Brasilien/MST: „Das Strukturanpassungsprogram von Dilma ist ein Program der Rechten“

Montag, 15. Juni 2015



Gerardo Szalkowicz und Agustín Bontempo*
Das im Parlament behandelte Gesetz über Arbeitsoutsourcing und die von Präsidentin Dilma Rousseff vorangetriebenen Budgetkürzung ergebn für die Volkssektoren in Brasilien ein komplexes Panorama. Über diese Massnahmen, die die sozialen Bewegungen in Kampfbereitschaft versetzt haben, und die komplexe Beziehung mit der Regierung sprachen wir im Programm „Al sur del Río Bravo“ in Radionauta FM mit Joaquín Piñero. Er ist Mitglied der Nationalen Koordination des brasilianischen Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra (MST, Landlosenbewegung).

(GS/AB) Worum geht es beim Arbeitsoutsourcinggesetz, das der Kongress diskutiert? Was wären im Fall seiner  Absegnung die Folgen für das brasilianische Volk?
(JP) Das als Outsourcinggesetz bekannte Gesetzesprojekt 4330/04 wurde 2004 von einem Unternehmer im Kongress eingebracht, womit klar ist, welchen Interessen es dient. Seither verfügte die Regierung stets über eine parlamentarische Mehrheit und konnte so die Verabschiedung des Gesetzes verhindern. Der neue Kongress – für uns der am weitesten rechts stehende Kongress seit der Militärdiktatur – stimmte darüber ab und nahm es in der Abgeordnetenkammer an. Jetzt ist es im Senat und schliesslich wird Präsidentin Dilma das letzte Wort haben.
Es ist miserabel für die ArbeiterInnen und steht generell für die neoliberale Agenda und die Arbeitsprekarisierung. Heute sind 14 Millionen ArbeiterInnen bei Leiharbeitsunternehmen angestellt, 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung im Land, zu tiefen Löhnen unter Bedingungen, die der Sklaverei angeklagt sind. Die meisten Arbeitsunfälle ereignen sich in diesen Unternehmen. Die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaftsverbände sind vereint, um dieses Gesetz zu verhindern. Es gibt Strassenmobilisierungen und einen Mobilisierungsplan, um den Senat unter Druck zu setzen. Und falls das Gesetz durchkommt, gibt es eine klare Haltung der ArbeiterInnen dafür, einen Generalstreik auszurufen und bei der Präsidentin auf ein Veto zu drücken.

Die andere Kampffront ist durch die Budgetkürzung der Regierung gegeben. Wie schätzt das MST diese Wirtschaftsmassnahmen ein?
Dies ist der andere Streitpunkt, weshalb die Bewegungen und Gewerkschaften mit der Regierung auf Kriegsfuss stehen. Sache ist, dass die Krise des kapitalistischen Systems mit grosser Wucht in Brasilien angekommen ist. Sie hat die Investitionskapazitäten eingeschränkt,  die Unternehmen vergrössern die Arbeitslosigkeit, der Konsum der Bevölkerung sinkt. Und im Budget für dieses Jahr sieht die Regierung eine Einsparung von 70 Mrd. Reais vor, ungefähr $ 23 Mrd. Dies Kürzungen treffen das Gesundheitswesen, das Erziehungswesen, die Agrarreform, die sozialen Programme. Das stellt für alle sozialen Sektoren ein sehr ernstes Problem dar.

Bei den Wahlen letzten Oktober haben die brasilianischen Volksbewegungen sich stark für die Wiederwahl von Dilma eingesetzt. Danach ernannte die Präsidentin mehrere Minister mit konservativem Profil und betrieb diese Politik der Strukturanpassung. Hat dies eure kritische Unterstützung für die Regierungen des PT verändert?
Wir kämpfen weiter gegen diese Strukturanpassung. Wir sind uns bewusst, dass es eine Wirtschafts- und Finanzkrise gibt und dass die Regierung handeln muss, um sie zu lösen. Aber wir sind uns auch bewusst, dass die Regierung nicht einen Schritt getan hat, um die Reichen zu belasten, ihnen die Kosten für die Anpassung aufzubürden. Jetzt, wo sie Druck von unten spüren, erwägen sie, die Banksteuern zu erhöhen … Man könnte mit der Besteuerung der reichsten Klasse, etwa mit einer Erbschaftssteuer, Einnahmen erzielen. Es gibt mehrere andere Optionen, die die Regierung für die Anpassung nutzen könnte. Wir sind entschieden gegen diese Politik und so haben wir verschiedene Proteste durchgeführt wie etwa die Besetzung des Finanzministeriums. 
MST-Besetzung des Finanzministeriums in Belo Horizonte am 26.5.15. Quelle: MST

Für die Gegenseite, die Opposition, ist klar, dass das Anpassungsprogramm von Dilma ihr Projekt ist, ein Projekt der Rechten.  Deshalb widersetzt sich die Rechte diesen Massnahmen nicht, der Widerstand kommt einzig von den Bewegungen und Gewerkschaften. Aber es ist eine sehr delikate Situation und wir kritisieren die Regierung dafür. Nun, das Kräfteverhältnis ist ungünstig für unsere Seite. Deshalb bleibt uns nur die Strasse, und deswegen haben wir die Mobilisierungen und Pläne für die nächsten Perioden. Denn wir können nicht zulassen, dass es zu einem Rückschritt bei den sozialen Verbesserungen kommt, die die Regierung selber im Land verwirklichen konnte.

·         Quelle: MST de Brasil: “El programa de ajuste de Dilma es el programa de la derecha”, Resumen Latinoamericano, 10.6.15