(zas, 9.11.25) Bekanntlich kann es heikel oder einfach falsch sein, was uns nicht passt, als (prä-) faschistisch zu bezeichnen. Noch schlimmer wäre allerdings, den Begriff dort zu vermeiden, wo er sich aufdrängt. Kurzinfos zu aktuellen Aspekten der militarisierten US-Politik in Lateinamerika und dem damit untrennbar verbundenen Grossangriff auf gesellschaftliche, auch wirtschaftliche Emanzipation. Ein Interpretationsschema dazu aus den USA. Und ja, verwandte Züge der US-Herrschaftspraxis und -Doktrin mit nazistischem «Gedankengut» sind erkennbar.
Mexiko im Visier
Am 3. November berichtete der US-Fernsehkanal NBC, gestützt auf Aussagen zweier ehemaliger und zweier aktueller hoher RegierungsfunktionärInnen, über den Beginn konkreter Planungen für den «Anti-Kartell»-Einsatz von US-Truppen in Mexiko. Der stehe allerdings nicht unmittelbar bevor. Die US-Truppen, hauptsächlich aus dem Joint Special Operations Command kommend, würden dann mit Autorisierung der US-Geheimdienste operieren. Falls es soweit komme, werde die Administration nicht über die Einsätze berichten. Die sähen hauptsächlich Drohnenschläge gegen Drogenlabors und Kartellmitglieder vor, wobei einige der vorgesehenen Drohnen von mexikanischem Boden aus gesteuert werden müssten.
Die US-Armee hat bisher nach eigenen Angaben über 70 Menschen auf Booten primär in Gewässern nahe von Venezuela umgebracht. Immer lautet die nie mit Beweisen unterstützte Erklärung, es habe sich bei den Ermordeten um Drogenhändler gehandelt. Die Fischer, die traditionell zwischen Trinidad und der venezolanischen Küste hin und her pendeln, unterlassen dies jetzt. Das hat unmittelbare wirtschaftliche Konsequenzen für die KüstenbewohnerInnen.
El Salvador, Bukele dabei
Die New York Time informierte am 6. November über «Flugmissionen von mindestens drei Militärfliegern vom hauptsächlichen internationalen Flughafen von El Salvador» aus bezeichnete diese auf der Basis von «Satellitenfotos, Kommunikationen der Luftverkehrskontrolle und Flugverfolgunggsdaten» als «Erweiterung des aussergewöhnlichen US-Truppenaufmarsches in der Karibik». Einer der Flieger sei ein «schwer bewaffnetes Angriffsflugzeug» und werde vom «Air Force Special Operations Command eingesetzt, einer Einheit für heikle Militäroperationen». Neben einem Aufklärungsflieger sei ein weiteres Flugzeug vom Typ C-40 Clipper am Flughafen Comalapa (genauer gesagt in der offenbar wieder aktivierten angrenzenden US-Base). Über dessen Operationen sei wenig bekannt sei «und seine Verlegung nach El Salvador ist höchst ungewöhnlich», insbesondere, da es das Aufklärungsflugzeug manchmal begleite. Zwei US-ArmeefunktionärInnen «bestätigten der Times, dass der Einsatz dieser Flieger im Zusammenhang mit der Ausweitung der Antidrogenmissionen in der Region steht». Das Blatt schreibt: «Der Einsatz in El Salvador stellt wahrscheinlich das erste Mal dar, dass ein ausländisches Land US-Flieger aufnimmt, die in Militärschläge in der Region verwickelt sein können. Und er wirft ein weiteres Licht auf die engen Beziehungen zwischen der Trump-Administration und dem salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele, der zur Unterstützung der Migrationsstrategie von Präsident Trump aus den USA Deportierte in einem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt hatte.»[1]
Argentinien: Durchmarsch und Geschäft
«Argentinien schuldet» dem IWF rund $ 60 Milliarden. Der neoliberalen Regierung von Macri hatte der Fonds 2020 schon damals auf Geheiss von Trump einen Kredit von über $ 50 Milliarden gewährt. Er sollte die Wiederwahl von Macri erleichtern (Fehlschlag) und zudem den US-Filialen und der Oligarchie erlauben, ihren Geldreichtum ins sichere Ausland zu transferieren (gelungen). Zahlen sollten wie gewohnt die «anderen», also die Unterklassen und der Mittelstand. Der Fonds brach mit der Kreditgewährung seine «eisernen Regeln», da er klar hatte, dass Argentinien diese Schulden niemals würde stemmen können. Die peronistische Regierung unter Alberto Fernández maulte zwar wegen der untragbaren Schuldenlast, unterschrieb aber eine Vereinbarung für ihre Rückzahlung. Direkte Ergebnis: Die Armut nahm zu, die nationale Wirtschaft (also jene, die etwas mit dm Leben der Leute zu tun hat, war in Dauerkrise. Milei gewann die folgenden Präsidentschaftswahlen.
Trotz andauernden Hurra-Rufen der herrschenden Kreise auch hierzulande für Mileis ultra-neoliberale Politik drohte dem argentinischen Regime dieses Jahr erneut, der Zaster (also Dollars) auszugehen. Also half der IWF Milei mit einem weiteren unbezahlbaren $ 20 Milliarden-Kredit.
Trump lässt die Seinen nicht hängen.
Also verkündete er im September einen Tausch minderwertiger Pesos mit $ 20 Milliarden Dollarreserven des Finanzministeriums. Und fügte bekanntlich an, der Deal laufe nur, wenn Milei die partiellen Parlamentswahlen im Oktober gewänne. Damit das auch richtig möglich werde, kündete er einen weiteren Kredit von $ 20 Milliarden seitens führender US-Grossbanken an Milei an.
Der IWF hatte Bedenken zu den beiden Trump-Krediten geäussert, wie das Wall Street Journal kürzlich festhielt. Natürlich nicht wegen des mit der gigantischen Verschuldung verbundenen Horrors für die Bevölkerung in Argentinien, sondern aus Sorge, die Rückzahlung der beiden US-Kredite würde jene an den Fonds verdrängen. Das würde sein globales «Ansehen» doch stark belasten.
Trumps Kalkül ist aufgegangen, er hat in den argentinischen Wahlen trumpfen können. Die vermeintliche Aussicht auf den Geldregen trübte nach allgemeiner Ansicht das Sensorium der WählerInnen entscheidend, neben anderen Faktoren.
Die Hemisphären-Präsidentschaft
Der kurze Artikel The Hemispheric Presidency: Emergency Powers and the New US Doctrine in Latin America von José Atiles, Kriminologe an der University of Illinois, lohnt die Lektüre. Lateinamerika und die Karibik seien wieder in den Fokus des Weissen Hauses geraten. Es gehe dabei nicht um ein Revival des Kalten Krieges oder der Monroe-Doktrin (Amerika den USA), sondern um eine neue Doktrin, «die Ausnahmevollmachten, Wirtschaftskrieg und Militarisierung zu einer einzigen hemisphärischen Ordnung verschmelzt. Diese aufkommende Doktrin basiert auf der Erweiterung der präsidialen Autorität. Sie steht für die volle Ausdehnung der Theorie der unitary executive[2] (einheitliche Exekutive) oder imperialen Präsidentschaft in den Bereich der Aussenpolitik, ein Versuch, den exekutiven Unilateralismus als organisierendes Prinzip der US-Regierungspraxis zuhause und im Ausland zu normalisieren.»
Die letzten 30 Jahre des Drogenkriegs und des Kriegs gegen den Terror, so der Autor, haben die Ausdehnung der Vollmachten des Weissen Hauses sukzessive durchgesetzt. Das ursprüngliche Ausnahmeregime in der Aufstandsbekämpfung hat sich zum aktuellen Standard entwickelt. «Unter Trump sind die Instrumente» des früheren Ausnahmeregimes wie Sanktionen, Elemente der Aufstandsbekämpfung u. a. «zu einem kohärenten hemisphärischen Projekt zusammengeschlossen.»
«Die Karibik, einst als ‘Hinterhof’ imaginiert, ist zum Theater geworden, in dem die Ausnahmevollmachten als alltägliche Staatspolitik geprobt werden. Der wirtschaftliche Arm dieser Doktrin folgt der gleichen Logik.» Die $ 40-Milliarden-Kreditpakete für Milei dienen «weniger zur Stabilisierung der argentinischen Wirtschaft als der Absicherung eines radikalen neoliberalen Experiments» mit vielen Parallelen zu Trumps Gesellschaftspolitik in den USA.
Parallelen zum Nazismus
Unitary executive hiess bei den Nazis Einheit der Führung, wie sie unter anderen vom Starverfassungsrechtler Carl Schmitt mitbestimmt worden ist. Der Führer verkörpert den Willen des deutschen Volkes (sowie heute Trump jenen der americans) und dominiert deswegen alle staatlichen Instanzen. Auch in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik gibt es eindeutige Parallelen. Franz Neumann hatte in seiner während des 2. Weltkriegs im US-Exil verfassten Analyse der Wirtschaftspolitik der Nazi- und Industrie-Eliten – «Behemoth – Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944» - als Befehlswirtschaft charakterisiert. Das, was heute als «Erpressungspolitik» Trumps bekannt ist, hat viele Elemente von der Nazi-Doktrin wieder aufgenommen, von den Zöllen bis zum staatlichen Dauerangriff auf alle nicht eingebundenen Kräfte. Vergessen wir Trumps «Launen». Neumann analysiert diese NS-Politik als durchdachten Versuch der Eliten, sich mit imperialistischen Kriegen zur Weltmacht aufzuschwingen. Das sollte uns Warnung genug sein, auch wenn die USA heute nicht Deutschland 1933 sind. Die Lektüre des Behemoths kostet Zeit und Aufmerksamkeit und bietet – muss das noch gesagt werden? – keine Blaupause für das Verständnis der fast weltweiten aktuellen faschistischen Mobilisierung. Aber sie hilft uns, wach zu werden.
[1]Die Funktion des «coolen» Bukele in der Trump-Agenda zeigte sich letzten August, als er eine Armeeoffizierin als Erziehungsministerin einsetzte, damit sie, kaum im Amt, Zucht und Ordnung im Erziehungsbereich durchsetze. Schluss mit Frisuren etwa à la Hip-Hop, nur noch anständiger Schnitt und saubere Uniformen sind Pflicht. Beim Betreten der Schule sind die Autoritäten höflich zu grüssen, ungehobeltes Vokabular ist streng verboten. Jeden Montagmorgen sing die ganze Schule die Landeshymne und grüsst die Fahne. Wer mehr als 3 mal getadelt wird, repetiert das Schuljahr. Ein geleaktes Handbuch des Erziehungsministeriums verbietet kategorisch die Verwendung von Begriffen wie Feminismus, Ermächtigung, sexuelle Orientierung, LGBT, Sexualität oder auch nur «todas y todos» (jeder und jede). Ebenfalls des Teufels sind Begriffe wie Klimaschutz oder Hinweise auf oder Zitate aus der Agenda 2030 (UN-Entwicklungsziele) wie Zugang zu Wasser.
[2] Alle Staatsorgane (Parlament, Justiz, Kontrollbehörden etc.) orientieren sich streng an der Politik des Präsidenten. In den vier Jahren der Biden-Administration hat die einflussreiche, trumpistische Heritage Foundation diese Theorie unter dem Begriff Project 2025 im Detail und umfassend und mit praktischen Angaben zum Vorgehen ausgearbeitet. Die liberale These der (relativen) staatlichen Gewaltenteilung oder etwa das Völkerrecht soll damit zu Altpapier werden.
