El Salvador: «Die Angst brechen» oder verlieren

Dienstag, 24. September 2024

(zas, 24.9.24) Der 15. September ist in Zentralamerika Nationalfeiertag und soll an die Unabhängigkeit von der spanischen Krone von 1821 erinnern. In El Salvador kam es am letzten 15. September zu zwei extrem unterschiedlichen Anlässen, dem offiziellen und dem des Widerstands gegen das Regime. 

Zuerst zum Spektakel des Regimes: eine Ansprache von Nayib Bukele vor rund 6000 strammstehenden Militärs. Einmal mehr erinnerte die Choreographie an Mussolini. Eingangs beschrieb er, wie Gott ihn und das Volk prüfte, indem er ein paar Tage zuvor einige der «Helden» des Vaterlandes, darunter die Topchefs der Polizei, bei einem Helikopterunfall sterben liess (dazu mehr unten). Doch wer demütig die Prüfung erdulde, wie er und hoffentlich das Volk, werde weiter Grosses erschaffen. Auch auf ökonomischem Gebiet. Denn «Gott hat enorm in dieses Land investiert, vor allem in den letzten Jahren», so dass Frieden und Wohlstand winken, wenn nur alle am Strick der kollektiven Bescheidung mitziehen. Das wars dann.

Weit vorne spricht Bukele zu seinen "olivgrünen Helden"

 

 Ein Blick zurück

Am letzten 1. Mai hatte der Bloque zu einer grossen Protestdemo gegen Repression und Armut mobilisiert, unterstützt von Gewerkschaften und der Alianza Nacional para El Salvador en Paz. Die Alianza, damals auf einen Zusammenschluss von Veteranen der Armee und Ex-Guerillas reduziert (die vorher integrierten rechten Gewerkschaften hatten sich abgesetzt), war schon geschwächt wegen Differenzen in Sachen Wunschkandidat für die Präsidentschaftswahlen von Februar. Aber gegen das soziale Rollback und die repressiven Verhältnisse des Ausnahmeregimes fanden viele Menschen den Mut, auch in den Gewerkschaften, auf die Strasse zu gehen.

Das war Wind in die Segel des sozialen Widerstands. Die Antwort kam in der Nacht auf den 1. Juni, als die neue, verfasssungswidrige zweite Periode der Regierung Bukele begann. Die Führung der Alianza wurde unter dem Vorwand ihrer angeblich geplanter Sprengstoffanschläge auf Tankstellen und Regierungseinrichtungen verhaftet (vgl. Gott, Künstliche Intelligenz, Armut und Angstpolitik). Ihre Behandlung im Gefängnis seither – etwa die weitgehende Verweigerung lebenswichtiger medizinischer Hilfe oder null Kontakt mit Angehörigen und AnwältInnen – entspricht dem Vorgehen des Regimes im «Ausnahmezustand» gegen angebliche Maramitglieder oder deren reales Fussvolk im «Ausnahmezustand».

Die Folge: eine lähmende Angst vor dem Verschwinden in den Foltergefängnissen unter allen Oppositionellen. Das Bukele-Regime zerschlug die Alianza faktisch in einem Moment ihrer eigenen Schwächung. Von den drei als Sozialbewegungen firmierenden Zusammenschlüssen, die ab 2022/23 gemeinsam gegen die Diktatur mobilisierten, bleibt jetzt nur noch der Bloque übrig (die Coordinadora de Movimientos Populares hatte sich schon zuvor auf ihr angestammtes Terrain von progressiven NGOs mit einer beschränkten sozialen Basis zurückgezogen). Dem Bloque drohte im Fall einer spürbaren Schwächung seiner Mobilisierungskapazität wohl auch das Schicksal der Alianza. Um diese Angst zu durchbrechen, so das verbreite Motto, mobilisierte der Bloque nun auf den 15. September.

 

«Die Angst brechen»

Mit klarem Erfolg. Zwar blieb die Demoteilnahme gegenüber dem 1. Mai klar zurück (es waren jetzt vielleicht noch 7-8000 Leute), aber sie übertraf die Mobilisierung vom 15. September vergangenen Jahres. Und die Teilnehmenden waren entschlossen, der Angstkampagne des Regimes entgegenzutreten. Die Demo war klar links orientiert, von den zentristischen Anti-Bukele-Kräften wie der Jesuitenuni und vielen anderen liess sich kaum jemand blicken. Es war immerhin gelungen, zum Beispiel AktivistInnen grösserer Gewerkschaftskräfte zur Teilnahme zu bewegen, wobei die jeweiligen Organisationen aber nicht offen auftraten. Zusammengefasst: Die Bloque-Basis widersetzt sich der Angstkampagne des Regimes, in bescheidenem, aber signifikanten Ausmass kommen neue Kräfte dazu, wie Geschädigte eines Finanzskandals (s. «Räuber und Geprellte» unten). Eine starke Präsenz an der Demo hatte erneut MOVIR, der im Bloque organisierte Zusammenschluss von Angehörigen der zig-tausenden im Rahmen der «Bandenbekämpfung» verhafteten Menschen aus den Armutszonen. Diese Menschen kämpfen trotz des Risikos, selber als «Mara-Mitglieder» gefangen genommen zu werden, für ihre Familienmitglieder, von denen sie oft nicht wissen, ob sie noch am Leben sind. Viele von ihnen sind keineswegs klassische Linke, manche hatten einst Bukele gewählt. Aber die Not und die Liebe machen sie zum Vorbild für das, was eine Sozialbewegung sein könnte.


 

 Ein endloses Trauerspiel

Eine ungute Rolle spielte am 15. September erneut der FMLN, dessen Abwärtsspirale unaufhaltbar scheint. Eine teilweise ausgewechselte Führung betont den Charakter der «Avantgarde des Volkes». Real bestimmt das Geschehen aber – über «radikale» Phraseologie hinaus – eine Gruppe neuer, in den Regierungsjahren des FMLN hochgekommener Bourgeois, die mit dem Clan Bukele politisch-finanziell verbandelt ist. In der Praxis zeigte sich dies erneut am 15. September. Erst verordnete der neue nominelle Parteiboss eine eigene Demo, losgelöst vom Bloque. Das Kalkül dabei: Da viele Mitglieder des Bloque im FMLN waren oder noch sind, würden sie sich der Parteidisziplin fügen. Also Marginalisierung der Bloquedemo. Das kam aber schlecht an. Auch wer im Bloque und noch im FMLN ist, weiss natürlich, wer in den letzten Jahren gegen die neue Diktatur auf der Strasse mobilisiert hat und wer eben nicht. Es war klar: Aus der Marginalisierung wird nichts.

Darauf versuchte die Frenteleitung eine neue Masche: Alle besammeln sich am Parteisitz und gehen dann geschlossen an die Bloque-Demo. Nur: Am 15. marschierten ca. 80 Leute vom Parteisitz weg. Eine andere Sache war, dass sich vielleicht 300 FrenteaktivistInnen im bekannten roten Leibchen von Beginn weg an dem von der Polizei gesperrten, deshalb in die Nähe verlegten Besammlungspunkt des Bloque einfanden. Sie gehören zur oppositionellen Strömung im Frente, die weiter versucht, die Partei «auf die richtige Bahn zurückzubringen». Eine kleinere Minderheit in der Mobilisierung. Für andere Ex- oder Noch-FMLN-Mitglieder zählt der reale Widerstand mehr als die formelle Parteimitgliedschaft.

Die FMLN-Leitung weiter ab und an eine radikale Lippe riskieren, aber in der Praxis ihre Aufgabe darin sehen, den Strassenwiderstand unter die Parteiknute zu bringen, also – nolens volens – ins seichte Gewässer um das Regime. Das verdeutlicht auch Ihre insbesondere ans linke Ausland gerichtete Sprachregelung, wonach Volk und FMLN irgendwie gemeinsam «mobilisieren», als ob nicht andere dies täten. Auch das ein Teil der Verlogenheit.

In was für eine Verfassung der Frente gefallen ist, zeigte sich an seiner kürzlichen Jahreskonvention, als sich ein Teil der Delegierten zur Wahl neuer Leitungsorgane vom Plenum zurückzog. Für die Wartenden gab es Pausenunterhaltung mit einer fast unbekleideten Tänzerin als «Attraktion» und den Begleitruf eines Zeremonienmeisters «Wo sind die Junggesellen?». Zu Beginn des folgenden Plenums brachte der Parteichef protestierende Frauenstimmen zum Schweigen, und die neue Vize-Parteichefin outete sich als Kämpferin gegen Diskriminierung, die Frauen erleiden, weil sie heiraten und Kinder kriegen. Der neue Parteichef teilte mit, der FMLN verteidige das salvadorianische Volk und seine Kultur, zu der ein solcher Tanz genauso wie typische Landeskost oder revolutionäre Musik gehöre. Immerhin: Auf Handyvideos der «Show» waren nur konsternierte Minen von Männern und angeekelte von Frauen zu sehen. Das kann die Abscheu darüber, zu was der FMLN gemacht wird, nicht mindern.

 

Mafia, Leaks du Seilschaften

Im oben verlinkten Artikel sind sich verschärfende soziale Konfliktlinien benannt. Es ist klar, dass jetzt nicht Wenige aus zuvor Bukele-fanatischen Bevölkerungssegmenten vom Regime «enttäuscht» sind. Der knurrende Magen, insbesondere der Kinder, passt nicht zur Regimepropaganda. Klar: Enttäuschung führt nicht automatisch zu Protest. Doch im Land werden Bruchlinien werden sichtbar, und international ist klar, dass der Mafiaclan um Bukele auf Trump, Milei, Elon Musk und angehängte Kohorten etwa aus der berüchtigten US-Söldnerfirma Blackwater setzt. Das motiviert offenbar Antworten aus der Biden-Administration. Eine Reihe von Leaks der Gruppe CyberinteligenciaSV bringen das Regime bei bisherigen UnterstützerInnen in Verruf. Dabei geht es etwa um Luxuslöhne von SpitzenexponentInnen der Regierung (gehackte Datenbank der Sozialversicherung), um überbordende Korruption im Regimeparlament (gehackte Datenbank des Parlaments) oder auch um die grausame Ermordung des als Verräters betrachten früheren nationalen Sicherheitsberater Bukeles, Alejandro Musyhondt im Gefängnis (gehackte Datenbanken der Ordnungskräfte). Auf ihrem Kanal in Telegram lässt CyberinteligenciaSV keine Anzeichen einer linken Motivation erkennen. Es gibt Hinweise darauf, dass sie von Stellen in US-Diensten gefüttert wird. Recherchen in vermeintlich progressiven, real aber eher zum Soft-Power-Apparat Washingtons gehörenden Medien beruhen auf Dokumenten, die zum Beispiel zeigen, wie der Clan um Bukele zum Grossgrundbesitzer geworden ist. Das macht in einem Land, in dem zunehmend bäuerische, indigene, auch städtische arme Comunidades enteignet werden, keine gute Falle. Das Bild einer Mafia, die zur Sicherung von Herrschaft und Reichtum auf Faschismus setzt, gewinnt an Kontur.

Alles teuer und der Diktator im Privatjet.

 

Räuber und Geprellte

Seit längerem haben salvadorianische ArbeiterInnen, die in den USA in Rente gingen, wie auch Haushalte der ärmeren Mittelschicht im Land oft ihre ganzen Ersparnisse in vermeintlich solvente Kreditinstitute in der Patria, sog. Finanzkooperativen, investiert, darunter die Cosavi. Als eine Frau ihr Geld vom Cosavi-Konto abheben wollte, war ihr dies nicht möglich. Die Kunde wurde über Whatsapp viral, es kam zum Bankrun. Nach bisherigem Kenntnisstand hat der Leitungsklüngel um CEO Manuel Coto $ 35 Millionen abgestaubt. Davon flossen $ 21 Millionen in bukelistische Gemeinderegierungen, ohne dass die nationale Finanzaufsicht ein Sterbenswörtchen von sich gegeben hätte. Ein Skandal. Coto mit seiner Kenntnis von pro-bukelistischen Finanzraubzügen war abgetaucht. Ende Juli die frohe Kunde des salvadorianischen Generalstaatsanwalte und danach Bukeles: Dank salvadorianischen Untersuchungen konnten die panamaischen Behörden Coto dingfest machen. Dummerweise teilten diese aber mit, davon nichts zu wissen. Anfang September die Meldung der honduranischen Polizei: Sie hätten zwei Schlepper verhaftet und dabei auch Coto. Bukele frohlockte auf X: Dank honduranischem Entgegenkommen werde Coto sofort ohne ein langwieriges Auslieferungsverfahren überstellt (ein offener honduranischer Gesetzesbruch, der auf gute Beziehungen von Kräften in der dortigen Regierung zu Bukele verweist).

Ein im Verfahren auspackender Coto – ein bukelistischer Albtraum. Gottes lenkende Hand, um auf Bukeles Rede am 15. September zurückzukommen, richtete es aber anders. Der Helikopter, mit dem Coto in der Nacht vom 8. September von der Grenze nach San Salvador geflogen werden sollte, stürzte unterwegs ab, niemand an Bord überlebte den Crash. Nun waren offenbar die beiden Chefs der nationalen Polizei, weitere berüchtigte Kommissare und einige Militärs mit an Bord. Also kein Mordkomplott? Es kam zu mehr Verwirrung, als bekannt wurde, dass der Helikopter vom Typ UH-1 veraltet (schon im Vietnamkrieg im US-Einsatz), nicht auf eine Belegung mit 9 Personen ausgerüstet und unter den gegebenen Umständen - nachts und Regen – eigentlich flugtauglich war. Mauricio Funes, Ex-Staatspräsident im nicaraguanischen Exil, berichtete in viel gesehenen Interviews in Social Media-Interviews von einem normalen Sicherheitsprotokoll der Armee, demzufolge bei schlechtem Flugwetter ein Helikopterflug untersagt war, auch für den Staatspräsidenten. Zudem verfüge die Armee über wesentlich modernere und potentere Helikoptertypen.

Bukele selbst heizte mit einem Tweet am Morgen nach dem Crash die Gerüchteküche an: “Der Vorfall kann nicht als simpler ‘Unfall’ stehen bleiben, er muss umfassend bis zur letzten Konsequenz untersucht werden». Entweder hatte er zu viel gesnifft oder aber die Untersuchung ergibt wohl, dass terroristische Oppositionelle oder weitere Verräter im eigenen Lager den Heliflug sabotiert haben. Diverse Thesen kursieren (tragischer Unfall, Abrechnung im Narkomilieu, Armee bereinigt Differenzen mit der Polizei u. a.). Die ganze «Affäre», vom pro-bukelistischen Raub über die evidenten Regierungslügen bis zum Crash und dem Umstand, dass entgegen periodischer offizieller Verlautbarungen die Regierung den Cosavi-Opfern, viele um ihre ganzen Altersparnisse gebracht, bisher keinen Cent aus dem jetzt beschlagnahmten, also geraubten Cosavi-Vermögen ausbezahlt hat, verstärkt das mafiöse Bild des Bukelismus. Eine Gruppe von Cosavi-Opfer hat an der Bloque-Demo vom 15. September teilgenommen. Es bröckelt im Machtgefüge.