El Salvador: Zwischen Delirium und Diktatur II

Samstag, 25. April 2020


(zas, 25.4.20) Teil I dieses Artikels beleuchtete die Realität der Coronavirus-Massnahmen der Regierung Bukele und wie sich die alte und neue aufwärts mobile neue Kleptokratie auf Krisengewinnlertum vorbereiten. Die «gesundheitspolitischen» Massnahmen der Regierung basieren auf Repression, ob in Quarantänelagern, Spital oder auf der Strasse.
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Die Faschisten der Zukunft werden nicht das Stereotyp von Hitler oder Mussolini haben. Sie werden keine harten militärischen Gesten machen. Es werden Männer sein, die über alles reden, was die meisten Leute hören wollen. Über Güte, Familie, gute Bräuche, Religion und Ethik. In dieser Stunde wird der neue Dämon auftauchen, und nur wenige werden erkennen, dass sich die Geschichte wiederholt.
Diese Linien werden meist Saramago zugeschrieben, zu Unrecht, wie die Fundação José Saramago sagt. Sie treffen aber einige aktuelle Tendenzen, zum Beispiel in El Salvador, nicht schlecht.

Polizei und Armee nahmen nach amtlichen Angaben bis am 16. April wegen Missachtung der Ausgangssperre rund 2500 Menschen fest. Nach welchen Kriterien? Keine, die festgelegt wären. Verteidigungsminister Merino weiss Besseres: «Man merkt, wenn sie lügen.» Viele Geschichte zirkulieren von Zwangsquarantänen für Leute, weil sie am ersten Tag der weitgehenden Ausgangssperre keine Bescheinigung des Arbeitsgebers dabei hatten (von der im Dekret nicht die Rede war) oder etwa neben Nahrungsmittel auch ein Bier in der Einkaufstasche hatten. Oder da ist die Geschichte vom zusammengeschlagenen alten Campesino, der seit Jahrzehnten immer seine ein bis zwei Kühe versorgen geht; vom wegen Quarantäne-Widersetzlichkeit Jungen, der die bei seiner Mutter bestellten Pupúsas ordnungsgemäss im Quartier austrug; vom Mann mit geistiger Behinderung, der Polizeiprügel bezog; von den Menschen, die sich vor dem Haus mal mit den Nachbars austauschen wollten etc. pp.
Usulután: Uniformierter traktiert Mann mit geistiger Behinderung. Quelle: Arpas.

Die alte, seit den Friedensabkommen von 1992 eingedämmte Selbstherrlichkeit der Sicherheitskräften kehrt zurück. Gefördert von oben. So machte Sicherheitsminister Rogelio Rivas am 2. April klar, dass es um Bestrafung geht, nicht um Gesundheit: “Wir bitten [die Leute, bei der Ausgangssperre] mit zumachen, sonst werden sie in ein Quarantänezentrum gebracht, wo sie das Risiko eingehen, sich mit dem Virus anzustecken.” Der gleiche Täter twitterte am 21. März: “Ich betone: Versuchen Sie nicht, den Sanitätskontrollen über die grüne Grenze auszuweichen, denn wir werden den Aufenthaltsort dieser Personen ausmachen und sie in Quarantäne setzen.” Untermalt vom folgenden Bild des Rektors Roger Arías von der links geprägten Universidad de El Salvador (UES) im Quarantänezentrum.

Das gefiel Bukele, der eine halbe Stunde später den Tweet von Rivas so kommentierte: “Der Rektor der Universidad de El Salvador verletzt den Gesundheitsschutz und reist über die grüne Grenze ein. Wir selber bringen unserem Volk den Tod.” Und noch einer fand Gefallen: US-Botschafter Ronald Johnson versah den Tweet Bukele/Rivas mit einem Like. Tatsache ist: Arias kam, wie die UES im Detail darlegte, Stunden vor Inkrafttreten des Quarantänedekrets für alle Einreisenden unter Vorweisung seines Passes am Grenzposten Las Chinamas von einem Rektorentreffen in Guatemala zurück und meldete sich nachträglich beim Gesundheitsministerium für eine freiwillige Einweisung in ein Quarantänezentrum. Die UES ist eher links geprägte Universität und ihr Rektor engagiert im Kampf gegen die Wasserprivatisierung.

Freiheitsrechte u.dgl.
Am 26. März ordnete die Verfassungskammer des Obersten Gerichts provisorisch die Freilassung dreier in den Lagern inhaftierter Personen an. Hauptgrund: Die Parlamentsdekrete zum Notstand und zum Ausnahmezustand (s. Teil 1) lieferten für Verhaftungen durch Polizei oder Militär keine Rechtsgrundlage, ausser in Fällen von medizinischem begründeten Corona-Verdacht. Dies unter der Voraussetzung einer adäquaten medizinischen Betreuung und der Einhaltung der verfassungsmässig garantierten Menschenrechte. Die Kammer ordnete über die drei konkret involvierten Personen hinaus explizit die Freilassung aller nicht nach den angegebenen Kriterien Verhafteten aus.
Am 8. April erklärte die Kammer in einem weiteren Urteil zum gleichen Thema: “... alle Behörden müssen sich vergegenwärtigen, dass die Verletzung  der Verfassungsbestimmungen sanktioniert wird und besonders, dass die Verantwortung für eine solche Rechtsverletzung persönlich ist (...); zu erinnern ist auch daran, dass bei Verletzungen von Grund- oder Menschenrechten die Gehorsamspflicht nicht gilt; dass für jede solche Verletzung sowohl die, die den Befehl dazu erteilt haben, wie die, die ihn ausführen oder das zulassen, gerade stehen müssen.”
Nun, Bukele hatte schon in seiner cadena nacional vom 6. April (s. Teil I) klar gemacht, was er von der Sache hält: “Ich habe dem Verteidigungsminister, dem Polizeidirektor und dem Sicherheitsminister Anweisungen gegeben, härter gegen die die Leute auf der Strasse vorzugehen ... Mir wird das ‘au, sie haben mir das Handgelenk umgedreht’ in den Social Media nicht wichtig sein”.
Auch eine Reihe nach dem 26. März erlassener weiterer Kammerurteile wie die obligatorische Information von Internierten über die Resultate ihrer Covid-19-Tests ignoriert das Regime. Immerhin gilt die Verfassungskammer als oberste Instanz der drei Staatsgewalten für alle Verfassungsfragen. Als eine frühere Kammer eine ganze Serie eindeutig politisch motivierter Urteile gegen die FMLN-Regierungen (und damalige Parlamentsmehrheiten) fällte, gab es kein rechtliches Mittel des Widerstands dagegen.
Am 14.4. lief das Ausnahmezustandsdekret aus, weil die Parlamentsmehrheit einer nochmaligen Verlängerung die Zustimmung verweigerte. Mit diesem Ausnahmezustand legitimierte die Regierung die Verletzungen der verfassungsmässigen Rechte der wegen Nichteinhaltung der Quarantäne Verhafteten. Am 16. April verlängerte das Parlament einstimmig das bisherige Dekret zum Notzustand bis Ende Monat, schob aber tags darauf ein weiteres, an die Urteile der Verfassungskammer angelehntes Dekret nach, das die Beachtung der Menschenrechte und der gesundheitspolitischen Standards zur Bedingung für das staatliche Agieren in diesem Kontext machte.
Kein Parlamentsdekret für den Ausnahmezustand? No problem. Ab dem 14. April gilt Exekutivdekret 19. Inhalt laut Bukele: “Grundsätzlich die gleiche Quarantäne mit den gleichen Sanktionen plus den in den letzten Tagen angekündigten.” Neu ist mit diesem Dekret u. a, dass jetzt “alle Personen verpflichtet sind, den (...) Delegierten des Gesundheitsministeriums den Zutritt zwecks Inspektion zu Wohnungen, Lokalen, öffentlichem oder privatem Grund zu gewähren, um sanitäre Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie des Covid-19 zu evaluieren.” Wer ohne gültigen Grund auf der Strasse festgenommen wird, kommt für 30 Tage in ein Quarantänelager.
Alles rechtens. Nur die Richter und die Menschenrechtsorganisationen kapieren das nicht. Dabei hat es Javier Argueta, Rechtsberater des Präsidenten und zuvor Chef der Rechtsabteilung des Grossunternehmerverbandes ANEP, am 8. April erklärt: Nur medizinisch indizierte Personen kommen in die “Betreuung”. Und das sind auch alle auf der Strasse Aufgegriffenen, da potentielle “Ansteckungsvehikel” (im Gegensatz etwa zu den vielen risikoarmen VerkäuferInnen auf den Märkten und im Supermarkt.)
In einer weiteren Resolution  legte die Verfassungskammer am 15. April die Untrennbarkeit der durch die Verfassung garantierten Freiheitsrechte dar, die nicht einzeln zum Nachteil der anderen priorisiert werden können. Das Recht auf Gesundheit etwa heble nicht das Habeas Corpus aus (das Recht auf richterliche Überprüfung einer Haft). Eine Einschränkung von Grundrechten in Notlagen müsse begründet und verhältnismässig sein. Die Resolutionen der Verfassungskammer seien im Übrigen nicht einfach interpretierbare Vorschläge, sondern von den anderen Staatsgewalten zu befolgen. Das Verbot der Kammer, Leute ohne eine klare, vom Parlament zu beschliessende gesetzliche Grundlage zu verhaften und in die Quarantänelager zu stecken, gelte auch für den Präsidenten. Dessen Dekrete können die parlamentarische Gesetzgebung nicht ersetzen. Infolgedessen diktiert die Kammer die strikte Befolgung ihrer einschlägigen Resolutionen (Freilassung der Leute in den Quarantänezentren, sofern nicht belegbar medizinische Gründe dagegen sprechen),  und verlangt, dass die Handhabung z. B. des Exekutivdekrets 19 oder von Artikeln des Gesundheitsgesetzes sich “strikt an die Interpretation” der Kammer halte. Notwendig sei ein zwischen Parlament und Gesundheitsministerium abgestimmtes Gesetz unter Beachtung der von der Kammer gesetzten Eckpfeiler. Schliesslich müsse der (staatliche, aber regierungsunabhängige) Ombudsmann für Menschenrechte alle fünf Tage die Kammer über die Befolgung ihrer Anordnungen orientieren.

Gegen die «Virus-Fraktion»
Soweit ist das der übliche rechtsstaatliche Diskurs. Politische Ideologie? Klar, wie es solchen abstrakten Postulaten zu eigen ist. Nicht unähnlich dem gesundheitspolitischen Aufruf, sich fleissig die Hände zu waschen. Richtig, wo das möglich ist; zynisch dort, wo nicht. Wie im hauptstädtischen Vorort Apopa, wo vor wenigen Tagen BewohnerInnen von zahlreichen dichtbevölkerten Stadtteilen protestiert haben, weil bei ihnen seit 3 Wochen kein Wasser mehr fliesst. (Dafür kontrollieren Polizei und Armee die Einhaltung der Ausgangssperre.) In El Salvador haben wir die letzten Jahre gesehen, wie die vorherige Verfassungskammer die FMLN-Regierung finanziell erwürgte. Umgekehrt sehen wir jetzt, dass sich die Kammer (vorderhand) quer stellt. Das trägt ihr Angriffe und Lob ein.
Für die Angriffe steht Bukele in gewohnter Manier: “Die Verfassungskammer delegiert den verfassungswidrigen Ombudsmann, um die Quarantäne zu überwachen und zu versuchen, uns alle Instrumente zu nehmen, um sie durchzusetzen? Ein schlechter Witz. KEINE Resolution steht über dem Verfassungsrecht auf das Leben und die Gesundheit des salvadorianischen Volkes. Ich verstehe ihr morbides Verlangen nicht, dass unsere Leute sterben, aber ich schwor, die Verfassung zu befolgen und befolgen zu lassen. So wie ich eine Resolution, die mir befiehlt, Salvadorianer zu töten, nicht befolgen würde, kann ich auch eine Resolution, die mir befiehlt, sie sterben zu lassen, nicht befolgen. 5 Personen werden nicht den Tod von hundertausenden Salvadorianern beschliessen. Egal, wie viel Tinte und Siegel sie haben.”
Lob kommt auch aus internationalen Gefilden: vom deutschen Botschafter in El Salvador etwa, von der UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet, vereinzelt von US-Abgeordneten, von einem Medium wie die New York Times oder etwa von der internationalen AnwältInnenvereinigung IBAR. Sie protestieren gegen die Aufhebung der Gewaltentrennung. De Americas-Direktor von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, eher bekannt für seine Treue zur strategischen Linie des State Departments, hatte Bukele wegen einer Kritik in seinem Twitter-Account blockiert. Kürzlich griff HRW die Epidemie-Politik Bukeles in scharfen Worten an. Den von Vivanco beanstandeten Tweet hatte Bukele am 29. März als Antwort auf die Kritik von Menschenrechtsorganisationen veröffentlicht: “Manchmal scheint es, dass einige “Menschenrechtsorganisationen” nur dafür arbeiten, dass mehr Menschen sterben. Als es um die Verbrechensbekämpfung ging, dachte ich, das sei was Ideologisches. Aber jetzt sind sie auch auf der Seite des Virus.”


«La Libertad»
Spät in der Nacht von Freitag, dem 17. April verhängte Bukele eine radikale Ausganssperre über das Städtchen Puerto La Libertad. Wie üblich per Twitter. Angegebener Grund: zuviel Bewegung auf den Strassen. Bukele an den Armeeminister: «Minister Merino, verhängen Sie über Puerto La Libertad eine sanitäre Sperre. Bis zu einer neuen Avisierung müssen alle Personen zuhause bleiben und 100 % aller Geschäfte geschlossen sein. Auch [bisherige] Ausgangsbewilligungen sind nicht mehr gültig..» Merino twitterte seinem Chef keine halbe Stunde später: Befehl werde ausgeführt. Kein Samstageinkauf, kein Wasser für Viele? So lernt man gehorchen. Als in einer benachbarten Gemeinde zwei Wassertechniker wie gewohnt an einem Wassertank einer Basisorganisation für Haushalte mehrerer Gemeinden, darunter Puerto La Libertad, die Wasserzufuhr regulieren wollten, wurden sie von einer Armeepatrouille wegen Verletzung der Quarantäne verprügelt. Energisch auch der Minister himself: Er überprüfte bewaffnet mit einem M-16 die Durchsetzung der «Sanitätsmassnahme». Als er bei einer Tankstelle einen Angestellten erspähte, liess er sich dabei filmen, wie er dem sagte: «Ich zähle bis 5» und du bist weg. 

Quelle Twitter Merino.
Nach 48 Stunden hob Bukele seine offiziell mit contact tracing begründete Massnahme auf. Im Puerto gab es nicht einen offiziellen Fall von möglicher Covid-19-Ansteckung. Es wurde auch kein einziger Test durchgeführt. Gesundheitspersonal war schlicht nicht involviert, keine Spur von contact tracing. Der Infektiologie-Chef des grössten Spitals im Land, Rolando Cedillos (s. auch Teil I), meinte denn auch: «Dies eine sanitäre Sperre zu nennen, überdehnt den Begriff. Der Befehl dazu hat nichts damit zu tun, sondern mit dem Ärger des Präsidenten wegen dem, was er in den Nachrichten sah.» Oder vielleicht weniger individualpsychologisch: mit Gehorsamserzeugung in der Bevölkerung. 
La Libertad. 2 Fischer und 2 Bäcker dingfest gemacht. Quelle: El Faro.
Auch auf anderem Gebiet zeigte sich der Präsident entscheidingsfreudig.. Der FMLN-Bürgermeister Mario Meléndez von Panchimalco nahe der Hauptstadt denunzierte auf Facebook, dass zwei mit Dünger gefüllte Lastwagen des Landwirtschaftsministeriums Lieferung bei einem Mitglied der Bukele-Partei Nuevas Ideas (NI) ablieferten, und wie die Gemeinde die Ladung des einen Camions in die Obhut der Gemeinderegierung verbrachte. NI wurde also in flagranti bei einem klaren Gesetzesverstoss ertappt (Staatspropaganda für eine Partei). Rechtlich hatte die Gemeinde wohl keine Handhabe zur Requirierung des Düngers, moralisch natürlich schon. Per Twitter forderte Bukele den Generalstaatsanwalt Raúl Melara zur Verhaftung des «Plünderers» auf, dieser gab umgehend ebenfalls per Twitter den Auftrag dazu. Drei Tage später kam der Bürgermeister frei, bis zu seinem Prozess. Von einem Verfahren gegen den Landwirtschaftsminister ist nichts zu hören. Zu bemerken ist, dass die FMLN-Leute in Panchimalco gleich nach der Verhaftung öffentliche Protestblockaden organisiert und danach die Freilassung Meléndez’ gefeiert hatte. 
Panchimalco.
Gewöhnungsübungen
In anderen Zusammenhängen bringt Bukele Sympathien für BügermeisterInnen auf. Am gleichen Tag, an dem er Puerto La Libertad militarisierte, meldeten sich einige solcher Figuren (alle von Rechtsparteien) mit der Bitte, das auch in ihren Gemeinden zu tun. Am 18. April erlaubte er den BürgermeisterInnen des Landes, zusätzlich zu seinem Dekret 19 weitere «Zirkulationsmassnahmen» zu ergreifen. Er empfahl auch gleich, die Gemeindepolizeien dafür einzusetzen. Denn «es ist klar, dass es an der Ausweitung der Ansteckungen interessierte Sektoren der formalen und faktischen Macht gibt. Sie opfern nicht zum ersten Mal Menschenleben für die Erreichung ihrer politischen Ziele.»
Einer, der sofort anbiss, war der ARENA-Bürgermeister von San Salvador, Ernesto Muyshondt, ein früher Vertreter der Allianz mit Bukele. Er verhängte im Stadtzentrum in Kooperation mit Bukele eine von Militär, National- und Gemeindepolizei durchgesetzte Sperre, die nur durchlässig für Menschen sein sollte, die in Sektoren wie Spitälern oder Banken arbeiteten oder glaubwürdig auf dem Grossmarkt einkaufen wollten. Die ursprünglich nur für zwei Tage angekündigte, schon mal bis zum 28. April verlängerte Sperre soll der Virusverbreitung in der normalerweise stark frequentierten Zone entgegenwirken. Die Leute sollen sich wieder daran gewöhnen, dass die Armee sagt, wo’s lang geht. Und die Regierung könnte allfällige negative Konsequenzen abschieben und gleichzeitig indirekt weitere Radikalisierungsschritte forcieren. Oder zeigen, wie breit abgestützt ihre Politik ist.
San Salvador: Armeeschutz vor Ansteckung.
Einige BürgermeisterInnen hatten schon angekündigt, verschärfte Ausgangssperren zu verhängen. Sie liessen das für den Moment bleiben, nachdem Generalstaatsanwalt Melara – ein ARENA-Mann, der kaum zum Bukele-Lager zählt – sie vor einem Strafverfahren warnte, wenn sie ihre Befugnisse überschritten. Dafür zeigte sich einer über die Kooperation Bukele/Muyshondt erfreut, von dem in der letzten Zeit inhaltlich wenig zu hören war: US-Botschafter Ronald Johnson: Dass die beiden «zusammenarbeiten, um die Massnahmen zum Schutz der Hauptstadt zu koordinieren, verdient Achtung.» Der Trumpismus erkennt die Seinen. (Gestern twitterte Trump, er werde Bukele Beatmungsgeräte liefern, denn «sie haben an der Südgrenze gut mit uns zusammengearbeitet». Gemeint ist die Jagd der salvadorianischen Behörde auf MigrantInnen an der nach Zentralamerika verlegten US-«Grenze».)


Parlament ab in die Quarantäne?
Seit vorgestern liefert der Bukelismo eine gravierende Probe seines Könnens. Einer 2/3-Mehrheit im Parlament war es gerade gelungen, ein Veto des Präsidenten zu einem vor wenigen Tagen verabschiedeten Gesetz zu überstimmen. Das Gesetz will, dass die Regierung für das Spitalpersonal Schutzkleidung bereitstellen und eine Lebensversicherung abschliessen muss. (Laut Medienberichten sind schon über 100 Pflegende inkl. ÄrztInnen infiziert.) Eine gleich gelagerte Abstimmung sollte ein Veto des Präsidenten gegen ein Parlamentsdekret überstimmen, das die Regierung verpflichtete, die Rückkehr von im Ausland gestrandeten SalvadorianerInnen zu organisieren. (Aus Italien etwa hören wir regelmässig von Leuten ohne Geld und Rückkehrmöglichkeit, die nur dank der Solidarität der Community überhaupt was zu essen und ein prekäres Obdach haben.) Doch halt! Die FMLN-Abgeordnete Yanci Urbina hatte in der Debatte vorher einen Hustenanfall gehabt. Die ARENA Abgeordnete Milena Mayorga, hardcore bukelista, versandte sofort einen Tweet mit dem Bild der hustenden Yanci und einem Hinweis auf Covid-19. Bukele nahm die Vorgabe auf und twitterte (mit Verweis auf die Epidemiekommission EICE der Regierung): «Die EICE hat im Tagungssalon des Parlaments bedeutenden Verdacht auf Covid-19 entdeckt. Es wird die Beendigung der Plenarversammlung und die Selbstisolation aller Abgeordneter und des Personals empfohlen, bis die verdächtigen Fälle und ihre Kontakte» abgeklärt sind. Die Abgeordneten zweier mit dem Bukelismo alliierter Rechtsparteien verliessen darauf in grosser Eile das Parlament, das Quorum war damit nicht mehr gegeben, die Session war abgebrochen, weitere Veto-Überstimmungen vom Tisch. Gestern erschienen diese Parlis erst gar nicht zur Weiterführung der Session. Ohnehin hat das Parlament wichtigeres zu tun als zu meckern. Im Moment gerade einem von der Regierung und dem Unternehmerverband ANEP ausgeheckten Plan für die «Ankurbelung» der Wirtschaft und Sozialleistungen zuzustimmen. Kostenpunkt: eine weitere Milliarde Dollars (s. Teil I und Der IWF «hilft») Um den ParlamentarierInnen die Dringlichkeit dieses Vorhabens näher zu bringen, versuchten gestern Teams der EICE, das Parlament auf Infektionen zu untersuchen. Am 9. Februar liess Bukele im Zusammenhang mit einem Kreditwunsch das Parlament von Armeeeinheiten besetzen – und dieses Mal per Virus räumen. Natürlich hinderte ihn das gestern nicht daran, dem Parlament vorzuwerfen, seinen $ 1-Milliarden-Antrag nicht zügig zu behandeln.
 
Kein Zutritt zum Parlament: EICE-Labor.
Sie wusste schon bvorher von der Show.

Ein EICE-Wagen verfolgte Yanci Urbina auf den Nachhauseweg. Die FMLN-Abgeordnete Dina Araujo befürchtet, dass Bukele, gestützt auf sein Dekret 19, ParlamentarierInnen zwangsweise auf das Virus untersuchen lassen und danach in Quarantänezentren entsorgen will.


Die Compas in El Salvador berichten weiter von einer grossen Popularität Bukeles. Seit Februar verbreitet er erfolgreich Panik unter den Leuten und präsentiert sich als einzige Alternative zu einem apokalyptischen Massensterben. Gleichzeitig schürt er Hass gegen die jetzt mit dem Virus, gestern und morgen wieder mit den Maras verbündete Opposition, insbesondere den FMLN. Natürlich, die Leute in den Ansteckungslagern werden nicht Spalier für den Präsidenten stehen. Offen höhnisch teilen Funktionäre mit, ihre Haftdauer könne deutlich mehr als 30 Tage betragen, Bukele twitterte kürzlich, es habe keine Eile, ihnen (allfällige) Testergebnisse mitzuteilen. Doch sie und die Oppositionellen sind die Aussätzigen, die «unser aller» Leben gefährden. So funktioniert das immer noch.
Wenn Bukele sich mit der Justiz anlegt, wenn er die parlamentarische Opposition einschüchtern will, wenn er (auch nur leicht) kritische Medien reihenweise ignoriert oder finanziell stranguliert, wenn er viel besser Bescheid über Epidemisches weiss als all die Doktoren und sonstigen Kurvenzeichner (s. Teil I), wenn El Salvador unter seiner Führung zum Leuchtturm der Welt wird, wenn sich Paranoid-Apokalyptisches mit Messianismus paart, dann ist die psychologische Interpretation schnell zur Hand. Sie kann richtig sein oder nicht, sie greift auf jeden Fall zu kurz.
Medardo González, der ehemalige FMLN-Chef, analysierte Anfang April das Phänomen der Popularität Bukeles, der «im Notstand fast als einziger nationaler Sprecher fungiert. Aber das hat seine Grenzen», z. B. in den kommenden gigantischen Wirtschaftsproblemen und der nicht verhüllbaren Korruption bei den angeblich für soziale Transfers und Ankurbelung bestimmten Milliarden, die im Zentrum von Deals zwischen einer Fraktion der traditionellen Oligarchie und der staatlich gespiesenen Bourgeoisie um Bukele stehen. «Das weiss Bukele und deshalb versucht er die Opposition zu schlagen. Er wird mit seiner Logik der Viktimisierung fortfahren. Er hat keine wirksamere Politik. Aber der Teil der betrogenen Bevölkerung wird ihre Stimme erheben und andere politische Referenten suchen (…) Wir müssen Vorschläge vor allem für die Verletzbarsten entwickeln und dafür sorgen, dass diese Vorschläge im Volk bekannt und aufgenommen werden. Der FMLN ist eine politische (elektorale) Partei, aber darüber hinaus auch eine Partei der Volks - und sozialen Bewegungen, eine in der territorialen Basis der Comunidad verankerte Partei.»
Bleibt zu hoffen, dass der FMLN diesem Ziel etwas gerecht werden kann. Und Bukele bis dann nicht die Grundlagen für einen neuen langen Krieg geschaffen haben wird.
"Hilf auch du: Zahle, um zu helfen." Quelle: Fianzministerium.