Gerardo Szalkowicz
und Agustín Bontempo*
Das im Parlament behandelte Gesetz über Arbeitsoutsourcing
und die von Präsidentin Dilma Rousseff vorangetriebenen Budgetkürzung ergebn
für die Volkssektoren in Brasilien ein komplexes Panorama. Über diese Massnahmen,
die die sozialen Bewegungen in Kampfbereitschaft versetzt haben, und die
komplexe Beziehung mit der Regierung sprachen wir im Programm „Al sur del Río
Bravo“ in Radionauta FM mit Joaquín Piñero. Er ist Mitglied der Nationalen
Koordination des brasilianischen Movimento
dos Trabalhadores Rurais sem Terra (MST, Landlosenbewegung).
(GS/AB) Worum geht es
beim Arbeitsoutsourcinggesetz, das der Kongress diskutiert? Was wären im Fall seiner
Absegnung die Folgen für das
brasilianische Volk?
(JP) Das als Outsourcinggesetz bekannte Gesetzesprojekt
4330/04 wurde 2004 von einem Unternehmer im Kongress eingebracht, womit klar
ist, welchen Interessen es dient. Seither verfügte die Regierung stets über
eine parlamentarische Mehrheit und konnte so die Verabschiedung des Gesetzes
verhindern. Der neue Kongress – für uns der am weitesten rechts stehende Kongress
seit der Militärdiktatur – stimmte darüber ab und nahm es in der Abgeordnetenkammer
an. Jetzt ist es im Senat und schliesslich wird Präsidentin Dilma das letzte
Wort haben.
Es ist miserabel für die ArbeiterInnen und steht generell
für die neoliberale Agenda und die Arbeitsprekarisierung. Heute sind 14
Millionen ArbeiterInnen bei Leiharbeitsunternehmen angestellt, 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung
im Land, zu tiefen Löhnen unter Bedingungen, die der Sklaverei angeklagt sind.
Die meisten Arbeitsunfälle ereignen sich in diesen Unternehmen. Die sozialen
Bewegungen und die Gewerkschaftsverbände sind vereint, um dieses Gesetz zu
verhindern. Es gibt Strassenmobilisierungen und einen Mobilisierungsplan, um
den Senat unter Druck zu setzen. Und falls das Gesetz durchkommt, gibt es eine
klare Haltung der ArbeiterInnen dafür, einen Generalstreik auszurufen und bei
der Präsidentin auf ein Veto zu drücken.
Die andere Kampffront
ist durch die Budgetkürzung der Regierung gegeben. Wie schätzt das MST diese
Wirtschaftsmassnahmen ein?
Dies ist der andere Streitpunkt, weshalb die Bewegungen und
Gewerkschaften mit der Regierung auf Kriegsfuss stehen. Sache ist, dass die Krise
des kapitalistischen Systems mit grosser Wucht in Brasilien angekommen ist. Sie
hat die Investitionskapazitäten eingeschränkt,
die Unternehmen vergrössern die Arbeitslosigkeit, der Konsum der
Bevölkerung sinkt. Und im Budget für dieses Jahr sieht die Regierung eine
Einsparung von 70 Mrd. Reais vor, ungefähr $ 23 Mrd. Dies Kürzungen treffen das
Gesundheitswesen, das Erziehungswesen, die Agrarreform, die sozialen Programme.
Das stellt für alle sozialen Sektoren ein sehr ernstes Problem dar.
Bei den Wahlen letzten
Oktober haben die brasilianischen Volksbewegungen sich stark für die Wiederwahl
von Dilma eingesetzt. Danach ernannte die Präsidentin mehrere Minister mit
konservativem Profil und betrieb diese Politik der Strukturanpassung. Hat dies eure
kritische Unterstützung für die Regierungen des PT verändert?
Wir kämpfen weiter gegen diese Strukturanpassung. Wir sind
uns bewusst, dass es eine Wirtschafts- und Finanzkrise gibt und dass die
Regierung handeln muss, um sie zu lösen. Aber wir sind uns auch bewusst, dass
die Regierung nicht einen Schritt getan hat, um die Reichen zu belasten, ihnen
die Kosten für die Anpassung aufzubürden. Jetzt, wo sie Druck von unten spüren,
erwägen sie, die Banksteuern zu erhöhen … Man könnte mit der Besteuerung der
reichsten Klasse, etwa mit einer Erbschaftssteuer, Einnahmen erzielen. Es gibt
mehrere andere Optionen, die die Regierung für die Anpassung nutzen könnte. Wir
sind entschieden gegen diese Politik und so haben wir verschiedene Proteste
durchgeführt wie etwa die Besetzung des Finanzministeriums.
MST-Besetzung des Finanzministeriums in Belo Horizonte am 26.5.15. Quelle: MST |
Für die Gegenseite, die Opposition, ist klar, dass das
Anpassungsprogramm von Dilma ihr Projekt ist, ein Projekt der Rechten. Deshalb widersetzt sich die Rechte diesen
Massnahmen nicht, der Widerstand kommt einzig von den Bewegungen und
Gewerkschaften. Aber es ist eine sehr delikate Situation und wir kritisieren
die Regierung dafür. Nun, das Kräfteverhältnis ist ungünstig für unsere Seite.
Deshalb bleibt uns nur die Strasse, und deswegen haben wir die Mobilisierungen
und Pläne für die nächsten Perioden. Denn wir können nicht zulassen, dass es zu
einem Rückschritt bei den sozialen Verbesserungen kommt, die die Regierung
selber im Land verwirklichen konnte.
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Quelle: MST
de Brasil: “El programa de ajuste de Dilma es el programa de la derecha”,
Resumen Latinoamericano, 10.6.15