Lateinamerika gemein mit EU

Sonntag, 27. Januar 2013


27. Jan 2013 | 

Massive Differenzen zwischen EU und CELAC

Diplomaten berichten von Verhandlungen bis zur letzten Minute. EU-drängt auf Marktöffnung und will Verurteilung der US-Kuba-Blockade verhindern

Santiago de Chile. Bei dem ersten Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) in Santiago de Chile sind an diesem Wochenende erhebliche Meinungsverschiedenheiten zutage getreten. Nach Informationen teilnehmender Diplomaten sorgten vor allem unterschiedliche Konzepte in der Handelspolitik für Streit. Während die EU-Vertreter auf eine neoliberale Öffnung der Märkte drängten, forderten Staaten Lateinamerikas und der Karibik eine stärkere Kontrolle transnationaler Unternehmen sowie soziale Schutzmechanismen für die Bevölkerung. Für eine Überraschung sorgte Chile: Entgegen der Erwartungen legte ausgerechnet die wirtschaftsliberale Regierung von Präsident Sebastián Piñera Widerspruch zu EU-Positionen in der Handels- und Investitionspolitik ein.
In Santiago de Chile sind seit Freitag Vertreter aus 60 Staaten Lateinamerikas, der Karibik und der EU zusammengekommen. Vor allem für die krisengebeutelten Europäer ist das Treffen wichtig: Das Handelsvolumen mit den rohstoffreichen Staaten Lateinamerikas und der Karibik hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Mit einer Zunahme des Bruttoinlandsproduktes um 4,5 Prozent lag das Wachstum südlich der USA ebenfalls rund doppelt so hoch wie in der EU. Der Drang der Europäer, sich in Lateinamerika wirtschaftlich gesundzustoßen ist aber größer, als das Interesse in der Zielregion.
Nach diplomatischen Quellen in Santiago gab es schon im Vorfeld massive Differenzen, die sich auf dem Gipfel fortsetzen. Während die Mehrheit der CELAC-Staaten in der Gipfelerklärung einen Wandel in der Entwicklungszusammenarbeit, bei der Migrationspolitik und dem Klimaschutz festschreiben wollte, drängten die EU-Staaten fast geschlossen auf eine Öffnung der Märkte. Das Protektionismus-Thema hatte die verantwortlichen EU-Arbeitsgruppen in internen Debatten seit Wochen beschäftigt. Während die Europäer bei marktprotektionistischen Maßnahmen auf die Zielsetzung des "gegenseitigen Abbaus" in der Abschlusserklärung bestanden, verwiesen lateinamerikanische und karibische Verhandlungsführer auf die wirtschaftliche Ungleichheit. "Die Anerkennung der Asymmetrien zwischen beiden Regionen war bis zuletzt Gegenstand harter Debatten", sagte ein europäischer Diplomat in der Nacht zum Sonntag gegenüber amerika21.de.
Tatsächlich hatte die EU in ihren strategischen Planungen bis zur letzten Minute auf die neoliberal ausgerichteten Staaten der Pazifik-Allianz (Mexiko, Kolumbien, Chile, Peru) gesetzt. Doch ausgerechnet die chilenischen Vertreter strichen in den Verhandlungen um die Abschlusserklärung eine von der EU eingebrachte Passage im Handels- und Investitionsteil. Vor allem die deutschen Vertreter drängten nach internen Informationen daraufhin auf die Aufnahme marktliberaler Kernforderungen: Dazu zählte Berlin das Erfordernis stabiler und transparenter Rahmenbedingungen zur Förderung von Handel und Investitionen, die Verpflichtung zur "Bekämpfung von Protektionismus" und einen stärkeren Investitions

Das internationale Investitionsschutzregime hatte in den vergangenen Jahren immer wieder für Probleme zwischen Lateinamerika und westlichen Staaten gesorgt. Mehrere Staaten Lateinamerikas sind aus dem Investitionsschutzabkommen der Weltbank ausgetreten, weil die zuständige Schiedsstelle einseitig zugunsten transnationaler Konzerne geurteilt hatte.
Zahlreiche Diskussionspunkte spiegeln sich auch in dem Entwurf der Abschlusserklärung wider, der amerika21.de vorab vorlag. Darin drängten die CELAC-Staaten bereits in der Einleitung des Handelsteils auf die Verurteilung "unilateraler Maßnahmen mit extraterritorialem Charakter". Im nächsten Satz verweisen die lateinamerikanischen und karibischen Staaten explizit auf das US-amerikanische Helms-Burton-Blockadegesetz gegen Kuba. Dem Dokument zufolge drängte die EU auf Streichung beider Sätze.