Ein aktueller Bericht direkt aus Kuba von René und Suzanne
Erste Tage im Dezember 2024. Kuba im Auge von mehreren Hurrikanen, natur- und menschgemachten. Und dazwischen eine Bevölkerung, die sich mit viel Bereitschaft zur Improvisation ihr Leben organisiert. Der Paternalismus des Sozialismus der früheren Jahre hat seine Spuren hinterlassen: Die einen schimpfen gegen «die da oben», andere verharren abwartend, und wiederum andere packen die Chancen, die ihnen vor etwa zehn Jahren durch die Freigabe diverser privatwirtschaftlicher Bereiche eröffnet worden sind, insbesondere im Tourismus (Casa particular, Taxi, Gastronomie) oder auch in der Kultur. Zur Zeit sichtbar durch die Biennal in öffentlichen Bereichen und Galerien in ganz Havanna, oder auch in Matanzas zum Beispiel.
Eindrücklich ist erneut die hohe Arbeitsmoral, zu erleben in den Institutionen die von der Vereinigung Schweiz-Cuba Zürich seit Jahren unterstützt werden – dies unabhängig davon, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denselben, oft schwierigen Lebensumständen (Rationierung von Strom, Wasser und Gas, Transport, Knappheit von Milch, Fleisch, Reis, Zucker usw.) unterworfen sind. Hauptproblem bleibt seit der Währungsreform vor bald drei Jahren die Schere, die zwischen den Löhnen und den ständig steigenden Preisen aufgeht. Es ist praktisch alles erhältlich für diejenigen, welche die entsprechende Kaufkraft haben – während die hoch subventionierten Produkte, die durch die Libreta erhältlich wären, oft fehlen und nur verknappt vorhanden sind.
Die Entwicklung im Land hat sich trotz aller Anstrengungen der Regierung im laufenden Jahr nicht verbessert, insbesondere aufgrund der beiden verheerenden Hurrikane Oscar und Rafael sowie dem starken Erdbeben (6,7 auf der Richter-Skala). Zur Zeit ist es sehr windig, kühl, regnerisch, der Malecon von Havanna von den Wellen überspült … Im Tourismus wurde vom Januar bis Ende Oktober lediglich die Zahl von 2,7 statt der angestrebten 3 Mio. Besucher erreicht.
Was tut die Schweiz?
In diese Situation platzen zwei negative Ereignisse. Zwar hat die Schweizerische Eidgenossenschaft im November – zusammen mit 187 Nationen – in der Vollversammlung der UNO für ein sofortiges Ende der umfassenden und kriminellen US-Blockade gestimmt. Dies bereits zum x-ten Mal, doch erneut bleibt diese fast einstimmige Entscheidung ohne irgendwelche konkreten Folgen.
Schlimmer noch: Wenige Wochen danach erlässt das EDA eine geharnischte «Reisewarnung» gegen Kuba. Sie wird durch das Portal Travelnews verbreitet und hat letztlich zum Ziel, Reisende von einem Besuch auf der Karibikinsel abzuhalten. Nicht einmal Hotels seien von Stromausfällen und dem Treibstoffmangel verschont … Während vor unseren Augen die alten 58er-Chevrolets, Taxis und auch viele Privatautos zirkulieren.
Und die Gründe, welche das EDA ins Feld führt, könnten praktisch auf ganz Zentral- und Südamerika angewendet werden.
Wenn das EDA mit der Aufzählung der Naturkatastrophen, Versorgungsengpässen und weiteren Schwierigkeiten im Land nicht unrecht hat, dann ist und bleibt es zynisch, wenn im selben Moment in der Schweizer Botschaft in Havanna die DEZA (hier: COSUDE) am Kofferpacken ist, respektive an der definitiven Schliessung des kleinen, aber für Kuba wichtigen Büros der Entwicklungszusammenarbeit. Dies geht auf die Politik von Bundesrat Cassis zurück, gemäss der sich die Schweiz, unabhängig von der jeweiligen Lage in den einzelnen Ländern, vollständig aus Lateinamerika zurückzieht. Gerade auch aus dem einzigen Land, das sich weder dem Diktat der USA noch des IWF unterworfen hat.
Völlig unverständlich und schlimm ist dabei, dass im Ukas des EDA unerwähnt bleibt, welch grosse Anstrengungen die Regierung und der Zivilschutz auch in diesem Jahr unternommen haben, um angesichts der Naturereignisse (die auch in der Karibik immer heftiger werden) Leben zu schützen und darnach in möglichst kürzester Zeit, mit den knapp vorhandenen Ressourcen die Schäden zu beheben, insbesondere die Stromversorgung wieder herzustellen, Schulen und Häuser zu reparieren.
Hierzu bleibt das EDA stumm und die offizielle Schweiz steht total abseits. Genauso verhält es sich, wenn es darum ginge, den extraterritorialen Auswirkungen der US-Blockade etwas Konkretes entgegenzustellen. Insbesondere die Schweizer Banken, inklusive Postfinance, praktizieren eine minutiös durchgezogene Kuba-Finanzblockade. Selbst humanitäre Hilfe wie sie z. B. mediCuba Suisse betreibt, ist auf vielfältige Weise von der Blockade betroffen.
Durch all dieses Abseitsstehen und nun mit dieser «Warnung an Reisende» macht sich die Schweiz letztlich zur Komplizin der US-Aussenpolitik, der bisherigen und auch der neuen. Der Miami-Hardliner Marco Rubio ist designierter Aussenminister.
Was bei dieser im Westen vereinheitlichten Sichtweise völlig untergeht, sind zwei essentielle Erfahrungen die wir in wiederholten Besuchen auf Kuba immer wieder machen können:
Erstens. Angesichts der unzweifelhaft gewaltigen Probleme in diesem kleinen, unabhängigen Land – seien sie verursacht durch die US-Blockade, durch Naturkatastrophen oder eine Anhäufung eigener Fehler – ist es nicht das Unvermögen der Regierung und schon gar nicht deren Ziel, eine Austeritätspolitik gegen die Interessen der Bevölkerung zu betreiben. Das heisst, es werden keine neoliberalen Abbaumassnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit oder Kultur vorangetrieben, wie sie der IWF allenthalben an seine Kreditvergabe knüpft.
Was geschieht, geschieht der Not gehorchend – und dabei wird Kuba trotz all seiner Errungenschaften, seiner friedlichen Politik und der bewundernswerten Bevölkerung von (fast) der ganzen Welt der Rücken zugedreht. Die Karibikinsel mit ihren 10 Mio. Einwohnern wird kaltherzig ihrem weitgehend von äusseren Umständen aufoktruierten Schicksal überlassen – um dann mit aller Häme auf die Unzulänglichkeiten hinzuweisen.
Demgegenüber stellen sich zweitens die Menschen auf der Insel (diejenigen, die hier geblieben sind), mit relativer Ruhe, Würde und erfinderischen Massnahmen der schwierigen Situation. Manchmal auch mit einer Faust im Sack – doch im Bewusstsein, dass ihre Alternative so etwas wie Guatemala oder gar Haiti bedeuten würde.
VSC Zürich
René Lechleiter
Suzanne Schreiber Lechleiter
Havana, 4. Dezember 2024