El Salvador: Putschversuch erstmal gescheitert

Dienstag, 11. Februar 2020


(zas, 10.2.20) Gestern Sonntag gab es hier einen trotz Operettenaspekte sehr ernst zu nehmenden Putschversuch, der im Verlauf seiner Entwicklung (vorerst) abgebrochen wurde. So sah etwa eine Compañera auf der Strecke von Suchitoto nach San Salvador (Fahrzeit zwischen einer und anderthalb Stunden) jede Menge Militär. Andere AugenzeugInnen berichteten Ähnliches für die Strecke von Sal Salvador in die Nachbarstadt Santa Tecla.  In der Hauptstadt selber waren in etlichen Zonen neben viel Polizei auch Militärpatrouillen inkl. gepanzerte Fahrzeuge zu beobachten. Im Parlamentsgebäude hatten sich schwerbewaffnete Soldaten und Eliteeinheiten der Polizei breit gemacht. In der näheren Umgebung der schon früher geplanten Konvention des FMLN in einer Sporthalle in San Marcos bei San Salvador waren zeitweise grössere Armee- und Polizeitrupps stationiert. In mehreren Landesteilen wie Gotera, Usulután, La Unión, Sonsonate oder Cojutepeque umzingelten  Sicherheitskräfte die Wohnhäuser von Abgeordneten des FMLN und von ARENA.
Auslöser der Ereignisse, wie hier schon skizziert (Ein Putsch in process), war die Weigerung im Parlament, Präsident Nayib Bukele einen weiteren Blankocheck, jetzt für einen $ 109-Mio.-Kredit auszustellen für eine sog. 3. Phase seines weitgehend geheim gehaltenen Plans der Territorialkontrolle im angeblichen Kampf gegen die Maras (für einige reale Hinweise auf die Realität dieses Plans s. El Salvador: Gewalt, Lügen, Gehirnwäsche). Der FMLN hatte von Beginn weg seine Stimmen von genauen Infos abhängig gemacht, während die dominierende Rechte im Januar zustimmen wollte. Doch seit einer kurz darauf gerichtlich verfügten Untersuchung einer Gallionsfigur der früher dominierenden Rechtspartei ARENA wegen Wahlhilfe dank Mara-Terror verweigert ARENA in der ziemlich logischen Annahme, dahinter stecke Bukele, ihre Stimme. Worauf Bukele unter Berufung auf einen laut Meinung von ExpertInnen nur für Situationen wie grosse Umweltkatastrophen, Krieg o. ä. geltenden Verfassungsartikel das Parlament zu einer Sondersession gestern Sonntagnachmittag beorderte und gleichzeitig das «Volk» zur Anwesenheit vor dem Parlament aufforderte. Drückten sich die Parlis vor «ihrer verfassungsmässigen Verantwortung, würden wir Massnahmen ergreifen», so die Drohung. Dann stünde dem Volk das Recht auf Aufstand zu, so der Präsident wiederholt. Seine Entourage «verdeutschte» das umgehend zur Aussage, am Sonntag das Parlament zu stürmen, unfolgsame Abgeordnete zu stürzen und durch geeignetes Personal zu «ersetzen». Das war gepaart mit Aktionen wie offensichtliche Observation von FMLN-Kadern u. ä.
Wenig Massen, Schlüssel weg – aber Gott wusste Rat
So kam es dann zum Sonntag. Mitten in der oben skizzierten Militarisierung nicht nur von Teilen der Hauptstadt, sondern weiter Landesteile erreichte eine Unzahl meist staatlicher Busse die Hauptstadt, um das «empörte Volk» herbeizufahren. Bukele sprach von 50'000 Menschen, nach kundigen Schätzungen dürften es zwischen 3000 und maximal 5000 Leute gewesen sein inkl. der unter ziemlich offenem Druck mobilisierten Staatsangestellten. Damit bestätigte sich das seltsame Phänomen, dass das Bukele-Lager kaum fähig ist, die Leute auf die Strasse zu bringen, aber vermutlich immer noch sehr viele Wahlstimmen einheimsen kann. Dieser Reinfall wurde ergänzt durch teilweise absurde Vorkommnisse im Parlament. Hier stellte sich klar weniger als ein Drittel der Abgeordneten ein, die in einem Gang rumstanden. Denn die Tür zum Blauen Salon, dem Sessionssaal, war verschlossen. Später war zu hören, der Schlüsselchef sei in Suchitoto – waiting was. Vermutlich Ausdruck von Unzufriedenheit mit dem neuen Diktator. 

In der Zwischenzeit war Bukele bei seinen UnterstützerInnen draussen angekommen. Die bat er um die Erlaubnis, «im Blauen Saal beten zu gehen und von Weisheit für die nächsten Schritte zu erbitten.» Gesagt, getan. Im mittlerweile aufgebrochenen Blauen Saal, in dem mehr Soldaten als ParlamentarierInnen waren, setzte er sich hin und bemerkte: «Jetzt ist wohl sehr klar, wer die Lage beherrscht.» Dann vergoss er ein paar Tränen und verharrte ein paar Minuten in stiller Zwiesprache mit dem Allmächtigen. 
Bukele (L) konversiert mit Gott
Ohne die Anwesenden weiter zu beachten, eilte er danach zu seinen «Massen», denen er, umringt von schwer bewaffneten Soldaten, den Inhalt seiner Konsultation mit dem oben enthüllte, der ihm «Geduld» geraten habe. Bis Februar nächstes Jahr, dann nämlich werden diese «Kriminellen», diese «Ruchlosen» in Wahlen weggefegt. Hätte er gewollt, hätte er einfach «den Knopf gedrückt», «das Parlament eingenommen». Nun hatten seine Fans ohne den direkten Draht nach oben erst protestiert: «Aufstand, Aufstand». Aber also sprach der Prophet: «Kein Volk, das gegen den Willen Gottes geht, hat je triumphiert.»  Da mussten sich auch die Ungestümen geschlagen geben, denen er aber versprach: Sollte das Parlament in der kommenden Wochen den Kredit nicht sprechen, werde er es erneut zur Sondersession befehlen und dann gäbe es kein Halten mehr. Dennoch zottelten die Fans frustriert in Richtung ihrer Busse ab, laut Berichten von Anwesenden fühlten sie sich ziemlich verarscht. Irgendwie war das anders, als viele Likes anzutippen, und dann macht el hombre ein neues El Salvador. 
Nayib verschiebt den Aufstand.

Der Putschist als Opfer
Es war klar, die Luft war draussen, das «Versprechen» vom folgenden Sonntag hohl. Ob der Mann, wie Viele vermuten, an kognitiver Dissoziation oder an den Folgen übermässigen Kokainkonsums leidet, sei dahingestellt. Sein Auftreten, seine Körpersprache weisen auf solche Probleme hin. Aber was Mister Cool gestern zutiefst niedergeschlagen erscheinen liess, dürfte mehr damit zu tun haben, dass sein Putschvorhaben gestoppt wurde. US-Botschafter Ronald Johnson riet schon gestern Vormittag per Twitter «allen Staatsgewalten, einen Konsens zu suchen und die Ruhe zu bewahren.» Heute teilte er mit: «Ich stimme der Präsenz der Armee im Parlament nicht zu.» Entweder hat sich Bukele nicht an Putschvorgaben gehalten, zu denen wohl ein zivileres Auftreten im Parlament gehört hätte, oder Washington registrierte die Pressionen gegen das Vorgehen, wie sie sich in zahlreichen Distanzierungen – seitens der EU-Vertretung im Land, des Grossunternehmerverbands ANEP, ARENAs oder von Human Rights Watch und Amnesty  etc. – ausdrückten. (Vor der Fangemeinde meinte Bukele übrigens, er habe einem befreundeten Botschafter eines EU-Landes Spanischkurse angeraten, damit er die Vorgänge besser verstehe. Gemeint war offenbar der deutsche Botschafter.)
Heute hat die Verfassungskammer des Obersten Gerichts, die sich die ganzen Tage hindurch in Schweigen gehüllt hatte, ihre Sprache wiedergefunden und vorerst Bukele die Show vom nächsten Sonntag verboten. Die Chefs von Armee und Polizei werden angewiesen, nur verfassungskonforme zu handeln. Es ist klar: Weder die Oligarchie im Land, an deren Stelle sich das ganovenhafte Kapital um Bukele stellen will, noch ihre Parteiemanationen, noch die sog. internationale Gemeinschaft wollen eine die «Entwicklung», also die Geschäfte, lähmende Konkurrenz zwischen den Staatsgewalten, wie manche Kommuniqués der Wirtschaftsverbände deutlich machen.
Die Antwort des Präsidenten und seines Propagandaapparates auf die Verfassungskammer und die heutige Ankündigung des Parlamentspräsidenten, nach den Ereignissen von gestern werde der $ 109-Mio.-Antrag diese Woche nicht abgesegnet: «Die ewig Gleichen verteidigen ihr System». Darauf läuft seit gestern die Schadensbekämpfung hinaus: Die Armee im Parlament war gewöhnlicher Schutz für den Präsidenten, völlig aufgeblasen von jenen, die mit den Maras paktieren, um ihn, das Opfer, das sich für den Schutz des Volkes gegen die Maras einsetzt, zu Fall zu bringen. Seit Monaten hämmert die Regierungspropaganda den Leuten ein, die beiden «Systemparteien» ARENA und FMLN, rechts und links, seien mit der Gewaltkriminalität engstens verknüpft. Was im Fall von ARENA auch mit Videos gesagt werden kann, beruht beim FMLN offenbar primär auf wenigen Gesprächen, in denen Frente-Kader den Maras obernormale produktive Hilfswerkprojekte für ihre «Reintegration» angeboten haben, ergänzt von Aussagen von Kronzeugen, die wie üblich ihre Haut retten wollen und alles Geforderte bekräftigen. Umgekehrt gibt es bei Bukele starke Anhaltspunkte, dass er als Bürgermeister von San Salvador ein Stillhalteabkommen mit den Maras aushandeln liess, um ein paar renditenträchtige Entwicklungsprojekte in der Stadt durchziehen zu können. Die heutige Situation von einem Mordrückgang in verschiedenen Landesteilen gleicht der Erfahrung eines früheren, unter OAS-Schirmherrschaft abgewickelten «Waffenstillstandes» Maras/Sicherheitskräfte, ob heute formell beschlossen oder informell umgesetzt. Diese relative Stillhaltesituation ermöglicht den Maras eine beunruhigende, unter der FMLN-Regierung 2014-2019 weitgehend gekappte Möglichkeit, sich weiter in Richtung Paramilitarismus zu entwickeln (s. ein Beispiel dazu in El Salvador: Gewalt, Lügen, Gehirnwäsche).
FMLN: Widerstand
Ungut ist ferner die fast ausschliessliche Fokussierung auf die putschistische Militarisierung des Parlaments unter Ausklammerung des Fakts, dass gestern in klarem politischen Kontext grössere Landesteile weitgehend militarisiert waren. An der FMLN-Konvention gab es sehr angespannte Stunden, da der Beschluss war, die anwesende Parlamentsfraktion gegen erwartete Angriffe der Sicherheitskräfte möglichst zu verteidigen. Im Lauf des Tages schlossen sich organisierte Frente-Kontingente den zeitweise Eingeschlossenen an – Ausdruck einer realen Kampfbereitschaft. Heute früh kündigte der FMLN-Generalsekretär eine Gegenmobilisierung für die angekündigte Machtdemonstration Bukeles von nächstem Sonntag an. Er unterliess dabei den Hinweis nicht, dass der FMLN für die seit den Friedensabkommen langsam wirksame Demokratisierung gegen eine andere Diktatur gekämpft habe, und er, werde seine Gegenmobilisierung von den Sicherheitskräften angegriffen, eine «proportionale Antwort» geben würde. Klar ist, während die nicht-bukelistische Rechte gestern von der Bildfläche verschwunden war, der FMLN beim Anlaufen des faktischen Militärputsches die Stellung gehalten hatte. Gestern habe ich von Bekannten gehört: Falls diese Geradlinigkeit keine Eintagsfliege sei, würden sie sich wieder am Frente orientieren. So oder so, die ausschliessliche Thematisierung des Konflikts zwischen Staatsgewalten dient der Verschleierung der realen Entwicklung «hinten im Land». 

Fonvention in San Marcos