Kolumbien: Die Familie Santos schonen

Samstag, 17. September 2011


(zas, 17.9.11) Jorge Noguera war unter Ex-Präsident Álvaro Uribe  von 2002 bis 2005 Chef des kolumbianischen Geheimdienstes DAS.  Seine Karriere erlitt einen Knick, als der damalige Informatikchef des DAS, Rafael García, über die engen Verflechtungen des paramilitärischen Terrors mit der Regierung Uribe auspackte (s. auch Kolumbien: US-zertifizierte Rechte, Drogenhandel, 13.9.09). Vorgestern Mittwoch erhielt Noguera vom Obersten Gericht 25 Jahre Gefängnis wegen der an die Paramilitärs der AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) ausgesourcten Ermordung von Oppositionellen. Es ist das bisher höchste Strafmass für ein Mitglied des engen Kreises um Ex-Präsident Uribe, für den die Luft langsam dünn wird. Gegen weitere Führungskader aus dem engsten Umfeld von Uribe, darunter auch seine letzte, nach Panama geflüchtete Geheimdienstchefin, laufen weitere Verfahren. 
Der aktuelle Präsident, Juan Manuel Santos, war Kriegsminister in Uribes Kabinett.  Eine dritte Präsidentschaftskandidatur Uribes belegten die USA 2009 mit einem Veto – die mafiöse Quintessenz ihres bisherigen Schützlings war zur Belastung geworden. Sie setzten jetzt auf Santos, einen bewährten Gefolgsmann und Vertreter der Oligarchie. Den Schwenk vollzog der Medienmainstream unverzüglich und mit der gewohnten traumwandlerischen Sicherheit nach: Nicht mehr Uribe war jetzt Strahlemann, sondern der „Reformpolitiker“ Santos (vgl. dazu „Von den Massengräbern zur Konsolidierung des Grosskapitals“, Correos 165, April 2011).
Und so unterschlagen die Medien hier und dort die Aussagen von Salvatore Mancuso, ehemaliger Oberboss der Paramilitärs, im Noguera-Prozess, um Präsident Santos zu protegieren. Uribe hatte Mancuso 2008 zusammen mit anderen führenden Paras mit ihrer Auslieferung 2008 in die USA verraten, wo sie wegen Drogenhandels belangt wurden. Im Rahmen ihrer sogenannten Demobilisierung hatten Mancuso und andere Parachefs vor den kolumbianischen Strafverfolgungsbehörden zu freimütig über ihre Liaison mit den Sicherheitskräften und dem Uribelager geplaudert. Washington hütete sich, die Paras wegen Verbrechen gegen die Menschheit zu belangen, so dass sie, so das Kalkül, zu diesem Eckpfeiler des US-„Drogenkrieges“ kaum mehr Erhellendes beitragen würden. Die Rechnung ging eine Weile lang auf, doch schliesslich willigten die USA in Videobefragungen der Paras durch die kolumbianische Justiz ein.
So kam es, dass Mancuso im Verfahren gegen Noguera per Video zugeschaltet wurde. Er wiederholte und präzisierte Aussagen, die er teils schon vor seiner Auslieferung gemacht hatte. Er beschrieb dabei detailliert die Zusammenarbeit der AUC mit Armee und Geheimdienst und nannte Namen hochgestellter Kader dieser Kräfte. Vor allem aber bestätigte er seine frühere Aussage, wonach Santos bei einer früheren Gelegenheit „Carlos Castaño [den damaligen AUC-Chef] aufgesucht habe, um ihn um Unterstützung für eine Vereinbarung für den Sturz des [damaligen] Präsidenten Ernesto Samper Pizano zu bitten“ (La despachada de Mancuso en el juicio a Noguera in verdadabierta.com). Francisco Santos, Bruder des heutigen Präsidenten und Vizepräsident unter Uribe, war für Mancuso auch kein Unbekannter. „Verdad Abierta“, ein von der kolumbianischen Zeitschrift „Semana“ und der Soros-Stiftung gesponsortes Portal zur parapolítica, also der Verbindungen des offiziellen Politestablishments mit den Paras, führt dazu im genannten Artikel Folgendes aus: Mancuso versicherte auch, dass der Vizepräsident [Francisco Santos] sich mehrmals mit den Ex—Chefs der AUC traf. ‚Es überraschte mich, denn ich erlebte ihn als mit [unserer] Sache identifizierten Mann und ich sagte (Carlos) Castaño, dass ihm das (paramilitärische) Modell [des Departements Córdoba) gefiel und er gerne hätte, dass es ein solches in Bogotá gäbe’. Bei einer dieser Begegnungen, fügte Mancuso an, ‚hat Castaño Santos vorgeschlagen, dass er die Führung des in der Hauptstadt zu schaffenden] Bloque Capital übernehmen solle, aber [Santos] winkte ab mit der Begründung, er verstehe von solchen Dingen nichts’“.

Francisco Santos, Ex-Vizepräsident, Ex-Medienmogul, und Bruder des jetzigen Präsidenten, war durch weitere Aussagen von führenden Paras wie Rodrigo Tovar Pupo  („Jorge 40“) schon schwer belastet worden. Jorge 40 machte über enge Kontakte mit Santos Aussagen, u.a., als er im Auftrag von Castaño Santos in der Hauptstadt traf und ihm Informationen über den Aufbau einer AUC-Front in der Hauptstadt ausrichtete. Francisco Santos bestreitet die Kontakte mit Castaño und Jorge 40 nicht, aber sie seien im Rahmen seiner Präsidentschaft der von ihm gegründeten NGO Fundación País Libre erfolgt, die sich eben auch um Entführungsopfer der Paras gekümmert habe.

Wie gesagt, die Santos-Familie bzw. die sie belastenden Aussagen der AUC-Führungsriege sind aus der nationalen und internationalen Berichterstattung zum Verfahren gegen den Geheimdienstchef Noguera herausgesäubert worden. Das hat System und langsam schälen sich die realen Kräfteverhältnisse heraus: Uribe, der Drogenhändler, hat seinen Dienst getan und kann … gehen. Die das Land ökonomisch wie medial nach wie vor durchdringende Familie Santos als Ausdruck der transnationalisierten Bourgeoisie hingegen bekommt einen neuen Heiligenschein verpasst, passend zur Aufgabe des jetzigen Präsidenten, den angeblich schon längst gewonnen Krieg gegen die Guerilla wieder in den Erfolgsbereich zu führen.

„Semana“, eines der wichtigsten Medien in Kolumbien, brachte die Infos über Mancusos Aussagen im nur von Wenigen aufgesuchten Spezialportal „Verdad Abierta“, während sie in ihren Print- und Onlineausgaben dazu kein Wort veröffentlichte. Interessanterweise sind mittlerweilen die Videos mit den Aussagen von Mancuso im Noguera-Verfahren in „Verdad Abierta“ ohne Angabe von Gründen nicht mehr einsehbar.