Nicaragua: Der extremistische Bischof und seine «Linke»

Donnerstag, 25. Oktober 2018


(zas, 24.10.18) wegen einer katholischen Basisgruppe namens Comunidad San Juan Pablo Apóstol  bittet Kardinal und Erzbischof Leopoldo Brenes laut dem Rechtsblatt El Nuevo Diario «das Priesterkollegium und die Gläubigen des Episkopats, weiter für die Kirche zu beten». Die Gruppe hatte eine Tonaufnahme eines Treffens des Weihbischofs Silvio Báez mit, so heisst es, Campesinos veröffentlicht, die es in sich hat. Hochwürden, bekannterweise eine der realen Führungsfiguren der Unruhen, sagte dabei:
Es muss wieder heiss werden. (Unverständliche Bemerkung aus dem Publikum) Ja, vielleicht. Jemand sprach sogar von einer weiteren Barrikadenphase, denn das war das Einzige, das sie dazu brachte, sich an den Tisch zu setzen. Die Einheit, die wir jetzt benötigen, muss alle einschliessen, trotz unseres Verdachts, dass sie Opportunisten sind, Abtreibungsleute, Feministinnen, Homosexuelle, Drogenhändler. Wir bilden keine neue Partei, wir stehen nicht vor Wahlen (…). Wir müssen jetzt vereint für die Sache sein, in der wir alle übereinstimmen, lassen wir die Differenzen für den Moment zur Seite (…). In einer zweiten Etappe, wenn es dann um Wahlen geht, werden die verschiedenen politischen Optionen hervortreten. Aber in einem neuen Szenario. Diesen Mann an den Tisch bringen, denn wir wollen ihn nicht an die Wand stellen und erschiessen, auch wenn wir Lust darauf hätten, wir werden das nicht machen, ihn als Kriegsverbrecher erschiessen. Die tranques (Barrikaden) waren eine aussergewöhnliche Erfindung (…).
Wir Bischöfe haben etwas weniger Gas gegeben, vermutlich, um ihm nicht die Möglichkeit zu bieten, uns weiter zu disqualifizieren, denn er hat uns extrem disqualifiziert, denn er sagte am 19. Juli … [Stimme aus dem Publikum: «Putschisten»). Wären wir zu aggressiv, zu konfrontativ weitergefahren, hätte er viel mehr Handhabe gehabt, uns einen Fusstritt zu versetzen. Nicht, weil wir keinen Fusstritt wollen, [sondern) damit wir im Moment, wo es eine Verhandlung gibt, präsent sein können. Ich habe der (Oppositions-) Allianz gesagt, sie solle der Bischofskonferenz einen Brief schreiben, dass sie ein Treffen mit uns wünschen, die Allianz weiss, dass wir Bischöfe sie geschaffen haben, dass wir sie gemacht haben, dass die Allianz existiert, weil wir das wollten.

El Nuevo Diario musste berichte, dass von Báez trotz Anfragen keine Stellungnahme zum Wahrheitsgehalt des Tonmitschnitts zu erhalten gewesen sein. Vermutlich kommt demnächst was in der Art von «aus dem Zusammenhang gerissen». Schnickschnack. 
Báez an einer seiner Demos
 Die Reaktionen auf die Veröffentlichung liessen nicht auf sich warten. Wenig erstaunlich, dass sich der Unternehmerverband COSEP mit Báez & Co. solidarisiert, dass ein Sergio Ramírez die «prophetische Stimme» des Bischofs bewundert oder dass Carlos F. Chamorro, der für seine «unabhängige» Mediengruppe US-Gelder erhält, über Twitter mitteilt, dass «die von Ortega-Murillo befohlene virulente Angriffskampagne gegen den Bischof @silviobaez das amoralische Regime noch weiter diskreditiert». Vielleicht weniger zu erwarten war die Reaktion der früheren sandinistischen Kommandantin Mónica Baltodano. Auf ihrer Facebook-Seite wusste sie dieses beizusteuern: «Monseñor Báez, vorbildlicher Priester, erinnert mich an den hl. Romero. Denn der sprach sich wie heute Báez für das Ende der Repression aus. Denn der schwierigste Teil des Priesteramtes ist, stets auf Seite der Armen, der Verfolgten, der Gerechtigkeit und nicht der Macht zu sein. Und dies ärgert die Unterdrücker immer ... erst recht die kriminellen Diktatoren!»
Bemerkenswert, dass Baltodano perverserweise Romero, von jenen Kräften ermordet, für die heute Báez weibelt, mit diesem auf die gleiche Stufe stellt. Insbesondere, da die Frau in Teilen der internationalen Linken und Soli-Projektgruppen als Vertreterin einer emanzipatorischen sandinistischen Strömung beklatscht wird. Gerade weilte sie auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in Deutschland, um dort Teile der Partei Die Linke und Gruppen der früheren Solibewegung aufzumunitionieren.
Dass Leute wie Baltodano ziemlich erfolgreich Linke auf ihre Seite ziehen können, hat zweifellos mit unguten Entwicklungen im sandinistischen Lager zu tun. Ein klassisches Beispiel ist der Sexismus. Dass im FSLN bis heute der sexuelle Missbrauch Ortegas an seiner Schwiegertochter unter den Tisch gekehrt wird; dass Abtreibung offiziell absolut verboten ist (auch wenn alle wissen, wo ohne Knastterror nach medizinischen Standards abgetrieben werden kann); dass unter der jetzigen Regierung ein gutes Gesetz zum Schutz gegen häusliche Gewalt mit realen Schutzmechanismen wie polizeilichen Frauenkommissariaten und Massnahmen gegen Gewalttäter erfolgreich eingeführt, dann aber wieder abgeschafft wurde zugunsten eines Mediationsverfahrens, das an Gewalt gegen Frauen so gut wie nichts ändert – das und anderes hat zwangsläufig einen Graben zwischen Feministinnen und FSLN provoziert. Das aber legitimiert in keiner Weise, mit einem der reaktionärsten Scharfmacher im katholischen Klerus gemeinsame Sache gegen den FSLN zu machen, wohl verstanden, mit vielfachem Verweis auf den Sexismus der «Diktatur». Das ist ebenso pervers wie etwa die Berufung auf Sandino im gemeinsamen Kampf mit den imperialen Kräften gegen den Frente. So simpel das zu kapieren wäre, so sehr wehren sich «aufgeklärte» Teile der Linken gegen diese  Einsicht.
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Ansonsten gilt wohl auch für Nica, was fast im ganzen Kontinent (um nicht von Europa zu sprechen), angesagt ist: Trübsal blasen. Nein Ortega ist kein Bolsonaro, so fest das manche auch glauben wollen. Aber unverkennbar der Fakt, dass die Chance von letztem Juli nach dem Sieg über die Regime-Change-Brutalität der tranques (Báez: «ausserordentlichen Erfindung») von der Regierung vertan worden ist. Es gibt einen Haufen Verhaftungen und Prozesse gegen mutmassliche Regime-Change-AktivistInnen, die keineswegs alle von vornherein als Schauprozesse abgetan werden können. Aber es gibt - und das wird offenbar so bleiben – nicht ein Verfahren gegen Regierungskräfte, die mit Bestimmtheit auch Verbrechen begangen haben. Und vor allem: Es ist keine Initiative wahrzunehmen, mit der die Regierung den extrem vielen Menschen, die zurecht eine scharfe Kritik am Status Quo haben und deshalb in einer ersten Phase der Unruhen aktiv beteiligt waren, etwas anböte. Man muss sich dagegen die Schleimerei einer «christlichen Versöhnung», einer gottgefälligen «Normalisierung» der Lage von Seiten der Propagandamedien der illuminierten Gattin des Präsidenten anhören. Zwar soll es unter der medialen Wahrnehmungsschwelle Bestrebungen für gewisse neue Allianzen geben, aber dass das wirklich was wird, ist schwer zu glauben. Dafür bräuchte es einen öffentlichen Schwung – aber, no hay. Und was wir von den Frente-internen Diskussionen hören, die es jetzt tatsächlich gibt und die nötig sind, lässt auch kaum hoffen: Statt Veränderungen anzustossen, sind sie vom Apparat her offenbar mehr gedacht als Gelegenheit für die Leute an der Basis, mal sagen zu können, was sie schon lange plagt, und das wär’s dann auch.  
Dies in einem Kontext der weiter aufdrehenden imperialen Aggression; einer durch die Unruhen geschaffenen schweren und künftig durch die zunehmenden Blockaden intensivierten Wirtschaftskrise und eines katastrophalen kontinentalen Umfelds – es braucht keine Kassandra, um zu erahnen, wohin die Reise geht.