Panzer vor dem Präsidentenpalast; mysteriöse Anrufe ins Parlament, die den Gang der Dinge ändern; ein Präsiden und früherer Grossgrundbesitzer, der sich als linker Volkstribun gibt, den die Bourgeoisie hasst und die linken Regierungen im Kontinent unterstützen; ein Go-in des Präsidenten und der Volksorganisationen im Hauptquartier der Luftwaffe zwecks Sicherung von Referendumsunterlagen…
(zas, 26.6.09) In den letzten beiden Tagen erlebte Honduras zumindest den Beginn eines „technischen Putsches“ gegen den Präsidenten „Mel“ Zelaya, der nach letzten Informationen im letzten Moment ausgesetzt worden ist. Zelaya, dessen Amtszeit Ende Januar 2010 ausläuft, gilt als links, obwohl er 2006 als Kandidat der traditionellen Liberalen Partei das Amt angetreten hat. Unter seiner Führung ist Honduras dem Staatenverband der bolivarischen Alternative ALBA beigetreten.
Die Ereignisse
Was gestern und heute einen (Beinah-) Putsch ausgelöst hat, ist das Insistieren Zelayas auf der Abhaltung eines Volksreferendums an diesem kommenden Sonntag. Dabei sollen die HonduranerInnen die Frage beantworten, ob sie bei den Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen vom nächsten November eine „Vierte Urne“ wünschen und sich damit die Möglichkeit geben, im November das neu zu wählende Parlament zur Verfassungsgebenden Versammlung zu machen. Diese Konstituante sollte dann im Eiltempo eine neue Verfassung ausarbeiten, welche stracks Neuwahlen zur Folge hätte und die Möglichkeit einer Wiederwahl des Präsidenten beinhalten soll. Damit könnte Mel, so das Kalkül, Ende Januar 2010 weiter regieren. Alle anderen Staatsgewalten – Parlament, Justiz, Wahlgericht, Staatsanwaltschaft – sind fest in den Händen der Rechten und lehnen das Referendum als „ersten Schritt zu einer chavistischen Diktatur“ ab. Vor wenigen Tagen verabschiedete das Parlament ein Gesetz, wonach Referenden ein halber Jahr vor und nach allgemeinen Wahlen verboten sind. Das Wahlgericht wies daraufhin die Armee an, die Referendumsunterlagen zu beschlagnahmen und nicht etwa, wie vom Staatspräsidenten als Oberkommandanten der Streitkräfte angeordnet, landesweit zu verteilen. Darauf gestützt, weigerte sich Generalstabschef Romeo Vásquez, der Order des Präsidenten nachzukommen, worauf dieser ihn absetzte. Dagegen rekurrierte u.a. der Generalstaatsanwalt am Donnerstag vor dem Obersten Gericht, welches die Absetzung aufhob. In Solidarität mit Romeo Vásquez waren schon der Verteidigungsminister und die Kommandanten der Waffengattungen zurückgetreten.
Am Donnerstag hat die Armee nach übereinstimmenden Angaben in der Hauptstadt Tegucigalpa Positionen beim Flughafen und beim Präsidentenpalast bezogen, diese allerdings im Laufe des Tages weitgehend geräumt. Die rechten Monopolmedien feierten diesen Einsatz der Armee gegen die „Horden“ des Präsidenten. Im Laufe des Nachmittags versammelten sich AnhängerInnen des Präsidenten, neben der kleinen Linkspartei Unificación Democrática (DU) vor allem Gewerkschaften und indigene Organisationen, in der Casa Presidencial, wo Mel sie dazu aufrief, ihn an einen nicht bekannt gegebenen Ort zu begleiten. Agenturberichten zufolge hat es sich dabei um 2000 Menschengehandelt – die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. Die „Demo“ ging zum Hauptquartier der Luftwaffe, in welches die Leute hinter ihrem Präsidenten auf friedliche Weise eindrangen – angesichts des Präsidenten liessen die Soldaten ihre Waffen sinken und der Kommandant folgte dem Befehl Zelayas, die Unterlagen für das Referendum auszuhändigen, mit Ziel Casa Presidencial (offenbar sollten die Unterlagen binnen kurzem vernichtet werden). Mel proklamierte, das Referendum würde am Sonntag wie geplant stattfinden.
Abgesagter technischer Putsch
Heute Freitag tagte das Parlament mit der erklärten Absicht, den Präsidenten abzusetzen und den Parlamentspräsident Roberto Micheletti (Liberale Partei) als Interimspräsident einzusetzen. Die beiden grossen Parteien, die liberale und die nationale, stehen mit Zelaya auf hasserfülltem Kriegsfuss. AFP-Korrespondet Noé Leiva zitierte um 13h Ortszeit( 21h MEZ) die DU-Abgeordnete Doris Gutiérrez mit folgenden Worten: „Die beiden Fraktionen … waren entschlossen, den Präsidenten für unfähig zu erklären, aber sie erhielten anrufe von ich weiss nicht wem und nahmen davon Abstand. Der Plan war, Zelaya zu inhabilitieren, Micheletti würde die Präsidentschaft übernehmen und sie verteilten schon die Posten“ (AFP, 26.6.09: Se agrava conflicto de poderes en Honduras). Laut AFP zirkulieren im Parlamentsgebäude Gerüchte, wonach die ebenfalls heute zum Thema Honduras tagende OAS (Organisation der Amerikanischen Staaten) oder Hillary Clinton angerufen habe.
OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza liess vor dem Treffen seiner Organisation verlauten: „Wenn es einen Konflikt zwischen den Staatsgewalten gibt, muss man zuerst versuchen, ihn mittels Dialog und Konsens zu lösen“ (s.o.). Er hat damit die Linie vorgegeben, wie sie von Alliierten Washingtons wie der mexikanischen Regierung am Treffen dann auch zum Ausdruck gebracht wurde, während die ALBA-Länder eine klare Solidarisierung mit Zelaya promovierten.
Möglicherweise ist die Situation also fürs Erste und sehr vorübergehend entschärft. So haben heute die Bankenvereinigung AHIBA, die Unternehmerverbände und auch die Nationale Uni UNAH die Wiederaufnahme ihrer Aktivitäten angekündigt. Gestern haben die Patrons und die Handelskammer zur Schliessung der Geschäfte und zur möglichst weitgehenden Vermeidung von Aktivitäten ausserhalb des Hauses bis zumindest kommenden Montag (also nach dem geplanten Referendumstermin) aufgerufen und so natürlich ein Angstklima verstärkt. Allerdings ist die Armee immer noch an zahlreichen strategischen Stellungen im Land präsent, wegen der Situation, die, so der vom Präsidenten zwar abgesetzte, aber weiter amtierende Generalstabschef , immer noch „schwierig, aber überwindbar“ sei (prensalibre.com, 26.6.09, 14:51: Gobierno hondureño distribuye material para la consulta popular en medio de la crisis).
Angaben zur Regierung Zelaya
Doch mehr als eine kurze Atempause dürfte das kaum werden. Wie „links“ die Regierungspolitik Zelayas wirklich ist, ist uns unklar (vgl. dazu Correos 155, November 08, Allison Bracken: Die Morde hörten nie auf). Umgekehrt wäre es falsch, sie einfach als demagogisch abzutun. Zwar sind die schon fast radikalen Sprüche Zelayas’ oft wenig erhellend für tatsächliche Prozesse. Doch nimmt man die Angaben des Mitarbeiters des dänischen Hilfswerkes Danish Church Aid, Guido Eguigurre, in seinem heutigen Artikel „Tegucigalpa, bajo la amenaza de un golpe de Estado“ ernst (), so finden die meist schwachen sozialen, auch indigenen, Organisationen in Mel Zelaya einen Bündnispartner. So hat Zelaya mit enorm lukrativen Korruptionsgeschäften auf dem Pharma- und dem Waffenmarkt aufgeräumt, sehr zum Leidwesen eines mitbetroffenen Zeitungsbarons, der so während Jahrzehnten leichtes Geld scheffelte. Ebenso sind monatliche Abfindungen in der Höhe von Millionen von Lempiras an die Monopolmedien passé, was deren Dauerhetze gegen die Regierung natürlich miterklärt. Anscheinend macht Zelaya auch Ernst mit der von ihm während der Wahlkampagne propagierten „BürgerInnenkontrolle“ (auditoría social), dergestalt, dass auch hohe FunktionsträgerInnen sich einem kritischen „Kreuzverhör“ jeweiliger Basissektoren stellen müssen – mit dem Ergebnis, dass einige zurücktreten mussten. Steuerhinterziehung wird geahndet. Die Monopolrente des einzigen zum Import von Öl befugten Unternehmens gehört der Vergangenheit an; im Streit gegen Extraprofite der transnationalen Ölmultis - sie kaufen billigeres venezolanisches Öl und verrechnen im Land den Preis für das teurere aus dem Golf von Mexiko) – gab Mel nicht nach. Das führte ihn sukzessive in die Mitgliedschaft in ALBA. International hat die honduranische Regierung generell eine progressive Haltung eingenommen, in markantem Gegensatz zu den Vorgängerregierungen, die dem Land in den 80er Jahren den schmachvollen Ruf als „Flugzeugträger der USA“ eingebracht hatten. Damals herrschte der US-Botschafter John Negroponte als Prokonsul, organisierte den Angriffskrieg gegen das sandinistische Nicaragua, aber auch Attacken auf die salvadorianische Guerilla von honduranischem Boden aus. In Honduras betreute Negroponte den Aufbau der militärischen Todesschwadron Batallón 3-16 (später betreute Negroponte im Irak den Aufbau des Massenterrorapparats, vgl. Correos 142, Juli 2005, Dieter Drüssel: Die „Salvador-Option“ im Irak). Allerdings soll nicht vergessen werden, dass Zelaya im ersten Amtsjahr eine harte Auseinandersetzung mit streikenden LehrerInnen führte, in deren Verlauf er die Armee aufmarschieren liess. Seinen damaligen Erziehungsminister schickte er später in die Wüste; wie sich die Beziehung mit der Gewerkschaft seither entwickelt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Destabilisierung
Die Kampagne gegen Zelaya hängt zusammen mit der gegen den „gemässigt“ sozialdemokratischen Präsidenten von Guatemala, Álvaro Colom, dem das von berüchtigten Putschisten verfasste Drehbuch den Mord an mehreren nicht-korrupten Unternehmern unterjubeln will (s. dazu Artikel im demnächst erscheinenden Correos 158). Colom macht keine linke Politik, doch seine zaghaften Reformansätze reichen, um ihn zum Destabilisierungsobjekt zu machen. Ein ähnliches Drehbuch kam im Fall der sogenannten „Kofferaffaire“ zum Zug, als die Bush-Administration gerichtlich in Miami festhielten liess, dass Hugo Chávez ausgerechnet auf einige knallhart rechte venezolanische Geschäftsleute in Florida zurückgegriffen habe, um der damaligen argentinischen Präsidentschaftskandidatin Cristina Kirchner $800'000 zuzuhalten. Auch die Kirchner betreibt keine linke Politik, aber allemal eine, die den Interessen der US-Multis eher zuwiderläuft.
Letzten April wurde absehbar, dass sich die Angriffe auf Zelaya und dessen seit letztem November gehätschelten Projekt einer Konstituante zwecks Wiederwahl verschärfen würden. Damals beschuldigte nämlich Otto Reich Zelaya, direkt hinter den Schmiergeldzahlungen an die honduranische Telekom Hondutel durch das in Florida ansässige Telekom-Unternehmen Latin Node zu stecken. Die US-Behörden, teilte Reich dem Nuevo Herald (Miami) mit, seien die Sache am Untersuchen. Reich war unter Bush II im State Department für Lateinamerika zuständig gewesen und hatte sich seit den 80er Jahren den Spitznamen Pinocchio erworben. Warum? Unter Reagan hatte er aktenkundig die US-Medien illegal, aber erfolgreich mit Falschmeldungen über Nicaragua gefüttert, in seiner Eigenschaft als Chef des Office for Public Diplomacy (State Department). 2002 segnete er den Putsch gegen Hugo Chávez ab und im gleichen Jahr, als Undersecretary of State, beschuldigte er Kuba, ein biologisches Waffenarsenal zu entwickeln.
Das honduranische „Engagement“ Reichs hatte, wie Zelaya konterte, durchaus auch konkrete Motive: Er war Rechtsvertreter eines Telekomunternehmens, dessen honduranische Lizenz die Regierung Zelaya wegen Korruption aufgehoben hatte und zudem bei Zelaya mit dem Vorhaben abgeblitzt, als offizieller Lobbyist des Landes in Washington aufzutreten. Interessanterweise rückte auch die US-Botschaft die Dinge etwas ins Lot, als sie Angaben zur Untersuchung gegen Latin Node machte und dabei Zelaya faktisch entlastete. Ähnlich hatte die US-Botschaft in El Salvador einen Monat zuvor, vor den vom FMLN gewonnen Präsidentschaftswahlen, eine Kampagne einflussreicher US-Abgeordneter dementiert, welche für den Fall eines FMLN-Sieges mit schwerwiegenden Konsequenzen für die in den USA lebenden SalvadorianerInnen gedroht hatten.
Die aktuellen Vorgänge in Honduras wie auch die kürzlichen in Guatemala könnten eher als auf die heutige Administration in Washington auf eine Art loser rechtsradikaler Internationale mit Zentrum im Machtapparat der USA, aber natürlich auch starken nationalen Verästelungen in den jeweiligen Ländern, zurückgehen. Noch ist es allerdings zu früh, um derartige Einschätzungen als gesichert abzugeben. Wir werden sehen, wie sich die USA im Falle Honduras verhalten – aber etwa auch in Ecuador, im Falle des bolivianischen Separatismus, oder in der Kampagne gegen die Regierung Ortega in Nicaragua. Hier hat sie gerade $50 Millionen „Entwicklungshilfe“ im Rahmen ihrer Milleniumsziele-Kampagne definitiv gestrichen, da Ortega ein Wahlbetrüger sei.
Pfeifen im Wald
Die Mainstreamedien in Honduras wissen drei Dinge: 1. Werden die Leute am nächsten Sonntag darüber abstimmen, ob sie im November auch über eine Verfassungsgebende Versammlung abstimmen sollen, dann steht die Diktatur ins Haus. 2. Zelaya und seine Horden haben null Rückhalt in der Bevölkerung, weswegen das Referendum ohnehin nicht stattzufinden braucht. Weshalb 3. alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um es auf Biegen und Brechen zu verhindern, was dann Rechtsstaat heisst. Ich kann die reale Stärke Zelayas und der Bewegung für eine Verfassungsgebende Versammlung, also der sozialen Organisationen, nicht einschätzen. Auffallend ist auf jeden Fall, dass die Rechte das Ding doch so zu fürchten scheint wie der Teufel das Weihwasser.
Für Infos:
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