Honduras vor den Wahlen: Kein Recht, Menschenrechte zu verteidigen

Donnerstag, 2. November 2017

https://www.oeku-buero.de/reisebericht-2017/articles/honduras-vor-den-wahlen-kein-recht-menschenrechte-zu-verteidigen.html
MÜNCHEN (oekubuero). Vom 1. bis zum 8. September 2017 fand die mittlerweile dritte Delegationsreise des Honduras Forums Schweiz statt, an der unsere Honduras-Referentin im Zuge ihrer Dienstreise als Bürgerin des Nachbar"kantons" ebenfalls teilgenommen hat. Vielen Dank an das Honduras Forum Schweiz für diese Möglichkeit!
Im folgenden der Abschlußbericht der Reise und vorab einige persönliche Eindrücke:

EU-Wahlbeobachtung wird als Billigung illegitimer Wiederwahl verstanden

Auch in Unternehmer*innen- und Jurist*innenkreisen regt sich Protest gegen die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten. Die Delegation im Gespräch mit Juliette Handal und Rechtsanwälten der „Plattform für Demokratie“
Hervorhebenswert finde ich unter all dem, was uns vorgetragen wurde, auch die verfassungsrechtlichen Bedenken, was die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández angeht und die enorme Skepsis im Hinblick auf Unregelmäßigkeiten vor und während der Wahl am 26. November: Druck durch Schlägerbanden in Stadtviertel, Stimmenkauf, das "richtige" Kreuz bzw. die "raya" - der Strich für die  Liste der Nationalen Partei - muss z.B. per Handyfoto nachgewiesen werden; Unregelmäßigkeiten bei den Wählerlisten, weiterhin Intransparenz bei der Kampagnenfinanzierung und vieles mehr. Es konsolidieren sich derzeit mehrere Bündnisse gegen den kompletten Bankrott selbst der formalen Demokratie - von realer Partizipation  ganz zu schweigen -  allerdings in einem Ambiente, das wie wir feststellen konnten, Gewalt und autoritäres Vorgehen normalisiert hat und immer stärker von Repression gegen jegliche Opposition geprägt ist.  Die Entsendung von kurzfristigen Wahlbeobachtungsmissionen durch OEA und EU wurde in Honduras ganz eindeutig als Unterstützung für den Wahlprozess "komme was da wolle" und vor allem als Legitimation der Kandidatur von Juan Orlando Hernández interpretiert. Dass alles "business as usual" abläuft und kritische Stimmen gar nicht nach außen dringen, hat bei manchen Frustration, bei vielen auch eine gewisse Resignation hervorgerufen. Dem Sieg JOHs scheint nichts im Wege zu stehen. Wenn ihn noch etwas zu Fall bringt, so die Meinung mehrerer Gesprächspartner*innen,  dann nicht der Wählerwillen und schon gar nicht energischer  Druck der internationalen Gemeinschaft, sondern nur der Nachweis einer für die USA nicht mehr tolerablen Nähe zum organisierten Verbrechen - der aber bisher nicht geführt wurde.

Neues Strafrecht fördert Kriminialisierung sozialen Protests

Auffallend ist insgesamt die immer weiter  fortschreitende  Erosion der Gewaltenteilung und der Einsatz des Strafrechts gegen alle, die wirtschaftliche und/oder politische Interessen in Frage stellen, insbesonders auch gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen. Die Delegation konnte aus nächster Nähe miterleben wie Handlungsspielräume für alle, die Rechte verteidigen wollen, inklusive internationaler Menschenrechtsbeobachter*innen, immer weiter eingeschränkt werden. Es ist zu befürchten, dass sich diese Tendenz u.a. aufgrund der skandalösen und rückschrittlichen Reform des Strafgesetzbuches weiter fortsetzen wird. Die Ausarbeitung des neuen Gesetzbuchs wurde von der EU über die spanische Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Es war interessant zu erfahren, dass der spanische Berater, der den Kodex mit auf den Weg gebracht hat, nun offenbar sein Werk als Gehaltsempfänger des honduranischen Kongresses vollendet.

Zermürbungsstrategie gegen soziale Bewegungen

Menschenrechtsombudsmann Herrera Cáceres antwortete auf Fragen u.a. zur staatlichen Repression gegen die Studierenden der UNAH und zum schlechten Abschneiden von Honduras im UN-Menschenrechtssystem
Die meisten Organisationen, die ich im Vorfeld der Delegation oder mit den Schweizer*innen besucht habe, berichteten von unverändert hoher Straflosigkeit in den Fällen von Menschenrechtsverletzungen, die sie angezeigt haben. Das gilt leider insbesondere auch für Hassverbrechen gegen Transgender, Lesben und Schwule. Viele Gruppen scheinen fast nur noch damit beschäftigt zu sein, ihre kriminalisierten Mitglieder zu verteidigen und nach sicheren Räumen oder temporären Ausreisemöglichkeiten für bedrohte Aktivist*innen Ausschau zu halten. Die Repression gegen die Studierenden der Nationalen Universität UNAH und die ganz wenigen Menschenrechtsverteidiger*innen, die es wagen sie zu begleiten und zu berichten, hat extreme Ausmaße angenommen. Vorhandene Schutzmechanismen und Gremien funktionieren gar nicht oder nicht ausreichend; Diskreditierung, Desinformation, Fragmentierung  und Angst werden systematisch eingesetzt. Offizielle Diskurse sind von Feindbilddenken geprägt.  Manchmal fühlte ich mich an die Counterinsurgency-Strategien des vergangen Jahrhunderts erinnert - nur ohne insurgentes.

Umstrittene Solarkraftwerke im Süden – gleiche Repressionsmuster wie im Fall von Berta Cáceres

Die Instalation von Solarkraftwerken im heißen und trockenen Süden ist umstritten. Hier zeigt ein Vertreter der Organisation MASS Vida auf Panele, die bisher nicht ans Netz gingen: Es gibt (noch) keine Abnehmer für überschüssigen Solarstrom.
Die Delegation befasste sich vor allem auch mit der Situation im Süden des Landes und dort mit der Problematik großer Fotovoltaikanlagen, die von transnationalen Unternehmen mit entsprechender Finanzierung errichtet werden. Am heutigen 28. September  beginnt in der Stadt Choluteca ein Prozess gegen 14 Mitglieder von Protestcamps gegen Solarkraftwerke aus sechs Gemeinden, wegen angeblicher Nötigung von Sicherheitspersonal.
Das Muster ähnelt dem der Kriminalisierung von Berta Cáceres und ihrer Organisation COPINH.  Seit Bertas Ermordung im März 2016 hat sich nichts an der Verfolgung sozialer Basis- und Umweltorganisationen in Honduras geändert. Vermeintlich "grüne" Energieprojekte  werden weiter gegen die Bedürfnisse, Bedenken und Rechte der lokalen Gemeinden rigoros durchgesetzt. Der Beginn der Hauptverhandlung gegen die mutmaßlichen materiellen Täter und  Mittelsmänner des Mordes an Berta Cáceres - nicht gegen Auftraggeber und Hintermänner - wird im übrigen für Februar/März  2018 erwartet. Die Nebenkläger*innen  werden weiterhin nicht  genügend informiert und bekommen bisher keine ausreichende Einsicht in diverse Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, um ihre Anklage fachgerecht aufbauen zu können. Der Abschlussbericht der internationalen juristischen Unterstützungskommission (GAIPE), die allerdings kein offizielles Mandat hatte, steht noch aus. Als möglicher Termin für die Veröffentlichung wird Oktober 2017 genannt.
Das Recht auf Leben – steht für viele in Honduras nur auf dem Papier.