Paraguay: Die Interessen hinter dem Sturz von Lugo

Dienstag, 26. Juni 2012


Ein wichtiger Beitrag eines paraguayischen Journalisten zur Analyse des parlamentarischen Putsches, der insbesondere auch ein Licht auf die Rolle vor allem von Monsanto, aber auch der Schweizer Syngenta wirft. Dazu noch eine Einschätzung von Atilio Borón zu den Gründen für den Putsch und gravierenden Fehlern in der Politik Lugos und einige Kurzinformationen zum anrollenden Widerstand gegen die rechte Regierungsusurpation.
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Asunción, 25.6.12: Protest gegen Putsch

 Die Interessen hinter dem Sturz von Lugo

Idilio Méndez Grimaldi*

Das Interessengemenge beim Sturz von Fernando Lugo spies sich aus drei Quellen: den Multis des Agrobusiness und des Finanzsektors, der landbesitzenden, mit dem transnationalen Kapital verbündeten Oligarchie, und der Rechtsparteien. Alle mit US-Patronage.
Die strategischen Ziele sind: Wiedererrichtung einer ausschliesslich von der Rechten gestellten Demokratur, mit Unterstützung der USA und einiger europäischer Staaten wie zu Zeiten des Kalten Krieges; Einkesselung und Kriminalisierung der Linken und der Sozialbewegungen; Weiterführung der ausschliesslich primären Agrarproduktion für den Export mit unbeschränkter Verzögerung der Industrialisierung; gewalttätige Konsolidierung der „Entbäuerung“ des Landes.
Geostrategisch wird Paraguay rasch ein jedes Mal schwerwiegenderes Problem für Brasilien und das Potenzial der Unión de Naciones Sudamericanas (Unasur). Es tendiert dazu, sich als strategische Operationsbase der USA im Kampf um die Kontrolle von Südamerika zu konsolidieren.
Die Unión de Gremios de Producción, UGT, die die mechanisierten Produzenten des Landes organisiert, aber in der Praxis als Refugium für Grossgrundbesitzer, Spekulanten und Landrentiers dient, war Dreh- und Angelpunkt für dieses ganze Komplott gegen Lugo. Als der Multi Monsanto wegen Nichterfüllung gesetzlicher Auflagen Unannehmlichkeiten hatte, sein Gentechsaatgut für Baumwolle und Mais durchzusetzen, begann der Druck der UGP zu steigen. Monsanto stellte nur im Jahr 2011 für ihre Gentech-Soja $30 Mio. für Lizenzgebühren in Rechnung, ohne dafür Steuern zu bezahlen. Die Lizenzen für Saatgut sind dabei nicht inbegriffen. Ein Teil dieses Betrages wird jährlich unter den Technokraten der UGP verteilt.
Dieses Gremium drängte zuerst auf die Absetzung von Miguel Lovera, einen Techniker, der das für die Zulassung und Kontrolle von Saatgut zuständige nationale Institut leitet. Danach drohte sie einen nationalen Protest an, den sogenannten tractorazo (Traktoren-Coup), der die Verkehrswege landesweit mit Agrarmaschinen blockieren sollte, und zuletzt übte sie Druck für einen politischen Prozess gegen Lugo aus.
Die UGT wird von Héctor Cristaldo geleitet, einem eng mit der Unternehmensgruppe der Zuccolillo verbundenen Unternehmer. Diese Gruppe ist Partnerin von Cargill, einem anderem Agribusiness-Multi. Die Gruppe Zuccolillo besitzt auch das von Aldo Zuccolillo geleitete Blatt ABC Color. Dessen politische Linie ist seit Beginn der Amtszeit Lugos mit Aufrufen und Provokationen der Streitkräfte und der Parteien zum Sturz Lugos durchzogen.
Im Januar dieses Jahres hat sich Aldo Zuccolillo mit Horacio Cartes, Politiker der Colorado-Partei und ebenfalls Agrounternehmer, getroffen. Der Colorado-Senator Juan Carlos Galaverna hatte gesagt, dass Cartes nach dem Treffen wie verblendet war. Nach Wikileaks-Kabeln, die Zuccolillo letztes Jahr veröffentlicht hatte, wurde Cartes von der US-Drogenbehörde DEA mit Drogenhandel und Geldwäscherei in Verbindung gebracht. Das State Department hat ihn weissgewaschen.

Bezeichnenderweise war Cartes in der letzten Regierungsperiode von Lugo die treibende Kraft in seiner Partei für den politischen Prozess gegen Lugo, darin unterstützt von Zuccolillos ABC. Schliesslich konnte Cartes seine Partei - von Lugo 2008 besiegt, nach 60 Jahren an der Macht - davon überzeugen, die Absetzung des Präsidenten zu betreiben. Dies geschah nach den blutigen Ereignissen von Curuguaty vom vergangenen 15. Juni, wo bei einer Räumung eines Latifundiums im Besitz von Blas Riquelme, dem ehemaligen Präsident der Colorado-Partei, sechs Polizisten und elf Campesinos starben. Diese Toten dienten als Hauptargument für einen beschleunigten Sturz von Lugo.
Der Partido Liberal Radical Auténtico (PLRA) verliess nach einem abrupten Seitenwechsel die Regierung mit Lugo und schloss sich unter der Leitung seines Präsidenten Blas Llano  dem vom Partido Colorado, der Tageszeitung ABC Color und der UGP betriebenen politischen Prozess an.
Heute, nach 70 Jahren, ist der PLRA mit Federico Franco als Präsident von Paraguay an der macht, wo ihm bis zur nächsten Regierung noch etwas mehr als 13 Monate bleiben. Ihm wird die Dreckarbeit obliegen, die Unterdrückung seiner Ex-Verbündeten in der Regierung: der Linken und der Sozialbewegungen, die einen systematischen Widerstand gegen die liberale Regierung beginnen werden. Er wird so jede Möglichkeit, die Wahlen nächstes Jahr zu gewinnen, zunichte machen. Horacio Cartes, Vorkandidat der Colorados, lächelt und sieht seine Chancen steigen, mit Unterstützung von ABC Color, der US-Botschaft und der UGP.
Schliesslich müssen Lugo und seiner Berater zugeben, dass sie einen schweren Fehler begangen haben. Sie dachten, sie könnten mit dem Imperialismus, der Feudaloligarchie und den den faktischen und vaterlandsverräterischen  Mächten verpflichteten Rechtsparteien mitregieren. Wie Atilio Borón sagt, es ist ein Fehler zu glauben, dass sich eine schüchtern progressive Regierung wie die von Lugo taktisch auf die oligarchischen und imperialen Interessen einlassen könne, ohne die sozialen Bewegungen und linken Parteien zu stärken.

* La Jornada, 25.6.12: Los intereses convergentes que derrocaron a Lugo. Der Autor ist Journalist, Verfasser des Buches Los Herederos de Stroessner, und Mitglied in der Sociedad de Economía Política de Paraguay, SEPPY.
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18.6.12: Campesin@s protestieren nach Massaker in Curuguaty vom 15. Juni und gegen den anlaufenden "Express-Putsch". Quelle: La Voz del Sandinismo.

 Der vorliegende Artikel stellt eine gekürzte Version dar von “Monsanto golpea en Paraguay: Los muertos de Curuguaty y el juicio político a Lugo”, den auch das Portal der linken paraguayischen Zeitung E’A veröffentlicht hat. Darin detailliert Méndez Grimaldi wichtige Elemente. So etwa berichtet er im Zusammenhang mit der Monsanto-Kampagne gegen Lugo:


„Die Schlussphase [vor dem „parlamentarischen Putsch“] scheint mit der Anzeige einer Pseudogewerkschafterin des SENAVE [Institut für Saatgutkontrolle] namens Silvia Martínez eingeleitet worden zu sein. Die Frau bezichtigte in ABC Color [den Institutsleiter] Lovera der Vetternwirtschaft und der Korruption in der von ihm geleiteten Institution. Martínez ist Ehefrau von Roberto Cáceres, Vertreter mehrerer Agrarunternehmen, darunter Agrosán, kürzlich von Syngenta, einem weiteren Multi, erworben – alle Mitglieder der UGP.“
 Wie gut es Monsanto, Syngenta etc. in Paraguay geht, macht folgende Passage aus dem gleichen Artikel deutlich:
„Die Agromultis zahlen in Paraguay praktisch keine Steuern, dank der eisernen Protektion, die sie in dem rechts beherrschten Kongress geniessen. Die Steuern machen in Paraguay nur 13 Prozent des BIP aus. 60 Prozent seiner Steuereinnahmen erhebt der paraguayische Staat über die Mehrwertsteuer. Die Grossgrundbesitzer zahlen keine Steuern. Die Grundstücksteuer macht nach einer Untersuchung der Weltbank kaum 0.04 Prozent der Gesamtsteuereinnahmen aus, $5 Mio., während das Agrobusiness Einnahmen in der Höhe von 30 Prozent des BIP generiert, $6 Mrd. pro Jahr.“ 
Warum also ein Putsch bei solchen „Traumzuständen“? Und auch: Was für eine Politik betrieb Lugo eigentlich?
Der argentinische Intellektuelle Atilio Borón macht uns dazu in „Lugo y la conexión del agronegocios“ Angaben:
„In einem Kapitalismus mit solchen Eigenschaften [wie Méndez Grimaldi sie beschreibt], wo Pfründe und Bestechung der Motor für die Kapitalakkumulation sind,  war es wenig wahrscheinlich, dass sich Lugo an der Macht stabilisieren konnte, ohne starke soziale Unterstützungsbasis zu schaffen. Doch trotz der Warnungen zahlreicher Verbündeter in- und ausserhalb Paraguays widmete sich der gestürzte Präsident nicht der Aufgabe, die massenhafte, aber heterogene soziale Kraft zu konsolidieren, die ihn im August 2008 mit viel Enthusiasmus in die Präsidentschaft getragen hat […] Nur eine auf der Strasse unter Beweis gestellte Mobilisierungskraft hätte ihm Stabilität beim Regieren und geben und seine erbitterten Feinde abschrecken können. Aber er verweigerte dies hartnäckig, trotz der Bereitschaft breiter Sektoren in Paraguay dazu und einer sehr günstigen internationalen Lage mit befreundeten Regierenden in der Region, die bereit waren, ihm beizustehen. Aber er sah dies nicht so und im Verlauf seines Mandats löste eine Konzession an die Rechte die andere ab. Er ignorierte, dass die Rechte, auch wenn er sie noch so sehr begünstigte, seine Präsidentschaft nie als legitim akzeptieren würde. Zugeständnisse an die korrupte paraguayische Oligarchie  erreichten bloss, dass diese Mut schöpfte, aber keine Besänftigung ihrer heftigen Opposition. Trotz dieser Defekte betrachtete sie Lugo stets als unangenehmen Eindringling, so sehr er auch Antiterrorgesetze verkündete, statt sie mit einem Veto zu belegen – Gesetze, welche die den Kongress beherrschende Bande auf Verlangen „der Botschaft“ absegnete.“
Warum also der Putsch? Dazu Borón:
„ […Die] Rechte wartete seit dem Amtsantritt Lugos auf den geeigneten Moment, um mit einem Regime aufzuräumen, das, obwohl es ihre Interessen nie tangiert hatte, einen Raum für den sozialen Protest und die Volksorganisierung öffnete, beide inkompatibel mit ihrer Klassenherrschaft“.

Die Organisationen und Parteien gegen den Putsch in Paraguay haben sich im Frente por la Defensa de la Democracia zusammengeschlossen. Über dessen reale Stärke zirkulieren widersprüchliche Angaben. Schon seit drei Tagen und Nächten gibt es in Asunción vor dem Gebäude von „TV Pública“ eine Dauerkundgebung – der Sender bringt, zum zunehmenden Ärger der Rechten und trotz diverser Sabotageaktionen mit seinem „offenen Mikrofon“  wichtige Stimmen und Orientierungen für den Widerstand. Die kommerziellen Medien, denen zufolge im Land eine gemütliche Ruhe herrscht, haben heute scharf gegen „TV Pública“ polemisiert – nach einem Treffen mit dem De-facto-Präsidenten Franco.
Dauerkundgebung vor "TV Pública", Quelle: E'A, 26.6.12

Ab heute Dienstag will der Frente por la Defensa de la Democracia landesweit Blockadeaktionen durchführen. Wie sein Präsident, Ricardo Canese, heute Telesur sagte, „wird sich das mit der Zeit entwickeln, [aber] wir wollen vom Lokalen ausgehen, vielleicht zum Departementalen gelangen und dann vielleicht eine grosse Demonstration in Asunción machen“. EA zitiert heute Candido Aguilera vom Movimiento Popular Campesino, der sagte, “alle sozialen und bäuerischen Sektoren sind in Alarmbereitschaft. Ab Freitag, Samstag, Sonntag, werden wir an verschiedenen Orten in unserem Department die Strassen sperren. Wo es eine Brücke gibt, werden wir sperren. [...] Wir werden landesweit Land besetzen und wir werden Asunción belagern.”
Über die reale Stärke der Widerstandsbewegung gehen die Meinungen innerhalb der Linken scheinbar auseinander. Die nächsten Tage werden uns darüber viel Auskunft geben. Usurpator Franco sagte heute: “Ich bin dafür verantwortlich zu garantieren, dass es zu keinem Bürgerkrieg kommt”. Für Mittwoch hat der Frente eine Mobilisierung in Asunción angekündigt, worauf der Chef der jetzt regierenden liberalen Partei, Blas Llano, erst eine Gegenmobilisierung zur gleichen Zeit bekannt gab, die dann aber wieder abblies.
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Zum führenden Putschdrahtzieher und mutmasslichen Präsidentschaftskandidaten der Colorados, Horacio Cartes, ist das von Wikileaks veröffentlichte Kabel der US-Botschaft in Argentinien vom 5. Januar 2010 lesenswert. Für die US-Dienste besteht darin kein Zweifel, dass Cartes einer der führenden Köpfe im Drogenhandel- und Geldwäschebusiness in der sogenannten Triple Frontera ist, dem Grenzgebiet von Paraguay, Argentinien und Brasilien. (En passant sei bemerkt, dass die USA offiziell in Sachen Subversion, Drogenhandel etc. in der Triple Frontera stets von Al Kaida oder Hisbollah reden. Und nicht zu vergessen, dass hier eine der weltweit grössten Süsswasserreserve liegt). Cartes als Präsident entspräche demnach dem Wunschprofil Washingtons: korrupt, ehrgeizig, absolut erpressbar.