El Salvador: Vom grossen Unterschied

Mittwoch, 5. Februar 2014





(zas, 5.2.14) Am Morgen des Donnerstags, 30. Januar, lese ich den letzten Artikel der Dozentin an der Jesuitenuniversität, der Frau, die wir auch schon an Solidaritätstreffen in Deutschland eingeladen haben.  Voller Abscheu zitiert sie den Chef der Partei FMLN, der früheren Guerilla. Medardo González hatte für den Abend der Präsidentschaftswahlen vom 2. Februar 2014 eine Siegesfeier am Masferrer-Platz angekündigt, hoch oben im Bourgeoisquartier Escalón. Der Platz sei nun, so González, „unser politisches Zentrum“. Das konnte die Frau, die gerne mal den Che als Argument für aufrechte revolutionäre Guerillamoral gegen den „verbürgerlichten FMLN“ anbringt (leider hatte sie in den 20 Jahren bewaffneter Kampf in El Salvador keine Minute frei in den 20 Jahren , um sich dem edlen Tun widmen), nicht hinnehmen.
Am Abend ein hektisches Vorbereitungstreffen des FMLN für den 2. Februar. Ein Compañero orientiert:  „Falls das Wahlgericht aufgrund von Übermittlungsbetrug gefälschte Resultate veröffentlichen sollte, bleiben wir soviele Tage und Nächte wie nötig auf dem Masferrer-Platz, bis das korrigiert ist. Wir werden nicht unten in der Stadt blockieren, wo das Volk ist, sondern mitten unter ihnen.“ Die Erinnerung an 2006 steigt hoch. Es hatte 3 Tage und Nächte Massenbesetzung des Hauplatzes „unten in der Stadt“ und eine Demo hinauf zum Hotel gebraucht, in dem das damals rechts beherrschte Wahlgericht TSE agierte, um einen rechten Wahlbetrug in der Hauptstadt zu neutralisieren. Ich war im TSE-Hotel, als dort die Info die Runde machte, die Frente-Demo –weit weg noch – sei gestartet. Ein eindrücklicher Moment: Panik in den Gängen des Nobelhotels, die Bourgeois liessen stehen, woran sie gerade waren, beendeten das joviale Gespräch mit dem Kollegen, der Freundin abrupt, rannten zu ihren Wagen und brausten im Formel-1-Tempo weg – noch weiter den Berg hinauf. Das war 14 Jahre nach Kriegsende, und die Angst vor dem Frente,  sass ihnen, sonst doch  so selbstsicher, immer noch tief in den Knochen. Trotz massenhaftem Polizeiaufgebot rund um das Hotel.  
Und jetzt also drohte der Elite, den Pöbel direkt vor der Residenz und der Nobelbeiz zu haben.
An solch Nebensächlichkeiten aber mag sich unsere Professorin nicht aufhalten. Deshalb wird sie wohl auch nie des Moments gewahr werden, als nach den Worten des Compa sich ein Schatten der Angst, der Nachdenklichkeit  auf die Anwesenden legte. Statt ihre Rolle als neue Bourgeois zu hinterfragen, dachten die anwesenden mittleren Kader wohl eher an die Gefahr bewaffneter Angriffe, an Polizeibrutalitäten, an verstopfte Klos, an weitere Tage der Erschöpfung, an weitere Trennung von Kindern, PartnerInnen, wem immer, was immer. Die Professorin aber dachte an die Revolution.
Spät am Abend, nach der Auszählung der Resultate, als wir auf die Kopien der Übermittlungsakten mit den Resultaten warteten, hatte es endlich Zeit für ein Gespräch mit ein paar Compas der Bewegung der unabhängigen StrassenverkäuferInnen. Ein alter Kumpel unter ihnen. Wir wussten schon, dass wir es wohl nicht ganz geschafft hatten, die Hälfte aller abgegebenen Stimmen zu gewinnen (es waren rund 49 %), dass es also am 9. März zum Stichentscheid zwischen ARENA und FMLN kommen würde. Die Enttäuschung war klar. Gerade sie hatten unter dem Kandidaten der früher regierenden Rechtspartei ARENA, Normán Quijano, schwer gelitten. Er hatte vor zwei Jahren  als Bürgermeister der Hauptstadt einen Teil des Stadtzentrums brutal von den StrassenverkäuferInnen „säubern“ lassen und hunderte, wenn nicht tausende Haushalte in existenzielle Not getrieben. Diese Leute wussten, was für einer Quijano ist und für was er steht. Und in ihren Ohren tönt nicht so fremd, was der FMLN-Generalsekretär drei Tage vor der Wahl gesagt hat: „Ein Wahlsieg über ARENA eröffnet nicht nur die Perspektive auf die Vertiefung bisheriger Reformen, sondern auf den Beginn einer sozialen Revolution.“ Was der Analytikerin von der UCA dummes Geschwätz ist, ist ihnen Teil einer eigenen Dialektik. Deshalb sind sie hier, im roten FMLN-Leibchen, und „verteidigen die Stimme“ in der Feria, dem klassischen Wahltreff der Oligarchie. Lidia, mit den Zeichen vieler Schläge und Entbehrungen im Gesicht, betrachtet die jungdynamischen Gockel von ARENA, deren klassenarrogantes Auftreten erst durch die herein sickernden nationalen Resultate etwas gedämpft wurde, und stösst zwischen ihren Lippen hervor: „Y volveremos a darles verga el 9 – und wir werden sie am 9. [März] erneut schlagen.“ Blinde bekommen diesen Klassenkampf perfekt mit. Aber wer nicht sehen will, wird ihn stets irgendwo anders verorten, nur nicht dort, wo er eine/n selbst aufrufen könnte.
ARENA hat das schlechteste Resultat ihrer Geschichte eingefahren und liegt mit 39 % 10 Punkte hinter dem FMLN zurück. Die zweite relevante Rechtspartei bzw. –allianz, Unidad, um den ehemaligen ARENA-Staatspräsidenten Tony Saca sonnt sich nun mit etwas mehr als 11 % in der Rolle der Königsmacherin. Zwei weitere rechte Miniparteien haben dagegen das Ziel ihrer Träume erreicht: Sie dürfen nun um etwas Unternehmerdólares und ein paar Pöstchen in einer allfälligen ARENA-Regierung schachern. Der Spielraum für Saca respektive seine Allianz Unidad ist aus einem einfachen Grund nicht so gross, wie es aussieht: Saca steht – er ja –für eine neue Bourgeoisie, die unter seiner korrupten Regierung mit Staatsaufträgern reich geworden ist. Statt alles Geld in die Kassen der Transnationalen und der paar oligarchischen Gruppen zu leiten, haben diese Unternehmer unter der Saca-Regierung den Staat fleissig zum eigenen Vorteil geplündert. Das hat ihnen seitens der geprellten traditionellen Nutzniessern solcher Praktiken, den oligarchischen Kapitalgruppen, die ARENA beherrschen, den empörten Vorwurf der Korruption und den Parteirausschmiss nach der Präsidentschaftsniederlage von 2009 einbracht. Man hasst sich nun gegenseit5ig. Saca hat allen Grund, sich vor einer allfälligen ARENS-Regierung zu fürchten, die ihm ans Leder will. EinigeSchätzungen besagen, dass –relativ unabhängig von 2. Rundenverhandlungen der Führung, etwa die Hälfte des Unidad-Elektorats für ARENA, ein Viertel zuhause bleiben und ein weiteres Viertel für den FMLN stimmen wird – letzteres insbesondere aus der Gewissheit heraus, dass unter ARENA eine Reihe lieb gewordener sozialer Reformen beendet oder deformiert würden.  Die 300‘000 Unidad-Stimmen entsprechen ungefähr der Differenz zwischen Frente und ARENA (1.3 : 1 Mio.), so dass mit einem Vier4tel der Unidad-Stimmen bei sonst ähnlichen Verhältnissen wie letzten Sonntag der Frente gewinnen so9llte.
Das weiss natürlich auch ARENA. Es ist damit zu rechnen, dass sie ihre Angstkampagne der letzten Wochen nochmals steigern wird, einbegriffen eine weitere Eskalation der täglichen Mordraten, di e in den letzten beiden Jahren auf ungefähr die Hälfte der früheren Zeit gefallen waren; Resultat eines sehr undurchsichtigen „Waffenstillstandes“ zwischen den grossen Strassenbanden oder maras, unter Leitung eines von Staatspräsident  Funes zum Sicherheitsministers berufenen Generals und unter Beteiligung des Organisation der Ameri8kanischen Staaten. Ein relevanter Teil dieser maras lebt vom Terror in der Bevölkerung (Erpressungen, Morde, etc.) – vergleichbar bis zu einem gewissen Grad den Warlords aus anderen Regionen – und bedurfte z. B. für seinen Machtausbau der Waffenlieferungen durch die von ARENA-Grössen kontrollierten privaten Sicherheitsagenturen. Die Annahme, dass nun ein Teil dieser maras von ARENA für weine weitere Mordeskalation instrumentalisiert werden könnte, um so die Unfähigkeit oder gleich Komplizenschaft des FMLN in Sachen maras zu „beweisen“, ist nahe liegend. Schon im Januar waren die Medien – überwiegend in der Hand von Kapitalgruppen - übervoll mit Meldungen von Mord und Gewalt. Eine Gewaltwelle, der laut eigenem Bekunden nur „ein einziger“, nämlich er selber Herr werden würde, wie Quijano in Werbespots sagte. Wie? Mit einer generellen Militarisierung des Landes – Musik in Ohren der US-Botschaft, der es nicht schnell genu7g gehen kann, auch El Salvador, wie schon Honduras und Guatemala, in den „Drogenkrieg“ von den Anden bis nach Mexiko zu reissen. Der FMLN betont dagegen die mano inteligente im Gegensatz zur gewohnten „harten Hand“, also die Kombination von zweifellos nötiger polizeilicher Repression mit dem comunidad-nahen Aufbau realer Alternativen für die Kids in den Elendszonen des Landes. Kein Wort von Armee, somit des Teufels.
In den nächsten Tagen wird sich zeigen, in welche Richtung ARENA genau operieren wird. So oder so: Die Rechte wird es schwer haben, die Tendenz zu einem FMLN-Wahlsieg umzudrehen. Der FMLN lag in 13 von 14 Departementen vor ARENA und hatte, nach der wichtigen Schlappe bei den Gemeindewahlen von 2012, auch wieder im Grossraum San Salvador die Nase vorne. Selbst in der Hauptstadt, wo wir das letzte Mal mit über 20 Punkten im Hintertreffen waren, konnte der Frente den Abstand nun auf 7 Punkte verringern (was aber immer noch auf massive Probleme mit den unteren städtischen Mittelschichten inklusive formalert ArbeiterInnenklasse hinweist).
Interessant der Hinweis auf die niedrige Wahlbeteiligung von 53 %, die in allen rechten Medien unterstrichen wird.  Real ist sie einiges tiefer. Zum einen, weil trotz beträchtlicher Aktualisierung immer noch Tote im WählerInnenregister drin sind, zum anderen aber vor allem, weil viele der Emigrierten unmöglich fürs Wählen ins Land zurückkehren können und das Wahlrecht für die AuslandsalvadorianerInnen zwar gesetzlich etabliert, aber real erst für einen winzigen Teil in den USA wirksam ist. Möglicherweise ergeben genauere Analysen tatsächlich die von den Medien geradezu propagierte Wahlabstinenz insbesondere von Jugendlichen als Folge einer so genannten Politikverdrossenheit. Bei einem Treffen unserer Delegationen mit FMLN-Leitungsmitglied Roger Nerio Blandino meinte dieser vor wenigen Tagen, die Jugend sei immer „nobel“, und wenn ihr weis gemacht werden kann, dass „die Politiker“ sowieso alle ein- und dasselbe wären, würden viele Kids eben nicht stimmen gehen, um sich die Hände nicht dreckig zu machen. Das Geschimpfte über die „Clasen Politika“, in der alle unterschiedslos gleich korrupt sind, ertönt seit Jahren aus vollen medialen Rohren, repetiert  von der von der US- und den europäischen Botschaften unterstützten „Zivilgesellschaft“, die sich selbst als Hüterin der Stimme der Stimmlosen verkauft  – faktisch gegen den FMLN. Da landen wir wieder bei der UCA-Professorin und ihresgleichen, die sie alle so angetan sind vom exquisiten Klassenkampf. Einen „Klassenkampf“, der Recht behalten, nicht verändern will, in dem Unterklassen zwar in den Liedern und den Klassikerzitaten idealisiert werden, aber im Konkreten nur als von einer neuen Bourgeoisie Verführte auftreten dürfen.
Nur dumm, dass sich die Leute und, ja, ihre Partei, der FMLN, nicht gross um solch Bezirzendes kümmern, sondern schon wieder an der Vorbereitung der nächsten Kampfes sind, der die Rechte ein Stück weiter von der absoluten Macht entfernen und damit die Tür ein Stück weiter für das öffnen soll, was auch als soziale Revolution bezeichnet werden kann – im salvadorianischen Abschnitt der globalen Auseinandersetzung, die noch vieles braucht, bis wir zur Befreiung durchbrechen, diesem langen Prozess, in dem Neues im Alten entsteht, das nicht deshalb, weil es im Alten entsteht und lange, bis zur globalen Veränderung, auch dessen Züge tragen wird, wertlos ist.  


so gar keinen Unterschied mehr zwischen Frente und Eliten ausmachen können. Jede Stimme, die dem Frente ab geworben werden kann, ist ein Gewinn für die rechte Meute und ihr Projekt eines brutalen Sozialkriegs von oben.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wo die Rechte ideologisch hegemonial ist, bleibt einer Linken nichts anderes, als aus manchmal sehr minoritärer Position heraus zu agieren.