(zas, 23.2.14) María ist hingerissen, tief bewegt. Beim Telefongespräch
soeben spür ich so etwas wie eine kleine Fassungslosigkeit ob des jubilierenden
Empfangs der FMLN-Karawane in den Ortschaften des Westens des Landes. In zwei
Wochen, am 9. März, kommt es in den salvadorianischen Präsidentschaftswahlen
zum Stichentscheid zwischen dem
Frente
Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN), der ehemaligen
Guerilla, und der
Alianza Republicana
Nacionalista, ARENA, seit den letzten Kriegsjahren bis 2009 erzreaktionäre Regierungspartei.
Am vergangenen 2. Februar erzielte der FMLN rund 49% der Stimmen, ARENA folgte
auf Platz 2 mit 39% und einem Abstand von fast 270'000 Voten auf die 1.3
Millionen des Frente. Die weitere Rechtsallianz
Unidad um den ehemaligen Staatspräsidenten Tony Saca (Ex-ARENA)
schaffte es mit 300'000 Stimmen auf Platz 3.
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Warten auf die Karawane. Quelle: FMLN |
Es war absehbar, dass lang nicht alle WählerInnen Sacas zu ARENA migrieren
würden. Zwischen den beiden Rechtslagern herrscht mehr als nur Zoff. Während
ARENA nach wie vor die Partei der Oligarchie ist (mit Massenanhang),
wirtschaftete die Emporkömmlingsgruppe um Saca während ihrer Regierungszeit
(2004-09) fleissig in die eigene Tasche. Die Folge: Die eine Krähe hackt der
andern ein Auge aus. Als ARENA nach ihrer Wahlniederlage 2009 gegen die Allianz
des Frente mit der Gruppe um den Präsidentschaftskandidaten Mauricio Funes Saca
zur Partei raus warf, revanchierte sich dieser, in dem er einen Teil der
ARENA-Parlamentsfraktion zum Absprung in seine neue Partei bewegte. ARENA
verlor damit ihre Vetomacht im Parlament. Die Folge: Die feindlichen Brüder
hassen sich. Kommt aber ein wichtiges Element für das Verstehen der
WählerInnentendenz hinzu: Viele derer, die am 2. Februar für Saca stimmten,
taten dies im Glauben, dass der die Sozialreformen der Regierung FMLN/Funes
fortsetzen werde, ohne gleich so "extremistisch" zu sein wie der
FMLN. ARENA glaubt dies ein kleiner werdender Teil.
Ein Sieg des Frente im 2. Durchgang wurde damit wahrscheinlich. Sämtliche Umfragen
der letzten Tage ermitteln für den FMLN einen Vorsprung von zwischen 9 und 18
Punkten. Dass ARENA diese Differenz in der bis zur Wahl verbleibenden Woche noch
aufholen könnte, ist eigentlich nicht vorstellbar. Dies trotz ihres sichtbar werdenden
Versuchs, einen beträchtlichen Wahlbetrug zu organisieren – dazu weiter unten.
Das Schulpaket…
María sagt, in Sonzacate etwa, einem Städtchen im Westen, habe die Stimmung heute
an einen friedlichen "Aufstand" erinnert. Wegen der Massenhaftigkeit
der Leute, die herbei geströmt waren, um "Salvador y Óscar", die beiden
FMLN-Kandidaten für Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft, zu begrüssen. Wegen
der Klarheit und der Vehemenz ihrer Aussagen. Und wegen Leuten wir jener Grossmutter,
traditionelle ARENA-Wählerin, die ihr sagte:
"Ich stimme für Salvador wegen der Schulpakete". Salvador
Sánchez Cerén, ein früherer Obercomandante der Guerilla, hatte als
Erziehungsminister nicht bloss die Abschaffung aller Schulgeldquoten abgeschafft,
sondern Uniformen, Schuhe, Schulmaterialien, Mittagessen und seit zwei Jahren
zunehmend ein Glas Frischmilch für alle Schulkinder durchgesetzt. Noch ist das
nicht alles flächendeckend, aber der Grossteil der Schulkinder ist erreicht und
die, die es noch nicht sind, werden in naher Zukunft in den Genuss dieser
Unterstützung kommen.
Und ein "Detail": Sánchez Cerén, dem alten
Gewerkschaftsorganisator, war es besonders wichtig, dass die Schuhe von
SchuhmacherInnen, die Uniformen von Selbstständigen und KMUs hergestellt und das
Mittagessen von Mütterkollektiven der betreffenden Schule zubereitet werden. Die
Idee war nicht, ein Masseneinkauf bei McDonald oder Pollo Campero oder bei
Adoc, dem langjährigen Schuhmonopolisten, der mit seinen Importen das noch vor
einigen Jahrzehnten blühende Schumachergewerbe des Landes praktisch zum
Verschwinden gebracht hatte. Und die Schuluniformen sollten nicht in der
Maquila der Freien Produktionszonen hergestellt werden, sondern von selbstständigen
oder in KMUs arbeitenden SchneiderInnen, die fast wie die Schumacher zur
bedrohten Spezies geworden waren. Rund 1.4 Millionen Kinder kamen so zu ihrem
Recht und rund 110'000 Stellen - vom Schuhmacher bis zur kochenden Schulmutter –
konnten so geschaffen werden.
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Schuhe für die Kinder. Quelle: El Mundo |
Dieses und andere Sozialprogramme haben eingeschlagen! Wer meint, besonders
kritisch zu sein und dabei von Assistenzialismus sprechen zu müssen, hat so gut
wie nichts begriffen von der gesellschaftlichen Lage der Unterklassen in diesem
und in anderen Ländern. Und verwechselt ein Reformprojekt mit subversiver Tendenz
mit einer Weltbankförderung eines US-Foodgiganten. Verrät die eigene
klassenspezifische Brutalität, nicht Blindheit. Egal, in wie linke Worte die
miese Botschaft gekleidet wird. Und ist von der gesellschaftlichen Bewegung
abgehängt.
…und der Flügelschlag
Die Grossmutter, von der María erzählt hat, versteht das besser. Und viele,
viele andere im Land. Mach Taten, nicht nur schöne Worte, für die Kinder, und
die Leute antworten.
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Schulessen. Quelle: transparenciaactiva.gob.sv |
Damit hängt der von María erwähnte "Aufstand"
zusammen. Ein Aufstand des Bewusstseins, des Erkennens. Noch vor wenigen Jahren
glaubten viele, wenn der FMLN an die Regierungsmacht gelange, verbrenne er als
erstes alle Bibeln, schicke die Kinder zur Gehirnwäsche nach Kuba und nehme dir
die Hälfte deines mickrigen Besitzes weg. Unvergesslich die Episode, als ein
Compa und ich einige Tage nach dem Wahlsieg 2009 was einkaufen gingen im Kleinladen
von Doña Alicia, einer Nachbarin, die wir beide seit vielen Jahren kannten.
Ängstlich fragte sie uns, ob der FMLN ihr jetzt die Hälfte ihrer
tiendita, ihres Ladens, wegnehmen würde.
Es war zum Weinen. Ich weiss nicht, ob und wie Doña Alicia jetzt gewählt hat,
aber sicher ist, dass sie sich um ihren Besitz keine FMLN-Sorgen mehr macht. Und
auf dem Land wissen die Leute, dass ihre Bibeln sicher sind und die
Landwirtschaft, heruntergewirtschaftet in den neoliberalen Jahren, jetzt wieder
zulegt – praktische Selbstversorgung bei Maís und Bohnen, zunehmende
Selbstversorgung bei Reis und anderen Grundnahrungsmitteln, Selbstversorgung der
jetzt in den Händen von Kooperativen liegenden gentechfreien Saatgutproduktion,
sehr zum Leidwesen der US-Botschaft, die von einer "Diskriminierung" von
Monsanto spricht.
Nein, es ist nicht der Durchbruch zur "wissenschaftlichen
Klassenanalyse" und ihrem gehobenen Bewusstsein, den einige als
Voraussetzung vernünftigen Handelns beschwören. Aber du spürst die ersten
Flügelschläge des Schmetterlings.
Die Angstkampagne und die
Schwulenhatz
Nur zwei Beispiele, die das mit dem "Aufstand" etwas näher
bringen. In altbewährter Manier führte ARENA eine Angstkampagne, um die Wahlen
zu gewinnen. Die grossen Medien schossen aus allen Rohren und beschworen mit
ARENA die Unsicherheit, die Kriminalität, die Brutalität der
maras, der sogenannten Strassenbanden. ARENA-Kandidat
Normán Quijano "versprach" eine enorme Militarisierung. Rechte
US-ParlamentarierInnen warnten, in den salvadorianischen Medien bombastisch
wiedergegeben, vor einer Achse FARC-Venezuela-FMLN-Drogenkartelle-
maras. Kommandos der "sozialen
Säuberung" legten Mitglieder einer Strassenbande um, um die Tat der
konkurrierenden Gang in die Schuhe zu schieben. Im Januar stieg die tägliche Mordrate,
die unter der Funes-Regierung im Rahmen eines allerdings undurchsichtigen, von
der OAS unterstützen Pakts zwischen den Gangs markant gesunken war, steil an.
Die klassische Psychotisierungsschiene also. Nur dass sie jetzt zum ersten Mal
nicht funktionierte. Viele Leute haben eine Abscheu vor dieser Art perverser
Leichenfledderei entwickelt, sie wollten Inhaltliches hören, keine
Angstkampagne. Die FMLN-Kampagne mit ihrer eher inhaltlichen Ausrichtung, die
nicht primär auf das pure Heruntermachen der andern ausgerichtet war, konnte da
viel mehr punkten. Es tut sich was im Land, unterschwellig.
Das andere Beispiel: Noch vor jeder Wahl kommt ARENA mit einer Forderung zur
noch schärferen Bestrafung jeglicher Abtreibung und zur Verfassungsverankerung
des Verbots schwuler Ehen. Das letztere ein Punkt, der auf keiner Agenda einer
LGTBI-Organisation steht, die sich vielmehr mit einer von Schwadronen gesteuerten
Mordserie an ihren Mitgliedern und anderem auseinandersetzen müssen. Aber ein
wochenlanges Dauerbombardement in den Medien, ein vehementer Einsatz insbesondere
der katholischen Kirchenleitung gegen Schwulenehen etc. sollen die Linken im
Wahlkampf desavouieren. Auch dieses Mal startete ARENA den Versuch. Er ging nach
dem 2. Februar klanglos unter: Nur 18 Abgeordnete stimmten dafür, das Thema zu
behandeln, selbst Rechte winkten ab und meinten, man solle sie mit diesem
Quatsch nicht länger belästigen. Man musste die Nachricht in den Medien schon
fast suchen. Vor wenigen Jahren war das noch unvorstellbar.
Ein Schuft und Küchenschürze versus reale
Reformen
Die Leute wachen auf. Deshalb hat heute der FMLN reale Siegeschancen. Noch
2009 wäre es chancenlos gewesen, mit einem früheren Guerillacomandante
anzutreten. Es brauchte damals die Verlockung des populären Journalisten und
Kandidaten Mauricio Funes und seiner Gruppe, um zu gewinnen. ARENA scheint
diese Schlacht zu verlieren. Zwar hat sie seit dem 2. Februar die Angstkampagne
aus Dauerthema vordergründig an den Nagel gehängt, befleissigt sich einer
moderaten Sprache und will alle Reformprogramme der Regierung nicht nur
fortsetzen, sondern "verbessern" – mit Hilfe von zwei (nach
Oligarchen benannten) Stiftungen, wie Quijano ungeschickt ausführte -, allein,
wer nimmt ihr das noch ab? Auch dass sie soeben Paco Flores, einen früheren
Staatspräsidenten, der gerade noch als Chefberater ihrer Kampagne figuriert
hat, von der Parteimitgliedschaft suspendiert, kommt wohl einige Monate zu
spät. Flores, unter dessen Präsidentschaft 2001 die Totaldollarisierung durchgesetzt
wurde, wird jetzt auf von der Polizei gesucht. Parlamentarische
Ermittlungsverfahren sorgen seit Monaten für Schlagzeilen wegen einer
kriminellen faktischen Privatisierung der Geothermie an die italienische Eni
und dem Raub von taiwanesischen Schenkungen, die sich laut neuesten Angaben auf
fast $ 100 Mio. belaufen. Sozialprogramme auf der einen Seite, ein Schuft auf
der andern – selbst langjährigen ARENA-AnhängerInnen kommen immer mehr Zweifel
auf.
Wenn Quijano im Wahlkampf an Frauen Küchenschürze verteilt, kontrastiert
dies z. B. mit dem Reformprogramm
Ciudad
Mujer. In sechs von 14 Departementen konnten 150'000 Frauen in grossen speziellen
Zentren Unterstützung suchen etwa bei Problemen der ehelichen Gewalt,
Kreditbedarf, Berufskursen oder Schulung zu reproduktiven Rechten und
Gesundheit. Ein Programm, das schrittweise auf alle Departemente ausgeweitet
und dort dezentralisiert werden soll. Und das, wie an seiner Popularität und an
der Unterstützung durch feministische Organisationen abzulesen ist, für viele
Frauen schon ein reales Hilfsmittel darstellt.
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Computerkurse in einer Ciudad Mujer. Quelle: El Mundo |
"Kleine" Dinge, aber mit einem Aufwachen an vielen Orten. Etwa bei
der Ausarbeitung von Vorschlägen für das Regierungsprogramm des FMLN. 200'000
Menschen hielten schriftlich ihre Vorschläge fest, 85'000 nahmen an thematischen
Workshops im ganzen Land (und in der Diaspora) teil. Fruchtbare Diskussionen
gab es oft bei den Hausbesuchen während der Kampagne, die einen Grossteil der
Haushalte abdecken konnten. Wer selber einen Vorschlag für eine
Regierungspolitik formuliert, bekommt ein anderes Verhältnis zum Ganzen, wenn
sie/er sieht, dass darauf eingegangen wird.
Versuche des Wahlbetrugs
ARENA also versucht sich jetzt als Wolf im Schafspelz. Mutmasslich mit wenig
Erfolg. Alte Touren kann sie aber nicht lassen. Zum Beispiel jene eines
Wahlbetrugs. Vorausgeschickt sei, dass es zum ersten Mal in dieser Wahlkampagne
keine Ermordeten (sonst meist des FMLN) gegeben hat und es am Wahltag fast
nicht zu Hinweisen auf eine massenhafte Wahlbeteiligung von Toten oder aus den
umliegenden Ländern heran gekarrter Nicht-SalvadorianerInnen gekommen ist. Offenbar
hatte ARENA einen Umstand zu wenig analysiert, und zwar, dass jetzt zum ersten
Mal nicht mehr mit verfallenen Personalausweisen (DUI, Documento Único de
Identidad), gewählt werden kann. Zuvor hatte das rechts dominierte Parlament
noch jedes Mal eine "Sonderregelung" durchgewunken, welche die
verfallenen DUI bis zum Tag nach der jeweiligen Wahl wieder für gültig erklärt
hatte. Nach Kriegsende 1992 war es möglich gewesen, einen gültigen
Personalausweis ohne Vorlegen einer Geburturkunde zu erhalten. Es reichte, dass
zwei ZeugInnen die Identität der Antragsstellenden bekräftigten. Die so
erwirkten Ausweise wurden also bis zur Kommunalwahl 2012 jeweils verlängert.
Heute sind im Wahlregister von nicht ganz 5 Millionen Menschen 675'000 mit
verfallenem DUI aufgezählt, die also nicht wählen können. Zwar kann der Ausweis
erneuert werden, doch jetzt nur unter Vorlage einer Geburtsurkunde. Das
schliesst eben weitgehend aus, dass Tote (die noch immer nicht voll aus dem
WählerInnenregister entfernt sind) wählen oder dass die Identität von in die
USA Ausgewanderten von Phantomen (MehrfachwählerInnen) übernommen wird. Der FMLN-Sprecher
Roberto Lorenzana hat kürzlich die Zahl von 200'000 mutmasslichen
"übernommenen Identitäten" genannt.
Ein parlamentarischer ARENA-Vorstoss nach dem 2. Februar, diese verfallenen
DUI doch wieder zuzulassen, scheiterte klar, ebenso wie die entsprechende
Kampagne vor dem 2. Februar. Nicht zuletzt die von ARENA abgefallene Fraktion
verweigerte ihre Zustimmung im Wissen, dass dies einen Wahlbetrug zugunsten von
ARENA ermöglichen würde, wie einige ihrer ExponentInnen, aus eigenem
Erfahrungsfundus schöpfend,
FMLN-Kadern sagten.
Dennoch: ARENA hat bei verschiedenen Banken Geld für die
Erneuerung
von 100'000 DUI einbezahlt. Der Frente geht davon aus, dass die Partei
versuchen wird, damit wie früher etwa ausländische ErntearbeiterInnen
auszustatten (nahe des Grenzübergangs Las Chinamas hatte auch schon ein
DUI-Apparat Ausweise für gerade eingereiste ErntearbeiterInnen aus Guatemala angefertigt…).
Allerdings dürfte solchen Betrugsmanövern eine für ARENA empörende Grenze
gesetzt sein: Sie hat nicht mehr die Regierungsmacht inne, nicht alle Teile der
verschiedenen Regierungsapparate – vom EinwohnerInnergister bis zur Polizei –
gehorchen ihr heute aufs Wort.
Ein anderes gravierendes Betrugsmanöver wird von Unternehmen betrieben.
Manche Grossunternehmen inklusive Filialen von Multis versuchen auf
verschiedene Weise, ihre Belegschaft zur ARENA-Wahl zu zwingen. Viele drohen
auch, bei einem FMLN-Sieg die Produktion einzustellen (unmittelbar nach dem 2.
Februar entliess der Telekommmulti Digicel 20 oder 40 Angestellte mit Verweis
auf das ungünstige Resultat vom Vortag – eine Kunde, die sich rasch verbreitete).
Wieder andere Unternehmen verunmöglichen ihren Belegschaften die Stimmabgabe,
indem sie sie widerrechtlich zu Extraarbeit am Wahlsonntag einziehen.
Dennoch: Alles in Allem scheint es sehr fraglich, dass ARENA mit Kampagnenlügen
und sonstigen Betrugsmanövern das Ruder herumreissen kann.
Aufstand und Grenzen
Natürlich ist bei einem FMLN-Sieg nicht alles in Butter. Sánchez Cerén und
die Partei sprechen nicht zufällig andauernd von einer grossen nationalen
Konzertation von Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften. Heute trifft sich ein
Kaffee-Oligarch und ehemaliger ARENA-Parteichef, Antonio Salaverría, mit den
FMLN-Kandidaten, übt scharfe Kritik an seiner eigenen Partei und unterschreibt nach
dem 2. Februar mit dem Frente und Kaffeegremien einen Pakt für die
Wiederbelebung des extrem kriselnden Kaffeesektors. Das ist nicht gratis zu
haben. Dennoch sollte man nicht vorschnell Wörter wie Verrat oder neue Bourgeoisie
in den Mund nehmen. Vielleicht hilft es, sich an das alte Wort von Sánchez
Cerén zu erinnern, der immer wieder gesagt hat, der Frente geht soweit im Kampf,
wie die Leute gehen. Er wird ihnen nicht in den Rücken fallen, sich aber auch
nicht "radikal" von ihnen absetzen. In El Salvador sind wir (wie auch
sonst nirgends) noch lange nicht bei der Vergesellschaftung der Re/Produktion
und der Entmachtung der Bourgeoisie, aber einen Schritt näher an einer solchen
Utopie. Ähnliches gilt für die Beteuerung des Wunsches nach einer strategischen
Beziehung mit Washington (aber auch mit Südamerika): Rund ein Viertel der SalvadorianerInnen
lebt in den USA, viele davon ohne Rechtsstatus. Eine gezielte Verfolgung dieser
Massen und ihre Deportation nach El Salvador würde dort Chaos bedeuten – nur schon,
weil immer noch viele Familien von den Überweisungen ihrer Angehörigen in den
USA abhängen. Dies trotz des Rückgangs der Armut in den Jahren der
Funes/FMLN-Regierung um 11 %.
Kommt hinzu, dass es auch im FMLN unterschiedliche Vorstellungen gibt. Das
geht von einer den Sozialkampf betonenden Haltung bis zu Reformvorstellungen,
die mir von neoliberalem Gedankengut gefärbt zu sein scheinen. Da liegt viel
Zündstoff. Aber bisher stimmt die Dialektik: Der Frente öffnet Räume, auch mit
seinem Handeln in der Regierung,
und die
Leute, viele Leute, beginnen, sich diese anzueignen, selbstverständlich zu
machen, und damit den FMLN wiederum zu verpflichten.
Grund zur Hoffnung.
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Kandidat Sánchez Cerén heute im Westen des Landes. Quelle: FMLN. |