"Quantensprung in der Führung"

Sonntag, 27. Mai 2012



(zas, 27.5.12) Es gehört sich so: Hier diskutieren die Herrschenden, dort unterhalten sie oder peitschen sie ein. Hier die Weichenstellung, dort die Massenmedien.

Vor dem elitären Petersen Institute on International Economics, Washington, erklärte Jean-Claude Trichet, bis November 2011 EZB-Chef, am 17. Mai 2012: „Wir sollten weiter in Richtung eines Quantensprungs in der Führung gehen, der für die europäische Integration nötig ist, sowohl hinsichtlich der fiskalischen wie der wirtschaftlichen Politik, welche Wettbewerbsfaktoren beeinflusst. Wendet ein bestimmtes Land [des Euro-Raums] die Empfehlung, die via EU-Kommission und EU-Rat aus dem Zentrum kommt, nicht an, sollten wir die föderative Ausnahmeführung aktivieren“. Etwa, wenn zwecks Sanierung des Euro-Raums eine Mehrwertsteuererhöhung gegen den Willen eines nationalen Parlaments durchgesetzt werden muss, wie Trichet erläutert. Eine Protektoratsregelung, die nur einen logischen Schritt aus dem EU-Fiskalpakt darstelle, der ja schon dieses vorsehe: „Wenn das Parlament sich nicht korrekt benimmt, büssen wir das Land. Weil das Parlament nicht für die Massnahmen, die für Land A oder B als nötig für das erachtet werden, was ganz Europa als angemessen betrachtet, gestimmt hat“.
Trichet sagt, aus Gründen der Demokratie müsse das EU-Parlament diesen Ausnahmefällen zustimmen. Ein Parlament ohne Vorschlagsrecht für die EU-Finanzen, aber mit der Hoheit, nationale Parlamente bzw. dahinter die „falsch“ wählende oder sich auch im Parlament durchsetzende Bevölkerung fürs Kapitalwohl auszuhebeln.

Das mit höchstkarätigen atlantischen Wirtschaftspolitikern besetzte Publikum verstand Trichet bestens. C. Fred Bergsten, Petersen-CEO und einflussreicher US-Ökonom, beglückwünschte den Zentralbanker: Die EZB habe „als Europas entscheidende Wirtschaftsführerin“ gehandelt, „ihr Ziel war nicht so sehr die Überwindung der Krise in kurzfristigem Sinn, als vielmehr, diese zu benutzen, um fundamentale Anpassungen in Schuldnerländern zu fördern“.

Was uns erklärt, warum die explosive Äusserungen Trichets in den europäischen Medien kaum gewürdigt wurden. Wozu auch das tumbe, potenziell rebellische Volk vor der Zeit über kommende Torturen informieren?
Ähnlich wurde übrigens ein deutscher Vorschlag mit gleicher Stossrichtung medial entsorgt, den die Financial Times am 27. Januar 2012 veröffentlicht hatte. Danach sollte zwecks vorrangiger Garantierung der Schuldenzahlung Griechenlands ein „von der Eurogruppe eingesetzter Budgetkommissar“ den griechischen Staatshaushalt bestimmen. Reale Vorgänge der Macht werden nicht oder nur dosiert und verfälscht vermittelt.