IDF: Die «Verteilungszentren» sind «Mordzonen» (killing fields). «IDF-Offiziere sagten Haaretz, dass die Armee es der israelischen oder ausländischen Öffentlichkeit nicht erlaubt, Aufnahmen der Vorfälle um die Nahrungsverteilungszentren zu sehen. Ihnen zufolge ist die Armee zufrieden, dass die GHF-Operationen den Totalkollaps der internationalen Legitimität für die Fortführung des Kriegs zu verhindern (…) ‘Gaza interessiert niemand mehr’, sagte ein Reservist. ‘Es wurde zu einem Ort mit eigenen Gesetzen. Der Verlust an Menschenleben bedeutet nichts.’»

Verteilzentrum am 16. Juni.

 

Und weiter: Die Verteilzentren öffnen jeden Morgen meist nur eine Stunde. «Die IDF schiessen auf Leute, die schon vor der Eröffnung ankommen, oder nach der Schliessung, um sie zu vertreiben.» Im Kernteil des Verteilzentrums operieren «amerikanische Arbeiter (…); im äusseren Bereich sind es palästinensische Supervisoren, von denen einige bewaffnet und bei der Abu Shabab-Miliz Mitglied sind.» (Zu dieser Miliz gleich mehr.) Die «amerikanischen Arbeiter» sind laut einem früheren Haaretz-Artikel primär gut bewaffnetes «früheres Personal von CIA, Blackwater und US-Armee». Angeheuert wurden sie laut Jack Poulson[ii] von dem kürzlich in Wyoming eingetragenen und vom früheren CIA-Kader Philip Reilly geleiteten Unternehmen SRS (Safe Reach Solutions) und dem Unternehmen USG, in dem ein Ex-Special Forces den Chef abgibt. SRS ist ein Ableger des Vermögensverwalters Two Ocean Trust. Ausgewählt wurden SRS und USG offiziell vom «Vermittlertrio» USA, Ägypten und Katar.

 

Gesellschaft zerstören

Avigdor Lieberman, ein weit rechts stehender Ex-Minister beschuldigte Netanyahu, die angeblich mit dem IS verbandelte Shabab-Miliz gegen die Hamas aufzurüsten. Netanyahus Büro antwortete ihm so: «Israel geht auf mehrere und verschiedene Weisen vor, um die Hamas zu besiegen.» Die Haaretz ihrerseits befragte verschiedene PalästinenserInnen in Gaza und Israel zur Shabab-Miliz. Eine Frau in einem Flüchtlingslager sagt: «Sie sagen, sie beschützen die Hilfsgüter, aber nichts davon erreicht uns. Gleichzeitig kommen kommerzielle Güter und Container unter ihrer Protektion sicher an und werden auf dem Markt verkauft. Es ist klar, wer davon profitiert (…) Wir haben Angst vor Leuten mit Waffen. Wir können uns an niemanden wenden. Wenn etwas passiert, wird uns niemand helfen. (…) Alle machen, was sie wollen. Die Leute beginnen, aus Angst und Überlebenstrieb heraus zu handeln.» Ein arbeitsloser Informatiker und Hamas-Kritiker in Gaza-Stadt sagt: ‘Mit der Unterstützung von Leuten wie Abu Shabab wird Gaza leichter kontrollierbar und unregierbar von innen.’ «Er beschrieb diese Taktik als Teil einer grösseren israelischen Strategie zur Destabilisierung von Gaza von innen. Sie benutzt kriminelle Netze, ‘verkleidet als lokale Sicherheitsakteure, um jede Einheitsfront zu unterminieren. [Das] lässt das Gespenst eines Bürgerkriegs in Gaza hochkommen. Vielleicht ist das das eigentliche Ziel: die palästinensische Gesellschaft von innen zu zerstören.’»  

Abu Shabab mit Komplizen. Foto: Facebook.

 

 

Humanitäres Morden

Die in Genf angesiedelte NGO Euro-Med Human Rights Monitor erklärte Ende Juni: «Mit der Gaza Humanitarian Foundation führte Israel einen neuen Tötungsmechanismus mit humanitärer Fassade ein, der den Genozid im Gaza-Streifen noch weiter eskaliert.»  Médecins sans Frontières sagt: Die GHF ist ein «als humanitäre Hilfe getarntes Abschlachten». Der MSF-Nothilfekoordinator in Gaza erklärt: «Die vier Verteilzentren liegen alle in einer Zone unter voller Kontrolle der israelischen Kräfte (…sie) haben die Grössen eines Fussballfeldes und sind von Wachposten, Erdhügeln und Stacheldraht umgeben. Der eingezäunte Eingang lässt nur einen Zugang zu. Die Arbeiter lassen die Paletten und Kisten mit Lebensmitteln fallen, öffnen die Zäune und lassen Tausende auf einmal hinein, um bis zum letzten Reiskorn zu kämpfen. Kommen die Leute zu früh und nähern sich den Checkpoints, werden sie beschossen. Kommen sie rechtzeitig, aber es gibt einen Stau und sie springen über die Hügel und Stacheldrähte, werden sie erschossen. Kommen sie zu spät [oder] sie sollten nicht dort sein, weil es sich um eine 0evakuierte Zone’ handelt, werden sie erschossen.»

 



[i] Trump und Netanyahu brachen Ende März den Waffenstillstand ab und verboten jegliche internationale Hilfelieferung nach Gaza.

[ii] Poulson arbeitete als Informatiker bei Google. Er kündete dort aus Protest gegen die Komplizenschaft des Multis mit der Pekinger Zensurpolitik und lancierte danach eine Non-profit-Einheit zur Erforschung der Verbindungen zwischen Tech- und Rüstungsindustrie.

 

Bauernbewegungen fordern venezolanische Regierung auf, AktivistInnen vor

Montag, 7. Juli 2025

 

Ricardo Vaz, Ccaracas, 23. Juni 2025*

Venezolanische BäuerInnenorganisationen forderten den Staat auf, zu ihrem Schutz einzugreifen, nachdem eine Aktivistin angeklagt worden war. Sie sehen dies sei Teil einer systematischen „Kriminalisierung“ von BasisaktivistInnen.


Lilibeth Rangel, Sprecherin des Landguts La Fortuna im Bundesstaat Zulia, wurde am Samstag festgenommen und wegen „Invasion (Eindringen) in Privatgrundstücke angeklagt. Die Bewegung der Kleinbauern (Movimiento de Pequeños Agricultores, MPA), in der Kollektive aus dem ganzen Land zusammengeschlossen sind, verurteilte in einer Erklärung die Festnahme von Rangel als „Ergebnis der Kriminalisierung der Kämpfe der Bauern”.

Rangel ist seit Jahren eine führende Figur im Kampf der Basisbewegung um das 350 Hektar grosse Grundstück im Westen Venezuelas. Der Fall wurde nach dem „Bewundernswerten Bauernmarsch“ von 2018 von den Behörden geprüft, und das venezolanische Landinstitut (INTI) vergab 2021 Eigentumsurkunden an Bauernfamilien.

„Wir fordern die venezolanische Regierung, den Generalstaatsanwalt und den Obersten Gerichtshof auf, einzugreifen und Antworten für die Hunderte von Campesinos zu geben, die im Rahmen von Landkonflikten kriminalisiert oder getötet wurden“, heisst es in der Erklärung.

Die Basisorganisation fügte hinzu, dass die venezolanischen Behörden die rechtlichen Verfahren zur Vergabe von Landtiteln an ländliche Kollektive beschleunigen müssen, um die Nahrungsmittelproduktion anzukurbeln.

MPA-Sprecher Andrés Alayo erklärte gegenüber Venezuelanalysis, dass die Campesino-Bewegungen in den kommenden Tagen mobilisieren werden, um Fälle bei der Generalstaatsanwaltschaft vorzubringen.

„Wir müssen in dieser Angelegenheit handeln und haben uns an MieterInnenbewegungen gewandt, die ebenfalls mit wachsenden Zwangsräumungen konfrontiert sind“, fügte Alayo hinzu und bezog sich dabei auf jüngste Beschwerden über die Kriminalisierung von MieterInnen.

Rurale Kollektive haben die Erhebung von „Invasions”-Anklagen zur Kriminalisierung lokaler Führer sowie die Straffreiheit bei gezielten Tötungen angeprangert. Sie kritisieren seit langem den Einfluss von Grossgrundbesitzinteressen auf Sicherheits- und Justizbehörden.

Laut dem MPA wurden seit der Verabschiedung des Landgesetzes von 2001 mehr als 350 Campesinos/as ermordet. Das wegweisende Gesetz, das von der Regierung Hugo Chávez verabschiedet wurde, legte Verfahren fest, nach denen ländliche Familien brachliegendes Land für die Produktion beanspruchen können. Landbesitzer und Viehzüchterverbände haben wiederholt gegen das Gesetz protestiert und die Vertreibung der „Eindringlinge” gefordert.

In den letzten Jahren haben venezolanische Landorganisationen die Regierung Maduro ebenfalls aufgefordert, ihre Massnahmen zu ändern, die ihnen zufolge die Agrarindustrie begünstigen, darunter die Erhöhung der Kraftstoffpreise, die Preisderegulierung bei Agrarprodukten und   die Privatisierung staatlicher Unternehmen.

Campesinos im Bundesstaat Barinas festgenommen

Die Festnahme von Rangel erfolgte nur wenige Tage nach einem Vorfall im Zusammenhang mit einem Landkampf, bei dem 28 Campesinos im Bundesstaat Barinas festgenommen wurden.

Das Investigativportal La Tabla berichtete, dass am 12. Juni eine Gruppe bewaffneter Männer das Landgut La Rubiera in der Gemeinde Pedraza , kam, 28 Personen mit Waffengewalt festnahm und sie später der Nationalgarde übergab. Die Gruppe, zu der auch eine Minderjährige gehörte, wurde wegen Hausfriedensbruchs, Viehdiebstahls und Aufstachelung zum Hass angeklagt. Sie befinden sich weiterhin in Haft.

Laut lokalen Aktivisten kämpft der Bauernrat Bolívar y Zamora 2021, dem rund 70 Familien angehören, seit fast fünf Jahren dafür, die brachliegenden Flächen zu bewirtschaften, und fordert das Landinstitut auf, ihnen gemäss dem Landgesetz Eigentumsurkunden auszustellen.

Sie haben den lokalen Landbesitzer Elpidio García beschuldigt, für die gewaltsame Aktion verantwortlich zu sein und die örtlichen Strafverfolgungsbehörden unterwandert zu haben. Der Konflikt in La Rubiera hat bereits zu Strafanzeigen gegen BasisaktivistInnen und Räumungsversuchen geführt. Derzeit laufen mehrere Gerichtsverfahren.

* venezualanlysis.com, 23.6.25: Campesino Movements Demand Venezuelan Gov’t Step In to Protect Activists from ‘Criminalization’ Attacks