Venezuela und Nobelpreise

Montag, 13. Oktober 2025

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Wenn María Corina Machado den Friedensnobelpreis erhält, hat "Frieden" seine Bedeutung verloren

Kein Friedenssymbol. Sie steht für Putsche, Sanktionen und Militärintervention in Venezuela

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María Corina Machado ist Teil einer globalen Allianz zwischen Faschismus, Zionismus und Neoliberalismus
María Corina Machado ist Teil einer globalen Allianz zwischen Faschismus, Zionismus und Neoliberalismus

Als ich die Schlagzeile "María Corina Machado erhält den Friedenspreis" sah, hätte ich fast über die Absurdität gelacht. Aber ich habe es nicht getan, denn es ist nichts Lustiges daran, eine Person auszuzeichnen, deren Politik so viel Leid verursacht hat. Wer weiß, wofür sie steht, erkennt, dass an ihrer Politik nichts auch nur annähernd Friedliches ist.

Wenn dies im Jahr 2025 als "Frieden" gilt, dann hat der Preis selbst jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Als Venezolanerin und US-Amerikanerin kenne ich genau, wofür Machado steht.

Sie ist das lächelnde Gesicht der Washingtoner Regimewechselmaschine, die gewandte Sprecherin für Sanktionen, Privatisierung und ausländische Interventionen, präsentiert im Gewand der Demokratie.

Machados Politik ist von Gewalt durchdrungen. Sie hat zu einer ausländischen Intervention aufgerufen und sich sogar direkt an Benjamin Netanjahu, den Kopf hinter der Vernichtung Gazas, gewandt, um unter dem Banner der "Freiheit" mit Bomben zur "Befreiung" Venezuelas beizutragen. Sie hat Sanktionen gefordert, jene stille Form der Kriegsführung, deren Auswirkungen – wie Studien in The Lancet und anderen Fachzeitschriften gezeigt haben – mehr Menschenleben gefordert haben als bewaffnete Konflikte, indem sie ganze Bevölkerungsgruppen von Medikamenten, Nahrungsmitteln und Energie abgeschnitten haben.

Machado hat ihr ganzes politisches Leben damit verbracht, Menschen zu spalten, die Souveränität Venezuelas zu untergraben und somit der Bevölkerung das Recht zu verweigern, in Würde zu leben.

Das ist die wahre Maria Corina Machado:

  • Sie war maßgeblich an dem Staatsstreich von 2002 beteiligt, durch den ein demokratisch gewählter Präsident kurzzeitig gestürzt wurde, und unterzeichnete das Carmona-Dekret, das die Verfassung außer Kraft setzte und über Nacht alle öffentlichen Institutionen auflöste.
  • Sie arbeitete Hand in Hand mit Washington, um einen Regimewechsel zu rechtfertigen, und nutzte ihren Einfluss, um eine ausländische Militärintervention für die "Befreiung" Venezuelas mit Gewalt zu fordern.
  • Sie bejubelte Donald Trumps Invasionsdrohungen und seine Marineeinsätze in der Karibik, eine Machtdemonstration, die unter dem Vorwand der "Bekämpfung des Drogenhandels" einen regionalen Krieg auslösen könnte. Während Trump Kriegsschiffe entsandte und Vermögenswerte einfror, stand Machado bereit, als seine lokale Stellvertreterin zu fungieren, und versprach, ihm die Souveränität Venezuelas auf dem Silbertablett zu servieren.
  • Sie drängte auf die US-Sanktionen, die die Wirtschaft strangulieren, obwohl sie genau wusste, wer den Preis dafür zahlen würde: die Armen, die Kranken, die Arbeiterklasse.
  • Sie half beim Aufbau der sogenannten "Übergangsregierung", einer von Washington unterstützten Marionettenregierung unter einem selbsternannten "Präsidenten", der Venezuelas Auslandsvermögen plünderte, während die Kinder im Land hungerten.
  • Sie schwört, die venezolanische Botschaft in Jerusalem wieder zu eröffnen, und stellt sich damit offen auf die Seite des Apartheidstaates, der Krankenhäuser bombardiert und dies als Selbstverteidigung bezeichnet.
  • Jetzt will sie das Öl, das Wasser und die Infrastruktur des Landes an private Unternehmen übergeben. Dasselbe Rezept machte Lateinamerika in den neunziger Jahren zum Laboratorium neoliberaler Misere.

Machado gehörte zu den politischen Köpfen hinter La Salida, der Oppositionskampagne von 2014, die zu eskalierenden Protesten einschließlich der sogenannten Guarimba-Taktiken aufrief. Das waren keine "friedlichen Proteste", wie die ausländische Presse behauptete, sondern organisierte Barrikaden, die das Land lahmlegen und den Sturz der Regierung erzwingen sollten. Straßen wurden mit brennendem Müll und Stacheldraht blockiert, Busse mit Arbeiter:innen wurden in Brand gesteckt, und Menschen, die verdächtigt wurden, Chavist:innen zu sein, wurden geschlagen oder getötet. Sogar Krankenwagen und Ärzt:innen wurden angegriffen.

Einige kubanische medizinische Brigaden wurden beinahe lebendig verbrannt. Öffentliche Gebäude, Lebensmitteltransporte und Schulen wurden zerstört. Ganze Stadtteile wurden durch Angst in Geiselhaft genommen, während Oppositionsführer:innen wie Machado von der Seitenlinie aus jubelten und dies als "Widerstand" bezeichneten.

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Sie lobt Trumps "entschlossenes Vorgehen" gegen das, was sie als "kriminelles Unternehmen" bezeichnet, und stellt sich damit auf die Seite desselben Mannes, der unter Aufsicht der US-Einwanderungsbehörde ICE Kinder von Migrant:innen in Käfige sperrt und Familien auseinanderreißt, während venezolanische Mütter nach ihren Kindern suchen, die infolge der US-Migrationspolitik verschwunden sind.

Machado ist kein Symbol für Frieden oder Fortschritt. Sie ist Teil einer globalen Allianz zwischen Faschismus, Zionismus und Neoliberalismus, einer Achse, die Herrschaft mit der Sprache von Demokratie und Frieden rechtfertigt.

In Venezuela hat diese Allianz zu Staatsstreichen, Sanktionen und Privatisierungen geführt. In Gaza bedeutet sie Völkermord und die Auslöschung eines Volkes. Die Ideologie ist dieselbe: der Glaube, dass manche Leben entbehrlich sind, dass Souveränität verhandelbar ist und dass Gewalt als Ordnung verkauft werden kann.

Wenn Henry Kissinger einen Friedenspreis gewinnen konnte, warum dann nicht auch María Corina Machado? Vielleicht verleihen sie ihn im nächsten Jahr an die "Gaza Humanitarian Foundation" für "Mitgefühl unter Besatzung".

Jedes Mal, wenn diese Auszeichnung an Architekt:innen der Gewalt verliehen wird, die sich als Diplomat:innen tarnen, ist das ein Schlag ins Gesicht all jener, die tatsächlich für den Frieden kämpfen: palästinensische Sanitäter:innen, die Leichen aus den Trümmern bergen, Journalist:innen, die in Gaza ihr Leben riskieren, um die Wahrheit zu dokumentieren, und humanitäre Helfer:innen der Flottille, die mit nichts als Mut und Überzeugung auslaufen, um die Blockade zu durchbrechen und hungernden Kindern in Gaza Hilfe zu leisten.

Aber echter Frieden wird nicht in Sitzungssälen ausgehandelt oder auf Bühnen verliehen. Wahrer Frieden wird von Frauen geschaffen, die während Blockaden Netzwerke zur Lebensmittelversorgung aufbauen. Von indigenen Gemeinschaften, die Flüsse gegen Rohstoffabbau verteidigen. Von Arbeiter:innen, die sich weigern, sich durch Hunger gefügig machen zu lassen. Von venezolanischen Müttern, die sich mobilisieren, um die Rückkehr ihrer unter der US-Migrationspolitik und dem ICE verschleppten Kinder zu fordern. Und von Nationen, die Souveränität über Unterwerfung stellen. Das ist der Frieden, den Venezuela, Kuba, Palästina und alle Nationen des Globalen Südens verdienen.

* Michelle Ellner ist Koordinatorin der Lateinamerika-Kampagne von Codepink

Palästina: Generalstreik und Demos in Italien

Sonntag, 12. Oktober 2025

 

Italien, 3. Oktober 2025

07.10.2025 online redaktion EU-Europa, International, Schlagzeilen

sit. Die Antwort auf die militärische Aktion der israelischen Armee gegen die Aktivist:innen der Sumud Global Flotilla war gigantisch: Über zwei Millionen Menschen machten den Generalstreik zu einem historischen Erfolg. Ein beeindruckender Akt der Solidarität kam von den Inhaftierten des Gefängnisses Dozza bei Bologna.

Es waren dramatische Stunden am Abend des 2. Oktober. Um 20.29 Uhr berichteten Aktivist:innen der Flotilla: «Israelische Streitkräfte befinden sich an Bord des Bootes Alma und haben die Mitglieder der Crew festgenommen.» Das Schiff war eines der ersten, das isoliert wurde und dessen Kommunikation blockiert war. An Bord befanden sich Mitglieder der Leitung der humanitären Aktion. Was dann folgte, ist bekannt: Unter anderem mit dem Einsatz von Wasserwerfern stürmte die israelische Armee alle Schiffe der Flotilla, nahm alle 452 Aktivist:innen fest, sperrte sie in ein Gefängnis ein, nannte und behandelte sie als Terrorist:innen – getan und gesagt von einem Staat, der gerade dabei ist, einen Genozid zu begehen. Von demselben Staat, der soeben auf internationales Recht gespuckt hatte. Denn der Angriff auf die Flotilla erfolgte in internationalen Gewässern, fernab des Hoheitsgebiets Israels.

Von historischem Ausmass
Was dann folgte, ist von historischem Ausmass – man kann es nicht anders bezeichnen, auch wenn mit dem Wort «historisch» vorsichtig umzugehen ist. Gleich nach dem Bekanntwerden kam es in Mailand, Rom und Neapel zu den ersten Solidaritätskundgebungen, an denen Tausende von Menschen teilnahmen. In Neapel wurde der Bahnhof blockiert. Zu spontanen Demonstrationen kam es auch in Berlin, Barcelona und Istanbul. Die Basisgewerkschaft USB (Unione Sindacale di Base) rief – wie bereits angekündigt – zum Generalstreik für den 3. Oktober auf. Und siehe da: Die grösste italienische Gewerkschaft, die CGIL, schloss sich dem Generalstreik an. Dann kam der 3. Oktober. «Mehr als 2 Millionen Menschen gingen auf die Strasse, um an den Demonstrationen in über 100 italienischen Städten teilzunehmen, die im Rahmen des landesweiten Generalstreiks zum Schutz der Flottille, der verfassungsmässigen Werte, zur Beendigung des Völkermords und zur Unterstützung der Bevölkerung von Gaza stattfanden. 300 000 Menschen zogen durch die Strassen der Hauptstadt», informierte am späteren Nachmittag die CGIL. In Mailand waren es 100 000, in Florenz 70 000, in Neapel 50 000, um nur drei Städte zu nennen. Ein Massenprotest vom Aostatal bis nach Sizilien und Sardinien – mit einer Anzahl von Menschen, wie das Land sie noch nie gesehen hatte.?«Ein gelungener, kraftvoller Generalstreik gegen die Komplizenschaft der italienischen Regierung mit dem Terrorstaat Israel», erklärte ein Vertreter der USB in einem Video. Er wiederholte die Forderungen: keine Waffenlieferungen nach Israel, Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen und ein Protest der italienischen Regierung gegen die illegalen Verhaftungen der Aktivist:innen der Flotilla. Diese drei Forderungen und die Barbarei des Genozids in Palästina vereinten über zwei Millionen Menschen.

Ein Danke aus Ramallah
Aussagekräftig ist auch die Reaktion der italienischen Regierung. Die faschistische Premierministerin Giorgia Meloni meinte am Vorabend, die Gewerkschaften hätten nur «Lust auf ein verlängertes Wochenende». Sie sei auch an dieser Stelle daran erinnert, dass die Arbeiter:innen durch den Streik einen Tageslohn verloren haben. Meloni meinte dann auch, der Streik würde dem «palästinensischen Volk überhaupt nichts bringen». Eine Behauptung, die wir handfest widerlegen können. Dem vorwärts liegt eine WhatsApp-Nachricht eines Freundes aus Ramallah im Westjordanland vor. Er schreibt: «Diese Proteste tragen dazu bei, ein Gleichgewicht und Zusammengehörigkeitsgefühl für menschliche Werte und Konzepte zu schaffen, die angesichts der Realität jener schmerzhaften Szenen, denen das palästinensische Volk im Allgemeinen ausgesetzt ist, ins Wanken zu geraten schienen. Diese Proteste helfen uns, uns von Gefühlen der Hilflosigkeit, Isolation und Einsamkeit zu lösen und das Gefühl zu bekommen, dass wir nicht verlassen sind und  unsere Schmerzen und Leiden gehört werden.» Er fügt hinzu: «Dies schafft in uns mit jedem Protestschrei gegen das, was geschieht, neue Hoffnung. Ungerechtigkeit und Tyrannei haben Erfolg, wenn sie einen Menschen von seinen Mitmenschen isolieren und ihm glauben machen, dass er allein ist. … Danke.»

Eine Lektion in Sachen Solidarität
Die Arroganz der Ministerpräsidentin erhielt auch eine beeindruckende Antwort von einer Seite, von der man es nicht erwartet hätte: von den Insassen des Gefängnisses Dozza bei Bologna, die im Rahmen des Wiedereingliederungsprogramms FID (Fare Impresa in Dozza) arbeiten. In ihrem Brief schrieben sie: «Für uns Inhaftierte bedeutet zur Arbeit zu gehen, einen Moment der Freiheit aus dem Gefängniskontext, in dem wir leben. Dennoch verzichten wir auf einen Tag Freiheit und auf unseren Lohn.» Und weiter: «Diese Entscheidung wurde getroffen, um unsere ganze Empörung über den laufenden Völkermord auszudrücken und um die Menschen der Flotilla zu unterstützen, die mit der einzigen Schuld verhaftet wurden, Botschafter:innen der Menschlichkeit zu sein. Das ist das Mindeste, was wir tun können.»?Der Brief der Gefangenen wurde an der Demonstration in Bologna von Michele Bulgarelli, dem Generalsekretär der CGIL Bologna, vorgelesen. «Es ist ein sehr bewegendes Dokument, das von einer Geste von grossem Wert zeugt», sagte er über das Schreiben. Der Verzicht auf einen Tag ausserhalb der Gefängnismauern und auf den Tageslohn sei eine «Entscheidung, die tiefen Respekt verdient und eine starke Botschaft mit sich bringt», hielt Bulgarelli weiter fest. «Ich halte es für notwendig, die grosse Lektion hervorzuheben, die uns von ihnen erreicht: Sie erinnern uns daran, dass der Streik ein fundamentales Recht ist, ein Akt der Würde und kollektiven Solidarität. Und dass diejenigen, die sich für einen Streik entscheiden, immer Gehör und Respekt verdienen.»

Warum plötzlich?
Eine Frage bleibt offen: Wie kam es zu diesen Massenprotesten im ganzen Land? Sicher, die Empörung über den Genozid in Gaza ist gross. Immer mehr Menschen schreien laut: basta, es reicht! Wir wollen nicht auf der Seite der Barbarei stehen. Aber reicht das? Auf diese wichtigen Fragen werden wir vertieft in der Printausgabe eingehen, die am 21. Oktober erscheinen wird. So viel sei aber verraten: Nein, Wut und Bestürzung allein reichen nicht aus. Es braucht mehr, um zwei Millionen Menschen auf die Strasse zu bringen.

 

Venezuela: Düsterer Friday made in USA

Montag, 6. Oktober 2025

 

(zas, 6.10.25) Am letzten Freitag kam es in den USA zu zwei wichtigen Nachrichten betreffs Venezuela. Einerseits killte die US-Armee nach Angaben von Kriegsminister Pete Hegseth die vier Insassen eines Bootes «gleich vor der Küste Venezuelas», aber in internationalen Gewässern. Wie gewohnt, veröffentlichte der Mann ein Video, auf dem man Ungenaues seihet, ohne weitere Ortsangabe und ohne Zeitstempel. Drogenhändler, super klar, von einem Kartell, wofür muss ein rechter Kerl da noch so etwas wie Indizien vorlegen? Ganz Krieger – er hatte kürzlich am Treffen der leitenden US-Armee-Figuren, an der Trump die US-Städte als Terrain für Kriegsübungen bezeichnete, gebieterisch nach einem «Kriegerethos» für gut trainierte Soldaten gerufen (please keine Frauen mehr, und auch keine verweichlichten Computernerds, die kaum was taugen) – ganz Krieger also, wusste er markig aufzutreten: «Diese Schläge werden weitergehen, bis die Angriffe auf die Amerikaner zu Ende gehen!!!».

Sein Boss  bezeichnete gestern die Mordstreifzüge seiner Truppen in der Karibik als «act of kindness», als wohltätigen Akt. Denn wie sein Jünger im Pentagon weiss er die USA im erklärten Krieg mit den Drogendealern. Hegseth hatte schon vorgespurt: «Wenn du nördlich von Venezuela bist und du willst Drogen in die United States bringen, bist du ein legitimes Ziel.» Trump zu den Morden: «Es ist eine ziemlich rauhe Sache, die wir machen». Aber die dabei vernichteten Drogen hätten tausende von Amerikanern umgebracht. «Schaut man die Sache so an, machen wir einen wohltätigen Akt.» Das Herz fliesst dem Typen über: Zu den «Schlägen» meint er: «Wir sind darin so gut, dass es keine Boote mehr gibt – nicht mal Fischerboote».

Zum andern sagt der der Supreme Court ebenfalls am letzten Freitag ok. zum Plan des Weissen Hauses, rund 300'000 VenezolanerInnen, die unter dem TPS (temporary protected status), einer Art vorläufiger Aufnahme für Menschen aus Ländern mit  Krieg, schweren Naturkatastrophen u. ä. legal in die USA eingewandert waren, zu deportieren. (Eine Routineübung des Obersten Gerichts: Mach die Leute schon mal fertig, später befinden wir, ob das voll i. O. war.) Nicht wenige der Betroffenen sind Anti-Chavistas, aber viele vielleicht nicht: Wer beantragt schon in den USA oder in Europa Asyl mit der Begründung, man flüchte vor (der durch die westlichen Sanktionen entfachten) Armut? Weshalb der Mainstream sonst überall Emigration sieht, bei Venezuela aber regelmässig einzig Flucht. So oder so: Diese Leute sind jetzt in Gefahr, im schwarzen Loch des globalen Abschiebelabyrinths zu verschwinden. No more American dream.

Honduras: Die Mutter aller Schlachten

https://amerika21.de/analyse/276453/honduras-die-mutter-aller-schlachten 

Honduras / Politik

Kehren die politischen Kräfte hinter dem Putsch von 2009 zurück oder wird das progressive Projekt fortgeführt?

Für die westliche Rechte bedeutet der Verlust der Kontrolle über eine Nation, die sie wie einen fest im Griff gehaltenen Joker behandeln, ein politisches und geostrategisches Erdbeben größten Ausmaßes. Im Fall von Honduras werden sämtliche Elemente einer Operation von Miami, Washington und Madrid aus koordiniert und gesteuert. Ziel ist es nicht nur, das ihrer Meinung nach gefährliche linke Lager aus der Macht zu verdrängen, sondern auch einen existenziellen Krieg gegen das honduranische Volk zu führen. Diesem soll die Seele "umprogrammiert" werden, damit es nie wieder auf die Idee kommt, den bürgerlichen Weg zu wählen, um der lokalen Oligarchie das zu entreißen, was dieser angeblich kraft göttlichen Rechts zusteht.

Zwar ist die derzeitige Regierung auf zahllose Hindernisse gestoßen, etwa das fehlende Gleichgewicht innerhalb der Staatsgewalten, wie im Nationalkongress – einer Einkammerversammlung mit 128 Abgeordneten, in der sie zwar in der Minderheit ist, aber dennoch die Führung innehat – oder im Obersten Gerichtshof, von dessen 15 Richtern neun offen der Rechten zuzurechnen sind, fünf liberal-konservativ geprägt sind und dem traditionellen Umgang mit der bürgerlichen Justiz verhaftet bleiben. Dennoch hat diese Regierung Errungenschaften erzielt, die man ohne Weiteres als beachtlich bezeichnen kann, und das in einem politischen Minenfeld, mitten in einem Krieg, in dem das faschistische Feuer Tag und Nacht auf der Lauer liegt.

Das Kräfteverhältnis in Bezug auf die Kontrolle des Staates ist eindeutig ungünstig. Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende von Richtern, die im Dienst der faschistischen Eliten stehen und weiterhin gewaltsame Zwangsräumungen sowie die Vertreibung von Kleinbauern und indigenen Gemeinden aus ihren Territorien anordnen, Befehle, die oft ohne Wissen der zentralen Behörden ausgeführt werden, welche nicht selten erst durch die Medien von den Vorgängen erfahren. Diese sind meistens bereits vor Ort, um groteske Reality-Shows ganz im Stil des Hegemons zu inszenieren.

Andererseits gibt es nun einen Generalstaatsanwalt, der entschlossen ist, seine Arbeit zu tun, doch die gesamte Staatsanwaltschaft wird weiterhin von Vertretern der Rechten betrieben, die seine Initiativen verzögern oder gar blockieren.

Aufgrund medialen Drucks sieht sich die Generalstaatsanwaltschaft gezwungen, den Fällen gegen Mitglieder der aktuellen Regierung besondere Aufmerksamkeit zu widmen, nachdem diese einer Art öffentlicher Lynchjustiz ausgesetzt wurden, ohne das Recht, ihre Standpunkte zu äußern oder sich zu verteidigen. Das gesamte mediale Gesindel, zusammen mit zwei von der inzwischen aufgelösten USAID gegründeten und kontrollierten NGOs, hat eine Art "Fernsehtribunal" geschaffen, das diejenigen verurteilt, die es will, und so die Vorstellung von Gerechtigkeit als solche zerstört. Das Publikum und die Nutzer sozialer Medien dürsten förmlich nach "Blut", nach Spektakel. Auf diese Weise ist die Durchführung von Untersuchungen und die Strafverfolgung von Fällen über Betrug und millionenschwere Plünderungen durch die Regierungen nach dem Staatsstreich im Juni 2009 zum Stillstand gekommen.

Um eine Vorstellung darüber zu geben: Im Juni 2009, direkt vor dem Putsch, belief sich die öffentliche Verschuldung von Honduras auf drei Milliarden US-Dollar. Als die Partei Libertad y Refundación (Freiheit und Neugründung) im Januar 2022 die Regierung übernahm, lag diese Verschuldung bei etwa 20 Milliarden US-Dollar. Die Staatskasse war leer, und die privaten Banken kontrollierten über Treuhandfonds sämtliche Mittel der Nation. Einfach ausgedrückt: Wir standen kurz davor, eine "Honduras Aktiengesellschaft" zu werden.

Im Allgemeinen ist klar, dass die Regierung von Xiomara Castro keine Kontrolle über die Machtstruktur der Bourgeoisie hat und dass sich ihre Amtszeit durch einen ununterbrochenen Kampf um jedes Vorankommen auszeichnet. Ein tropisches Stalingrad, in dem jeder kleine Schritt einen großen Sieg darstellt und Tausende geopfert werden, während sich die Schurken, aufgebläht vor Hochmut, in ihrer vermeintlichen rassischen und klassenmäßigen Überlegenheit wähnen. Ein Wahn, der ihr aggressives Handeln antreibt.

In diesem Kontext steuern wir auf einen Wahlprozess am kommenden 30. November zu, dessen Ausgang schwer vorherzusagen ist, denn die Widersprüche der internationalen faschistischen Rechten schlagen sich in den Politikern nieder, die in den kommenden Wahlen für sie antreten werden. Den Anzeichen zufolge haben sich die Rechte von Miami und Madrid entschieden, auf Salvador Nasralla zu setzen, einen über siebzigjährigen Sportkommentator mit Hochschulabschluss im Chile der Pinochet-Ära. Er lässt keine klare ideologische Haltung erkennen, legt dafür aber einen verblüffenden Opportunismus an den Tag, der ihm eine fast fünfzehnjährige Präsenz in der politischen Arena ermöglicht hat. In dieser Zeit hat er stets für verschiedene Parteien kandidiert.

Dennoch ist dieser zwielichtige Charakter in die Liberale Partei von Honduras "eingeschleust" worden. Er schafft es jedoch nicht so recht, sich als Führungspersönlichkeit zu etablieren, weil er alles kontrollieren will, was zwangsläufig die Zerstörung alter Anführer und Figuren mit sich bringt, die ihre politische Macht wie ein Erbrecht betrachten. Die CIA1 versucht über ihren Arm in Miami, ihn als Außenseiter zu verkaufen, weshalb er seine Unterordnung unter finstere Gestalten nicht verbirgt, insbesondere unter María Elvira Salazar, mit der er jeden seiner Schritte abstimmt.1

Dennoch ist das faschistische Vorhaben, das marode Gebilde wieder aufzubauen – das sich durch den Staatsstreich gegen den eigenen Präsidenten José Manuel Zelaya Rosales selbst untergraben hatte – mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert. Weder Nasralla noch sein Bürgermeisterkandidat für San Pedro Sula verfügen über Erfahrung im Aufbau parteipolitischer Strukturen, weshalb sie auf das bestehende korrupte Netzwerk angewiesen sind. Bei den internen Vorwahlen im März 2025 erhielt Nasralla etwas mehr als 380.000 Stimmen, von denen über 160.000 aus dem Departamento Cortés stammten. Auf nationaler Ebene bleibt er eine weitgehend unbekannte Figur mit einer sonntäglichen Verlosungssendung im Fernsehen.

Die erfahrenste rechte Partei ist die Nationale Partei, die den Staatsstreich nutzte, um zwölf Jahre lang zu regieren und das Land zu ruinieren. Ihr Image als kriminelle Organisation macht sie zu einer unvertretbaren Option für die Wahlen, doch es bleibt abzuwarten, ob die treue Basis dieser Partei weiterhin blind der Anweisung der Führung folgt, den schizophrenen Nasralla zu unterstützen.

Dies wird die Mutter aller Schlachten sein, weil es das Forum von Madrid so angekündigt hat, das versprach, alle bevorstehenden Wahlprozesse in Lateinamerika zu gewinnen, und weil es für die Honduraner eine abrupte Rückkehr in die tragische Vergangenheit bedeuten würde. Und natürlich ebenfalls eine bedeutende geopolitische Veränderung für die gesamte Region.

* Ricardo Salgado ist Mathematiker, Sozialforscher und Schriftsteller, Minister für Strategische Planung

  • 1. Die CIA steht hier offenbar als Chiffre für eine US-amerikanische Interventionsstrategie und nicht wörtlich für die US-Geheimdienstbehörde. Die Nennung bezieht sich auf historische Muster der US-Einmischung in den achtziger Jahren, als die CIA Honduras als Basis für die Ausbildung und Unterstützung der antisandinistischen Contra-Armee nutzte, sowie auf die Rolle der USA bei der Legitimierung des Putschs von 2009 gegen die linke Regierung von Manuel Zelaya. In der Folge förderten Programme wie USAID zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die den nach dem Putsch etablierten Machtstrukturen nahestanden und mit dem politischen und wirtschaftlichen Status quo kompatibel waren. A. d. Ü.

1 (zas) Salazar ist eine trumpistische US-Parlamentarierin aus Florida.